Klinische
Anwendung Antiinfektive
Forschung
Einer der bedeutendsten Eckpfeiler in der antiinfektiösen
Therapie ist die Kenntnis der Penetration des Antiinfektivums
in das infizierte Zielgewebe. Zur Erlangung dieser Erkenntnis
sind geeignete und verlässliche Methoden zur Erhebung der
Arzneistoffkonzentration am Ziel- bzw. Wirkort zwingend erforderlich.
Alternative Methoden zur Bestimmung der Wirkortkonzentration
wie z.B. die Skin-Blister-Methode, die Biopsie oder auch der
Gewebskäfig, die Epithelial Lining Fluid sowie die Messung
von Antibiotikakonzentrationen in Fibrinklots werden häufig
eingesetzt, doch sind sie invasiv und somit nur in speziellen
Patientenpopulationen zugänglich.
Eine häufig festgestellte Diskrepanz zwischen Biopsiedaten
und Mikrodialysedaten lässt sich damit erklären, dass
Mikrodialysatkonzentrationen Konzentrationen der interstitiellen
Flüssigkeit widerspiegeln, während Biopsiedaten Konzentrationen
aus verschiedenen Kompartimenten (intravaskulär, intrazellulär
und interstitiell) repräsentieren. Substanzen, welche
sich vorzugsweise extrazellulär anreichern, wie z.B. Betalaktam-Antibiotika,
werden folglich bei einer Biopsie durch Vermischung mit weiteren
„antibiotikafreien Kompartimenten“ verdünnt.
Fußend
auf der klinisch höchst relevanten Bedeutung der Zielortkonzentration,
fordern regulative Behörden vor Zulassung antiinfektiver
Substanzen den Nachweis von pharmakokinetischen Daten am Wirkort.
Die Mikrodialysetechnik erlaubt die Bestimmung der ungebundenen
mikrobiologisch aktiven Fraktion einer Substanz am Wirkort und
stellt eine besonders attraktive Methode zur Bestimmung des
Konzentrations-Zeit-Profils von antiinfektiven Substanzen im
Zielgewebe dar. Dies wurde auch von regulativen Behörden
wie der USA Food and Drug Administration (FDA) und dem europäischen
Pendant European Committee for the Evaluation of Medicinal Products
(EMEA) bestätigt.
Die
In vivo-Mikrodialyse ist für die Bestimmung von
Antibiotikakonzentrationen wie z.B. von Fosfomycin, Aminoglykoside,
Fluorchinolone, Betalaktame, Makrolide, Ketolide, Rifampicin,
Oxazolidinone, Carbapeneme und Glykopeptide im Gewebe etabliert.
Weiters kann die Mikrodialysetechnik auch zur Beantwortung diffizilerer
Fragestellungen wie z.B. der Auswirkungen einer Sepsis, eines
intensivmedizinischen Aufenthaltes, eines Schädel-Hirn-Traumas,
eines Diabetes mellitus, einer Adipositas etc. auf die Gewebspenetration
von Antiinfektiva eingesetzt werden. Ebenso wurde der Einfluss
einer Angioplastie und der damit verbundenen hämodynamischen
Rekonstitution auf die Gewebepenetration von Antiinfektiva analysiert.
Relevante Studien haben gezeigt, dass es zu einer vollständigen
Plasma-Gewebe-Äquilibrierung von antiinfektiven Substanzen
bei gesunden Probanden
kommt; davon abzugrenzen sind Patienten, bei welchen nicht zwingend
von einer vollständigen Äquilibrierung ausgegangen
werden darf (Abbildung 3). Obwohl das Phänomen
der inkompletten Plasma-zu-Gewebe-Verteilung für einzelne
Organe bekannt ist, z.B. Blut-Hirn-Schranke, Prostata, Auge,
Lunge und Plazenta, so war es doch überraschend, dass es
bei unterschiedlichen Patientenkollektiven zu einer verzögerten
und inkompletten Plasma-Gewebe-Äquilibrierung im Skelettmuskel
oder auch im subkutanen Fettgewebe kommen kann.
