Antibiotikadosierung bei Nierenersatzverfahren

F. Thalhammer
Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Klin. Abt. für Infektionen und Chemotherapie, Medizinische Universität Wien
(Leiter: Univ.-Prof. DDr. W. Graninger)

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Einleitung

Seit Einführung der intermittierenden, später auch der kontinuierlichen Nierenersatztherapie sind beide Therapieverfahren aus der Patientenversorgung bei akuter und chronischer Niereninsuffizienz nicht mehr wegzudenken. Damit einhergehend wurden die verwendeten Dialysemembranen, die wesentlich die Eliminationleistung der Nierenersatztherapie bestimmen, in Bezug auf Filtrationsleistung, Oberflächenbeschaffenheit oder Biokompatibilität stetig weiterentwickelt. Obwohl Infektionen zu den häufigsten Todesursachen bei chronisch hämodialysepflichtigen Patienten zählen, und somit die Antibiotikatherapie einen bedeutenden Pfeiler darstellt, fehlen häufig fundierte Daten zur Elimination von Antibiotika durch die Nierenersatztherapie.

Die Ursachen für die geringen durch Studien belegbare Daten sind mannigfaltig:

1) unterschiedliche Nierenersatzverfahren (intermittierende oder kontinuierliche Hämodialyse (HD) bzw. Hämofiltration (HF)) mit unterschiedlichen Blutfluss- und Dialysat- bzw. Ultrafiltrationsraten und daraus resultierenden unterschiedlichen Filtrations- bzw. Eliminationsleistungen,
2) unterschiedliche Membraneigenschaften,
3) zahlreiche nur fallberichtartige oder veraltete Studien und
4) zusätzlich sind die technischen Angaben (Membrantyp, Nierenersatzverfahren) in den vorhandenen Literaturstellen häufig mangelhaft. Diese zahlreichen Variablen erlauben nicht, für alle Therapieverfahren und/oder Membranen verlässliche Dosierungsempfehlungen abzugeben.

Diese Komplexität wurde inzwischen durch einige Studien deutlich demonstriert.

 

Theoretische Grundlagen

Im Wesentlichen finden sich vier für die Elimination bestimmende Faktoren:

a) die Membran,
b) das Nierenersatzverfahren,
c) das Medikament und
d) der Patient,
die in Tabelle 1 näher ausgeführt sind.

Zentral im Mittelpunkt steht die Membran mit ihren zahlreichen Variablen. Neben der Diffusion bei der konventionellen Low-Flux-HD (Ultrafiltrationskoeffizient Uf < 10) und der Konvektion bei der High-Flux-HD (Uf > 10), HF bzw. Hämodiafiltration (HDF) spielt bei den modernen Membranen zunehmend auch die Adsorption eine bedeutende Rolle in der Elimination einer Substanz. Die Fortschritte in der Membranentwicklung sind in der Literatur gut dokumentiert:
So wurde von Lee et al. 1984 festgestellt, dass Substanzen mit einem Molekulargewicht > 500 D und/oder einer hohen Proteinbindung nicht wesentlich durch eine Low-Flux-HD eliminiert werden. Fünf Jahre später berichteten Shinaberger et al. über die effiziente Elimination von Substanzen mit einem Molekulargewicht > 500 D durch High-Flux-Membranen.

Das Ausmaß der Adsorption ist membranabhängig und stellt einen nicht unwesentlichen Eliminationsfaktor dar wie eine Studie mit ß2-Mikroglobulin zeigte. Die Adsorption selbst ist ein sättigbarer Vorgang, der durch hydrophobe Wechselwirkungen, Van-der-Waal’sche Bindungen als auch durch Bindung an die Sekundärmembran zustande kommt. Diese Sekundärmembran ist ein Proteinfilm auf der Blutseite des Dialysators, der einerseits die Diffusion reduziert und andererseits Substanzen durch Adsorption bindet.

Bei chronischen Hämodialysepatienten kann zusätzlich noch die Resorption von oral verabreichten Medikamenten vermindert sein, sodass die Bioverfügbarkeit ebenfalls erniedrigt ist (Tabelle 2). Die frühere Annahme, die nicht-renale (extrahepatische) Clearance bleibt bei niereninsuffizienten Patienten unbeeinflusst, ist nicht auf alle Medikamente anwendbar. Vor allem bei Medikamenten wie Roxithromycin oder Acyclovir, die einem starken Metabolismus unterworfen sind, ist die nicht-renale Clearance bei Hämodialysepatienten um 17 bis 85% reduziert.


