Infektionen der Haut und Weichteile

J.P. Guggenbichler
Univ.-Klinik für Kinder und Jugendliche der Universität Erlangen/Nürnberg, Deutschland


Neurodermitis als Infektionsproblem

Die atopische Dermatitis (AD) ist eine chronisch entzündliche Hauterkrankung, die in den zurückliegenden 30 Jahren einen dramatischen Anstieg der Inzidenz in der westlichen Welt erfahren hat, sodass mittlerweile nahezu 10% aller Kinder und etwa 3% aller Erwachsenen in den Industrieländern von dieser Erkrankung betroffen sind (Abbildung 10). Die Bezeichnung „atopische Dermatitis“ ist für diese Erkrankung der bevorzugte Terminus gegenüber der landläufig gebräuchlichen Bezeichnung Neurodermitis, wiewohl keine andere dermatologische Erkrankung existiert, für die ein ähnlich großes Repertoire an verschiedenen Namen geschaffen wurde. Seit 50 Jahren werden topische Corticosteroide und in schweren Fällen systemische Corticosteroide in der Behandlung eingesetzt. Die Abwägung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses zur Vermeidung von Nebenwirkungen und Langzeitschäden und eine Verbesserung der Lebensqualität der Patienten, die unter einem quälenden Juckreiz leiden, ist nach wie vor noch nicht gelöst.

Bei Erwachsenen treten meist Allergien gegen Aeroallergene wie Hausstaub, Pollen oder Tierhaar auf, während Nahrungsmittelallergien insbesondere Patienten im Säuglings- und Kleinkindalter betreffen. Am häufigsten bestehen Nahrungsmittelallergien gegen Schokolade, Milch, Ei, Nüsse, Meeresfisch, Soja und Weizen. Es handelt sich jedoch
um ein komplexes Krankheitsgeschehen mit individuellem Verlauf, einem Zusammenspiel aus genetischen Faktoren, immunologischen Veränderungen und Umwelteinflüssen, wobei auch die Psyche eine wesentliche Rolle spielt.

Klinisches Bild

Das klinische Spektrum dieser chronischen entzündlichen Hauterkrankung ist breit gefächert und reicht von einer Minimalvariante mit gelegentlichem Juckreiz und Hautrötung bis hin zu schweren erythrodermitischen Formen, bei denen nahezu die gesamte Körperoberfläche befallen ist. Typisch ist ein stark juckendes ekzematöses, bisweilen auch lichenifiziertes Exanthem, das meist im frühen Kindesalter beginnt und bis ins Erwachsenenalter persistiert. Das klinische Bild wandelt sich häufig mit dem Lebensalter der Betroffenen: Im Säuglings- und Kleinkindesalter ist meist der Kopf-Gesichts-Halsbereich von den ekzematösen Hautveränderungen betroffen, die durch das ständige Kratzen exkoriiert und superinfiziert sein können. Im Schulalter dominieren die klassischen Beugeekzeme in den Ellenbeugen, Handgelenken und Kniekehlen. Als Spätmanifestation beim Erwachsenen beobachtet man das dyshidosiforme Handekzem oder die „head and neck“-Dermatitis.

Für die Diagnose steht die Anamnese und das klinische Bild im Vordergrund sowie mögliche Nahrungsmittelallergien und -unverträglichkeiten. Laborchemisch kann durch Bestimmung des Gesamt-Serum IgE,
des Allergen-spezifischen IgE, der Pricktestung und des Atopie-Patch-
Testes eine mögliche Sensibilisierung verifiziert werden, wenn auch die Interpretation und Bewertung dieser Befunde vor allem im Säuglingsalter oft schwierig ist. Bei Verdacht auf Kontaktsensibilisierung kann man durch die Epicutantestung diagnostisch- ätiologische Hinweise erhalten.

Pathophysiologie

In den letzten Jahren konnten wesentliche Fortschritte bei der Charakterisierung der genetischen, epidemiologischen und immunologischen Mechanismen erzielt werden, die dieser komplexen Erkrankung zu Grunde liegen. Diese neuen Einsichten in die Pathophysiologie bilden die Grundlage für wesentlich verbesserte therapeutische Strategien.

