Das diabetische Fußsyndrom

T. Pieber
Med. Univ.-Klinik, Diabetes und Stoffwechsel, Graz
(Vorstand: Univ.-Prof. Dr. G. J. Krejs)

Schlüsselwörter
Zusammenfassung
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Summary
Einleitung

Schlüsselwörter:
Diabetisches Fußsyndrom, Polyneuropathie, periphere arterielle Verschlußkrankheit, Infektion, Amputation

 

Zusammenfassung

Polyneuropathie, periphere arterielle Verschlußkrankheit und Infektion sind die wesentlichen Ursachen für das diabetische Fußsyndrom. Durch seine hohe Prävalenz und durch die häufig durchgeführten Amputationen stellt es ein gesundheitspolitisches Problem ersten Ranges dar. Ein echtes interdisziplinäres Vorgehen unter Beachtung der Pathophysiologie könnte die Prognose für die Betroffenen deutlich verbessem.

 

Key-words:
Diabetic foot syndrome, polyneuropathy, peripheral arterial occlusive disease, infection, amputation

 

Summary

Polyneuropathy, peripheral arterial occlusive disease and infection are the main causes of diabetic foot syndrome. The latter is a major medical challenge as it occurs so frequently and so often requires amputation. True interdisciplinary cooperation and attention to the pathophysiology could significantly improve the prognosis for the affected individual.



Einleitung

Das diabetische Fußsyndrom ist epidemiologisch und klinisch betrachtet eine sehr wichtige Diagnose bei Patienten mit Diabetes mellitus. Durch die Folgen des nicht rechtzeitig diagnostizierten und unzureichend behandelten "diabetischen Fußes" entstehen durch den Verlust der unteren Extremität bis zum Oberschenkel hin großes menschliches Leid und hohe medizinische Behandlungskosten. Alle Bemühungen müssen daher darauf zielen, die Häufigkeit von Amputationen bei Patienten mit Diabetes mellitus zu reduzieren, wie es auch von der St.-Vincent-Deklaration - WHO-Empfehlung - gefordert wird. Das Verständnis der Pathophysiologie, der Diagnostik und der Therapie des diabetischen Fußsyndroms können also zu einer dramatischen Verbesserung der Versorgung unserer Diabetiker beitragen.

Wie entsteht das diabetische Fußsyndrom?
In zumindest zwei Drittel der Fälle ist als ursächlicher Grund für das Auftreten des diabetischen Fußsyndroms die Neuropathie anzusehen. Die Neuropathie beginnt an den längsten Nervenfasern des Körpers, also an jenen sensomotorischen Fasern, die die Großzehen versorgen. Mit dem Fortschreiten der Schädigung breitet sich die Neuropathie aus, d.h. sie wandert in Richtung Körperzentrum. In weiterer Folge resultiert die klassische socken- und handschuhförmige Ausprägungsform dieser sensomotorischen diabetischen Neuropathie. Die Schädigung der sensorischen Fasern führt vor allem zu einem Verlust der Tiefensensibilität, der Schmerz- und der Temperatursensibilität. Daraus entstehen die von den Patienten beschriebenen Symptome wie Kältegefühl (oft fehlinterpretiert als Mangeldurchblutung), Gefühl der Taubheit und der Gefühllosigkeit. Zusätzlich können typischerweise in Ruhe oder in der Nacht Parästhesien wie Kribbeln, Ameisenlaufen oder stechende Schmerzen oder Muskelkrämpfe auftreten. Die Schädigung der motorischen Nervenfasern führt zu Muskelatrophien und Veränderungen des Fußskelettes wie z. B. die Krallenzehenbildung. Die gleichzeitig auftretende autonome Neuropathie irn Bereich des peripheren Sympathikussystems aggraviert die Probleme durch die Reduktion des als Polsterung dienenden subkutanen Fettgewebes, durch Verlust der Schweißsekretion und durch eine erhöhte Durchblutung des Fußskelettes (Verlust der autonomen Gefäßregulation) mit entsprechenden osteoporotischen Veränderungen des Fußskelettes.

Als Folge aller dieser neurologischen Veränderungen kommt es durch atypische Druckbelastung zum Auftreten von Druckstellen. Ulzerationen an diesen Stellen führen dann zum diabetischen Fußsyndrom. Andere Auslöser des Fußsyndroms sind Verletzungen durch falsche Nagelpflege, zu enge oder zu kleine Schuhe, oder durch Verbrennungen oder Verbrühungen. Dabei spielt der Verlust des Schmerzes eine entscheidende Rolle: Der Betroffene spürt die oft kleine Verletzung nicht und bagatellisiert sie daher. Fehlende Wundversorgung oder weitere Druckbelastung führen dann zu chronischen Wunden mit entsprechendem Infektionsrisiko an diesen Füßen. Die Prädilektionsstellen für das diabetische Fußsyndrom sind daher klassische Druckpunkte am Fuß, also jene Punkte, an denen der Fuß das Gewicht des Körpers trägt, wie am Großzehenballen, am Kleinzehenballen und an der Großzehe selbst.

