Der diabetische Fuß - eine
Einleitung |
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K. Irsigler
3. Med. Abt. mit Stoffwechselerkrankungen und Nephrologie und L. Boltzmann Institut fiir
Stoffwechselerkrankung und Ernährung, KR Lainz, Wien
(Vorstand: Univ.-Proj Dr. K. Irsigler) |
Schlüsselwörter:
Diabetischer Fuß, Neuropathie, Ulkus, Amputation, Osteomyelitis |
Zusammenfassung Der diabetische Fuß verursacht hohe Kosten und Belastungen für das
Gesundheitssystem. Ungefähr 20% aller Spitalsaufnahmen erfolgen bei Diabetikern wegen
eines Fußproblems. Die Prävalenz diabetischer Fußulzera liegt bei 5% -10%, und deren
Inzidenz bei 2% -7%. Hauptrisikofaktor für die Bildung eines diabetischen Fußulkus ist
die periphere sensorische Neuropathie, die gut über die Messung der Vibrationsschwelle
bestimmt werden kann. Patienten mit einer pathologisch erhöhten Vibrationsschwelle haben
ein 25fach erhöhtes Risiko, ein Fußulkus zu erleiden. Können chronische Infektionen
nicht durch Antibiotika geheilt werden und liegt weiters eine Osteomyelitis vor, so kann
eine rasche Amputation die Methode der Wahl sein. |
Key-words:
Diabetic foot, neuropathy, ulcer, amputation, osteomyelitis |
Summary The diabetic foot causes high cost and burden for the health care system,
whereas 20% of all hospitalisations in diabetic patients are due to foot related problems.
The prevalence of diabetic foot ulcers ranges from 5% to 10%, and its incidence is about
2% to 7%. The main risk factor for the development of an ulcer is peripheral sensory
neuropathy, which can be easily detected by the measurement of vibration perception
threshold. Subjects with a pathologically increased vibration perception threshold have a
25 times higher risk to ulcerate. If chronical infections cannot be cured by antibiotics
in patients with osteomyelitis, an amputation is the treatment of choice. |
Rund 10% der gesamten Gesundheitskosten fallen für die
Behandlung von Patienten, die an Diabetes mellitus leiden, an, wobei die Kosten in Zukunft
noch weiter steigen werden. Eine Schätzung der direkten Behandlungskosten von Fußulzera
beläuft sich in den USA auf $ 145 Mio. für 1986 [1]. Die ulkusbezogenen Kosten für
einen Diabetiker betragen zusätzlich $ 27.987 [2].Epidemiologische
Angaben aus den USA gehen von über acht Millionen diagnostizierten Diabetikern aus, wobei
aber wahrscheinlich weitere acht Millionen an einem undiagnostizierten Diabetes leiden.
Ungefähr 10% der Patienten erleiden Fußulzerationen, und 50.000 werden pro Jahr
amputiert [3]. Es ist uns nicht gelungen, entsprechende Zahlen für Österreich aus den
Daten des LKF zu eruieren, da diese Komplikationen ungenügend dokumentiert werden.
Fußprobleme sind für 20% aller Spitalsaufnahmen von Diabetikern
verantwortlich. Stationäre Aufnahmen von Fußpatienten verursachen in der Regel hohe
Kosten, da ein septischer Fuß häufig zu akutem Nierenversagen führt, der Patient
intensivpflichtig wird, und eine allfällige chirurgische Intervention mit begleitender
Nachversorgung weitere Kosten nach sich zieht. Diabetiker haben 20mal häufiger eine
arterielle Verschlußkrankheit der unteren Extremitäten als Nichtdiabetiker, 17mal
häufiger eine Gangrän und werden 15mal häufiger an den Beinen oder Füßen amputiert.
Nach einer allfälligen Amputation heilen bei einem Viertel der Patienten die Wunden
schlecht. Bei 40% -55% führt dies zu weiteren Amputationen innerhalb der nächsten fünf
Jahre, wobei die Überlebensrate nach fünf Jahren nur 40% beträgt. Damit präsentiert
sich das diabetische Fußproblem schlechter als eine onkologische Situation, verbunden mit
allen sozioökonomischen, familiären, personellen und vor allem pekuniären Konsequenzen.
Leider liegen nur wenige Angaben zur Epidemiologie des diabetischen
Fußes vor, wobei die einzelnen Angaben nur schwer miteinander vergleichbar sind
(untersuchtes Kollektiv, teilweise Multicenter-Studien). Die Prävalenz diabetischer
Ulzera liegt mit einer Ausnahme zwischen fünf und zehn Prozent, die Inzidenz zwischen ca.
2% und 7% [2,4-11].
