Das diabetische Fußsyndrom
(DFS) ist ein vielseitiges Krankheitsbild, das von einfachen, oberflächlichen
Ulzerationen bis zur Phlegmone des gesamten Vorfußes oder
Unterschenkels reichen kann.
Einleitung
Im Zuge eines Diabetes mellitus
erkranken fünf Prozent aller Patienten an einem diabetischen
Fuß. Diese Patienten haben ein 20-fach erhöhtes Risiko
für eine Amputation. Das Bestreben, wie in der St.-Vincente-
Deklaration gefordert, Amputationen bei Diabetikern innerhalb von
10 Jahren weltweit um die Hälfte zu reduzieren, konnte nicht
erreicht werden. Dies sollte nun endlich das Bestreben forcieren,
den Füßen bei Diabetikern mehr Beachtung zu schenken
und frühzeitig Präventionsmaßnahmen zu setzen, um
die Zahl der Amputationen zu reduzieren.
Wer ist gefährdet?
Ein manifestes DFS ist oft das
erste Symptom eines bestehenden Diabetes mellitus. In vielen
Fällen treten plantare Ulzerationen mit ausgeprägten
Phlegmonen auf, ohne dass ein Diabetes mellitus bei dem betroffenen
Patienten bis dato diagnostiziert wurde. HbA1c-Werte von 12%
sind in solchen Fällen keine Seltenheit. Patienten mit
manifestem Hypertonus, einer Hyperlipidämie, Nikotinabusus
und Adipositas sind besonders gefährdet, eine Arteriosklerose
zu bekommen, die zur kritischen Minderdurchblutung der unteren
Extremität führen kann. Kommt es dann zusätzlich
zum Auftreten einer diabetischen Stoffwechsellage, ist damit
ein weiterer Risikofaktor zur Entwicklung einer PAVK mit diabetischem
Fußsyndrom gegeben. Auch in diesem Fall wird die Diagnose
des Diabetes häufig erst bei manifester Gangrän
als Nebenbefund gestellt. Mit längerer Diabetesdauer
und beständig schlechter Blutzuckereinstellung steigt
das Risiko, an einem DFS zu erkranken, dramatisch an.
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Was sind die Ursachen?
Diabetische Fußläsionen
entstehen zu 60% durch eine Polyneuropathie (PNP), die zugleich
Ursache und Auslöser bei deren Entstehung darstellt.
Bei 30% aller Patienten findet
sich eine periphere arterielle Verschlusskrankheit (PAVK)
und bei den verbleibenden 10% findet sich die Kombination
von PNP und PAVK.
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Die neuropathische
Läsion
Die Mehrzahl der neuropathisch bedingten Ulzerationen findet
man im Bereich der Planta pedis des Vorfußes. An diesen
Stellen herrschen immer erhöhte Druckverhältnisse,
die durch bestehende Fußskelettdeformitäten oder
durch inadäquates Schuhwerk (zu enge Schuhe mit harter
Innensohle) entstehen.
Abbildung
1:
Polyneuropathisch bedingtes Ulkus im Bereich des Os-metatarsale-I-Köpfchens
und bestehende Krallenzehen (Abb. 1 bezieht sich auf neuropathische
Läsion im gesamten, nicht speziell auf autonome,
sensible, motorische PNP) |
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Die Entstehung der schmerzlosen
Ulzerationen
Im Zuge der autonomen PNP
erfolgt ein Weitstellen der arteriovenösen Shunts in
der Peripherie, wodurch es zum typischen Erscheinungsbild
des polyneuropathischen Fußes kommt, der warm, rosig
und gut durchblutet imponiert. Durch die sukzessive Reduktion
der Schweißdrüsen und ihrer Tätigkeit fühlen
sich die Füße trocken an und die Haut erscheint
rissig.
Die gleichzeitig bestehende motorische Polyneuropathie
kann die bestehenden Ulzerationen an typischer Stelle erklären.
Durch die Atrophie der kleinen Fußmuskeln und ein Überwiegen
der langen Zehenstrecker kommt es zur Ausbildung von Krallenzehen,
und das Druckmaximum schiebt sich unter die Ossa-metatarsalia-Köpfchen.
