Poststreptokokken-Glomerulonephritis in Kindernohne ersichtliche Streptokokkenerkrankung – Ein Fallbericht und Diskussion adäquater Gegenmaßnahmen

R. Sauermann 1, 2, R. Gattringer 1, H. Ibel 3, H. Lagler 1, W. Emminger 4, W. Graninger 1, A. Georgopoulos 1
* 1 Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Klin. Abt. für Infektionen und Chemotherapie, MUW
2 Univ.-Klinik für Klinische Pharmakologie, Abt. für Pharmakokinetik, MUW
3 Pädiatrische Ambulanz, 97440 Werneck, Deutschland
4 Univ.-Klinik für Kinder- und Jugendheilkunde, MUW
*(Korrespondierender Autor: Univ.-Prof. DDr. A. Georgopoulos)

Ausdruck im pdf-Format (4,36 MB)


Schlüsselwörter
S. pyogenes, Ausbruch, Kindergarten, Glomerulonephritis, Intervention


Zusammenfassung

Nach einem Scharlachausbruch in einem bayrischen Kindergarten erkrankten zwei Kinder, die keine Infektionszeichen aufwiesen, an einer Poststreptokokken-Glomerulonephritis. Derartige Fälle sind möglich, weil die Maßnahmen, die bei einem Ausbruch von Streptococcus pyogenes-Erkrankungen in der Regel ergriffen werden, die Risiken für akut infizierte, aber asymptomatische Kinder nicht berücksichtigen. Nach der Präsentation dieses Falles werden verschiedene Interventionsstrategien für Kinderbetreuungseinrichtungen diskutiert, die von einem Krankheitsausbruch mit S. pyogenes betroffen sind.

Im vorliegenden Bericht war der auslösende S. pyogenes-Stamm vom emm12-Typ. Pulsfeld-Gelelektrophoreseuntersuchungen von 78 Isolaten deuten auf ein endemisches Auftreten (14%) dieses Stammes (Pulsotyp 1) in Bayern.

Schlussfolgerung: Aufgrund des Risikos von nicht-infektiösen Folgeerkrankungen in akut infizierten, aber asymptomatischen Kindern sollte bei dem Auftreten einer Streptokokkenepidemie in einem Kindergarten rasch eine Screeninguntersuchung oder eine antibiotische Behandlung für alle Personen aus der betroffenen Klasse oder Institution eingeleitet werden. Dabei muss auf die Compliance besonderes Augenmerk gelenkt werden.


Key-words
S. pyogenes, outbreak, kindergarten, glomerulonephritis, intervention


Summary

Two children without clinical symptoms of infection fell ill from post-streptococcal glomerulonephritis after an outbreak of scarlet fever in a Bavarian kindergarten. Such cases occur because the measures routinely applied during outbreaks of Streptococcus pyogenes disregard the risks for acutely infected but asymptomatic children. After presentation of the case, different intervention strategies for child care institutions affected by streptococcal outbreaks are compared and discussed.

In the present case, the causative strain of S. pyogenes was of the emm12-type. Pulsed-field gel electrophoresis of 78 isolates indicated endemic occurrence (14%) of this strain (pulsotype 1) in Bavaria. Conclusion: Due to the risk of poststreptococcal sequelae in acutely infected but asymptomatic children during outbreaks of streptococcal disease in a kindergarten, either screening tests or effective antimicrobial treatment should be instituted rapidly in the entire class or institution. Hereby, the compliance especially of very young individuals should be considered.



Einleitung

Trotz ihrer geringen Mortalität sind durch Streptococcus pyogenes hervorgerufene Infektionen wegen des Risikos von postinfektiösen Folgeerkrankungen immer noch von besonderer klinischer Bedeutung [1]. Die Gefahr von rheumatischem Fieber und Glomerulonephritis (GN), sowie Hinweise auf ein erhöhtes Risiko für chronische GN bei Erwachsenen, die in ihrer Kindheit eine Poststreptokokken-GN durchgemacht haben [2], unterstreichen die Wichtigkeit adäquater Diagnose und Behandlung von Streptokokkeninfektionen.