Im KH Lainz haben wir bei jährlich untersuchten und gut betreuten
Typ-2-Diabetikern eine jährliche Inzidenz von Erstulzerationen mit 1,6% erhoben [12].
Diese auf den ersten Blick niedrige Zahl bedeutet aber, daß in dem von uns betreuten
Typ-2-Kollektiv ca. mit 15 -30 Erstulzerationen pro Jahr zu rechnen ist.
Der wesentlichste unabhängige Risikofaktor für ein diabetisches
Fußulkus ist eine sensorische Neuropathie [11]. Patienten mit einer pathologisch
erhöhten Vibrationsschwelle (> 25 Volt, Biothesiometer) haben ein 25fach höheres
Risiko, ein Ulkus zu erleiden als Patienten mit normalem peripheren Empfindungsvermögen
[12]. Das relative Risiko für einen pathologisch erhöhten Druck im Vorfußbereich und
für täglichen Alkoholgenuß waren 6,3 und 5,1. Eine Kaplan-Meier-Analyse zeigt sehr
schön, um wieviel größer die Inzidenzrate von Erstulzerationen innerhalb der
Risikopopulation mit einer pathologischen Vibrationsschwelle im Vergleich zur
Nicht-Risikogruppe ist (Tab. 1) [12].
Tabelle 1: Vergleich der
Erstulzerationen bei Typ-2-Diabetikern mit und ohne sensorischer Neuropathie |
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Man kann diese Risikopatienten mit simplen Untersuchungsmethoden
erkennen, und wahrscheinlich ist die Stimmgabel (Rydel-Seiffersche Stimmgabel mit 128 Hz)
gleich viel wert wie das Biothesiometer, nur läßt sich das zweitere leichter
quantifizieren und dürfte in der Routine eine höhere Reproduzierbarkeit haben. Es ist
ein Irrtum zu glauben, daß primär periphere Durchblutungsstörungen die Ursache von
Fußulzera sind. Kürzlich wurde eine kritische Triade von Risikofaktoren, bestehend aus
Neuropathie, kleineren Fußverletzungen und Fußdeformitäten, ausgemacht, die bei über
63% der Patienten mit Ulzerationen anzutreffen war. Die häufigste singuläre Komponente
war die periphere Neuropathie, die bei 78% der Patienten diagnostiziert worden ist [13].
Neben der Neuropathie liegen häufig strukturelle Probleme vor, die
mit einer Erhöhung des plantaren Drucks verbunden sind. Die sich an diesen Stellen
bildenden dicken Hornhautschwielen brechen leicht auf und stellen somit einen wesentlichen
Punkt in der Ulkusgenese dar. Auch bei funktionellen Abnormitäten, HaIlux valgus oder
anderen Fehlstellungen liegt ein hohes Ulkusrisiko vor [14].
Weiters neigen Diabetiker dazu, zu enge Schuhe zu kaufen. Durch die
Neuropathie vermittelt erst ein wesentlich zu enger Schuh ein richtiges PaBgefuhl des
Schuhwerkes. Patienten kaufen daher oft ihre Schuhe 1 bis 2 Nummern zu klein. Der dadurch
verursachte mechanische Stress (Druck und Reibung) ist oft der Auslöser fur laterale
Ulzerationen. Natürlich ist auch der Lebensstil der Patienten mit den daraus
resultierenden metabolischen Faktoren ganz entscheidend.
Aufgrund der Verteilung der Risikofaktoren sollte man das eigene
Krankengut zumindest einmal jährlich einer ausführlichen Untersuchung unterziehen. Die
Füße sollten zumindest vierteljährlich inspiziert werden, und ein Patient der
Risikogruppe muß engmaschiger kontrolliert werden. Bei einem Patienten, der praktisch
keines dieser Risiken hat, genügen seltenere Kontrollen. Boulton hat dazu klare
Empfehlungen abgegeben [14]. Wenn Sie einen Diabetiker sehen, lassen Sie ihn die Schuhe
ausziehen und untersuchen Sie seine Füße. Oft erleidet der Patient kleinere Fissuren an
den Füßen, die entweder durch eine rissige, trockene Haut, oder durch mykotische
Infektionen verursacht sein können. Diese Fissuren stellen Eintrittsstellen für
bakterielle Invasionen dar.
Gelegentlich erkennt man auch ohne Untersuchung die
Schmerzunempfindlichkeit der Patienten.
Zum Beispiel kam ein Dachdecker in meine
Ordination, der eine tiefe Verletzung an seiner Fußsohle hatte, und diese nicht gespürt
und bemerkt hatte. Nachdem ich den Schuh des Patienten untersucht hatte, bemerkte ich
einen Vierkantnagel, der zwei Zentimeter in den Schuhinnenraum hinein reichte. Mit diesem
Nagel ging der Dachdecker einige Tage, ohne ihn wahrzunehmen. Bei Patienten mit einer so
schweren sensorischen Neuropathie können kleinere chirurgische Eingriffe meist ohne
Lokalanästhesie oder Allgemeinnarkose durchgeführt werden. Liegt
eine scheinbar kleine ulzeröse und chronische Läsion vor, wie hier an einer Zehe, dann
stellt sich die Frage, ob der Patient an einer Osteomyelitis leidet (Abb.1).
