Wirksamkeit der 23-valenten Pneumokokken-Polysaccharid-Impfung bei splenektomierten Patienten mit soliden Tumoren

R. Gattringer 1, M. Greitbauer 2, H. Burgmann 1,
* 1 Impfberatungsambulanz für immunsupprimierte Patienten, Innere Medizin I, Klin. Abt.für Infektionen und Chemotherapie, MUW
2 Univ.-Klinik für Unfallchirurgie, MUW
* (Korrespondierender Autor: a. Univ.-Prof. Dr. Heinz Burgmann)

Ausdruck im pdf-Format (4,36 MB)


Schlüsselwörter
Splenektomie, Tumor, Trauma, 23-valenter Pneumokokken-Polysaccharid-Vakzine, Effektivität, Antikörper-Serumkonzentration


Zusammenfassung

Patienten nach Milzexstirpation oder funktioneller Asplenie haben ein erhöhtes Risiko für das so genannte Overwhelming-Postsplenectomie-Infectionssyndrom (OPSI). Der häufigste Erreger ist mit 50-60% Streptococcus pneumoniae. Es wird daher empfohlen, diese Risikopatienten unter anderem gegen Pneumokokken zu impfen. Die Effektivität der Impfung bei Patienten mit Splenektomie und maligner Grunderkrankung ist allerdings nicht bekannt.

Ziel der Studie war es, die Ansprechrate des 23-valenten Pneumokokken-Polysaccharid-Impfstoffes bei splenektomierten Patienten mit maligner Grunderkrankung zu evaluieren. Zwischen 1993 und 1999 wurden 37 splenektomierte Patienten in die Studie inkludiert (16 Patienten hatten zusätzlich einen Tumor; bei 21 Patienten erfolgte die Splenektomie nach einem Trauma). Jeder Patient erhielt 0,5ml eines Pneumokokken-Polysaccharid-Impfstoffes in den M. deltoideus.

Die Studie zeigte, dass die Impfung mit dem 23-valenten Pneumokokken-Polysaccharid-Impfstoff eine adäquate Immunantwort hervorrufen kann. Da der Impferfolg nicht vorher gesagt werden kann, ist die Messung der Antikörper-Konzentration bei Risikopatienten unerlässlich.


Key-words
Splenektomy, malignancy, trauma, pneumococcal-polysaccharide vaccination, efficacy, serum antibody concentration


Summary

In the present study we addressed the question whether an underlying malignancy affects the response to vaccination against bacterial polysaccharide antigens (e.g. Streptococcus pneumoniae) in splenectomized patients. We included 37 splenectomized adult patients from our outpatient clinic for infectious diseases, who attended for vaccination between 1993 and 1999. 16 patients suffered from malignancies and splenectomy; 21 patients had traumatic splenectomy (and served as control group). Each subject received an intradeltoid injection with 0.5ml of a single lot of Pneumo 23 vaccine. Blood samples for determination of pneumococcal antibodies were taken prior to vaccination and 6-8 weeks afterwards. Patients with malignancies and splenectomy may respond adequately to the vaccination. In these risk patients antibody determination after the vaccination is mandatory.



Einleitung

Patienten nach Milzexstirpation oder funktioneller Asplenie haben ein erhöhtes Risiko für das so genannte Overwhelming-Postsplenectomy-Infectionssyndrom (OPSI). In einer Studie aus Westaustralien fand sich bei 1.490 Splenektomien ohne folgende Prophylaxe eine Infektionsrate von 0,42 auf 100 Personenjahre, das bedeutet 1 splenektomierter Patient erleidet eine schwere Sepsis in 200 Jahren. Das entspricht einer ungefähr 12,6fach höheren Inzidenz verglichen mit dem Normalkollektiv. Das Risiko für die Infektion ist aber korreliert mit dem Grund der Splenektomie und dem Alter. Milzentfernungen nach Trauma haben das geringste Risiko (1,4%), während bei Thallasämie mit einem beträchtlich erhöhten Risiko zu rechnen ist (24,8%). Junge Patienten scheinen am gefährdetsten zu sein, die Mortaliät bei Kindern unter 16 Jahren war 2,2% im Vergleich zu 0,8% bei Erwachsenen. Die Mehrzahl der Infektionen findet in den Jahren nach der Splenektomie statt. Pimpl et al. beschreiben 202 Post-Splenektomie-Patienten, die an Sepsis verstorben sind: 50% starben innerhalb der ersten drei Monate, weitere 28,2% in den ersten drei Jahren nach dem Eingriff. Der häufigste Erreger ist Streptococcus pneumoniae (50-60%), es finden sich aber auch zu einem geringeren Prozentsatz Haemophilus influenzae, Escherichia coli, Pseudomonas aeruginosa und Neisseria meningitidis.