Bei der klinischen Untersuchung stellt sich der neuropathische Fuß wie folgt dar: Der Fuß ist warm, rosig und gut durchblutet, da primär keine Durchblutungsstörung besteht und da auch die oft zitierte Mikroangiopathie in der Pathophysiologie des diabetischen Fußsyndroms keine Rolle spielt. Ein sehr einfacher klinischer Test ist die Überprüfung des Vibrationsempfindens mit einer in Achtel graduierten Stimmgabel. Diese Methode ermöglicht es innerhalb kurzer Zeit festzustellen, ob eine relevante Neuropathie vorliegt. Weitere neuropathische Veränderungen sind auch an der Inspektion zu erkennen. Die Polyneuropathie führt zu einer trockenen und rissigen Haut, die an Druckstellen zu Hyperkeratosen neigt. Diese Hyperkeratosen können wie ein unverrückbarer Stein auf das darunterliegende Gewebe drücken und so zu Drucknekrosen und Ulzerationen führen (Abb. 1,2, 3).

Abbildung 1

Abbildung 2

Abbildung 3

Wie behandelt man eine einfache neuropathische Läsion?
Das wichtigste dabei ist eine Verminderung des pathologischen Drucks durch eine entsprechende Druckentlastung, zum Beispiel durch einen Vorfußentlastungsschuh, durch Bettruhe, durch Verordnung von Krücken oder Rollstuhl, eventuell auch durch einen Gipsverband. So versorgt, heilen zwei Drittel dieser neuropathischen Läsionen in kurzer Zeit wieder ab. Wenn Keime in die Läsion eintreten, so gelangen diese Bakterien in ein für sie ideales Milieu. Sie können sich im Weichteil relativ rasch ausbreiten und es kann zu Wundinfektionen kommen. Im schwersten Fall entsteht eine Weichteilphlegmone, die, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt wird, sogar einen lebensbedrohlichen Verlauf nehmen kann (Abb. 4). Wenn sich die Infektion bis in den Knochen ausbreitet, kommt es zunächst zu einer akuten Osteitis und im weiteren Verlauf zu einer chronischen Osteomyelitis.

Abbildung 4

Eine rechtzeitige Diagnose einer Osteitis oder einer Osteomyelitis ist daher wichtig, da bei einer Chronifizierung eine Resektion des Knochens oder manchmal auch eine Amputation des Knochens notwendig wird. Eine rechtzeitig durchgeführte systemische Antibiotikatherapie soll daher in Betracht gezogen werden.

Die Weichteilinfektion wird durch die klassischen Zeichen wie Rötung, Schwellung und Ödembildung sowie Eiter und Wundsekret erkannt. Bei einer Infektion dieser Art wird durch einen tiefen Wundabstrich oder mit einer Punktionsnadel eine tiefe Gewebeprobe entnommen, um den Keim zu identifizieren. Durch die Neuropathie ist diese Methode für die Patienten schmerzfrei. Bei Verdacht auf Osteomyelitis muß zunächst ein Fußskelettröntgen gemacht werden. Dieses Fußskelettröntgen ersetzt jedoch nicht eine klinische Untersuchung. Eine Stahlsonde, die bis zum Knochen reicht, ist beweisend für das Vorliegen einer Osteomyelitis. Die endgültige Diagnose wird oft mit der Magnetresonanzuntersuchung (MRI) gestellt, allerdings ist diese Methode noch nicht überall verfügbar.

Wenn die lokale Osteoporose im Vordergrund steht, kann es zu massiven Veränderungen des Fußskelettes kommen. Durch die atypische Belastung und die fehlende Schmerzempfindung kommt es zu Mikrofrakturen, die bei einer sorgfältigen Fußskelettröntgenuntersuchung erkannt werden können. Durch die fehlende Schmerzwahrnehmung wird dieser Fuß weiter belastet, durch die Frakturen entsteht eine massive Entzündung, die zu einer weiteren Verschlechterung der lokalen Osteoporose führt. Oft kommt es zu einem Einbruch und zu schwerwiegenden Veränderungen des Fußskeletts (Abb. 5). Diese Veränderungen werden als Charcot-Fuß bezeichnet, die therapeutisch nach wie vor ein großes Problem darstellen. Wichtig ist die absolute Ruhigstellung des Fußes, die bis zur Abheilung der Frakturen beibehalten werden muß. Sehr oft kommt es zu massiv entstellenden Veränderungen des Fußskelettes, die eine orthopädische Schuhversorgung extrem schwierig machen. Durch die häufigen Rezidive des Charcot-Fußes kann es zu langfristigen Behinderungen kommen.