Die Pathogenese der Poststreptokokken-GN ist ein vielseitiger Prozess, der von zahlreichen Faktoren sowohl des auslösenden Streptokokkenstammes als auch des menschlichen Wirts abhängt [3, 4]. Insbesondere S. pyogenes-Stämme der Serotypen M1, 4, 12 und 25 sind mit GN nach Racheninfektionen assoziiert [3, 5]. Verschiedene Analysen zeigten, dass innerhalb eines Serotyps von S. pyogenes genetisch voneinander abweichende Stämme bestehen können [6, 7, 8, 9]. Dies erklärt, warum nicht alle Stämme eines als „nephritogen“ eingestuften Serotyps die Fähigkeit besitzen, eine Poststreptokokken-GN zu induzieren [10].

Als im Rahmen einer Studie die antimikrobielle Resistenz von S. pyogenes in Bayern systematisch untersucht wurde [11], wurde ein Scharlachausbruch in einem Kindergarten beobachtet. Hierbei trat nahezu zeitgleich eine GN in zwei Kindern auf, die zuvor keine symptomatische Streptokokkeninfektion durchgemacht hatten. Dies war Anlass, die derzeitige Handhabung solcher Ausbrüche zu hinterfragen, um die Entstehung von Poststreptokokken-Erkrankungen bei Kindern in Zukunft besser zu verhindern. Denn trotz umfangreichen Wissens um das Wesen von S. pyogenes-assoziierten Erkrankungen sind adäquate Interventionen und Screeningtests während solcher Ausbrüche an Kinderbetreuungseinrichtungen in Mitteleuropa derzeit nicht etabliert [12, 13]. Die Gelegenheit wurde zudem genützt, um den Genotyp des auslösenden Stammes und seine Häufigkeit in Bayern zu untersuchen.

 

Material und Methoden

Bakterienstämme

In einem unterfränkischen Kindergarten (Bayern, Deutschland) wurden aus Rachenabstrichen vier S. pyogenes-Isolate während eines Scharlachausbruchs und ein Isolat von einem Kind zu Beginn einer GN im November und Dezember 2000 gesammelt.

Darüber hinaus wurden zwischen Dezember 1999 und Dezember 2000 78 S. pyogenes-Isolate in 17 Gemeinden in verschiedenen Teilen Bayerns aus Rachenabstrichen von Patienten mit den Symptomen einer persistierenden Tonsillopharyngitis und positivem Antigen-Schnelltest (Plus Strep A, Abbott, IL, USA) gewonnen, bevor sie eine antimikrobielle Chemotherapie erhielten.

S. pyogenes wurde mit einem Partikelagglutinationstest (Phadebact, Boule Diagnostics AB, Hudinge, Schweden) identifiziert. Isolate, die während des Scharlachausbruchs in dem Kindergarten gesammelt worden waren, wurden zusätzlich mit dem API Strep 20 kit (BioMérieux, Marcy l’Etoile, Frankreich) analysiert. Die Stämme wurden bis zur weiteren Analyse auf –180°C gelagert.

Klinische Daten

Informationen über den Scharlachausbruch und die klinischen Befunde während der Episoden von GN wurden von einem örtlichen Kinderarzt gesammelt.

Resistenzbestimmung

Die Isolate wurden mit der Mikrodilutionsmethode auf ihre Empfindlichkeit gegen 16 Standardantibiotika getestet wie zuvor beschrieben [11].

emm-Typisierung

Um den emm-Genotyp von S. pyogenes-Stämmen gemäß der Lancefield-Klassifikation zu bestimmen, wurden emm-spezifische PCR-Produkte präpariert, und die 5’ Enden der emm-Gene wurden sequenziert wie zuvor beschrieben [14]. Die Sequenzierung wurde von VBC-Genomics am Wiener Biocenter durchgeführt. Zur Sequenzanalyse wurde die NCBI-BLAST-Datenbank (www.ncbi.nlm.nih.gov/blast/) herangezogen.

