Epidemiologie der Influenzaviren in Österreich

Monika Redlberger, Therese Popow-Kraupp
Klinisches Institut für Virologie, Medizinische Universität Wien


Schlüsselwörter:
Influenza, Epidemiologie, Subtypisierung, Stammcharakterisierung


Zusammenfassung

Influenzaviren besitzen die Fähigkeit sich kontinuierlich zu verändern, wobei vor allem die beiden an der Virusoberfläche liegenden Antigene, das Hämagglutinin (HA) und die Neuraminidase (NA) von diesen Veränderungen betroffen sind.

Dieses als Antigen-Drift bezeichnete Phänomen stellt vor allem für die alljährliche Impfstoffherstellung eine konstante Herausforderung dar, da die Wirksamkeit der Impfstoffe in erster Linie von der Ähnlichkeit der im Impfstoff enthaltenen Virusstämme mit den tatsächlich zirkulierenden Viren bestimmt wird.

Um neu auftretende Drift-Varianten frühzeitig zu erfassen, haben wir die Dynamik der antigenen und genetischen Veränderungen des Hämagglutinins der in Österreich in den Saisonen 2003/04 bis 2006/07 zirkulierenden Influenzaviren mittels antigener und genetischer Charakterisierung untersucht. Im Folgenden präsentieren wir die Zusammenfassung der erhobenen Daten im Hinblick auf den jeweils dominierenden Stamm, die neu aufgetretenen Drift-Varianten und die Übereinstimmung der zirkulierenden Stämme mit den für die entsprechende Saison empfohlenen Impfstämmen.


Key-words:
Influenza, epidemiology, subtyping, strain characterization


Summary

Human influenza viruses are subject to continuous antigenic drift and this phenomenon poses great problems for the annual production of vaccines which should ideally be manufactured from strains closely matching the predominant strains of the coming influenza season. We have investigated the epidemiology and the dynamics of antigenic and genetic changes in the hemagglutinins of circulating influenza strains in four consecutive seasons (2003/04 to 2006/07) in Austria. Each of the four seasons was dominated by different influenza viruses, but in all cases sequencing revealed the co-circulation of newly evolving drift variants. These emerging strains always showed already a close genetic relationship to the dominating strain of the following season. These surveillance data were compared to the annually recommended vaccine composition for each of the influenza seasons investigated. The results of our investigation demonstrate the importance of monitoring seasonal influenza strain dynamics by antigenic and genetic analysis in order to obtain timely information on the appearance of strains with epidemiologic significance.



Einleitung

Influenza A- und B-Viren gehören zu den wichtigsten Pathogenen des Menschen. Influenzavirus-Infektionen treten regelmäßig in den Wintermonaten in epidemischer Form auf und verursachen hoch fieberhafte Erkrankungen bei ca. 20% der Kinder und 5% der Erwachsenen [1, 2].

Ein charakteristisches Merkmal der Influenzaviren ist, dass sie starken Veränderungen unterworfen sind, von denen vor allem die beiden an der Virusoberfläche gelegenen Antigene, das Hämagglutinin (HA) und die Neuraminidase (NA) betroffen sind. Kontinuierliche Veränderungen werden als Antigen-Drift bezeichnet und kommen sowohl bei Influenza A- als auch bei Influenza B-Viren vor. Diese Antigen-Drift ist die Ursache dafür, dass Influenzavirus-Infektionen keine lang anhaltende Immunität hinterlassen und, dass es daher immer wieder zu Reinfektionen und jährlichen Epidemien kommt. Plötzliche und drastische Veränderungen, die als Antigen-Shift bezeichnet werden, konnten bis jetzt nur bei Influenza A-Viren beobachtet werden und treten in unvorhersehbaren Intervallen auf. Wenn solche so drastisch veränderte Virusvarianten die Fähigkeit besitzen effizient von Mensch zu Mensch übertragen zu werden, kann es zu ausgedehnten Epidemien und in weiterer Folge zu einer Pandemie kommen. Dies geschah nach dem derzeitigen Kenntnisstand in der Geschichte des Influenzavirus bisher zweimal und verursachten die Pandemien von 1958 und 1968.