S. pneumoniae Serotyp 23 ist wahrscheinlich der häufigste verantwortliche Keim, aber Infektionen mit 14 anderen Serotypen wurden beobachtet. Der derzeit verwendete Pneumokokken-Impfstoff hat eine Effektivität von wahrscheinlich 80%. Es konnte in einer Studie gezeigt werden, dass durch Impfung gegen die Pneumokokken die Inzidenz an OPSI in splenektomierten dänischen Kindern vermindert werden konnte, allerdings wurden Septikämien auch in geimpften Kindern beobachtet. Da die Inzidenz der OPSI nicht sehr hoch ist, ist es schwer, signifikante Reduktionen der Inzidenz und Mortalität zu bestimmen. Groß angelegte Studien sind dafür notwendig. Somit wird heute die Empfehlung gegeben, bei geplanter Splenektomie zumindest 2 Wochen vor dem geplanten Eingriff die Impfung durchzuführen. Bei posttraumatischen Milzentfernungen sollte kurz nach der Operation, am besten gleich im Krankenhaus, die Impfung durchgeführt werden. Es ist allerdings bis heute nicht bekannt, bei welchen Antikörperkonzentrationen Impfschutz besteht. Weiters wird empfohlen, zumindest nach 6 Jahren eine Auffrischungsimpfung durchzuführen. Allerdings sind diese Empfehlungen kontroversiell diskutiert.

Weiters ist nicht bekannt, wie gut splenektomierte Patienten mit einer malignen Grunderkrankung auf die Vakzination mit dem 23-valenten Pneumokokken-Polysaccharid-Impfstoff ansprechen.

Ziel der vorliegenden Studie war es, die Ansprechrate des 23-valentenPneumokokken-Polysaccharid-Impfstoffes bei splenektomierten Patienten mit maligner Grunderkrankung zu evaluieren.

 

Material und Methode

Zwischen 1993 und 1999 wurden 37 splenektomierte Patienten in die Studie inkludiert. Sechzehn Patienten hatten zusätzlich einen Tumor als Grunderkrankung, bei 21 Patienten erfolgte die Splenektomie wegen eines Traumas. Die demographischen Daten sind in Tabelle 1 und 2 angeführt.

 

Tabelle 1: Impfantwort auf die 23-valente Pneumokokken-Polysaccharid-Impfung bei 21 splenektomierten Traumapatienten

Pat.Nr.
Alter
Zugrunde
liegende
Erkrankung
Pneumo-
IgG vV
Pneumo-
IgG nV
Anstieg
Pneumo-
IgM vV
Pneumo-
IgM nV
Anstieg
1
2
3
4
5
6
7
8

9

10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
25
41
55
59
52
39
55
33

40

76
58
75
36
41
33
33
61
49
27
63
74
T
T
T
T
T
T
T
T

T

T
T
T
T
T
T
T
T
T
T
T
T
67
417
62
202
623
276
41
370

669

735
39
541
123
711
251
192
38
351
193
871
71
52
813
264
5391
1320
1441
811
304

2336

1928
792
4241
2511
1353
561
3008
10292
1354
401
13411
123
0,8
1,9
4,25
26,6
2,1
5,2
19,7
0,82

3,49

2,6
20,3
7,8
20,4
1,9
2,23
15,6
271
3,9
2,1
15,4
1,7
123
1361
270
48
137
474
257
246

165

148
152
426
159
170
377
172
20
96
307
381
95
301
811
1118
357
258
1349
373
495

1157

435
836
7389
1423
1693
-
2279
1029
487
1720
2085
156
2,44
0,59
4,1
7,4
1,88
2,8
1,45
2,01

7,01

2,9
5,5
17,3
8,9
9,96
-
13,2
51,45
5
5,6
5,5
1,6
vV – vor Vakzination
nV – nach Vakzination

Tabelle 2: Impfantwort auf die 23-valente Pneumokokken-Polysaccharid-Impfung bei 16 splenektomierten Tumorpatienten

Pat.Nr.
Alter
Zugrunde
liegende
Erkrankung
Pneumo-
IgG vV
Pneumo-
IgG nV
Anstieg
Pneumo-
IgM vV
Pneumo-
IgM nV
Anstieg
1
2
3
4
5
6
7
8

