EinleitungDas
diabetische Fußsyndrom ist epidemiologisch und klinisch betrachtet eine sehr wichtige
Diagnose bei Patienten mit Diabetes mellitus. Durch die Folgen des nicht rechtzeitig
diagnostizierten und unzureichend behandelten "diabetischen Fußes" entstehen
durch den Verlust der unteren Extremität bis zum Oberschenkel hin großes menschliches
Leid und hohe medizinische Behandlungskosten. Alle Bemühungen müssen daher darauf
zielen, die Häufigkeit von Amputationen bei Patienten mit Diabetes mellitus zu
reduzieren, wie es auch von der St.-Vincent-Deklaration - WHO-Empfehlung - gefordert wird.
Das Verständnis der Pathophysiologie, der Diagnostik und der Therapie des diabetischen
Fußsyndroms können also zu einer dramatischen Verbesserung der Versorgung unserer
Diabetiker beitragen.
Wie entsteht das diabetische Fußsyndrom?
In zumindest zwei Drittel der Fälle ist als ursächlicher Grund für das Auftreten des
diabetischen Fußsyndroms die Neuropathie anzusehen. Die Neuropathie
beginnt an den längsten Nervenfasern des Körpers, also an jenen sensomotorischen Fasern,
die die Großzehen versorgen. Mit dem Fortschreiten der Schädigung breitet sich die
Neuropathie aus, d.h. sie wandert in Richtung Körperzentrum. In weiterer Folge resultiert
die klassische socken- und handschuhförmige Ausprägungsform dieser sensomotorischen
diabetischen Neuropathie. Die Schädigung der sensorischen Fasern führt vor allem zu
einem Verlust der Tiefensensibilität, der Schmerz- und der Temperatursensibilität.
Daraus entstehen die von den Patienten beschriebenen Symptome wie Kältegefühl (oft
fehlinterpretiert als Mangeldurchblutung), Gefühl der Taubheit und der Gefühllosigkeit.
Zusätzlich können typischerweise in Ruhe oder in der Nacht Parästhesien wie Kribbeln,
Ameisenlaufen oder stechende Schmerzen oder Muskelkrämpfe auftreten. Die Schädigung der
motorischen Nervenfasern führt zu Muskelatrophien und Veränderungen des Fußskelettes
wie z. B. die Krallenzehenbildung. Die gleichzeitig auftretende autonome Neuropathie irn
Bereich des peripheren Sympathikussystems aggraviert die Probleme durch die Reduktion des
als Polsterung dienenden subkutanen Fettgewebes, durch Verlust der Schweißsekretion und
durch eine erhöhte Durchblutung des Fußskelettes (Verlust der autonomen
Gefäßregulation) mit entsprechenden osteoporotischen Veränderungen des Fußskelettes.
Als Folge aller dieser neurologischen Veränderungen kommt es durch
atypische Druckbelastung zum Auftreten von Druckstellen. Ulzerationen an diesen Stellen
führen dann zum diabetischen Fußsyndrom. Andere Auslöser des Fußsyndroms sind
Verletzungen durch falsche Nagelpflege, zu enge oder zu kleine Schuhe, oder durch
Verbrennungen oder Verbrühungen. Dabei spielt der Verlust des Schmerzes eine
entscheidende Rolle: Der Betroffene spürt die oft kleine Verletzung nicht und
bagatellisiert sie daher. Fehlende Wundversorgung oder weitere Druckbelastung führen dann
zu chronischen Wunden mit entsprechendem Infektionsrisiko an diesen Füßen. Die
Prädilektionsstellen für das diabetische Fußsyndrom sind daher klassische Druckpunkte
am Fuß, also jene Punkte, an denen der Fuß das Gewicht des Körpers trägt, wie am
Großzehenballen, am Kleinzehenballen und an der Großzehe selbst.
Bei der klinischen Untersuchung stellt sich der neuropathische Fuß
wie folgt dar: Der Fuß ist warm, rosig und gut durchblutet, da primär keine
Durchblutungsstörung besteht und da auch die oft zitierte Mikroangiopathie in der
Pathophysiologie des diabetischen Fußsyndroms keine Rolle spielt. Ein sehr einfacher
klinischer Test ist die Überprüfung des Vibrationsempfindens mit einer in Achtel
graduierten Stimmgabel. Diese Methode ermöglicht es innerhalb kurzer Zeit festzustellen,
ob eine relevante Neuropathie vorliegt. Weitere neuropathische Veränderungen sind auch an
der Inspektion zu erkennen. Die Polyneuropathie führt zu einer trockenen und rissigen
Haut, die an Druckstellen zu Hyperkeratosen neigt. Diese Hyperkeratosen können wie ein
unverrückbarer Stein auf das darunterliegende Gewebe drücken und so zu Drucknekrosen und
Ulzerationen führen (Abb. 1,2, 3).
