Das diabetische Fuß-Syndrom

E. Görzer
Med. Univ.-Klinik, Ambulanz für Diabetes und Stoffwechsel, Graz
(Vorstand: Univ.-Prof. Dr. Th. Pieber)



Das diabetische Fußsyndrom (DFS) ist ein vielseitiges Krankheitsbild, das von einfachen, oberflächlichen Ulzerationen bis zur Phlegmone des gesamten Vorfußes oder Unterschenkels reichen kann.

Einleitung

Im Zuge eines Diabetes mellitus erkranken fünf Prozent aller Patienten an einem diabetischen Fuß. Diese Patienten haben ein 20-fach erhöhtes Risiko für eine Amputation. Das Bestreben, wie in der St.-Vincente- Deklaration gefordert, Amputationen bei Diabetikern innerhalb von 10 Jahren weltweit um die Hälfte zu reduzieren, konnte nicht erreicht werden. Dies sollte nun endlich das Bestreben forcieren, den Füßen bei Diabetikern mehr Beachtung zu schenken und frühzeitig Präventionsmaßnahmen zu setzen, um die Zahl der Amputationen zu reduzieren.

 

Wer ist gefährdet?

Ein manifestes DFS ist oft das erste Symptom eines bestehenden Diabetes mellitus. In vielen Fällen treten plantare Ulzerationen mit ausgeprägten Phlegmonen auf, ohne dass ein Diabetes mellitus bei dem betroffenen Patienten bis dato diagnostiziert wurde. HbA1c-Werte von 12% sind in solchen Fällen keine Seltenheit. Patienten mit manifestem Hypertonus, einer Hyperlipidämie, Nikotinabusus und Adipositas sind besonders gefährdet, eine Arteriosklerose zu bekommen, die zur kritischen Minderdurchblutung der unteren Extremität führen kann. Kommt es dann zusätzlich zum Auftreten einer diabetischen Stoffwechsellage, ist damit ein weiterer Risikofaktor zur Entwicklung einer PAVK mit diabetischem Fußsyndrom gegeben. Auch in diesem Fall wird die Diagnose des Diabetes häufig erst bei manifester Gangrän als Nebenbefund gestellt. Mit längerer Diabetesdauer und beständig schlechter Blutzuckereinstellung steigt das Risiko, an einem DFS zu erkranken, dramatisch an.

 

Was sind die Ursachen?

Diabetische Fußläsionen entstehen zu 60% durch eine Polyneuropathie (PNP), die zugleich Ursache und Auslöser bei deren Entstehung darstellt.

Bei 30% aller Patienten findet sich eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK) und bei den verbleibenden 10% findet sich die Kombination von PNP und PAVK.

 

Die neuropathische Läsion
Die Mehrzahl der neuropathisch bedingten Ulzerationen findet man im Bereich der Planta pedis des Vorfußes. An diesen Stellen herrschen immer erhöhte Druckverhältnisse, die durch bestehende Fußskelettdeformitäten oder durch inadäquates Schuhwerk (zu enge Schuhe mit harter Innensohle) entstehen.

Abbildung 1:
Polyneuropathisch bedingtes Ulkus im Bereich des Os-metatarsale-I-Köpfchens und bestehende Krallenzehen (Abb. 1 bezieht sich auf neuropathische Läsion im gesamten, nicht speziell auf autonome, sensible, motorische PNP)
 
Abbildung 1

Die Entstehung der schmerzlosen Ulzerationen

Im Zuge der autonomen PNP erfolgt ein Weitstellen der arteriovenösen Shunts in der Peripherie, wodurch es zum typischen Erscheinungsbild des polyneuropathischen Fußes kommt, der warm, rosig und gut durchblutet imponiert. Durch die sukzessive Reduktion der Schweißdrüsen und ihrer Tätigkeit fühlen sich die Füße trocken an und die Haut erscheint rissig.
Die gleichzeitig bestehende motorische Polyneuropathie kann die bestehenden Ulzerationen an typischer Stelle erklären. Durch die Atrophie der kleinen Fußmuskeln und ein Überwiegen der langen Zehenstrecker kommt es zur Ausbildung von Krallenzehen, und das Druckmaximum schiebt sich unter die Ossa-metatarsalia-Köpfchen. Durch die so entstehenden Druckmaxima an beschriebener Stelle ist ein Mal perforans der Planta pedis dort nahezu vorherbestimmt.