9

10
11
12
13
14
15
16
44
46
84
48
50
70
46
63

57

39
56
63
44
35
54
57
N. ventriculi
N. ventriculi
N. ventriculi
N. mammae
N. ventriculi
N. coli
N. ventriculi
N. pancreas

Hemangio-karzinom

N. ventriculi
N. coli
N. ventriculi
N. pancreaticus
N. ventriculi
N. ventriculi
Hypernephrom
444
102
46
193
208
2199
652
177

1836

253
20
1557
20
384
5375
464
1977
289
211
12880
210
8350
670
1397

2304

1724
69
5311
561
634
4758
7563
4,45
2,8
4,6
66,7
1
3,8
1,02
7,9

1,25

6,8
3,45
3,4
28
1,65
0,89
16,3
85
175
165
756
231
117
152
341

119

119
155
96
20
161
1739
73
237
590
-
24882
240
2734
342
1998

88

826
967
357
2214
1393
979
408
2,9
3,37
-
32,9
1,01
23,4
2,25
5,9

0,74

6,9
6,24
3,7
110,7
8,65
0,56
5,6
vV – vor Vakzination
nV – nach Vakzination

Jeder der Patienten erhielt eine Impfung mit 0,5 ml eines Pneumokokken-Polysaccharid-Impfstoffes (Pneumo-23, Sanofi-Pasteur-MSD) intramuskulär in den M. deltoideus. Blutproben zur Bestimmung der Serumantikörper gegen den verwendeten Impfstoff wurden vor und 6 Wochen nach der Impfung abgenommen.

Die Serum-Antikörper gegen den 23-valenten Pneumokokken-Polysaccharid-Impfstoff wurden mittels eines Inhouse-ELISA bestimmt (Daten werden als Serum-Titer angegeben).

 

Resultate und Diskussion

Die Impfantworten der Trauma- und Karzinompatienten finden Sie in Tabelle 1 und 2 bzw. in Abbildung 1 und 2.

 

Abbildung 1: Geometrischer Mittelwert der
IgG-Pneumokokken-Antikörper-Titer vor und nach der Impfung

Abbildung 2: Geometrischer Mittelwert der
IgM-Pneumokokken-Antikörper-Titer vor und nach der Impfung

Betreffend Impfantwort auf den 23-valenten Pneumokokken-Polysaccharid-Impfstoff fand sich kein signifikanter Unterschied zwischen den beiden Gruppen.

Eine mögliche Erklärung dafür könnte sein, dass keiner der Tumorpatienten 3 Monate vor der Impfung eine Chemotherapie erhielt. Somit scheinen solide Tumore kein zusätzlicher Faktor für Immunsuppression betreffend Impfantwort nach Splenektomie zu sein.

Wichtig ist es allerdings, dass auch nur die Hälfte der splenektomierten Traumapatienten einen zumindest 4-fachen Titeranstieg zeigten. Das unterstreicht die Wichtigkeit, den Impferfolg bei diesen Patienten zu messen. Allerdings war es bisher nicht möglich, die Impfantwort zu boostern, denn Nachteil des 23-valenten Polysaccharid-Impfstoffes ist, dass Polysaccharide hauptsächlich von T-Zell-unabhängigen Mechanismen erkannt werden, und der Proband entwickelt somit kein T-Zell-Gedächtnis.

Seit einigen Jahren gibt es nun einen konjugierten Pneumokokken-Impfstoff, der auch geboostert werden kann. Dieser Impfstoff ist derzeit aber nur für Kinder zugelassen. Nachteil dieses Impfstoffes ist, dass nur 7 Antigene erhalten sind. Es werden aber Anstrengungen unternommen, in näherer Zukunft zusätzliche wichtige Antigene zu inkludieren.

Es laufen derzeit Untersuchungen, die die Effektivität dieses konjugierten Impfstoffes bei Erwachsenen mit Splenektomie demonstrieren sollen.

Zusammenfassend kann gesagt werden, dass die Impfung mit dem 23-valenten Pneumokokken-Polysaccharid-Impfstoff eine adäquate Immunantwort hervorrufen kann. Da der Impferfolg nicht vorhergesagt werden kann, ist die Messung der Antikörper-Konzentrationen bei Risikopatienten unerlässlich. Weitere Studien werden den Stellenwert des konjugierten Pneumokokken-Impfstoffes zeigen.

 

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Korrespondierender Autor:
a.Univ.-Prof. Dr. Heinz Burgmann
Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Klin. Abt.für Infektionen und Chemotherapie
A-1090 Wien, Währinger Gürtel 18-20
E-Mail: heinz.burgmann@meduniwien.ac.at

 

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