Pulsfeld-Gelelektrophorese (PFGE)

Über Nacht gezüchtete Bakterien wurden in Blöcke aus 1%igem „Low-melting-point“ Agarosegel (Boehringer-Mannheim, Mannheim, Deutschland) eingebettet. Die Zellwände der eingebetteten Organismen wurden in EC-Lysis-Puffer mit Lysozym (1 mg/ml), (Boehringer-Mannheim) und Mutanolysin (5 Einheiten/ml), (Sigma, St. Louis, IL, USA) bei 37°C aufgelöst. Zelluläres Protein wurde über Nacht durch Inkubation in Proteinase K-haltigem ESP-Puffer (200 µg/ml) (Boehringer-Mannheim) bei 50°C verdaut. Zur Spaltung der bakteriellen DNS wurde Restriktionsendonuklease SmaI (Boehringer-Mannheim) eingesetzt (10 Einheiten/ml). DNS-Fragmente wurden auf einem 1%igen Amresco III-Agaroselaufgel (Sigma) getrennt. Die Elektrophorese wurde in einem Pulsfeld mit konstanter Spannung von 6 V/cm (Pulsdauer linear ansteigend von 5 bis 20s und/oder 30s) bei 8°C in einer Elektrophoresekammer (Gene Navigator multidrive XL, Pharmacia LKB, Crawley, England) über 20 Stunden durchgeführt. Die DNS-Bandenprofile wurden mit Ethidiumbromid gefärbt, fotografiert und mit dem Gel Doc 1000 Dokumentationssystem (Bio-Rad, Segrate-Milan, Italien) digitalisiert. Die Analyse der DNS-Fragmentationsprofile erfolgte durch visuelle Inspektion der fotografischen Register auf Basis der von Tenover et al. vorgeschlagenen Kriterien [15]. Mittels PFGE klassifizierte Stämme wurden in der Literatur bisher entweder als „Genotyp“, „PFGE-Typ“ oder „Pulsotyp“ bezeichnet [6, 16].

 

Ergebnisse

Ausbruch

Neun von 45 Kindern in dem unterfränkischen Kindergarten erkrankten Ende Oktober und November 2000 an Scharlach. Anfang Dezember 2000 entwickelten zwei Knaben (Patient 1 und 2), die in engem Kontakt zu ihren Klassenkameraden gestanden waren, aber keine klinischen Symptome von Scharlach oder Pharyngitis entwickelt hatten, eine akute GN.

Patient 1 (4 Jahre und 6 Monate alt) hatte während der Scharlachepidemie lediglich diskrete Erkältungszeichen ohne weitere Symptome. Nach einer Woche entwickelte sich eine GN, die sich in Form von Hämaturie, Proteinurie und Lidödemen manifestierte. Der ASO-Serumtiter war mit 486 Einheiten/ml erhöht, Serumkreatinin und C4 blieben innerhalb der Normbereiche. Serum C3 war mit 50,4 mg/dl (Referenzbereich 80-160mg/dl), bereits initial erniedrigt und fiel in den folgenden Tagen unter das Detektionslimit. Ein Rachenabstrich zu Beginn der GN war negativ auf S. pyogenes. Hämaturie und Proteinurie bildeten sich in den folgenden 18 Tagen zurück.

Patient 2 (3 Jahre und 7 Monate alt) hatte während einiger Tage subfebrile Temperaturen ohne Symptome einer oberen Atemwegsinfektion. Dann trat plötzlich Fieber von 40°C auf, und eine GN mit Hämaturie und Proteinurie wurde diagnostiziert. Die Ultraschalluntersuchung zeigte eine Vergrößerung beider Nieren. Serum C3 war mit 40 mg/dl erniedrigt, die Kreatinin-Clearance blieb im Normbereich. Der ASO-Serumtiter war mit einem Wert von 136 Einheiten/ml nicht erhöht. Ein Rachenabstrich zu Beginn der GN war positiv auf S. pyogenes, und es erfolgte eine Eradikation mit Penicillin G. Im Laufe der nächsten acht Tage waren die Hämaturie und Proteinurie regredient.

