Behandlung der Lyme-Borreliose

G. Stanek
Institut für Hygiene und Angewandte Immunologie, Infektionsimmunologie und Mikrobiologie
Medizinische Universität Wien


Natürlicher Verlauf

Über den natürlichen Verlauf einiger der heute als Manifestation der Lyme-Borreliose bekannten Erkrankungen des Menschen wissen wir aus zahlreichen Berichten, die vor der Entdeckung der Krankheitserreger gemacht worden sind.

Das beginnt mit der Beschreibung einer „diffusen, idiopathischen Hautatrophie“ durch Alfred Buchwald aus Breslau im Jahr 1883, die bei einem 36-jährigen Patienten bereits über 16 Jahre bestanden hatte. 1902 beschrieben Herxheimer und Hartmann die Entwicklung dieser Hauterkrankung von einer frühen entzündlichen Phase in eine späte chronische und benannten das Krankheitsbild Acrodermatitis chronica atrophicans. Das gesamte Spektrum der Erscheinungen wurde dann in den Jahren danach beschrieben, nämlich Haarverlust, makuläre Atrophie (Anetoderma), sklerodermieartige Veränderungen, ulnare Bänder, fibroide Knoten und das typische Erscheinungsbild der chronisch atrophischen Haut, wie „zerknülltes Zigarettenpapier“. In den 1920er Jahren beschrieben Jessner und Ehrmann & Falkenstein, dass einige Patienten an Gelenksschmerzen litten, bevor sich die Acrodermatitis chronica atrophicans entwickelte und Jessner & Loewenstamm berichteten, dass bei mehr als 10% dieser Patienten Gelenksveränderungen vorlagen. Hanns Christian Hopf wies in den 1960er Jahren an einem großen Patientengut nach, dass die periphere Neuropathie vom distalen Typ ein Teil des klinischen Bildes bei länger bestehender Acrodermatitis chronica atrophicans ist. Er beschrieb auch Begleiterscheinungen der Acrodermatitis wie Arthritis und Arthralgien, Herzerkrankungen und zerebrale Beteiligung.

Weiter wiesen Ehrmann und Falkenstein (1925) auf eine Analogie der histologischen Veränderungen bei Syphilis und Acrodermatitis chronica atrophicans hin, die auf der großen Zahl von Plasmazellen und der Ausbreitung der entzündlichen Infiltrate entlang der perivenösen Lymphgefäße beruhte. Sie postulierten die kontinuierliche Ausbreitung des „Virus“ entlang der Gefäße sowie seine gelegentliche Ausbreitung über die Blutbahn. Wilhelm Balban aus Wien beschrieb 1910 detailliert die Entwicklung von annulären Erythemen bei drei Patienten. Und 1913 beschrieb Benjamin Lipschütz, ebenfalls aus Wien, einen Fall von „Erythema chronicum migrans“. Er beobachtete die Ausbreitung der Hautläsion, die von der Kniekehle ausging, über sieben Monate. Das Erythem erstreckte sich schließlich über den Oberschenkel und den Rücken bis zum Nacken und schwand dann spontan.

In der Abbildung 1 a-f ist die Entwicklung eines über mehr als 1 Monat „gewachsenen“ Erythema migrans dargestellt. Zwei Wochen nach einem Zeckenstich hat sich ein roter Fleck um die Stichstelle gebildet und kontinuierlich ausgedehnt, bis er nach mehr als einem Monat einen Durchmesser von mehr als 25 cm erreicht hat. Zu dem Zeitpunkt wurde die Behandlung begonnen. Die Patientin hatte unspezifische Begleiterscheinungen, die sie aber zuerst nicht mit der Hautrötung in Zusammenhang sah. Allerdings war sie nach der erfolgreichen Behandlung mit einem geeigneten Antibiotikum völlig frei von Gelenks- und Muskelschmerzen sowie Müdigkeit und Erschöpfung.

In einem anderen Fall war die Hautläsion anfänglich von Juckreiz um die Zeckenstichstelle begleitet, weshalb die Hautstelle aufgekratzt wurde. Innerhalb eines Monates entwickelte sich schließlich ein ringförmiges Erythema migrans (Abbildung 2a, b).

Im Jahr 1911 beschrieb Jean Louis Burckhardt aus Basel erstmals ein solitäres Lymphozytom, das bei einer 60-jährigen Frau als erythematöser Plaque (2 x 6 cm) über einige Wochen am Oberarm zu beobachten war.

Histologisch zeigte sich Lymphgewebe mit Keimzentren, einem Lymphknoten vergleichbar. Biberstein verwendete erstmals 1923 den Begriff Lymphozytom. Schließlich gab Bo Bäfverstedt aus Stockholm eine umfassende Darstellung von gutartigen solitären und multiplen Pseudolymphomen der Haut. Von den solitären Lymphozytomen treten zwei Drittel im Bereich des Kopfes auf, die bevorzugt an Ohrläppchen, Brustwarze, Skrotum und Vulva lokalisiert sind.

