Klinische Krankheitsbilder
Symmetrische Polyneuropathie
Schmerzlose Form
Klinische Symptome sind zuerst an den
unteren Extremitäten symmetrisch auftretende, sockenförmig begrenzte
Sensibilitätsstörungen. Dabei sind Berührungs-, Lage- und Vibrationssinn
betroffen (markreiche Nervenfasern mit schneller Erregungsleitung).
Die Patienten berichten über ein Gefühl des „Ameisenlaufens“, des
Kribbelns, über Bamstigkeit oder über eine Spannung in den Füßen
und Waden. Da das zweite motorische Neuron betroffen ist, sind die
Sehnenreflexe abgeschwächt bis fehlend, insbesondere der Achillessehnenreflex
(siehe Abbildung 3a). Bei ausgeprägter Störung des Lagesinns kann
eine Ataxie im Vordergrund stehen, man spricht von einer „Pseudotabes
diabetica“.
Schmerzhafte Form
Hier klagen die Patienten über brennende
Sensationen in den Füßen (burning feet) und Wadenkrämpfe, vor allem
nachts. Die Störung des Temperatursinnes bedingt unangenehme Wärme-
und Kälteparästhesien. Hier liegt eher eine Störung der markarmen,
langsam leitenden Nervenfasern vor. Jede Berührung der affizierten
Hautabschnitte wird als unangenehm empfunden (Hyperpathie), weshalb
nachts der Druck der Bettdecke auf die Füße kaum ertragen wird.
In vereinzelten Fällen können die Muskeleigenreflexe noch erhalten
sein. Sind vegetative Nervenfasern mitbetroffen, entwickeln sich
trophische Störungen der Haut.
Paretische Form
Neben den anderen oben beschriebenen
Symptomen treten hier distal betonte Paresen und mit fortschreitender
Erkrankung auch Muskelatrophien auf.
Mononeuropathia multiplex
Diese diabetische Neuropathieform
betrifft mehrere einzelne Nerven in nicht symmetrischer Weise. Es
treten Lähmungen und Sensibilitätsstörungen im Versorgungsgebiet
dieser Nerven auf (z.B. an der oberen Extremität N. radialis, medianus
und ulnaris, an der unteren N. femoralis und peronaeus; siehe Abbildung
3b).
Proximale, asymmetrische
diabetische Neuropathie (diabetische Amyotrophie)
Sie ist viel seltener als die oben
angeführte symmetrische Form. Es treten eher plötzlich Muskellähmungen
auf (Oberschenkel und Beckengürtel), die von starken Schmerzen besonders
nachts im Versorgungsbereich der betroffenen Nerven (häufig N. femoralis)
begleitet sind. Der entsprechende Sehnenreflex (z.B. Patellarsehnenreflex)
ist abgeschwächt bis erloschen (siehe Abbildung 3c). Das Krankheitsbild
kann mit einem Bandscheibenleiden verwechselt werden. Gelegentlich
können auch einzelne Rumpfmuskeln eine Schwäche aufweisen. Sensibilitätsstörungen
treten selten auf und sind weniger stark ausgeprägt als bei radikulären
Kompressionssyndromen. Hält die Lähmung länger an, so sind auch
Atrophien der Muskeln nachweisbar. Im Allgemeinen bildet sich jedoch
die Symptomatik nach mehreren Wochen zurück.
Abbildung 3: 3a: Distale
Sehnenreflexe symmetrisch erloschen; 3b: Sehnenreflexe jeweils
im betroffenen Bereich erloschen; 3c: Sehnenreflexe einseitig
erloschen
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Hirnnervenlähmungen
Plötzlich auftretende Doppelbilder,
die von einem deutlichen Orbitalschmerz begleitet sein können, sind
hier das führende Symptom. Am häufigsten betroffen sind der N. oculomotorius
und der N. abducens, selten der N. trochlearis. Meist sind die Lähmungen
einseitig lokalisiert, wobei sich selten und nacheinander auftretend
auch beidseitige Paresen entwickeln können. Die Prognose ist in
der Regel gut, die Lähmungen bilden sich innerhalb von 2 bis 3 Monaten
auch spontan zurück. Paresen anderer Hirnnerven kommen beim Diabetes
mellitus kaum vor und wenn, bleibt ihr Zusammenhang mit der Grunderkrankung
fraglich.
Affektion des autonomen
Nervensystems
Beim Diabetes mellitus können Miktionsstörungen
durch Sphinkterinsuffizienz oder durch eine atone Blase auftreten.
Etwa die Hälfte juveniler Diabetiker klagt bei langer Krankheitsdauer
über Impotenz. Herzrhythmusstörungen, auch eine Störung der Schweißsekretion,
orthostatisch bedingte Hypotonie, Störungen der Pupillomotorik und
der Tränensekretion und das nächtliche Auftreten von Diarrhoen werden
beobachtet. Vegetative Störungen treten selten isoliert auf. Meist
sind sie mit anderen, zuvor beschriebenen Neuropathiesymptomen vergesellschaftet.
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