Im Jänner 2001 und in den folgenden Monaten traten in diesem Kindergarten keine weiteren Fälle von Scharlach oder GN auf.

Untersuchung der Isolate

Spezifische PCR-Produkte der die M-Proteine kodierenden emm-Gene wurden gewonnen, um den Genotyp der vier Isolate zu bestimmen, die während des Ausbruchs von Scharlach und von dem GN-Patienten isoliert worden waren. Die Analyse der terminalen Sequenz (5´ Ende) zeigte, dass alle untersuchten Isolate den emm12-Genotyp (Tabelle 1) gemäß der Lancefield-Klassifikation aufwiesen.

 

Tabelle 1: Auftreten von Streptococcus pyogenes, Pulsotyp 1 in Bayern

Quelle
(Rachenabstrich)
Anzahl an
Isolaten
Von diesen
Pulsotyp 1
Von diesen
emm12
Scharlachpatienten
im Kindergarten
4
4
4
GN-Patient 2
(Kindergarten)
1
1
1
Tonsillopharyngitis-Patienten
in 17 bayrischen Gemeinden
78
11
nd*
*nicht durchgeführt
.
.
.

Zur Ermittlung der genetischen Verwandtschaft zwischen den verschiedenen emm12-Typ-Isolaten wurde eine PFGE durchgeführt. Die gefärbten DNS-Muster aller im Kindergarten gewonnenen Isolate (Scharlach- und GN-Patienten) waren identisch. Das vorliegende PFGE-Muster wurde als Pulsotyp 1 bezeichnet. Reihen 1-3 in Abbildung 1 zeigen das charakteristische Muster von Pulsotyp 1.

 

Abbildung 1: PFGE-Muster von SmaI-behandelter chromosomaler DNS von Streptococcus pyogenes-Isolaten, die in einem Pulsfeld über 20 Stunden aufgetrennt wurden. Reihen 1-3: Pulsotyp 1; Reihe 4: Lambda Ladder Marker; Reihen 5, 6: andere Pulsotypen. Die Größen der Marker sind an der linken Seite der Abbildung in Kilobasenpaaren (kb) angezeigt.

Prävalenz von Pulsotyp-1-Stämmen in Bayern

Um die Häufigkeit von Pulsotyp-1-Stämmen in der regionalen S. pyogenes-Population zu eruieren, wurde das PFGE-Muster der Ausbruchsisolate mit jenen von 78 Isolaten aus 17 bayrischen Gemeinden verglichen. Von diesen Isolaten waren 68 typisierbar. Zehn Isolate waren nicht typisierbar, weil sie sich mehrfach als nicht empfindlich gegenüber dem Restriktionsenzym SmaI erwiesen und daher andere Stämme repräsentierten. Der Pulsotyp 1 (n = 11) repräsentierte somit 14% aller analysierten Isolate aus Bayern (Tabelle 1). Der emm-Typ dieser Isolate wurde nicht zusätzlich bestimmt, weil bestimmte PFGE-Pulsotypen von S. pyogenes bekannterweise nicht durch emm-Typisierung unterteilt werden können [17].

Antimikrobielle Empfindlichkeit der Pulsotyp-1-Stämme

Die Pulsotyp-1-Isolate wurden auf ihre Empfindlichkeit gegen Antibiotika getestet. Alle Isolate waren empfindlich gegen Penicillin (MHK 0,12 mg/l); Erythromycin, Clarithromycin, Clindamycin, Amoxicillin (MHK 0,25 mg/l); Ceftriaxon, Azithromycin (MHK 0,5 mg/l); Josamycin (MHK 1 mg/l); Levofloxacin, Ciprofloxacin, Tetracyclin, Vancomycin und Linezolid (MHK 2 mg/l).