Zur Diagnose benötigt man eigentlich nur eine Metallsonde. Wenn man
mit der Metallsonde bis an den Knochen heran fahren kann, dann liegt eine Osteomyelitis
vor. Im Röntgen ist die Sonde bereits am Knochen zu sehen (Abb. 2). |
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Wir haben diese Zehe abgenommen, weil
das scheinbar kleine Interdigitalulkus schon monatelang nicht abgeheilt ist, und immer
Ausgangspunkt für großräumige Infektionen in den Mittelfuß hinein, mit eventueller
Amputation des Fußes sein kann. Im histologischen Bild ist, anders als im Röntgen, die
Osteomyelitis natürlich im Knochen zu erkennen (Abb. 3). |
Das eigentliche Problem in der Behandlung infizierter Fußulzera ist
die antibiotische. Wenn die Sanierung gelingt, kann eine Amputation umgangen werden, wenn
sie nicht gelingt, muß rechtzeitig amputiert werden. |
Literatur: 1. Huse D.M., Oster G., Killen A.R., Lacey M.J., Colditz G.A.: "The
economic costs of non-insulin-dependent diabetes mellitus." Jama 262 (1989) 2.708.
2. Ramsey S.D., Newton K., Blough D., McCulloch D.K., Sandhu N.,
Reiber G. E., Wagner E. H.: "Incidence, outcomes, and cost of foot ulcers in patients
with diabetes." Diabetes Care 22 (1999) 382.
3. Meeting of the American Diabetes Association, President's
lecture, Chicago 1998.
4. Kumar S., Ashe H. A., Parnell L.N., Fernando D.J., Tsigos C.,
Young R.J., Ward J.D., Boulton A.J.: " The prevalence of foot ulceration and its
correlates in type 2 diabetic patients: a population-based study." Diabet. Med. 11
(1994) 480.
5. De Sonnaville J.J., Colly L.P., Wijkel D., Heine R.J.: "The
prevalence and deterrninants of foot ulceration in type II diabetic patients in a primary
health care setting." Diabetes Res. Clin. Pract. 35 (1997) 149.
6. Neil H.A., Thompson A.V, Thorogood M., Fowler G.H., Mann J.I.:
"Diabetes in the elderly: the Oxford Community Diabetes Study." Diabet. Med. 6
(1989) 608.
7. Walters D.P., Gatling W, Mullee M.A., Hill R.D.: " The
distribution and severity of diabetic foot disease: a community study with comparison to a
non-diabetic group." Diabet. Med. 9 (1992) 354.
8. Moss S.E., Klein R., Klein B.E.: "The prevalence and
incidence of lower extremity amputation in a diabetic population." Arch. Intern. Med.
152 (1992)610.
9. Borssen B., Bergenheim T., Lithner F.: " The epidemiology of
foot lesions in diabetic patients aged 15-50 years." Diabet. Med. 7 (1990) 438.
10. Abbott C.A., Vileikyte L., Williamson S., Carrington A.L.,
Boulton A.J.M.: "Multicenter study of the incidence of and predictive risk factors
for diabetic neuropathic foot ulceration." Diabetes Care 21 (1998) 1.071.
11. Young M.J., Breddy J.L., Veves A., Boulton A.J.: "The
prediction of diabetic neuropathic foot ulceration using vibration perception thresholds.
A prospective study." Diabetes Care 17 (1994) 557.
12. Kästenbauer T., Sokol G., Sauseng S., Auinger M., Irsigler K.:
"Incidence of and predictors for foot ulceration in newly diagnosed and long-standing
Type II diabetes. A prospective study in patients without previous foot lesions."
Diabetologia, submitted for publication (1999).
13. Reiber G.E., Vileikyte L., Boyko E.J., del Aguila M., Smith
D.G., Lavery L.A., Boulton A.J.: "Causal pathways for incident lower-extremity ulcers
in patients with diabetes from two settings." Diabetes Care 22 (1999) 157.
14. Boulton A.J.M.: "Meeting of the European Association for
the Study of Diabetes." Vienna 1996. |
Anschrift des Verfassers:
Univ.-Prof. Dr. K. Irsigler
3. Med. Abteilung mit Stoffwechselerkrankungen und Nephrologie,
Krankenhaus Lainz
A-1130 Wien, Wolkersbergenstraße 1 |
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