Wie behandelt man eine einfache neuropathische Läsion?
Das wichtigste dabei ist eine Verminderung des pathologischen Drucks durch eine
entsprechende Druckentlastung, zum Beispiel durch einen
Vorfußentlastungsschuh, durch Bettruhe, durch Verordnung von Krücken oder Rollstuhl,
eventuell auch durch einen Gipsverband. So versorgt, heilen zwei Drittel dieser
neuropathischen Läsionen in kurzer Zeit wieder ab. Wenn Keime in die Läsion eintreten,
so gelangen diese Bakterien in ein für sie ideales Milieu. Sie können sich im Weichteil
relativ rasch ausbreiten und es kann zu Wundinfektionen kommen. Im schwersten Fall
entsteht eine Weichteilphlegmone, die, wenn sie nicht rechtzeitig behandelt wird, sogar
einen lebensbedrohlichen Verlauf nehmen kann (Abb. 4). Wenn sich die Infektion bis in den
Knochen ausbreitet, kommt es zunächst zu einer akuten Osteitis und im weiteren Verlauf zu
einer chronischen Osteomyelitis. |
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Eine rechtzeitige Diagnose einer Osteitis oder einer
Osteomyelitis ist daher wichtig, da bei einer Chronifizierung eine Resektion des Knochens
oder manchmal auch eine Amputation des Knochens notwendig wird. Eine rechtzeitig
durchgeführte systemische Antibiotikatherapie soll daher in Betracht gezogen werden. |
Die Weichteilinfektion wird durch die klassischen Zeichen wie
Rötung, Schwellung und Ödembildung sowie Eiter und Wundsekret erkannt. Bei einer
Infektion dieser Art wird durch einen tiefen Wundabstrich oder mit einer Punktionsnadel
eine tiefe Gewebeprobe entnommen, um den Keim zu identifizieren. Durch die Neuropathie ist
diese Methode für die Patienten schmerzfrei. Bei Verdacht auf Osteomyelitis muß
zunächst ein Fußskelettröntgen gemacht werden. Dieses Fußskelettröntgen ersetzt
jedoch nicht eine klinische Untersuchung. Eine Stahlsonde, die bis zum Knochen reicht, ist
beweisend für das Vorliegen einer Osteomyelitis. Die endgültige Diagnose wird oft mit
der Magnetresonanzuntersuchung (MRI) gestellt, allerdings ist diese Methode noch nicht
überall verfügbar.
Wenn die lokale Osteoporose im Vordergrund steht, kann
es zu massiven Veränderungen des Fußskelettes kommen. Durch die atypische Belastung und
die fehlende Schmerzempfindung kommt es zu Mikrofrakturen, die bei einer sorgfältigen
Fußskelettröntgenuntersuchung erkannt werden können. Durch die fehlende
Schmerzwahrnehmung wird dieser Fuß weiter belastet, durch die Frakturen entsteht eine
massive Entzündung, die zu einer weiteren Verschlechterung der lokalen Osteoporose
führt. Oft kommt es zu einem Einbruch und zu schwerwiegenden Veränderungen des
Fußskeletts (Abb. 5). Diese Veränderungen werden als Charcot-Fuß bezeichnet, die
therapeutisch nach wie vor ein großes Problem darstellen. Wichtig ist die absolute
Ruhigstellung des Fußes, die bis zur Abheilung der Frakturen beibehalten werden muß.