 

Diskussion

Subklinische oder oligosymptomatische S. pyogenes-Infektionen sind typisch für Kinder vor dem Schulalter [13, 18]. Der Ausbruch von Scharlach in der Kindergartenklasse, das erniedrigte C3, der erhöhte ASO-Titer (Patient 1) und die vergrößerten Nieren (Patient 2) deuteten klar auf eine Poststreptokokken-GN [5]. Der kurze Zeitraum zwischen dem Auftreten der subfebrilen Temperatur und der GN in Patient 2 können für den normalen ASO-Wert in Patient 2 verantwortlich sein. Aufgrund der raschen klinischen Besserung war ein zweiter ASO-Wert nicht verfügbar. Wir sind der Ansicht, dass die klinische Verbesserung in Patient 2 unabhängig von der antibiotischen Therapie war. Somit scheint die GN in Patient 1 mit großer Sicherheit Streptokokken-assoziiert zu sein, was höchstwahrscheinlich auch auf Patient 2 zutrifft. Eine Streptokokken-bedingte Genese der GN wird auch von früheren Berichten über das nephritogene Potenzial von emm12 (M12)-Stämmen [3, 5] und von dem chronologischen Ablauf der Krankheitsereignisse im Kindergarten gestützt.

Das anhaltende Auftreten von Poststreptokokkenerkrankungen wirft die Frage auf, ob Ausbrüche von Streptokokkenerkrankungen in europäischen Kinderbetreuungseinrichtungen angemessen gemanagt werden, um postinfektiöse Folgeerkrankungen zu verhindern, oder ob dieses Vorgehen optimiert werden kann. Es ist allgemein anerkannt, dass Personen, die akute symptomatische Streptokokkenerkrankungen durchmachen, eine antimikrobielle Therapie bekommen sollen [19, 20]. Im Gegensatz dazu soll eine chronische asymptomatische Rachenkolonisation mit S. pyogenes nicht behandelt werden, da kein erhöhtes Risiko für Folgeerkrankungen besteht [3]. Es ist jedoch wichtig festzuhalten, dass akute Racheninfektionen mit S. pyogenes in bis zu 50% der Fälle in einer subklinischen Form auftreten, insbesondere bei Kindern vor dem Schulalter. Asymptomatische Racheninfektionen sind während derartiger Ausbrüche von großer Bedeutung, weil sie leicht übersehen werden. Während Ausbrüchen in einem Kindergarten sind daher insbesondere die Kinder mit einer akuten subklinischen Infektion dem erhöhten Risiko ausgesetzt, eine Folgeerkrankung wie rheumatisches Fieber oder GN zu entwickeln [18]. Wie im vorliegenden Fall werden asymptomatische Kinder in der Regel nicht auf S.pyogenes getestet und daher während des Ausbruchs in ihrer engen Umgebung nicht mit Antibiotika behandelt. Es besteht daher eine Diskrepanz zwischen dem allgemeinen Konsens, alle akut mit S. pyogenes infizierten Kinder ungeachtet des Vorliegens von Symptomen zu behandeln, und der verabsäumten Durchführung von Screeningtests bei allen Kindern an von Ausbrüchen betroffenen Einrichtungen. Als Konsequenz daraus sollten Streptokokken-Ausbrüche in Kindergärten mehr Aufmerksamkeit durch die verantwortlichen Behörden finden.