Dass die Diagnose oft erst bei sehr fortgeschrittener Ulzeration gestellt wird, ist in der Mehrheit der Fälle durch die sensible Polyneuropathie bedingt, die zu einer hochgradigen Einschränkung der Schmerzwahrnehmung führt und bis zur Analgesie reichen kann.

Der Entstehungsmechanismus der PNP ist bis heute Diskussionsthema, wobei sich eine vaskuläre und eine metabolische Ansicht gegenüberstehen. Dass es sich um eine rein vaskuläre Neuropathie handelt, würde implizieren, dass Patienten mit Minder- bzw. Mangeldurchblutung koronarer Gefäße oder Unterschenkelgefäße betroffen sein müssten. Jedoch konnte bis heute keine ausreichend enge Beziehung diesbezüglich gefunden werden. Bei Diabetikern tritt ein polyneuropathisches Geschehen immer symmetrisch auf, was eine rein vaskulär bedingte Schädigung nahezu ausscheiden lässt, da eine vaskulär bedingte Neuropathie, wie sie bei Systemerkrankungen auftritt, asymmetrisch erscheint.

Die Annahme, dass der reduzierte Gehalt an Myoinosit im Nerv des Diabetikers eine PNP bedingt, konnte nicht gehalten werden, da eine Substitution der Substanz keinerlei Verbesserung der PNP bewirkte. Durch die DCCT konnte jedoch die Annahme bestätigt werden, dass Hyperglykämie-Vermeidungen zur Reduktion der Neuropathie führen.

Die diabetische Polyneuropathie wird am wahrscheinlichsten durch eine Kombination von metabolischen und vaskulären Faktoren verursacht, die zum Auftreten einer intraneuralen Hypoxie mit gleichzeitigem intraneuralem Ödem führt.

Obwohl die Schmerzempfindung wie beschrieben stark reduziert ist, leidet eine Vielzahl der Patienten an quälenden Missempfindungen. Dabei kann ein Defizit in der sensiblen Nervenleitung auftreten, das dann als Taubheit empfunden werden kann (stumme Form); oder es entsteht eine Missempfindung in Form von Schmerzen und Kribbeln (prominente Form), die durch das Überspringen elektrischer Aktivitäten von einer geschädigten Nervenfaser zur nächsten geschädigten Nervenfaser auftritt.

Es steht außer Frage, dass Beschwerden dieser Art therapiebedürftig sind, jedoch konnte bis zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei überzeugende kausale Medikation auf den Markt gebracht werden. Die zu dieser Thematik durchgeführten Studien weisen in ihrer Methodik und ihren Auswertungen zahlreiche Unklarheiten auf, sodass die Ergebnisse äußerst fraglich erscheinen und deshalb kritisch zu evaluieren sind ALADIN-Studien). Nach den Kriterien der Evidence-based Medicine (EBM) gibt es bis dato nur eine rein symptomatische Therapie.

 

Charcot-Fuß

Ein im Zuge der symmetrischen PNP auftretendes Krankheitsbild, das dem DFS zuzurechnen ist, ist der Charcot. Dabei handelt es sich um eine Neuro-Osteopathie und eine Neuro-Osteoarthropathie. Beim Vollbild des Charcot findet man makroskopische Knochen- und Gelenksveränderungen sowie Subluxationsstellungen und Dislokationen. Die Diagnose eines Charcot wird immer klinisch und radiologisch gestellt. Im Akutstadium fällt die Unterscheidung zu einer bakteriellen Entzündung oft schwer, da ebenfalls eine Rötung, Schwellung und Überwärmung erkennbar sind. Schmerzen können, müssen jedoch nicht vorhanden sein. Bei der Entstehung werden nach wie vor zwei Hypothesen diskutiert.