Die starke genetische Variabilität der Influenzaviren stellt vor allem für die Produktion effizienter Impfstoffe ein erhebliches Problem dar [3-11]. Da die Wirksamkeit der Influenzaimpfung in erster Linie von der Ähnlichkeit der in den Impfstoffen enthaltenen Stämme mit den tatsächlich zirkulierenden Viren abhängt, muss die Impfstoffzusammensetzung jährlich neu angepasst werden [12-14].

Aus diesem Grund hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) ein weltweites Netzwerk von Referenzlaboratorien für die Charakterisierung zirkulierender Influenza-Stämme etabliert und basierend auf den Daten dieses Überwachungssystems wird die Empfehlung betreffend die aktuelle Impfstoffzusammensetzung für die nördliche Hemisphäre jährlich im Februar abgegeben.

Um die Aufgaben eines Referenzlabors der WHO in Österreich erfüllen zu können, hat das Institut für Virologie der Medizinischen Universität Wien unterstützt von Roche-Austria das Diagnostische Influenza Netzwerk Österreich (DINÖ) in der Wintersaison 2000/2001 ins Leben gerufen. Das DINÖ ist ein Sentinella-System, an dem wenige ausgewählte niedergelassene Ärzte in allen Bundesländern mitarbeiten und Proben (Nasen-Rachenabstriche) von selektionierten Patienten mit akuten Influenza-ähnlichen Symptomen einsenden. Die labordiagnostische Absicherung der klinischen Verdachtsdiagnose Influenza erfolgt durch den Nachweis von Influenzaviren in den Nasen-Rachenabstrichen mittels molekularbiologischer (RT-PCR) Methoden und der Virusisolierung in Zellkultur. Art und Ausmaß der Veränderung der zirkulierenden Virusstämme wird durch antigene und genetische Charakterisierung ihrer Oberflächenglykoproteine bestimmt [15].

Die im Rahmen des DINÖ eingesendeten und untersuchten Proben repräsentieren eine Stichprobe, die österreichweit das Auftreten der Influenza-Viren erfasst und deren genaue Typisierung ermöglicht. Durch die Analyse dieser Daten kann eine rasche Aussage über die Wirksamkeit der für die jeweilige Saison verfügbaren Impfstoffe gemacht werden.

Abbildung 1: Neuerkrankungen an Grippe/grippalem Infekt und die Gesamtanzahl an positiven Virusnachweisen pro Woche während der 4 analysierten Saisonen

Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Daten von 4 Influenza-Saisonen (2003/04 bis 2006/07) in Österreich. Die Auswertung der virologischen Ergebnisse gemeinsam mit den epidemiologischen Daten der Magistratsabteilung 15 der Stadt Wien ermöglichen den Beginn, das Ausmaß und das Ende der alljährlichen Grippewelle sehr genau zu erfassen. In allen untersuchten Saisonen konnte bereits einige Wochen vor dem für Influenzawellen charakteristischen signifikanten Anstieg der Erkrankungszahlen an Grippe/grippalem Infekt sporadische Fälle von Influenzavirus-Infektionen nachgewiesen werden.

Die jeweils dominierenden Stämme, die neu aufgetretenen Drift-Varianten und die Übereinstimmung der zirkulierenden Stämme mit den für die entsprechende Saison empfohlenen Impfstämmen sind in Tabelle 1 zusammengefasst.

