Neue Antiinfektiva

H. Burgmann
Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Klin. Abt. für Infektionen und Chemotherapie, Medizinische Universität Wien
(Leiter: Univ.-Prof. DDr. W. Graninger)

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Schlüsselwörter
Neue Antiinfektiva


Zusammenfassung

Zahlreiche Maßnahmen wie beispielsweise antimikrobielle Restriktion, effektive Hygienepraxis, mikrobiologisches Monitoring, kalkulierte antimikrobielle Therapie werden eingesetzt, um der zunehmenden Resistenzentwicklung zu begegnen. Letzter Ausweg ist die Entwicklung neuer Antiinfektiva. Im folgenden Artikel soll eine Übersicht über neue Antiinfektiva versucht werden. Es werden die neuen Carbapeneme, Chinolone, Glycylcycline, Ketolide, Oxazolidinone, Echinocandine und Azole besprochen.


Key-words
New Antimicrobials


Summary

Several procedures such as antimicrobial restriction, microbial monitoring, calculated antimicrobial treatment and the development of new antimicrobials are used to reduce the resistance. The following review deals with new substances such as carbapenems, quinolones, ketolides, oxazolidinones, glycylcyclines, echinocandines and azoles.



Carbapeneme

Ertapenem (Invanz®) (1, 6, 19)
Ertapenem ist ein langwirkendes Carbapenem mit einer starken Eiweißbindung und eignet sich daher für die Einmalgabe. Es hat ein breites antibakterielles Wirkspektrum gegen Gram-positive und Gram-negative Aerobier und Anaerobier. Laut Einteilung der Paul-Ehrlich-Gesellschaft gehört Ertapenem in die Gruppe 2 der Carbapeneme (Gruppe 1: Meropenem, Imipenem). Indikationen für Ertapenem sind intraabdominelle Infektion, stationäre Behandlung der schweren Community Acquired Pneumonia und akute gynäkologische Infektionen. In groß angelegten randomisierten Doppelblindstudien erwies sich Ertapenem 1 x täglich im Direktvergleich ebenso wirksam wie

  • Piperacillin/Tazobactam oder Ceftriaxon plus Metronidazol bei intraabdominellen Infektionen
  • Ceftriaxon bei CAP
  • Piperacillin/Tazobactam bei akuten gynäkologischen Infektionen

In vitro-Studien an menschlichen Lebermikrosomen zeigen, dass Ertapenem nicht den Cytochrom-P450-Stoffwechsel hemmt. Somit ist nicht mit nennenswerten Arzneimittelinteraktionen zu rechnen. Die empfohlene Dosis beträgt 1 x 1 g/Tag.

Faropenem (23)
Faropenem ist oral applizierbares Penem, das als Prodrug vorliegt. Nach der Absorption im Magen-Darm-Trakt wird die Substanz rasch hydrolysiert. In vitro-Studien zeigen, dass Faropenem und Imipenem eine ähnlich gute Wirkung gegen Streptococcus pneumoniae und Methicillin-empfindliche Staphylokokken haben. Faropenem ist wirksam gegen Betalaktamase-negative und Betalaktamase-positive, Ampicillin-resistente Haemophilus influencae und gegen Betalaktamase-positive/negative Moraxella catarrhalis.

 

Ketolide

Telithromycin (Ketek®) (2, 17, 22)
Telithromycin ist ein Vertreter einer neuen Substanzgruppe, den Ketoliden. Das Wirkspektrum umfasst die üblichen Respirationstrakt-pathogene, inklusive den atypischen intrazellulären Keimen. Telithromycin zeigt nicht die Makrolid-Linkosamid-Strep
togramin-Resistenz und ist daher wirksam gegen Makrolid-resistente Bakterien. In einer randomisierten doppelblinden Multicenter-Studie wurde Telithromycin in einer Dosierung von 1 x 800 mg/d über 5 bzw. 7 Tage mit Clarithromycin in der Dosierung von 2 x 500 mg für insgesamt 10 Tage bei der Behandlung der CAP verglichen. Es konnte gezeigt werden, dass die 5- und 7-Tage-Therapie mit Telithromycin genauso sicher undeffektiv ist wie die 10-Tage-Clarithromycingabe.