Tabelle 2 stellt drei Möglichkeiten für den Umgang mit einer Epidemie in einer Kinderbetreuungseinrichtung einschließlich der jeweiligen Vor- und Nachteile zur Diskussion. Der erste Ansatz mit diagnostischen Maßnahmen nur in symptomatischen Personen ist heutzutage der in Mitteleuropa gebräuchlichste. Er ignoriert jedoch die hohe Rate an akut infizierten, aber asymptomatischen Kindern, was das Risiko von Streptokokken-Folgeerkrankungen für diese unbehandelten Kinder in sich birgt. Diese Maßnahmen erscheinen daher inadäquat. Strategien 2 und 3 werden derzeit in Mitteleuropa, von Einzelfällen abgesehen, nicht durchgeführt. Sie erfordern organisatorische Voraussetzungen und Akzeptanz seitens der Eltern. Unserer Ansicht nach ist Strategie 2 unter den gegebenen Umständen am geeignetsten. Wenn mehr als zwei bis drei Fälle akuter Streptokokken-Infektionen in einer Kindergruppe auftreten, sollte ein Schnelltest auf S. pyogenes bei allen Kindern und Betreuern in dem Kindergarten durchgeführt werden [19]. Positiv getestete Individuen könnten sofort eine antimikrobielle Therapie bekommen und dazu angehalten werden, zwei Tage zu Hause zu bleiben. In diese Maßnahmen sollten auch die Familienmitglieder der Betroffenen einbezogen werden.

 

Tabelle 2: Möglichkeiten für die Handhabung eines akuten Ausbruchs von Streptokokkenpharyngitis oder Scharlachan einer Kinderbetreuungseinrichtung

Maßnahmen Vorteile Nachteile/Risiken
1.
Testen auf S. pyogenesund antimikrobielle Chemotherapie nur in symptomatischen Individuen und Fernbleiben von der Einrichtung während der ersten zwei Behandlungstage

• Wenig Arbeit und geringe Kosten
• Restriktiver Antibiotika-Einsatz

• Prolongation des Ausbruchs
• Risiko von postinfektiösen Folgeerkrankungen in akut infizierten, aber asymptomatischen Kindern
2.
Testen auf S. pyogenes in allen Individuen, die die betroffene Einrichtung/Gruppe besuchen; antimikrobielle Chemotherapie in allen positiv getesteten Individuen und Fernbleiben von der Einrichtung während der ersten zwei Behandlungstage

• Effektive Vorbeugung von postinfektiösen Folgeerkrankungen
• Restriktiver Antibiotika-Einsatz
• Möglichkeit, die Genese des Ausbruchs zu untersuchen

• Arbeit und Kosten für diagnostische Tests
• Möglichkeit von „Ping-Pong-Infektionen“ – Wiederholung von Maßnahmen könnte nötig werden
3.
Sofortige antimikrobielle Chemotherapie/ Prophylaxe für alle Individuen, die die betroffene Einrichtung/Gruppe besuchen, ohne vorheriges Testen auf S. pyogenes

• Keine diagnostischen Tests
• Schnelle Beendigung des Ausbruchs
• Effektive Prävention von post-infektiösen Folgeerkrankungen

• Breiter, ungezielter Einsatz von Antibiotika (Kosten,Compliance, unerwünschte Nebenwirkungen in Gesunden, kritische öffentliche Meinung, Förderung von Antibiotika-Resistenzen)

Eine derartige Vorgangsweise wurde schon erprobt und hat sich als effektiv bei S. pyogenes-Epidemien in Kinderbetreuungseinrichtungen bewährt [12, 13, 21]. Das dritte Schema (Tabelle 2, letzte Reihe) mit einer sofortigen Behandlung aller Kinder und des Personals an der betroffenen Einrichtung könnte die einfachste und effizienteste Intervention zur Verhinderung von Folgeerkrankungen darstellen. Dennoch kann die unnötige Verabreichung von Antibiotika an überwiegend gesunde Personen auch Bedenken auslösen. Unseres Wissens wurde diese Strategie bisher nicht in einem Kindergarten getestet. Wir regen daher an, dass erst eine klinische Studie zur Testung von Strategie 3 vorliegen sollte, bevor sie allgemein empfohlen werden kann.