Abbildung 5

Abbildung 6

Abbildung 7

Die peripher arterielle Mangeldurchblutung (pa VK) spielt als klassische Makroangiopathie bei ca. 1/3 der Patienten mit einem diabetischen Fußsyndrom eine Rolle. Wichtig ist, darauf hinzuweisen, daß es sich bei dieser Angiopathie um eine Makroangiopathie handelt. Die immer wieder zur Diskussion gestellte Mikroangiopathie des diabetischen Fußes spielt nach derzeitigem Wissensstand keine Rolle in der Entstehung des Fußsyndroms. Hypertonie, Rauchen und Dyslipidämie verstärken das Risiko für diese makrovaskulären Veränderungen. Klinisch zeigt sich die peripher arterielle Mangeldurchblutung durch einen kühlen, schlecht durchbluteten Fuß, der blaß ist und auch livide verfärbt sein kann. Die klassische Symptomatik der Claudicatio intermittens und der Ruheschmerz können bei fortgeschrittenem Stadium allerdings fehlen, da praktisch immer gleichzeitig eine Neuropathie mit einem Verlust der Schmerzempfindung entsteht. Bei der Palpation der Fußpulse findet man aufgrund der höhersitzenden Stenosen meist keine oder nur sehr schwache Fußpulse. Kommt es zu einer relevanten Mangeldurchblutung, entwickeln sich im Rahmen der Makroangiopathie klassischerweise akrale Läsionen (Abb. 6, 7).

Die Makroangiopathie bei Diabetikern unterscheidet sich von jener der Nichtdiabetiker dadurch, daß es zu vielfachen Verschlüssen in mehreren Etagen sowie zu einer rascheren Progredienz kommen kann. Diese Mangeldurchblutung erhöht das Risiko für die Amputation des Fußes stark, vor allem wenn eine Mischform von Mangeldurchblutung und Neuropathie besteht. Ca. 10% der Patienten sind davon betroffen, auch bei optimierter Therapie besteht ein hohes Amputationsrisiko.

 

Tabelle: Differentialdiagnose

Differentialdiagnose
neuropathischer / ischämischer diabetischer Fuß

neuropathisch / infiziert

ischämisch

  Ulkuslokalisation an druckexponierten Stellen:
plantar, Fußrand und Zwischenzehenraum
akrale Nekrosen
(Zehen und  Ferse)
-
  Haut trocken, warm, rosig, rissig kalt, blaß-livide
-
  Gewebe diskretes Ödem, bei Infektion starkes Ödem artrophisch
-
  Fußpulse tastbar schwach bzw. aufgehoben
-
  Zehen Fehlstellung (Hammer- und Krallenzehen)   -
-
  Nägel eingewachsene Nägel, subungale Blutung,
Mykose
deformiert, verdickt
-
  Sensorik Schmerz-, Druck-, Vibrations- und Temperatur-
empfindung eingeschränkt oder aufgehoben
Schmerzen bei Belastung,
erst später in Ruhe

Therapeutisch muß bei einer Mangeldurchblutung eine Revaskularisierung angestrebt werden. Hier stehen entweder die interventionell angiologischen Maßnahmen wie die perkutane transluminale Angioplastie (PTA) oder ein anderes modernes Verfahren (STENT) zur Verfügung, um die Durchblutung zu verbessem. Aufgrund der zahlreichen Stenosen muß in vielen Fällen gefäßchirurgisch interveniert werden. Die Möglichkeiten der Bypass-Operation reichen vom iliofemoralen Bypass bis zum pedopedalen Bypass, der schon mikrochirurgische Fertigkeiten verlangt.

Die interdisziplinäre Zusammenarbeit stellt für die erfolgreiche Behandlung des diabetischen Fußsyndroms eine "Conditio sine qua non" dar. Die Integration der niedergelassenen Ärzte, der Hauskrankenpflege und der Angehörigen ermöglicht die rechtzeitige Entdeckung von Patienten mit hohem Risiko und die Diagnose von frühzeitigen Veränderungen. Die regelmäßige Fußuntersuchung, bei niederem Risiko zumindest einmal jährlich, bei höherem Risiko öfters, stellt daher eine entscheidende Säule in der Prophylaxe dar. Die Internisten und Diabetologen sind aufgerufen, für eine gute Stoffwechseleinstellung und eine Behandlung der Begleiterkrankungen und der weiteren Risikofaktoren zu sorgen. In der Diagnostik ist die Zusammenarbeit mit der Radiologie unumgänglich. Therapeutisch sind die interventionellen Angiologen bzw. die gefäßchirurgische Kooperation vor allem bei peripher arterieller Mangeldurchblutung notwendig. Bei einer Mangeldurchblutung ist die Revaskularisierung für den therapeutischen Erfolg unumgänglich.

Bei Infektionen ist die Diagnostik und der Therapievorschlag der Mikrobiologen erforderlich. Die septische Chirurgie ist bei Weichteilphlegmonen und vor allem bei infektiöser Mitbeteiligung der Knochen gefragt, wobei die chirurgische Intervention sich nicht primär auf die Amputation, sondern auf die fußerhaltende Operationstechnik konzentrieren soll. Schließlich ist eine gute und sorgfältige orthopädische Schuhversorgung durch einen orthopädischen Schuhmacher (Abb. 8) notwendig, um die hohe Rezidivrate senken zu können.

Abbildung 8

 

Literatur beim Verfasser

 

Anschrift des Verfassers:
Univ.-Prof. Dr. T. Pieber
Med. Univ.-Klinik, Diabetes und Stoffwechsel, Graz
A-8036 Graz, Auenbruggerplatz 15

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