Lange Zeit ist man davon ausgegangen, dass Sensibilisierung und Allergien wesentliche Bestandteile der AD sind. Seit den Arbeiten von Wüthrich in den 1980er-Jahren ist es klar, dass bei mindestens 20 bis 30% der Patienten mit AD nach Bestimmung des Allergen-spezifischen IgE und der Pricktestung keine Sensibilisierung auf Aero- und Nahrungsmittelallergene nachweisbar ist. Ähnlich wie bei Asthma bronchiale unterscheidet man daher auch bei der AD eine mit Allergie und Sensibilisierung (extrinsic AD) und eine ohne Allergisierung auftretende (intrinsic AD) Variante der Erkrankung. Verlaufsstudien zeigten, dass Kinder, die meist zuerst an der intrinsischen, d.h. nicht über Sensibilisierung initiierten Verlaufsform leiden, im Verlauf der Jahre sensibilisiert werden und in eine extrinsische Form übergehen. So können im Verlaufe mittelschwerer bis schwerer Verlaufsformen einer AD Nahrungsmittelallergene eine Verschlimmerung der Erkrankung bewirken. Auch Aeroallergene nehmen als Triggerfaktoren der AD einen hohen Stellenwert ein.

Wichtige Provokationsfaktoren, die schon lange anamnestisch als Auslöser akuter Schübe identifiziert werden, sind emotionale Faktoren und Stress. Obwohl bisher der genaue Mechanismus noch nicht gefunden wurde, konnte man beobachten, dass bestimmte Neuropeptide, die in den epidermalen Nerven in direkter Nähe zu den dendritischen Zellen gefunden werden, die Immunantwort in Richtung einer Th2-Antwort steuern, die die allergisch entzündlichen Faktoren fördern. Anderseits kann der Wegfall von bestimmten Neuropeptiden gegenregulatorische antientzündliche Mechanismen unterbinden.

Der Stress durch ständigen Juckreiz und häufiges nächtliches Erwachen ist für sich allein bereits als Faktor einer Persistenz verantwortlich.

Eine positive Familienanamnese auf AD besitzt bei der Einschätzung des Erkrankungsrisikos einen hohen Stellenwert. Identifizierung von Kandidatengenen der AD geben einen Hinweis auf eine gemeinsame genetische Prädisposition für entzündliche Hauterkrankungen. Dies deutet auch auf eine genetische Determinierung einer fehlerhaften Kontrolle einer lokalen Entzündungs- und Abwehrreaktion hin, für die in der Forschung der letzten Jahre überwältigende Hinweise gefunden wurden.

Neue Erkenntnisse zur Pathophysiologie

Die „Hygiene-Hypothese“ ist eine favorisierte Erklärung für den rasanten Anstieg der AD. Bestandteile von Bakterien können über bestimmte Rezeptoren (TOLL und TOLL-like-Receptors) des angeborenen Immunsystems eine Immuantwort auslösen, die zur Freisetzung hoher Mengen Th1-Zytokinen (Gamma- Interferon) führen. Durch die Reduktion systemischer bakterieller und viraler Infektionen in Kombination mit einer reduzierten Fähigkeit, die Th2-vermittelten Signale aufzunehmen, kommt es zu einer Abnahme des protektiven Effekts der Th1-Immunantwort zugunsten der für atopische Erkrankungen spezifischen Th2-Antwort.

Einer der wesentlichen neuen Erkenntnisse dieser Forschung beruht darin, dass die lokale Besiedelung der Haut durch diese immunologischen Änderungen gestört ist und es zu einer 100 – 1000fach höheren Inokulumdichte von Mikroorganismen auf der durch den immunologischen Trigger geschädigten Haut kommt.

Die besondere Anfälligkeit der Patienten mit AD für bakterielle Superinfektion ist bekannt. Eine der wesentlichen Gründe dafür ist der auf der Haut nachgewiesene Mangel an β-Defensinen, die Bestandteil der angeborenen Immunität sind und für eine effektive Abwehr von bakteriellen und viralen Mikroorganismen sowie Pilzen verantwortlich zeichnen. Durch das Defizit an natürlichen antimikrobiellen Abwehrmechanismen, d.h. der körpereigenen antimikrobiellen Peptide, die die Besiedelungsdichte der Haut steuern, kommt es zu einer Verschlechterung und Chronifizierung des Krankheitsverlaufes.