Sehr oft kommt es zu massiv entstellenden Veränderungen des Fußskelettes, die eine
orthopädische Schuhversorgung extrem schwierig machen. Durch die häufigen Rezidive des
Charcot-Fußes kann es zu langfristigen Behinderungen kommen. |
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Die peripher arterielle Mangeldurchblutung
(pa VK) spielt als klassische Makroangiopathie bei ca. 1/3 der Patienten mit einem
diabetischen Fußsyndrom eine Rolle. Wichtig ist, darauf hinzuweisen, daß es sich bei
dieser Angiopathie um eine Makroangiopathie handelt. Die immer wieder zur Diskussion
gestellte Mikroangiopathie des diabetischen Fußes spielt nach derzeitigem Wissensstand
keine Rolle in der Entstehung des Fußsyndroms. Hypertonie, Rauchen und Dyslipidämie
verstärken das Risiko für diese makrovaskulären Veränderungen. Klinisch zeigt sich die
peripher arterielle Mangeldurchblutung durch einen kühlen, schlecht durchbluteten Fuß,
der blaß ist und auch livide verfärbt sein kann. Die klassische Symptomatik der
Claudicatio intermittens und der Ruheschmerz können bei fortgeschrittenem Stadium
allerdings fehlen, da praktisch immer gleichzeitig eine Neuropathie mit einem Verlust der
Schmerzempfindung entsteht. Bei der Palpation der Fußpulse findet man aufgrund der
höhersitzenden Stenosen meist keine oder nur sehr schwache Fußpulse. Kommt es zu einer
relevanten Mangeldurchblutung, entwickeln sich im Rahmen der Makroangiopathie
klassischerweise akrale Läsionen (Abb. 6, 7). Die
Makroangiopathie bei Diabetikern unterscheidet sich von jener der Nichtdiabetiker dadurch,
daß es zu vielfachen Verschlüssen in mehreren Etagen sowie zu einer rascheren
Progredienz kommen kann. Diese Mangeldurchblutung erhöht das Risiko für die Amputation
des Fußes stark, vor allem wenn eine Mischform von Mangeldurchblutung und Neuropathie
besteht. Ca. 10% der Patienten sind davon betroffen, auch bei optimierter Therapie besteht
ein hohes Amputationsrisiko.
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Tabelle: Differentialdiagnose |
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Differentialdiagnose
neuropathischer / ischämischer diabetischer Fuß
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neuropathisch / infiziert |
ischämisch |
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Ulkuslokalisation |
an druckexponierten Stellen:
plantar, Fußrand und Zwischenzehenraum |
akrale Nekrosen
(Zehen und Ferse) |
- |
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Haut |
trocken, warm, rosig, rissig |
kalt, blaß-livide |
- |
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Gewebe |
diskretes Ödem, bei Infektion starkes
Ödem |
artrophisch |
- |
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Fußpulse |
tastbar |
schwach bzw. aufgehoben |
- |
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Zehen |
Fehlstellung (Hammer- und Krallenzehen) |
- |
- |
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Nägel |
eingewachsene Nägel, subungale Blutung,
Mykose |
deformiert, verdickt |
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Sensorik |
Schmerz-, Druck-, Vibrations- und
Temperatur-
empfindung eingeschränkt oder aufgehoben |
Schmerzen bei Belastung,
erst später in Ruhe |
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Therapeutisch muß bei einer Mangeldurchblutung eine
Revaskularisierung angestrebt werden. Hier stehen entweder die interventionell
angiologischen Maßnahmen wie die perkutane transluminale Angioplastie (PTA) oder ein
anderes modernes Verfahren (STENT) zur Verfügung, um die Durchblutung zu verbessem.
Aufgrund der zahlreichen Stenosen muß in vielen Fällen gefäßchirurgisch interveniert
werden. Die Möglichkeiten der Bypass-Operation reichen vom iliofemoralen Bypass bis zum
pedopedalen Bypass, der schon mikrochirurgische Fertigkeiten verlangt.
Die interdisziplinäre Zusammenarbeit stellt für die erfolgreiche
Behandlung des diabetischen Fußsyndroms eine "Conditio sine qua non" dar. Die
Integration der niedergelassenen Ärzte, der Hauskrankenpflege und der Angehörigen
ermöglicht die rechtzeitige Entdeckung von Patienten mit hohem Risiko und die Diagnose
von frühzeitigen Veränderungen. Die regelmäßige Fußuntersuchung, bei niederem Risiko
zumindest einmal jährlich, bei höherem Risiko öfters, stellt daher eine entscheidende
Säule in der Prophylaxe dar. Die Internisten und Diabetologen sind aufgerufen, für eine
gute Stoffwechseleinstellung und eine Behandlung der Begleiterkrankungen und der weiteren
Risikofaktoren zu sorgen. In der Diagnostik ist die Zusammenarbeit mit der Radiologie
unumgänglich. Therapeutisch sind die interventionellen Angiologen bzw. die
gefäßchirurgische Kooperation vor allem bei peripher arterieller Mangeldurchblutung
notwendig. Bei einer Mangeldurchblutung ist die Revaskularisierung für den
therapeutischen Erfolg unumgänglich.
Bei Infektionen ist die Diagnostik und der
Therapievorschlag der Mikrobiologen erforderlich. Die septische Chirurgie ist bei
Weichteilphlegmonen und vor allem bei infektiöser Mitbeteiligung der Knochen gefragt,
wobei die chirurgische Intervention sich nicht primär auf die Amputation, sondern auf die
fußerhaltende Operationstechnik konzentrieren soll. Schließlich ist eine gute und
sorgfältige orthopädische Schuhversorgung durch einen orthopädischen Schuhmacher (Abb.
8) notwendig, um die hohe Rezidivrate senken zu können. |
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