Diese Ergebnisse generierten die Hypothese der Existenz spezieller
Strukturen und Mechanismen, die die Penetration oder den transendothelialen
Transfer eines Antiinfektivums in das Interstitium deutlich
verzögern können. Die Entwicklung von Barrieren wie
z.B. einer fibrösen Kapsel oder eines perifokalen Ödems
im Zuge eines chronischen oder akuten Entzündungsprozesses
oder die Veränderungen des Blutflusses bei peripherer arterieller
Verschlusskrankheit können hier mögliche Erklärungsversuche
darstellen. Weitere auf die Gewebepenetration Einfluss nehmende
Faktoren sind die Plasmaproteinbindung, die kapillare Dichte,
die kapillare Permeabilität, der pH-Wert im Entzündungsareal
und der transkapillare onkotische und osmotische Druckgradient
– Faktoren, die bei kranken Patienten sehr oft von der
physiologischen Norm abweichen.
Eine weitere Beobachtung aus diesen Studien ist die Variabilität
der Penetration eines Antiinfektivums, welche in Patienten wesentlich
größer ist als in einem gesunden Vergleichskollektiv.
Diese Erkenntnis lässt eine inkomplette Gewebe-Plasma-Äquilibrierung
erahnen, ein Faktum, das wesentlich den Krankheitsverlauf beeinflusst.
In diesem Zusammenhang sei auch auf die Entwicklung von Resistenzen
verwiesen, welche häufig bei Konzentrationen unter der
minimalen Hemmkonzentration eines Pathogens beobachtet werden.
Basierend auf diesen Ergebnissen müssen Dosierungsempfehlungen
vor allem bei schwer und kritisch kranken Patienten reevaluiert
werden. Ebenso steht die Frage der individuellen Dosisanpassung
zur Diskussion, welche jedem Patienten ein suffizientes Antibiotika-Konzentrations-Zeit-Profil
am Wirkort garantieren sollte.
Abbildung 3: zeigt eine nahezu
vollständige Serum-Muskel-Äquilibrierung von Piperacillin
in gesunden Probanden (linkes Diagramm); davon abzugrenzen
sind intensivpflichtige Patienten (rechtes Diagramm), wo
es zu unvollständiger Serum-Muskel-Äquilibrierung
kommt. Die Konzentrationen im Muskelgewebe sind etwa viermal
geringer als im Serum. |
Abbildung 4: In vivo-PK-In
vitro-PD-Simulation: Eradikations-Zeit-Diagramme für
Pseudomonas aeruginosa (minimale Hemmkonzentration
= 2 µg/ml für Levofloxacin) in Intensivpatienten.
Die simulierten Levofloxacin-Konzentrationen basieren auf
individuellen Konzentrations-Zeit-Profilen in Muskelgewebe
und Serum.
Ordinate: Bakterienwachstum in Koloniebildenden Einheiten
pro Milliliter (CFU/mL); Abszisse: Zeitverlauf in Stunden
(h). |
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Mikrodialyse
und pharmakokinetische (PK)-pharmakodynamische (PD) Modelle
PK-PD-Modelle ermöglichen die Beschreibung und Analyse
pharmakokinetischer wie auch pharmakodynamischer Ereignisse
und tragen substanziell zum Verständnis und Fortschritt
der Wirkungsoptimierung eines Arzneimittels bei. PK-PD-Modelle
hatten in der Vergangenheit große Euphorie ausgelöst
und wurden zur Abschätzung der antimikrobiellen Effizienz
eines Antiinfektivums genutzt, auf der basierend man wiederum
Dosierungsempfehlungen erstellte (Abbildung
4).
