Perioperative Antibiotika-Prophylaxe

S. Breyer
Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Klin. Abt. für Infektionen und Chemotherapie, Medizinische Universität Wien
(Leiter: Univ.-Prof. DDr. W. Graninger)

Ausdruck im pdf-Format (4,36 MB)


Die perioperative Antibiotika-Prophylaxe ist unter strenger Einhaltung der Asepsis eine gut dokumentierte Methode, die postoperative Wundinfektionsrate deutlich zu senken. In Abhängigkeit vom Kontaminationsgrad, den Risikofaktoren des Patienten, dem richtigen Zeitpunkt der AB-Gabe, der adäquaten Auswahl des Antibiotikums kann die perioperative AB-Prophylaxe nicht nur postoperative Wundinfektionen stark vermindern, sondern auch die hohen Kosten einer postoperativen Wundinfektion minimieren.

Die perioperative Antibiotika-Prophylaxe ist fünf Jahrzehnte nach ihrer Einführung unvermindert Gegenstand kontroverser Diskussionen. Laut NIDEP-Studie können sich nur ca. 80% der Operateure zu einer Antibiotikaprophylaxe durchringen. Allerdings muss festgehalten werden, dass für die meisten elektiven Eingriffe der Kategorie „sauber“ verwertbare klinische Daten fehlen, da sich diese statistisch wegen der Notwendigkeit umfangreicher Stichprobengrößen kaum sichern lassen.

Die traditionelle Wundklassifikation nach Cruse (Tabelle 1) genügt heute nicht mehr den Anforderungen, ein Infektionsrisiko zu beschreiben. Zahlreiche patienteneigene (Tabelle 2) und chirurgisch-technische Risiken sind beschrieben worden, die in Studien mit erhöhtem postoperativen Infektionsrisiko korrelieren. Solche Risikofaktoren können auch bei einem „sauberen“ Eingriff, bei nicht kontaminiertem oder infiziertem Gewebe zu infektiösen Komplikationen führen (wie z. B. Operationstechnik, Rezidiveingriffe, perioperative Hygienemaßnahmen, längerer präoperativer Krankenhausaufenthalt, Fremdkörperimplantationen, Blutverlust bzw. Bluttransfusion usw.).

Tabelle 1: Traditionelle Wundklassifikation nach Cruse
  • sauber
  • sauber-kontaminiert
  • kontaminiert
  • schmutzig

Tabelle 2: Patienteneigene Risikofaktoren

  • Alter (Zunahme pro Dezennium)
  • Diabetes mellitus
  • Immunkompetenz
  • Reduzierter Allgemeinzustand
  • Übergewicht
  • Mangelernährung
  • MRSA-Träger
  • Dialysepatienten
  • Hepatitis
  • Drogenabusus
  • Arterielle Mangeldurchblutung
> ASA > 3
(Anästhesie Risiko Score)

Tabelle 3: National Nosocomial Infection Surveillance System

  Je ein Score für

  • Operationsdauer > T Stunden
  • intrinsisches Patientenrisiko:
    ASA > 3
  • Wundkategorie
            - kontaminiert
            - infiziert

 

Tabelle 4: Indikationen für perioperative AB-Prophylaxe
  • Hohe Infektionsrate infolge

                 - OP in kontaminiertem Gebiet

                 - lang andauernde OP

                 - hohes Patientenrisiko > ASA 3

 
  •  Infektionsrate niedrig, Morbidität/Letalität hoch
                 - Neurochirurgie
                 - Orthopädie
                 - Gefäß- und Kardiochirurgie

Eine generelle Antibiotika-Prophylaxe bei allen aseptischen Eingriffen wird derzeit zu Recht abgelehnt. Es gibt aber Hinweise, dass besonders Patienten mit hohen Infektionsrisiken bei aseptischen Eingriffen von einer Antibiotika-Prophylaxe profitieren.

Im Schnitt beträgt die Häufigkeit nosokomialer Infektionen zwischen 3,5 – 4,5%. Der Anteil der chirurgischen postoperativen Wundinfektionen liegt bei etwa 15%.

Da Wundinfektionen den Krankhausaufenthalt wesentlich verlängern, sind sie ein erheblicher Kostenfaktor im Krankenhaus. Eine effektive Antibiotikaprophylaxe besitzt ein bedeutendes Potenzial für Kostensenkung in der Chirurgie. Als Risikofaktoren für eine postoperative Wundinfektion gelten neben den patienteneigenen und präoperativen Risikofaktoren ein hoher NNIS-Score (National Nosocomial Inf. Surveillance Score) (Tabelle 3).

Abbildung 1 zeigt das Wundinfektionsrisiko mit dem NNIS-Gesamtscore gut korreliert. In zahlreichen Studien konnte auch ein direkter Zusammenhang zwischen Operationsdauer und Wundinfektionshäufigkeit dokumentiert werden. Dieser Zusammenhang gilt auch bei so genannten „sauberen“ Operationen.