Von großer pathophysiologischer Relevanz sind bei der AD bakterielle Mikroorganismen, insbesondere Staphylococcus aureus. Diese Mikroorganismen bilden eine hohe Menge an Enterotoxinen, die als sog. Superantigene fungieren. Viele Patienten sensibilisieren sich gegen diese Enterotoxine und produzieren Antigen-spezifische IgE-Antikörper gegen beispielsweise Enterotoxin A, B, C und D oder TSST1 (toxic shock syndrome toxin 1). Untersuchungen zeigen, dass die Menge des gebildeten Allergen-spezifischen IgE gegen Staphylococcus aureus direkt mit der Krankheitsaktivität korreliert. Allergen-spezifisches IgE wird auch gegen Pityrosporum ovale, welcher häufig auf der Haut von Patienten mit AD nachweisbar ist, sowie Allergen-spezifisches IgE gegen Candida albicans nachgewiesen.

Diese Superantigene können regulär über Allergen-spezifische IgE-vermittelte Internalisierung an T-Zellen präsentiert werden und dort eine Antigen-spezifische T-Zellproliferation ermöglichen. Außerdem können diese Superantigene den MHC-II-TZellkomplex überbrücken und bestimmte T-Zellen auf direktem Wege unabhängig von ihrer Antigenspezifität in außerordentlich kräftigem Maße stimulieren.

Untersuchungen konnten zudem zeigen, dass diese ubiquitär vorkommenden Superantigene einen Beitrag zur Steroidresistenz von AD-Patienten leisten, da sie in der Lage sind, Glukokortikoid-Rezeptoren so zu verändern, dass diese ihre Bindungsfähigkeit verlieren.

Eine Autoreaktivität gegenüber IgE wurde seit langem bei Patienten mit AD vermutet. Inzwischen konnte eine Reihe von Autoantigenen identifiziert werden, die hauptsächlich intrazelluläre Proteine darstellen. Zu diesen zählen humane Antigene, die mit Nahrungsmittel- und Inhalationsantigenen kreuzreagieren. Diese werden durch heftiges Kratzen freigesetzt und aktivieren ihrerseits wieder Mastzellen, autoreaktive T-Zellen und möglicherweise dendritische Zellen. Dies bedeutet, dass die atopische Dermatitis zuerst bei Säugling und Kleinkind als nicht allergisches intrinsisches Ekzem beginnt und sich dann in ein extrinsisches mit exogenen Allergenen einhergehende Form entwickelt, wobei eine vermehrte Keimbesiedelung per se oder als sekundäres Allergen eine entscheidende Rolle spielt.

Die Forschung der letzten Jahre liefert den Beweis, dass wie schon vorher angenommen verschiedene fehlgesteuerte immunologische Mechanismen für die AD verantwortlich sind. Dies ist nach den neuen Erkenntnissen allerdings nur der Trigger, der eine weitergehende immunologische Fehlsteuerung auslöst, bei der die vermehrte Besiedelung der Haut mit bakteriellen und viralen Mikroorganismen sowie Pilzen die entscheidende Rolle spielt und zu akuten Exacerbationen bzw. zur Aufrechterhaltung, aber auch zur Chronifizierung des Entzündungsprozesses beiträgt.

Diese Untersuchungen liefern den Beweis, dass für die AD im Wesentlichen eine Infektionsproblematik besteht, die vor allem für die Aufrechterhaltung der entzündlichen Hautveränderungen verantwortlich ist.

Diese Beobachtungen liefern auch die Begründung, warum durch eine gezielte antimikrobielle Therapie, wie der Anwendung von lokalen Antibiotika (Fusidinsäure, Mupirocin, Tetrazyklinen) sowie Antiseptika und in Einzelfällen sogar systemischer antimikrobieller Behandlung mit Antibiotika oder Fungistatika, beispielsweise Ketokonazol, eine wesentliche Verbesserung des klinischen Bildes erzielt werden kann und diese antimikrobielle Strategie in der Zwischenzeit oft Bestandteil einer erfolgreichen Therapie wird.