Abbildung 2:
Charcot, St. p. Amp. Dig. I et V dext., multiple plantare Ulzeration mit perifokaler Hyperkeratose
 
Abbildung 2

Die vaskuläre Hypothese

Bedingt durch die autonome PNP kommt es zu einer gesteigerten Durchblutung im Fuß und zu einer vermehrten Einschwemmung von Osteoklasten, die eine gesteigerte Knochenresorption bewirken und eine lokale Osteoporose entstehen lassen.

Die mechanische Hypothese

Durch die entstandene lokale Osteoporose wird die Belastbarkeit der Knochenstruktur reduziert, Minimaltraumen führen zu Mikrofrakturen und schließlich aufgrund der Instabilität zu Makrofrakturen.

Ein Zusammenbrechen des Fußgewölbes ist die Konsequenz, wobei massive Deformitäten entstehen. Die in Folge prominenten Knochenstrukturen lassen neuropathische Ulzerationen an den am Charcot-Fuß typischen Stellen entstehen (siehe Abbildung 2).


Die ischämische Läsion

Makroangiopathisch bedingte Läsionen finden sich im Bereich der Akren, wobei diese von distal nach proximal fortschreiten. Die Makroangiopathie ist keine Spätkomplikation beim Diabetes mellitus, sondern liegt schon oft bei Manifestation eines Diabetes mellitus 2 vor. Die weit verbreitete Aussage, dass bei Diabetikern mikroangiopathische Veränderungen beim DFS eine Rolle spielen, kann bis jetzt noch nicht bestätigt werden, da die klinische Bedeutung noch nicht geklärt ist.

Abbildung 3:
Gangrän Dig. II dext. mit deutlicher Phlegmone dorsal
 
Abbildung 3

Dem Auftreten einer Gangrän geht in vielen Fällen eine Claudicatio intermittens zuvor, die dringend einer Abklärung bedarf, um eine durch Unterschenkelgefäßobstruktionen vital gefährdete Extremität auf interventionell-angiologischem Weg oder gefäßchirurgischem Weg zu erhalten. Das typische Erscheinungsbild eines Fußes mit Minderdurchblutung sind die weiße bis livide Hautverfärbung, das Fehlen der peripheren Pulse und eine kalte Haut (siehe Abbildung 3).



Die gemischte Läsion

In 10% der Fälle liegt eine gemischte Läsion vor, wobei bei diesen Patienten die Kombination von PNP und PAVK eine Erklärung für die hohe Morbidität und Mortalität ist. Bei einer isolierten PAVK kommt es durch die progrediente Einengung zu einer hämodynamisch relevanten Stenose und zu einer deutlichen Schmerzsymptomatik. Diese kann durch eine ausgeprägte Neuropathie so verschleiert werden, dass sie erst bei vorhandener, z.T. feuchter Gangrän für den Patienten augenscheinlich wird. Eine Septikämie ist oft die Folge, sodass das Leben dieser Patienten nur noch durch eine Major-Amputation gerettet werden kann. Im Falle einer ausgeprägten PAVK sind auch die antibiotischen Maßnahmen eingeschränkt.

Um die Zahl der Patienten mit einem diabetischen Fußsyndrom zu reduzieren, sind nur Präventionsmaßnahmen sinnvoll. Bei bestehendem Diabetes mellitus ist auf eine bestmögliche Blutzuckereinstellung zu achten. Die zumindest einmal jährliche Screeninguntersuchung zur Evaluierung der PNP (Stimmgabel, Monofilament, Tiptherm) und des Gefäßstatus sollte obligat sein. Eine adäquate Schuhversorgung muss gewährleistet sein, und die Schulung bezüglich richtiger Fußpflege stellt einen wichtigen Eckpfeiler bei der Prävention dar.

Die Qualitätssicherung, die in vielen Diabeteszentren, aber auch im niedergelassenen Bereich durchgeführt wird, kann dazu beitragen, die Qualität der eigenen Arbeit zu sichern und so dem Ziel der St.-Vincente-Deklaration etwas näher zu kommen.

 

Anschrift des Verfassers:
Ass. Dr. Evelyn Görzer
Med. Univ.-Klinik, Ambulanz für Diabetes und Stoffwechsel
A-8036 Graz, Auenbruggerplatz 38

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