Die Makrolid-Resistenz kann grob gesprochen in zwei Arten unterschieden werden:

a) Target-site-Resistenz: Dabei kommt es zur Methylierung der 23 sRNA durch die rRNA-Methylase erm (B) oder erm (A) Subklasse erm (TR). Diese Methylierung mit verminderter Bindung der Makrolide wird als MLSB-Phänotyp bezeichnet.

b) Effluxresistenz: Dieser Resistenzmechanismus wird durch das mef (A)-Gen hervorgerufen und resultiert in einem relativ geringen Resistenzlevel mit MIC von 1-8 mg/l und einer erhaltenen Empfindlichkeit gegen Clindamycin.

Studien für Telithromycin liegen für die ambulant erworbene Pneumonie, für die Sinusitis, die akute Exazerbation einer chronischen Bronchitis bzw. auch für Pharyngitis-Tonsillitis vor. Dabei erwies sich die Substanz als hoch wirksam, auch bei Infektionen verursacht durch Penicillin- bzw. Makrolid-resistente Keime. Telithromycin ist von der europäischen Zulassungsbehörde im Juli 2001 zugelassen worden. Vorteil von Telithromycin ist, dass es bakterizid wirkt und in vitro aktiver ist als die Makrolide. Das Ketolid wird nach oraler Gabe, unabhängig von der Nahrungsaufnahme, resorbiert und penetriert gut in verschiedene Gewebe. Die lange Halbwertszeit von über 10 Stunden erlaubt eine einmal tägliche Gabe. Die Dosierung wird mit einmal 800 mg empfohlen. Es wird unabhängig von der Nierenfunktion ausgeschieden.

 

Oxazolidinone

Linezolid (Zyvoxid®) (10, 7, 21)
Als ein wesentlicher Fortschritt bei der Entwicklung neuer Antibiotika ist die Entwicklung der Oxazolidanone zu sehen. Als erster Vertreter dieser Klasse mit einem völlig neuen Wirkmechanismus tritt Linezolid in Erscheinung. Neben seiner guten In vitro-Aktivität gegenüber Gram-positiven Problemkeimen wie multiresistenten Staphylokokken, Enterokokken und Pneumokokken verfügt Linezolid über günstige pharmakokinetische und pharmakodynamische Eigenschaften. Neben der parenteralen wurde auch eine orale Darreichungsform mit nahezu vollständiger Bioverfügbarkeit entwickelt, sodass eine Sequenztherapie möglich ist. Linezolid wird zweimal täglich verabreicht. Einschränkung der Leber- oder Nierenfunktion hat nur einen geringen Einfluss auf seine Pharmakokinetik. Bemerkenswert ist auch die
ausgezeichnete Liquorgängigkeit, die nahezu einzigartig ist. Linezolid ist die antimikrobielle Substanz, die derzeit gegen alle Gram-positiven Problemkeime wirksam ist. Unter anderem liegen Studien für die CAP, die nosokomiale Pneumonie, schwere Haut- und Weichteilinfektionen bzw. die Osteomyelitis vor.

 

Neue Chinolone

Gatifloxacin (14, 16)
Gatifloxacin ist ein neues Fluorochinolon, das in den USA unter dem Handelsnamen Tesquin zur Behandlung von Atemwegsinfektionen seit einiger Zeit zur Verfügung steht. Klinische Studien zeigten Ansprechraten bei Patienten mit ambulant erworbener Pneumonie von 96%. Bei Patienten, die eine durch Streptococcus pneumoniae verursachte Pneumonie hatten, betrug die Heilungsrate 95,3%. Bei akuter Exazerbation einer chronischen Bronchitis wurde eine Heilungsrate von 92% registriert. Das Spektrum von Gatifloxacin umfasst Gram-positive, Gram-negative Aerobier und atypische Erreger. Von Gatifloxacin gibt es sowohl eine parenterale als auch eine orale Verabreichungsform (1 x 400 mg) – die orale Verabreichungsform verfügt über eine Bioverfügbarkeit von 96%. Gatifloxacin wird hauptsächlich über die Niere ausgeschieden. Die Halbwertszeit beträgt in etwa 7-8 Stunden.