Tabelle 1: Gegenüberstellung der zirkulierenden Influenzaviren zu den verwendeten Impfstämmen der jeweiligen Grippesaison

In der Saison 2003/04 startete die Influenzavirusaktivität in Kalenderwoche 2 und diese Grippewelle kann sowohl was ihre Dauer von 9 Wochen, als auch das Ausmaß und die Schwere der Erkrankungen betrifft, als durchschnittlich bezeichnet werden. Der Höhepunkt der Neuerkrankungen wurde in den Kalenderwochen 4 bis 6 verzeichnet, wobei alle Influenzaerkrankungen in dieser Saison durch den Subtyp A/H3N2 verursacht wurden. Die genaue Stammanalyse ergab, dass überwiegend A/H3N2-A/Wyoming/3/03-ähnliche Stämme zirkulierten. Im Impfstoff für diese Saison war jedoch A/Panama/2007/99 (H3N2) enthalten, wodurch die Impfung keinen optimalen Schutz gegen die tatsächlich zirkulierenden Stämme bieten konnte. Darüber hinaus zeigte die genaue Genotypisierung das zusätzliche Auftreten von neuen A/H3N2-Drift-Varianten, die bereits eine große Ähnlichkeit mit dem in der folgenden Saison zirkulierenden A/H3N2-Stamm aufwiesen.

Diese folgende Saison (04/05) war für Virologen besonders interessant, da beide Typen, mehrere Subtypen und Stämme gleichzeitig zirkulierten, wobei zwei Drittel der Erkrankungen durch Influenza A- und ein Drittel durch Influenza B-Viren verursacht wurden. Zusätzlich konnte bei den Influenza A-Viren auch eine Ko-Zirkulation der beiden Subtypen A/H3N2 (67%) und A/H1N1 (33%) nachgewiesen werden. Wenn man bedenkt, dass in der Regel nur ein Stamm eines Subtyps dominiert, ist es nicht weiter verwunderlich, dass während dieser Grippewelle bis zu 30 000 Neuerkrankungen an Grippe/grippalem Infekt pro Woche zu verzeichnen waren.

Die Daten der Stammcharakterisierungen ergaben, dass die zirkulierenden Influenza A/H1N1-Viren (A/New Caledonia/20/99-like) und Influenza B-Viren (B/Jiangsu/10/2003-like) den in den Impfstoffen für diese Saison enthaltenen Impfstämmen entsprachen, dass jedoch die A/H3N2-Komponente der Impfstoffe (A/Wyoming/3/03) nicht ideal mit den tatsächlich zirkulierenden A/H3N2 A/California/7/2004-ähnlichen Viren übereinstimmte. Auch in dieser Saison konnte wieder das Neuauftreten einer A/H3N2-Drift-Variante (A/Wisconsin/67/05) nachgewiesen werden, die dann den Großteil der Influenzavirus-Infektionen der darauffolgenden Saison verursachte. Diese (2005/06) war durch ihren späten Beginn in der Kalenderwoche 7 und eine ungewöhnlich lange Dauer von ca. 10 Wochen gekennzeichnet. Besonders auffällig war dabei jedoch, dass der epidemische Schwellenwert von 10000 – 12000 Neuerkrankungen an Grippe/grippalem Infekt pro Woche nur marginal überschritten wurde. Wie im Jahr zuvor, konnte auch in dieser Saison die Ko-Zirkulation von Influenza A-(73%) und Influenza B-Viren (27%) beobachtet werden. Trotz der klinisch moderaten Situation konnten dennoch mittels der laufend durchgeführten Genotypisierungen vier verschiedene zirkulierende Varianten des Influenza A-Virus identifiziert werden. Zwei davon (A/NewCaledonia/20/99 (H1N1) und A/California/7/2004 (H3N2)) entsprachen den für diese Saison konzipierten Impfstämmen, wobei letzterer gemeinsam mit dem bereits in der Vorsaison als Drift-Variante aufgetretenen A/Wisconsin/67/05(H3N2) die dominierenden Stämme dieser Saison waren. Zusätzlich konnte noch im Verlauf dieser Grippewelle eine neu aufgetretene A/H3N2-Drift-Variante als vierter zirkulierender Influenza A-Stamm identifiziert werden.

Die Stammcharakterisierung der Influenza B-Viren ergab hingegen, dass von Beginn an ein neuer Influenza B-Virusstamm (B/Malaysia/2506/04) zirkulierte, der sich von dem im Impfstoff enthaltenen (B/Shanghai/361/2002) signifikant unterschied.