In diesem Kontext erscheint es erwähnenswert, dass vor allem bei kleineren Kindern die Compliance gegenüber einem 7- bis 10-tägigen oralen Behandlungsschema als kritisch einzustufen ist. Die Compliance gegenüber jedem Therapieschema kann gesteigert werden, wenn kürzere, aber effektivere Antibiotika-Schemata verschrieben werden. Orales und injizierbares Penicillin ist effektiv und relativ billig und Therapie der Wahl. Es können natürlich auch andere Substanzen in Betracht gezogen werden, obwohl deren Fähigkeit, rheumatisches Fieber oder GN zu verhindern, im Gegensatz zu Penicillin nie definitiv bewiesen wurde. Bakteriologische Eradikationsraten, die mit jenen von einer Penicillin-V-Behandlung über 10 Tage (84,1% [22] bzw. 70,9% [23]) vergleichbar sind, wurden auch für kürzere Behandlungen mit alternativen Medikamenten berichtet. Nach fünftägiger Behandlung mit Loracarbef und Cefdinir wurden Eradikationsraten von 81,6% bzw. 89,7% berichtet [22, 23]. Auch Azithromycin bewirkte eine beachtliche Eradikationsrate von 94,2%, als es in der Dosierung von 20 mg/kg Körpergewicht einmal täglich für drei Tage eingenommen wurde [24]. Es gibt also eine Reihe von Antibiotika, die zur Intervention bei einer S. pyogenes-bedingten Epidemie verwendet werden können.

Es wurde in der Literatur berichtet, dass die meisten emm12-Stämme nicht nephritogen sind und dass unter den emm12-Isolaten zwei bis sechs verschiedene PFGE-Typen vorliegen [6, 8, 9, 16]. Der Vergleich unserer Ergebnisse mit publizierten Daten zeigt, dass PFGE-Restriktions-Muster, die mit jenen von Pulsotyp 1 identisch sind, schon zuvor unter verschiedenen emm12-Stämmen von S. pyogenes gefunden wurden. Dies trifft auf Stämme zu, die in Belgien [7], Frankreich [16], Brasilien [25], Japan [17] und den Vereinigten Staaten von Amerika [26] isoliert wurden. Hierbei entsteht der Eindruck, dass der S. pyogenes-emm12/Pulsotyp-1-Stamm, obschon global weit verbreitet, in Europa häufiger anzutreffen ist. Dies ist auch mit der beobachteten Prävalenz von 14% in Bayern im Einklang. Erwähnenswert ist auch, dass dieser Stamm bei Streptokokken-Erkrankungen von unterschiedlichem Erscheinungsbild, wie Rachen- [16], Haut- [25] und invasiven [17] Infektionen, sowie bei STSS [26] involviert ist. Unseres Wissens war die Assoziation zwischen diesem charakteristischen PFGE-Subtyp von emm12-Stämmen und Poststreptokokken-GN aber bislang noch nicht dokumentiert. Interessanterweise waren in zwei von drei publizierten Berichten über S. pyogenes-Epidemien an Kinderbetreuungseinrichtungen emm12-Stämme als Auslöser beschrieben [12, 27], es scheint sich somit beim emm12/Pulsotyp-1-Stamm von S. pyogenes um ein äußerst vielseitiges Pathogen zu handeln.

Schlussfolgerung: Während Ausbrüchen von Streptokokken-Pharyngitis oder Scharlach in einem Kindergarten sollten diagnostische Tests auf S. pyogenes in allen Kindern und Personal durchgeführt werden, um akut infizierte, aber asymptomatische Kinder zu identifizieren und vor postinfektiösen Folgeerkrankungen zu schützen.

 

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Korrespondierender Autor:
Univ.-Prof. DDr. Apostolos Georgopoulos
Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Klin. Abt.für Infektionen und Chemotherapie
A-1090 Wien, Währinger Gürtel 18-20
E-Mail: apostolos.georgopoulos@meduniwien.
ac.at

 

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