Moxifloxacin (Avelox®) (4, 8, 13)
Moxifloxacin ist nach der Einteilung der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie ein Fluorochinolon der Gruppe IV. Seit etwa zwei Jahren steht es zur oralen Behandlung von Atemwegsinfektionen zur Verfügung. Seit Mai 2002 ist es auch parenteral verfügbar und kann damit zur Therapie der ambulant erworbenen Pneumonie eingesetzt werden. Die gleichzeitige Verfügbarkeit einer parentera
len und oralen Darreichungsform erleichtert eine Sequenztherapie mit intravenösem Beginn und nachfolgender Umstellung auf eine oraleTherapie. Moxifloxacin wirkt in vitro gegen Gram-negative Bakterien wie E. coli, Proteus oder Klebsiella pneumoniae und Gram-positive Erreger. Besonders interessant ist die Aktivität von Moxifloxacin gegen Pneumokokken, denn sowohl Penicillin-sensible als auch Penicillin- und Makrolid-resistente Stämme von S. pneumoniae werden bereits durch niedrige Konzentrationen von 0,125 mg/l gehemmt. Auch weitere klinisch wichtige Erreger von Atemwegsinfektionen werden durch niedrige Konzentrationen erfasst (Haemophilus influenzae, Moraxella catarrhalis, Legionellen, Mykoplasmen und Chlamydien). Auch gegen Mycobacterium tuberculosis ist Moxifloxacin in vitro wirksam. Die besondere Eigenschaft der Fluorochinolone der Gruppe IV ist ihre Wirkung auf Anaerobier. Deshalb ist Moxifloxacin nach kanadischer Therapieempfehlung Antibiotikum der Wahl bei Patienten, die eine Pneumonie im Alters- oder Pflegeheim erworben haben. In diesen Fällen muss nämlich gehäuft mit einer durch Aspiration bedingten Infektion gerechnet werden, bei der zunehmend Staphylokokken und Anaerobier als mögliche Erreger in Betracht gezogen werden müssen.

Mutanten-Prävention-Konzentration (MPK)
Die MPK, die Mutanten-Präventions-Konzentration, ist ein neuer Parameter, der die Konzentration eines Antibiotikums beschreibt, oberhalb derer die selektive Proliferation resistenter Mutanten nur sehr selten auftritt. Dies bedeutet, dass in Anwesenheit eines Antibiotikums oberhalb der MPK eine sehr hohe Bakterienzellzahl vorliegen muss (über der normalerweise während einer Infektion vorhandenen Zelldichte), damit resistente Mutanten
entstehen können. Die MPK ist in der Regel höher als die minimale Hemmkonzentration (MHK). Sie liegt zwischen der MHK und der toxischen Konzentration. Der Wert zwischen MHK und MPK wird als Mutanten-Selektionsfenster bezeichnet. Um die Entwicklung einer Resistenz zu verhindern, gibt es jetzt 3 Möglichkeiten:

1. Das Antibiotikum ist so zu dosieren, dass seine Serumkonzentration oberhalb der MPK liegt.

2. MPK und MHK sollten ähnlich sein.

3. Durch Kombinationstherapie kann das Mutantenselektionsfenster weiter verringert werden.

Untersuchungen mit Streptococcus pneumoniae beispielsweise zeigen, dass die neuen Chinolone Serumkonzentrationen erreichen, die oberhalb der MPK liegen. Experimentelle Studien zeigen ferner, dass die Zeit, in der das Antibiotikum über der MPK90-Konzentration vorliegt, nicht nur für die Prävention der Selektion resistenter Mutanten von Bedeutung ist, sondern auch Einfluss auf die rasche Abtötung der Bakterien hat. So erreicht Moxifloxacin bei therapeutischer Dosierung eine MPK90 über 24 Stunden. Zum intravenösen Einsatz von Moxifloxacin bei ambulant erworbener Pneumonie liegen derzeit zwei Phase-3-Studien vor. Intravenös appliziertes Moxifloxacin in Monotherapie eignet sich wahrscheinlich nicht nur für die Behandlung der ambulant erworbenen Pneumonie, sondern auch für eine Reihe weiterer Indikationen, beispielsweise für die Behandlung von komplizierten Haut- und Weichteilinfektionen und für die Behandlung von intraabdominellen Infektionen. Diese Indikationen befinden sich derzeit in klinischer Prüfung.

 

Glycylcycline-Antibiotika

Tigecycline (GAR-936) (3, 5, 9)
Tigecyclin ist das erste Antibiotikum aus der neuen Klasse der Glycylcycline.