Der Schlüsselbericht zur Lyme-Neuroborreliose stammt von Garin und Bujadoux aus dem Jahr 1922. Die Autoren beschreiben den Krankheitsverlauf eines 58-jährigen Patienten, Schafzüchter von Beruf, der nach einem Zeckenstich Mitte Juni 1922 ein markantes Erythem entwickelte und dann etwa einen Monat später von heftigen Schmerzen in Beinen, Rumpf und Arm befallen wurde, begleitet von Lähmungen und Atrophie des rechten Deltamuskels. Sein Gesundheitszustand verschlechterte sich und nahm schließlich innerhalb von zweieinhalb Monaten einen Spontanverlauf mit Restdefekt, einer Bewegungseinschränkung des rechten Armes. Der Bericht ist retrospektiv die erste Schilderung des heute so genannten Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndroms. Allerdings stellten die Autoren noch keinen Zusammenhang mit dem Erythem her. Das erfolgte 1930 durch Sven Hellerström aus Stockholm, der über einen Patienten berichtete, welcher drei Monate nach dem Auftreten eines Erythema migrans eine Meningoenzephalitis entwickelte.

Im Jahr 1941 beschrieb Alfred Bannwarth aus München das Syndrom einer „Chronisch lymphozytären Meningitis mit dem klinischen Bild der Neuralgie oder Neuritis“. Er unterschied Patienten mit intensiven Nervenwurzelschmerzen, jüngere Patienten mit Fazialislähmung und Patienten mit chronisch lymphozytärer Meningitis mit zerebralen Symptomen wie starke Kopfschmerzen und Erbrechen. Gemeinsam war allen Patienten ein entzündlicher Liquor, eine lymphozytäre Pleozytose. Typisch für diese Erkrankungen war auch, dass die heftigen Nervenschmerzen besonders intensiv in der Nacht auftraten. Die Symptome dieser Meningoradikuloneuritis schwanden erst nach Wochen oder Monaten. Den kausalen Zusammenhang zwischen Zeckenstich, Erythema migrans und Meningitis hat Bannwarth allerdings nicht erkannt, sondern glaubte an einen rheumatisch-allergischen Ursprung.

Ausführlich studierten Schaltenbrand, Bammer & Schenk und Hörstrup & Ackermann in den 1960er Jahren den klinischen Verlauf und Liquor-Veränderungen bei Patienten mit dem so genannten Bannwarth-Syndrom. Auf Hörstrup & Ackermann geht die 1973 beschriebene und heute weiterhin aktuelle Bezeichnung „Meningopolyneuritis Garin-Bujadoux-Bannwarth“ zurück. Wolfgang Kristoferitsch aus Wien studierte in den späten 1970er und Anfang der 1980er Jahre ebenfalls sehr genau den Krankheitsverlauf derartiger Patienten. Die von ihm erhobenen Daten verwendete er dann, nach der Entdeckung der ursächlichen Krankheitserreger, in kontrollierten Behandlungsstudien als unbehandelte Kontrollgruppe, die den zeitlichen Ablauf im Spontanverlauf repräsentierte. Die durchschnittliche Heilungsphase der unbehandelten Lyme-Neuroborreliose beträgt etwa 25 Wochen (Kristoferitsch 1989). Abbildung 3 zeigt eindrucksvoll, wie die Schmerzsymptomatik bei der Meningopolyneuritis Garin-Bujadoux-Bannwarth das Krankheitsbild beherrscht.

Als Penicillin nach dem Zweiten Weltkrieg in allgemeine Verwendung kam, wurde es auch zur Behandlung der vorher genannten, zu dieser Zeit noch idiopathischen Erkrankungen erprobt. 1949 berichtete Niels Thyresson aus Stockholm von der sehr erfolgreichen Penicillin-Behandlung von Patienten mit Acrodermatitis chronica atrophicans. Der therapeutische Erfolg mit Penicillin machte nun klar, dass Bakterien eine ursächliche Rolle spielen müssen. Über erfolgreiche Penicillin-Behandlung von Patienten mit Erythema migrans berichtete Hollström 1951. Im Jahr 1974 beobachtete der Dermatologe Klaus Weber aus München einen Patienten mit Erythema migrans, der trotz erfolgreicher Behandlung der Hautläsion mit oralem Penicillin eine Meningitis entwickelte. Die Meningitis wurde prompt mit hohen Dosen von intravenösem Penicillin geheilt. Weber folgerte, dass ein Bakterium für das Erythema migrans und die damit verbundenen Erkrankungen verantwortlich sein muss. Weber führte Ausschlussstudien durch, die auf serologischen Testergebnissen beruhten und schloss Rickettsien, Francisellen und andere Bakterien aus und diskutierte Borrelien als wahrscheinlichste Möglichkeit. Weber, dem selbstverständlich wie den anderen Forschern dieser Zeit die Überträgerrolle von Ixodes-Zecken bestens bekannt war, hatte also das Rätsel logisch gelöst. Allerdings stand der Überprüfung ein Dogma der damaligen Akarologie im Weg, nämlich dass Schildzecken keine Borrelien tragen.


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