Das
Prinzip der PK-PD-Modelle basiert auf folgender Vorgangsweise:
Bakterien werden in vitro einem dynamischen Konzentrations-Zeit-Profil
ausgesetzt, welches in vivo im Interstitium des Zielorgans
mittels Mikrodialyse bestimmt wurde. Man erhält dadurch
bakterielle Wachstumshemmkurven und kann aus diesen Ergebnissen
die erwartete Wachstumshemmung berechnen. Mittels computerunterstützter
Kalkulation ist es möglich, das bakterielle Wachstum bzw.
die Wachstumshemmung über die Zeit nach Einzelgabe bzw.
nach wiederholter Gabe zu simulieren und präzise vorherzusagen.
Bildgebende
nicht invasive Verfahren
Das Single-Photonen-Emissionstomogramm (SPECT), das Positronen-Emissionstomogramm
(PET), die Magnetresonanztomographie (MRT) sowie die Magnetresonanzspektroskopie
(MRS) wurden ursächlich für klinisch diagnostische
Verfahren konzipiert. Durch technische und radiochemische Fortschritte
ist es gelungen, das Einsatzgebiet dieser Methoden im Hinblick
auf pharmakokinetische Fragestellungen auszudehnen.
Eine
sich zu vergegenwärtigende Limitation dieser nicht invasiven,
bildgebenden Verfahren ist die Tatsache, dass die zu analysierende
Substanz für einige dieser Methoden radioaktiv markiert
werden muss. Weiters gilt es zu berücksichtigen, dass nicht
zwischen der Muttersubstanz bzw. einem Metaboliten derselben
diskriminiert werden kann. Nachteil dieser Methoden ist weiters,
dass eine exakte Aufschlüsselung des Konzentrations-Zeit-Profils
in einzelne Kompartimente nicht möglich ist, da lediglich
die Analyse einer „region of interest“ durchgeführt
werden kann.
Die
Bestimmung der interstitiellen Arzneimittelkonzentration mittels
Mikrodialyse und die Ermittlung der Gesamtgewebekonzentration
in definierten Regionen durch bildgebende Verfahren wird in
Zukunft eine profunde Kalkulation der intrazellulären Arzneimittelkonzentration
erlauben. Nicht eine einzelne Methode, sondern die Kombination
mehrerer Verfahren und Techniken, wie der kombinierte Einsatz
von Mikrodialyse und bildgebenden Verfahren, lässt Antworten
auf bisher offene Fragen der Pharmakokinetik erwarten.
Schlussfolgerungen
und Perspektiven
Die Mikrodialysetechnik ist in der Forschung ein fixer methodischer
Bestandteil geworden, deren Ergebnisse
von unschätzbarem Wert für jeden Pharmakologen, aber
auch für jeden klinisch tätigen Arzt sind. Mikrodialyseergebnisse
und der daraus abgeleitete Wissensgewinn wurden in den klinischen
Alltag transferiert und integriert und haben ein Umdenken sowohl
in der Wahl als auch Dosierung des appropriatesten Antiinfektivums
bewirkt.
Die Analyse der durch Mikrodialyse und computerunterstützte
PK-PD-Modelle generierten Daten hat substanziell zum Verständnis
der tatsächlichen Konzentration eines Antiinfektivums am
Wirkort und der daraus erzielten antimikrobiellen Effizienz
geführt. Vor allem in der pharmazeutischen Industrie im
Rahmen der präklinischen und klinischen Prüfung eines
Arzneistoffes ist man sich der Attraktivität derartiger
Modelle bewusst und räumt Ergebnissen, welche durch die
Nutzung von PK-PD-Modellen generiert werden, höchste Priorität
und klinische Relevanz ein. Große Erwartungen liegen in
der Kombination der Mikrodialyse mit bildgebenden Verfahren;
ein methodischer Synergismus, der, obwohl noch in den Kinderschuhen
steckend, auf revolutionären Informationsgewinn hoffen
lässt.
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