Tabelle 1:
Die Elimination einer Substanz beeinflussende Faktoren

Medikamenten-spezifische Faktoren Verfahren-
spezifische Faktoren
Membran-
spezifische Faktoren
Patienten-
spezifische Faktoren
Molekulargewicht
Elektrische Ladung
Proteinbindung
Wasserlöslichkeit
Fettlöslichkeit
Verteilungsvolumen
Art der Elimination
Gewebegängigkeit
Intermittierende
Nierenersatztherapie

   - Konventionelle HD

   - High-Efficiency-HD
   - High-Flux-HD
Kontinuierliche
Nierenersatztherapie
   - Hämofiltration
   (CAVH, CVVH)
   - Hämodialyse
   (CAVHD, CVVHD)
   - Hämodiafiltration
   (CAVHDF, CVVHDF)
   - Ultrafiltration
   (SCUF)
Dialysatfluss
Ultrafiltrationsrate
Blutfluss
Membranmaterial
   - Cuprophan
   -Cellulose (modifiziert)
   - Polysulfon
   - Polyacrylnitril
   - Polymethyl-
   methacrylat
   - Polyamid
Größe der Oberfläche
Porengröße
Elektrische Ladung
Ultrafiltrationskoeffizient
Organfunktionen
   - Niere
   - Leber
   - Herz
Fettanteil
Komorbidität
Zusätzliche Medikamente
HD Hämodialyse CAVHD kontinuierliche arterio-venöse Hämodialyse
CAVH kontinuierliche arterio-venöse Hämofiltration CAVHDF kontinuierliche arterio-venöse Hämodiafiltration
CVVH kontinuierliche veno-venöse Hämofiltration SCUF langsame kontinuierliche Ultrafiltration


Tabelle 2: Ursachen verminderter Bioverfügbarkeit der oralen Medikation bei chronischen Hämodialysepatienten

 

• Verlängerte Magenentleerungszeit
• Veränderter Magen-pH
• Verminderte Resorption im Dünndarm
• Verwendung Aluminium-hältiger Antacida
          - Magenmotilität herabgesetzt
          - verminderte Resorption
• Diabetische Neuropathie
• Erhöhter BUN
          - Magen-pH erhöht

          - pH-abhängige Resorption beeinflusst

 

Pharmakokinetische Berechnungen
In der Literatur werden zur Clearance-Berechnung für die Hämodialyse sowie für die kontinuierliche Hämofiltration verschiedene Formeln angegeben. Die Clearance beschreibt die Eliminationsleistung des Therapieverfahrens. Zur Berechnung der Clearance bei der Hämodialyse (ClHD) wird die nachfolgende Gleichung herangezogen, wobei vereinfacht Q dem Blutfluss, CA der Konzentration im „arteriellen“, zufließenden Blut und CV der Konzentration im venösen, abfließenden Blut entspricht.

ClHD (ml/min) = Q • [(CA - CV)/CA]

Eine mögliche Adsorption einer Substanz an die Membranoberfläche wird hier insofern berücksichtigt, als dass fehlende Konzentrationen im Dialysat nicht zu falsch niedrigen Clearanceangaben führen können. Bei der Berechnung der Clearance-Leistung bei Hämofiltrationsverfahren wird die Konzentration im Ultrafiltrat (CUF) als Grundlage herangezogen.

ClHF (ml/min) = Sc •UFR

Eine nicht messbare Konzentration im Ultrafiltrat bedeutet somit, dass die entsprechende Substanz scheinbar nicht eliminiert wird, auch wenn CV CA ist. Substanzen, die wesentlich durch Adsorption eliminiert werden, gelten aufgrund dieser Clearance-Formel fälschlich als nicht dialysabel.

Einfluss des Dialyseverfahrens und der Flussgeschwindigkeiten auf die Elimination
Erwartungsgemäß besteht ein Unterschied in der Elimination einer Substanz, wenn ein intermittierendes oder kontinuierliches Verfahren bzw. eine arterio-venöse oder veno-venöse kontinuierliche HD, HF oder HDF angewendet wird. Zusätzlich wird die Clearance-Leistung auch noch vom Blutfluss bzw. Dialysatfluss beeinflusst. Das heisst je höher der Blut- bzw. Dialysatfluss ist, umso größer fällt die Clearance-Leistung aus.

Bei fixen Antibiotika-Kombinationen wie Amoxicillin-Clavulansäure, Piperacillin-Tazobactam oder Imipenem-Cilastatin ist die unterschiedliche pharmakokinetische Charakteristik bei der Anwendung zu berücksichtigen. Einerseits kann die antimikrobielle Wirksamkeit beispielsweise durch verstärkte Elimination von Amoxicillin bei Amoxicillin-Clavulansäure vermindert sein oder andererseits eine Kumulation auftreten, wie dies von Tazobactam bzw. Cilastatin bekannt ist.