In der Zusammenfassung bez. dieser neuen Erkenntnisse kann man festhalten:
Im Gegensatz zur früheren Meinung, nach der ausschließlich Allergenspezifische Mechanismen für die Hautläsionen bei der AD verantwortlich sind, sind jetzt bakterielle Mikroorganismen und Pilze vor allem für die Aufrechterhaltung der klinischen Symptomatik und Progression der Erkrankung, für die Chronifizierung und für Exacerbartion der AD verantwortlich. Therapeutische Strategien müssen sich daher in einem wesentlich vermehrten Maße auf die antimikrobielle Therapie bei der AD konzentrieren.

Therapeutische Maßnahmen

Die Behandlung der AD ist nach wie vor nicht befriedigend gelöst. Die Verabreichung von topischen Corticosteroiden ist ein Standbein der AD-Therapie. Die Limitierung der therapeutischen Möglichkeiten durch lokale und systemische Corticosteroide, die möglichen Nebenwirkungen dieser Behandlung und die Kosten-Nutzen-Relation sind aber nach wie vor nicht befriedigend geklärt.

Weitere Therapiemöglichkeiten bestehen in der Behandlung mit UVA1, PUVA oder UBV oder der Gabe von Immunsuppressiva wie Cyclosporin A, unter Inkaufnahme der bekannten Nebenwirkungen.

Basierend auf einem Mangel an essenziellen Fettsäuren wie Gamma-Linolensäure wurde die lokale oder systemische Verabreichung von z.B. Nachtkerzenöl-Präparaten empfohlen. Die Behandlungsmethode ist zwar relativ nebenwirkungsarm, der Nachweis des positiven Effektes konnte jedoch nicht erbracht werden.

Die neuen Erkenntnisse führen zu neuen Behandlungsstrategien, bei denen topische Antibiotika einen hohen Stellenwert erlangen: Tacrolimus und Pimecrolimus werden in den letzten Jahren in zunehmendem Maße als Salben in der Behandlung mit gutem Erfolg verwendet. Beide Medikamente gehören zur Gruppe der Makrolid-Antibiotika. Ob der immunmodulatorische Effekt dieser zur Klasse der Antibiotika gehörenden Medikamente oder ihre antimikrobielle Wirkung den Ausschlag gibt, bleibt zu diesem Zeitpunkt noch Spekulation. Der Nutzen in der Praxis besteht darin, dass eine frühzeitige und konsequente Behandlung das Auftreten und die Ausbreitung von ekzematösen Hautläsionen verhindern kann.

Unter diesem Gesichtspunkt kann auch die antimikrobielle „oligodynamische“ Wirkung von Silberionen gesehen werden, die zu einer wesentlichen Reduktion der um das bis zu 1000fach gesteigerten Hautflora bei Patienten mit AD führt. Die antimikrobielle Wirksamkeit von Silberionen ist seit Jahrhunderten bekannt. Freie Silberionen besitzen
ein breites antimikrobielles Spektrum gegen Gram-positive und Gramnegative Mikroorganismen und Pilze. Metallisches Silber weist eine hervorragende Gewebsverträglichkeit auf. Die systemische Toxizität ist gering und manifestiert sich als Argyrose einer harmlosen Braunfärbung der Haut, die ab einer enteralen Resorption von >2 g auftritt. Die Menge an Silber, die über eine geschädigte Haut auch bei Verwendung von großflächigen silberbeschichteten/silberimprägnierten Textilien aufgenommen wird, liegt auch bei einer Anwendung über Jahre
um das 1000fache unter diesen Konzentrationen. Die Reduktion der Hautflora durch silberimprägnierte bzw. silberbeschichtete Textilien, die weitgehend nebenwirkungsfrei ohne Belastung für den Patienten angewandt werden kann, kann als echte Bereicherung des therapeutischen Armentariums verstanden werden.


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