Es weist ein extrem weites Wirkspektrum auf und wirkt in vitro und in vivo gegen viele multiresistente Erreger:
Tigecyclin zeigt exzellente Aktivität gegen Gram-positive Kokken, einschließlich Methicillin-resistenter Staphylokokken, Penicillin-resistenter Pneumokokken und Vancomycin-resistenter Enterokokken. Tigecyclin zeigt auch hohe Aktivität gegen Enterobacteriaceae mit Ausnahme von Proteus spp. und Pseudomonas. Generell ist es gegen Enterobakterien zwei- bis achtmal aktiver als Minocyclin. Auch Nicht-Fermenter wie Acinetobacter spp. und Stenotrophomonas maltrophilia sind im Spektrumvon Tigecyclin. Diese Daten sind vielversprechend, vor allem angesichts der zunehmenden weltweiten Resistenzprobleme bei Gram-positiven und Gram-negativen Bakterien. Indikationen sind beispielsweise komplizierte intraabdominelle bzw. schwere Haut- und Weichteilinfektionen. Es ist nur eine parenterale Verabreichungsform verfügbar.

 

Antimykotika

Caspofungin (Cancidas®) (11, 15, 20)
Caspofungin ist ein Glucansynthesehemmer aus der Gruppe der Echinocandine. Diese neue Klasse von Antimykotika hemmt die Synthese von Glucan, einem Bestandteil der Pilzzellwand. Auf Grund des neuen Wirkungsmechanismus ist bisher keine Kreuzresistenz zu Azolen- oder Polyen-Antimykotika bekannt. Das semisynthetische Echinocandin Caspofungin wird aus einem Fermentationsprodukt des Pilzes Glarea lozoyensis synthetisiert. Caspofungin hat ein breites Spektrum und wirkt in vitro stark gegen Candida, Aspergillus spp., aber auch gegen andere Pilze (z.B. Histoplasma ssp.), sowie Pneumocystis carinii. Es wird intravenös appliziert. Für die Elimination ist die Verteilung, nicht jedoch die Metabolisierung des Wirkstoffes entscheidend. Die sehr langsame Elimination nach intravenöser Einmalgabe erfolgt innerhalb von 27 Tagen, zu 35% über die Faeces und zu 41% über den Urin. Die Dosierung beträgt am ersten Tag 70 mg als einstündige Infusion, danach wird auf die Erhaltungsdosis von 50 mg/Tag reduziert. Caspofungin ist seit Anfang 2002 zur Therapie der invasiven Aspergillose nach Versagen anderer Arzneimittel zugelassen. In einer großen Studie wurde bei 83 therapieresistenten invasiven Aspergillosen eine positive Ansprechrate von Caspofungin bei 45% festgestellt. Die Ergebnisse bestätigten die Wirksamkeit von Caspofungin bei der Behandlung von invasiver Aspergillose. Aber auch systemische Candidosen liegen im Indikationsbereich von Caspofungin.

Voriconazol (Vfend®) (12, 18)
Voriconazol gehört zur Gruppe der Azolderivate. Aufgrund des Wirkspektrums ergeben sich folgende Indikationen:

  • Invasive Aspergillose
  • Fluconazol-resistente, schwere invasive Candida-Infektionen
  • Schwere Pilzinfektionen, hervorgerufen durch Scedosporium spp. und Fusarium spp.

Die Substanz kann sowohl parenteral als auch oral verabreicht werden. Die Anfangsdosis beträgt 6 mg/kg alle 12 h in den ersten 24 h, gefolgt von 4 mg/kg KG alle 12 h. Aufgrund des Abbauweges über den Cytochrom-Pathway kann es zu Medikamenteninteraktionen kommen. So sind Substanzen wie Carbamazepin, Rifampicin, Phenobarbital ... bei Anwendung von Voricinazol kontraindiziert.

Wie die Tabelle 1 zeigt, ist eine Reihe neuer Antiinfektiva verfügbar. Der kritische Einsatz dieser Substanzen entscheidet über die Geschwindigkeit der Resistenzentwicklung und somit der Effektivität.


Tabelle 1:
Neue Antiinfektiva

Neue Antiinfektiva -
Carbapenem Ertapenem, Faropenem
Ketolide Telithromycin
Oxazolidinone Linezolid
Chinolone Moxifloxacin, Gatifloxacin
Glycylcycline Tigecyclin
Echinocandin Caspofungin
Azole Voriconazol

 

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Anschrift des Verfassers:
Univ.-Prof. Dr. Heinz Burgmann
Univ.-Klinik für Innere Medizin I,
Klin. Abt. für Infektionen und Chemotherapie
A-1090 Wien, Währinger Gürtel 18-20
E-Mail: heinz.burgmann@meduniwien.ac.at

 

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