Die Influenzasaison 2006/07 startete in der Kalenderwoche 5 und dauerte ca. 8 Wochen. Sie wurde von Influenza A/H3N2-Viren dominiert und es konnten nur einige wenige Influenza A/H1N1- und Influenza B-Viren nachgewiesen werden. Die genaue genetische Analyse der zirkulierenden Stämme ergab, dass der Großteil der Erkrankungen von Influenza A/Wisconsin/67/05-ähnlichen (H3N2) Viren verursacht worden war, die den in den Impfstoffen für diese Saison enthaltenen Influenza A/H3N2-Stamm sehr ähnlich waren. Zusätzlich konnte auch die bereits in der Vorsaison aufgetretene A/H3N2-Drift-Variante (A/Brisbane/10/07) wieder nachgewiesen werden. Die nur sehr sporadisch vorkommenden A/H1N1-Erkrankungen wurden durch eine Drift-Variante des H1N1-Virus verursacht (A/Solomon Island/3/2006-like), die durch den im Impfstoff enthaltenen Stamm A/NewCaledonia/20/99 nicht abgedeckt war.

Die Daten dieser vier Saisonen zeigen sehr deutlich die komplexe Dynamik der sich kontinuierlich verändernden Influenzaviren, die nur durch den Einsatz hochsensitiver antigener und genetischer Charakterisierungsmethoden erfasst werden kann und unterstreichen die Bedeutung der virologischen Überwachung für die Entwicklung möglichst wirksamer Impfstoffe.

 

Literatur

1. Glezen WP, Taber LH, Frank AL, Gruber WC, Piedra PA. Influenza virus infections in infants. Pediatr. Infect. Dis.J.:1997;16:1065-68.
2. World Health Organisation. World Health Organisation (WHO) website influenza fact sheet; 2005. www.who.int/media-centre/factsheets.
3. de Jong JC, Beyer WEP, Palache A, Rimmelzwaan GF, Osterhaus ADME. Mismatch between the 1997/1998 influenza vaccine and the major epidemic A(H3/N2) virus strain as the cause of an inadequate vaccine-induced antibody response to this strain in the elderly. Jounal of Medical Virology 2000;61:94-99.
4. Smith DJ. Applications of bioinformatics and computational biology to influenza surveillance and vaccine strain selection. Vaccine 2003;21:1758-61.
5. Lee MS, Chen JSE. Predicting antigenic variants of influenza A/H3N2 viruses. Emerg Infect Dis. 2004;10(8):1385-90.
6. Webby RJ, Rossow K, Erickson G, Sims Y, Webster R. Multiple lineages of antigenically and genetically diverse influenza A virus co-circulate in the United States swine population. Virus Res. 2004;103(1-2):67-73.
7. Puzelli S, Frezza F, Fabiani C, Ansaldi F, Campitelli L, Lin YP, et al. Changes in the hemagglutinins and neuraminidases of human influenza B viruses isolated in Italy during the 2001-02, 2002-03, and 2003-04 seasons. J Med Virol. 2004;74(4):629-40.
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12. de Jong JC, Heinen PP, Loeffen WLA, van Nieuwstadt AP, Claas ECJ, Bestebroer TM, et al. Antigenic and molecular heterogeneity in recent swine influenza A(H1N1) virus isolates with possible implications for vaccination policy. Vaccine 2001;19(31):4452-64.
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14. Girard MP, Cherian T, Pervikov Y, Kieny MP. A review of vaccine research and development: human acute respiratory infections. Vaccine 2005;23(50):5708-24.
15. Redlberger M, Aberle SW, Heinz FX, Popow-Kraupp T. Dynamics of antigenic and genetic changes in the hemagglutinins of influenza A/H3N2 viruses of three consecutive seasons (2002/2003 to 2004/2005)in Austria. Vaccine 2007;25:6061-69.

 

Anschrift der Verfasserin:
Dr. Monika Redlberger
Klinisches Institut für Virologie, Medizinische Universität Wien,
A-1095 Wien, Kinderspitalgasse 15
E-Mail: monika.redlberger@meduniwien.ac.at


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