Abbildung 1:
Wundinfektionsrisiko und NNIS-Score

Die Indikation zur perioperativen Prophylaxe (Tabelle 4) wird anhand der Wundklassifikation und aufgrund zusätzlicher Risikofaktoren des Patienten erstellt. Bei allen Patienten mit der Wundklassifikation „sauber-kontaminiert“ und „kontaminiert“ wird sie unabhängig von weiteren Faktoren durchgeführt. Auch bei aseptischen Eingriffen mit Fremdkörperimplantationen ist die Antibiotikagabe etabliert. Bei „sauberen“ oder „sauber-kontaminierten“ Eingriffen ist die Indikation abhängig vom Vorliegen der patienteneigenen und präoperativen Risikofaktoren.

Zeitpunkt, Dauer der AB-Prophylaxe:
Im klinischen Routineablauf bietet sich die intravenöse Verabreichung zum Zeitpunkt der Narkoseeinleitung, also etwa 30 bis 60 Minuten vor dem Hautschnitt an. Die Wundinfektionsrate nimmt mit jeder Stunde nach dem Hautschnitt signifikant zu, wenn die Antibiotikagabe länger als eine Stunde vor Operationsbeginn erfolgt. Jede Antibiotikagabe nach Wundverschluss hat keinen Einfluss auf die Wundinfektionsrate (Abbildung 2).


Abbildung 2:
Infektionsrate in Abhängigkeit vom Zeitpunkt der Verabreichung einer perioperativen Antibiotikaprophylaxe

Eine einmalige Gabe des Antibiotikums in Normaldosierung ist für eine effektive Prophylaxe von unter 2,5 Stunden ausreichend. Bei länger dauernden Eingriffen sollte eine zweite Dosis in Abhängigkeit von der Halbwertszeit des verwendeten Antibiotikums verabreicht werden. Dauert die Operation länger-gleich 8 Stunden, sollte eine dritte Dosis verabreicht werden. Eine Antibiotikagabe darüber hinaus gilt als Therapie.

Die Auswahl des geeigneten Antibiotikums erfolgt nach dem zu erwartenden Erregerspektrum, das aus der normalen bzw. pathologischen Besiedelung des Operationsgebietes und seiner unmittelbaren Haut- und Schleimhautumgebung resultiert. Die Substanzen sollten nebenwirkungsarm, kostengünstig sein und möglichst hohe bakterizide Wirkspiegel im OP-Gebiet sicherstellen (Tabelle 5).


Tabelle 5:
Antibiotika-Prophylaxe

AB
Dosierung i.v.
Halbwertszeit
AMOXI/CLAV:
2,2 – 4,4 g
60 min.
Piperacillin/Tazobactam
4,4 g
45 min.
Cefozolin
2 – 4 g
95 min.
Cefuroxim
1,5 – 3 g
70 min.
Cefamandol
2 – 4 g
35 min.!
Cefotaxim
2 – 4 g
60 min.
Ceftriaxon
2 g
480 min.
Clindamycin
0,6 – 1,2 g
160 min.
Metronidazol
1 – 1,5 g
420 min.
Vancomycin
1 – 2 g
6 h
Linezolid
600 mg
7 h
nur bei Hochrisikopatienten
nur bei MRSA-Trägern bzw. einer > 10%igen postoperativen MRSA-Infektionsrate

 

Zusammenfassung

  • Primäres Ziel der AB-Prophylaxe ist die Senkung der Wundinfektionsrate neben allen Maßnahmen des Asepsis.
  • Eine Prophylaxe sollte risikoadaptiert erfolgen und ein wirksamer Antibiotikaspiegel sollte bis zum Verschluss der Wunde gesichert sein.
  • Bei der Auswahl des Antibiotikums sind Riskoprofil und regionale Epidemiologie zu berücksichtigen.
  • Die Auswahl der Substanz orientiert sich am Erregerspektrum und der Pharmakokinetik.
  • Für den individuellen Patienten ist das Risiko der Resistenzentwicklung gering, jedoch nicht für das Gesamtkollektiv der Klinik.
  • Die Kosten der AB-Prophylaxe sind weitaus geringer als die Kosten einer postoperativen Infektkomplikation.

 

Literatur:

Culver, Am. J. Med. 1991
Clossen, NEJM 1992
Wechsler-Fördös, Klinik 2004
Vogel, Bodman et al, Chemotherapie J. 2004

 

Anschrift des Verfassers:
Univ.-Prof. Dr. Stefan Breyer
Univ.-Klinik für Innere Medizin I,
Klin. Abt. für Infektionen und Chemotherapie
A-1090 Wien, Währinger Gürtel 18-20
E-Mail: stefan.breyer@meduniwien.ac.at

 

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