Einfluss von Membraneigenschaften auf die Elimination
Bei Antibiotika mit geringer therapeutischer Breite können unterschiedliche Membranen wesentlich die Dosierungsempfehlungen beeinflussen. Beispielsweise galt für Vancomycin bei Low-Flux-HD mit einer Cuprophan-Membran eine Dosierung von 1 g Vancomycin/Woche, während bei einer Polysulfon High-Flux-HD 1 g Vancomycin nach jeder HD verabreicht werden muss. Auch Teicoplanin galt lange Zeit als wenig bzw. nicht dialysabel; jedoch auch Teicoplanin wird durch Polysulfon High-Flux-Membranen signifikant eliminiert. Neben dem Membranmaterial
spielt auch die Größe der Membranoberfläche eine wesentliche Rolle, wie dies beispielsweise für Vancomycin, Gentamicin oder Ofloxacin nachgewiesen wurde.

Bei der kontinuierlichen Hämofiltration kann die Adsorption sowie die Sekundärmembranbildung die Elimination von stark eiweißgebundenen Substanzen signifikant beeinflussen. In einer eigenen Studie mit Teicoplanin konnten wir zeigen, dass bei kontinuierlicher HF mit derselben Membran über einen Zeitraum von 48 Stunden die Elimination in den ersten 24 Stunden deutlich größer ausfällt als in den folgenden 24 Stunden. Auch dies sollte bei der Dosierung berücksichtigt werden.

Pharmakodynamik der Antibiotika-Therapie im Rahmen der Nierenersatztherapie
Betalaktam-Antibiotika wie Penicilline, Cephalosporine oder Carbapeneme erzielen ihre beste antimikrobielle Wirksamkeit, wenn der Serumspiegel das Vier- bis Fünffache der minimalen Hemmhofkonzentration (MHK) über 40-60% des Dosierungsintervalles (T) beträgt (T > MHK). Ein hoher Spitzenspiegel bringt keinen zusätzlichen Vorteil. Aminoglykoside hinge
gen zeichnen sich durch eine konzentrationsabhängige Abtötungsrate aus; d.h. je höher der Spitzenspiegel ist, desto besser die mikrobiologische Wirksamkeit.

Eine Studie unserer Gruppe mit Cephalosporinen konnte nachweisen, dass eine Dosierung von 2 g Cefpirom bzw. Cefepime parenteral nach jeder Hämodialyse ausreichend hohe Serumspiegel über 48 h bis 72 h gewährleistet. Dieser Applikationsmodus erlaubt unter Ausnützung der pharmakokinetischen-pharmakodynamischen Vorteile eine optimale antimikrobielle Therapie, eine Reduzierung der Therapiekosten und eine Complianceverbesserung bei den Patienten. Eine kürzlich publizierte Studie nützte hohe Spitzenspiegel vor Dialysebeginn bei Aminoglykosiden mit nachfolgender Hämodialyse aus, um die antimikrobielle Wirksamkeit zu verbessern und die Toxizität zu minimieren.

 

Antibiotikadosierung in der Praxis bei Nierenersatztherapie

Zum Anforderungsprofil eines Antibiotikums bei Nierenersatztherapie zählt neben einer großen therapeutischen Breite (wegen der zahlreichen Variablen) die Möglichkeit Serumspiegel zu monitieren, eine primär renale Elimination, um die Gesamtclearance leichter abschätzen zu können, und eine geringe Dialysierbarkeit (abhängig vom Molekulargewicht, der elektrischen Ladung und der Proteinbindung). Dosierungsvorschläge für einige Antibiotika sind tabellarisch zusammengefasst, ohne dass jedoch Tabelle 3 den Anspruch auf Vollständigkeit erhebt. Bei allen Überlegungen zur Antibiotikadosierung bei Nierenersatzverfahren darf nicht vergessen werden, dass in den meisten Fällen nicht die Toxizität einer etwaigen Überdosierung, sondern das Therapieversagen der antimikrobiellen Therapie aufgrund ungewollter Unterdosierung des Antibiotikums die größte Gefahr für den Patienten darstellt (Abbildung 1).