Durch die so entstehenden Druckmaxima an beschriebener Stelle
ist ein Mal perforans der Planta pedis dort nahezu vorherbestimmt.
Dass die Diagnose oft erst bei
sehr fortgeschrittener Ulzeration gestellt wird, ist in der
Mehrheit der Fälle durch die sensible Polyneuropathie
bedingt, die zu einer hochgradigen Einschränkung der
Schmerzwahrnehmung führt und bis zur Analgesie reichen
kann.
Der Entstehungsmechanismus der
PNP ist bis heute Diskussionsthema, wobei sich eine vaskuläre
und eine metabolische Ansicht gegenüberstehen. Dass es
sich um eine rein vaskuläre Neuropathie handelt, würde
implizieren, dass Patienten mit Minder- bzw. Mangeldurchblutung
koronarer Gefäße oder Unterschenkelgefäße
betroffen sein müssten. Jedoch konnte bis heute keine
ausreichend enge Beziehung diesbezüglich gefunden werden.
Bei Diabetikern tritt ein polyneuropathisches Geschehen immer
symmetrisch auf, was eine rein vaskulär bedingte Schädigung
nahezu ausscheiden lässt, da eine vaskulär bedingte
Neuropathie, wie sie bei Systemerkrankungen auftritt, asymmetrisch
erscheint.
Die Annahme, dass der reduzierte
Gehalt an Myoinosit im Nerv des Diabetikers eine PNP bedingt,
konnte nicht gehalten werden, da eine Substitution der Substanz
keinerlei Verbesserung der PNP bewirkte. Durch die DCCT konnte
jedoch die Annahme bestätigt werden, dass Hyperglykämie-Vermeidungen
zur Reduktion der Neuropathie führen.
Die diabetische Polyneuropathie
wird am wahrscheinlichsten durch eine Kombination von metabolischen
und vaskulären Faktoren verursacht, die zum Auftreten
einer intraneuralen Hypoxie mit gleichzeitigem intraneuralem
Ödem führt.
Obwohl die Schmerzempfindung wie
beschrieben stark reduziert ist, leidet eine Vielzahl der
Patienten an quälenden Missempfindungen. Dabei kann ein
Defizit in der sensiblen Nervenleitung auftreten, das dann
als Taubheit empfunden werden kann (stumme Form); oder
es entsteht eine Missempfindung in Form von Schmerzen und
Kribbeln (prominente Form), die durch das Überspringen
elektrischer Aktivitäten von einer geschädigten
Nervenfaser zur nächsten geschädigten Nervenfaser
auftritt.
Es steht außer Frage, dass
Beschwerden dieser Art therapiebedürftig sind, jedoch
konnte bis zum jetzigen Zeitpunkt keinerlei überzeugende
kausale Medikation auf den Markt gebracht werden. Die zu dieser
Thematik durchgeführten Studien weisen in ihrer Methodik
und ihren Auswertungen zahlreiche Unklarheiten auf, sodass
die Ergebnisse äußerst fraglich erscheinen und
deshalb kritisch zu evaluieren sind ALADIN-Studien). Nach
den Kriterien der Evidence-based Medicine (EBM) gibt es bis
dato nur eine rein symptomatische Therapie.
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Charcot-Fuß
Ein im Zuge der symmetrischen PNP
auftretendes Krankheitsbild, das dem DFS zuzurechnen ist,
ist der Charcot. Dabei handelt es sich um eine Neuro-Osteopathie
und eine Neuro-Osteoarthropathie. Beim Vollbild des Charcot
findet man makroskopische Knochen- und Gelenksveränderungen
sowie Subluxationsstellungen und Dislokationen. Die Diagnose
eines Charcot wird immer klinisch und radiologisch gestellt.
Im Akutstadium fällt die Unterscheidung zu einer bakteriellen
Entzündung oft schwer, da ebenfalls eine Rötung,
Schwellung und Überwärmung erkennbar sind. Schmerzen
können, müssen jedoch nicht vorhanden sein. Bei
der Entstehung werden nach wie vor zwei Hypothesen diskutiert.