Tabelle 3:
Klinische Dosierungsempfehlungen für einige Antibiotika

Antibiotikum Normal CHD CVVHF
Penicilline
     
Amoxicillin/Clavulansäure 3 x 2,2 – 4,4 g 1 x 2,2 g 3 x 2,2 g
Ampicillin 3 x 2,0 – 5,0 g 2 x 1,0 g 2 x 1,0 g
Flucloxacillin 3 x 2,0 – 4,0 g 3 x 1,0 g 3 x 4,0 g
Piperacillin/Tazobactam 3 x 4,5 – 9,0 g 2 x 4,5 g 3 x 4,5 g
Cephalosporine      
Cefazolin 3 x 2,0 g 1,5 g p. HD -
Cefepim 2 – 3 x 2,0 g 1,0 – 2,0 g pHD 2 x 2,0 g
Cefpirom 2 – 3 x 2,0 g 1,0 – 2,0 g pHD 3 x 2,0 g
Ceftazidim 3 x 2,0 g 1 x 1,0 g 3 x 2,0 g
Ceftriaxon 1 x 2,0 – 4,0 g 1 x 4,0 g 2 x 2,0 g
Carbapeneme & Monobactame      
Aztreonam 3 x 1,0 – 2,0 g 1 x 0,25 – 0,5 g 3 x 1,0 g
Ertapenem 1 x 1,0 g - -
Imipenem/Cilastatin 4 x 0,5 g - 3 – 4 x 1,0 g 3 x 0,25 – 0,5 g 3 x 1,0 – 2,0 g
Meropenem 3 x 1,0 – 2,0 g 1 x 0,25 – 0,5 g 3 x 1,0 – 2,0 g
Chinolone      
Ciprofloxacin 2 – 3 x 400 mg 2 x 100 mg 3 x 400 mg
Levofloxacin 1 – 2 x 500 mg 1 x 125 mg 1 x 1.000 mg
Moxifloxacin 1 (–2) x 400 mg 1 x 400 mg 1 x 400 mg
Glykopeptide (Spiegelbestimmung)      
Teicoplanin 1 x 12 – 15 mg/kg 12 mg/kg pHD 1 x 12 mg/kg
Vancomycin 3 x 0,5 – 1,0 g 1,0 g pHD 1 x 1,0 g
Diverse Antibiotika      
Clindamycin 3 x 900 – 1.200 mg 3 x 600 – 900 mg 3 x 600 – 1.200 mg
Fosfomycin 3 x 8,0 g 4,0 g pHD 2 x 8,0 g
Linezolid 2 x 600 mg 2 x 600 mg 2 x 600 mg
Metronidazol 1 x 1,5 g 1 x 1,0 g 1 x 1,5 g
Rifampicin 1 x 10 mg/kg 1 x 5 mg/kg 1 x 5 mg/kg
Antimykotika      
Amphotericin B 1 x 1,5 mg/kg 1 x 1,5 mg/kg 1 x 1,5 mg/kg
Caspofungin Tg 1: 1 x 70 mg,
ab Tg 2: 1 x 50 mg
- -
Fluconazol 1 x 10 mg/kg 100 mg pHD 1 x 10 mg/kg
Liposomales AmB 1 x 3 – 5 mg/kg 1 x 2 mg/kg 1 x 3 – 5 mg/kg
Voriconazol Tg 1: 2 x 6 mg/kg,
ab Tg 2: 2 x 4 mg/kg
Tg 1: 2 x 6 mg/kg,
ab Tg 2: 2 x 4 mg/kg
-
Virustatika      
Acyclovir 3 x 10 mg/kg 1 x 5 mg/kg 1 x 5 mg/kg
Gancyclovir 2 x 5 mg/kg 1 x 1,5 mg/kg 5 mg/kg/48 h

pHD am Ende der Hämodialyse

Stand: 7/05

 

Abbildung 1: Unterdosierung

 

Zusammenfassung

Die Dosisfindung für Antibiotika bei Hämodialyse oder Hämofiltration hängt von zahlreichen Faktoren ab, sodass keine exakten Empfehlungen möglich oder vorhanden sind. Für zahlreiche Substanzen gibt es überhaupt keine oder nur alte Daten, die für die modernen Hämodialyse- und Hämofiltrationsverfahren nicht angewandt werden können. Die zunehmende Anzahl dialyse- bzw. hämofiltrationspflichtiger Patienten und das erhöhte Infektionsrisiko dieser Patientengruppe machen entsprechende Studien und fundierte Dosierungsempfehlungen wünschenswert. Die Antibiotikatherapie muss daher immer das gewählte Nierenersatzverfahren, das verwendete Membranmaterial und die Eigenschaften des Antibiotikums berücksichtigen. Der behandelnde Arzt sollte sich hierbei immer der Gefahr einer möglichen Antibiotikaunterdosierung bewusst sein.

 

Anschrift des Verfassers:
a.o. Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer
Univ.-Klinik für Innere Medizin I,
Klin. Abt. für Infektionen und Chemotherapie
A-1090 Wien, Währinger Gürtel 18-20
E-Mail: florian.thalhammer@meduniwien.ac.at

 

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