Abbildung
2:
Charcot, St. p. Amp. Dig. I et V dext., multiple plantare
Ulzeration mit perifokaler Hyperkeratose |
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Die vaskuläre Hypothese
Bedingt durch die autonome PNP
kommt es zu einer gesteigerten Durchblutung im Fuß und
zu einer vermehrten Einschwemmung von Osteoklasten, die eine
gesteigerte Knochenresorption bewirken und eine lokale Osteoporose
entstehen lassen.
Die mechanische Hypothese
Durch die entstandene lokale Osteoporose
wird die Belastbarkeit der Knochenstruktur reduziert, Minimaltraumen
führen zu Mikrofrakturen und schließlich aufgrund
der Instabilität zu Makrofrakturen.
Ein Zusammenbrechen des Fußgewölbes
ist die Konsequenz, wobei massive Deformitäten entstehen.
Die in Folge prominenten Knochenstrukturen lassen neuropathische
Ulzerationen an den am Charcot-Fuß typischen Stellen
entstehen (siehe Abbildung 2).
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Die
ischämische Läsion
Makroangiopathisch bedingte Läsionen
finden sich im Bereich der Akren, wobei diese von distal nach
proximal fortschreiten. Die Makroangiopathie ist keine Spätkomplikation
beim Diabetes mellitus, sondern liegt schon oft bei Manifestation
eines Diabetes mellitus 2 vor. Die weit verbreitete Aussage,
dass bei Diabetikern mikroangiopathische Veränderungen
beim DFS eine Rolle spielen, kann bis jetzt noch nicht bestätigt
werden, da die klinische Bedeutung noch nicht geklärt
ist.
Abbildung
3:
Gangrän Dig. II dext. mit deutlicher Phlegmone dorsal |
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Dem Auftreten einer Gangrän
geht in vielen Fällen eine Claudicatio intermittens zuvor,
die dringend einer Abklärung bedarf, um eine durch Unterschenkelgefäßobstruktionen
vital gefährdete Extremität auf interventionell-angiologischem
Weg oder gefäßchirurgischem Weg zu erhalten. Das
typische Erscheinungsbild eines Fußes mit Minderdurchblutung
sind die weiße bis livide Hautverfärbung, das Fehlen
der peripheren Pulse und eine kalte Haut (siehe Abbildung
3).
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Die gemischte
Läsion
In 10% der Fälle liegt eine
gemischte Läsion vor, wobei bei diesen Patienten die
Kombination von PNP und PAVK eine Erklärung für
die hohe Morbidität und Mortalität ist. Bei einer
isolierten PAVK kommt es durch die progrediente Einengung
zu einer hämodynamisch relevanten Stenose und zu einer
deutlichen Schmerzsymptomatik. Diese kann durch eine ausgeprägte
Neuropathie so verschleiert werden, dass sie erst bei vorhandener,
z.T. feuchter Gangrän für den Patienten augenscheinlich
wird. Eine Septikämie ist oft die Folge, sodass das Leben
dieser Patienten nur noch durch eine Major-Amputation gerettet
werden kann. Im Falle einer ausgeprägten PAVK sind auch
die antibiotischen Maßnahmen eingeschränkt.
Um die Zahl der Patienten mit einem
diabetischen Fußsyndrom zu reduzieren, sind nur Präventionsmaßnahmen
sinnvoll. Bei bestehendem Diabetes mellitus ist auf eine bestmögliche
Blutzuckereinstellung zu achten. Die zumindest einmal jährliche
Screeninguntersuchung zur Evaluierung der PNP (Stimmgabel,
Monofilament, Tiptherm) und des Gefäßstatus sollte
obligat sein. Eine adäquate Schuhversorgung muss gewährleistet
sein, und die Schulung bezüglich richtiger Fußpflege
stellt einen wichtigen Eckpfeiler bei der Prävention
dar.
Die Qualitätssicherung, die
in vielen Diabeteszentren, aber auch im niedergelassenen Bereich
durchgeführt wird, kann dazu beitragen, die Qualität
der eigenen Arbeit zu sichern und so dem Ziel der St.-Vincente-Deklaration
etwas näher zu kommen.
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