Das diabetische
Fußulkus: die Lokaltherapie |
M. Lechleitner
Univ.-Klinik für Innere Medizin, Innsbruck
(Vorstand: Univ.-Prof. Dr. J.R. Patsch) |
Die erfolgreiche Behandlung des
diabetischen Fußulkus ist langwierig. Zu den Grundvoraussetzungen
zählt die Schulung des Patienten und die Kooperation zwischen Hausarzt
und diabetologischem Zentrum. Angestrebte Ziele der lokalen Wundbehandlung
sind ein physiologisches Wundheilungsmilieu, ein verringertes Infektionsrisiko
und der Schutz der Wunde vor traumatischen Schädigungen.
Zusammenfassung
Neben den angeführten Therapiegrundlagen,
die primär auf eine Verbesserung des lokalen Wundbefundes abzielen,
sowie analgetischen Maßnahmen, sind die Optimierung der metabolischen
Kontrolle und die Behandlung von Begleiterkrankungen, wie von peripheren
Ödemen, von großem Nutzen, um den Heilungsprozess des diabetischen
Fußulkus zu beschleunigen. Die erfolgreiche Behandlung eines diabetischen
Fußulkus ist jedoch grundsätzlich langwierig, setzt eine entsprechende
Information und Schulung des Patienten voraus sowie die gute multidisziplinäre
Zusammenarbeit zwischen Hausarzt und diabetologischem Zentrum. Gerade
nach erfolgreicher Abheilung sind kurzfristige Kontrolluntersuchungen,
Maßnahmen zur Druckentlastung (Entlastungseinlagesohle, Spezialschuhwerk)
und Pflegeinstruktionen von großer Bedeutung, um neuerliche Ulzera
zu vermeiden.
|
Einleitung
Die umfassende Therapie des diabetischen
Fußulkus an Spezialzentren ermöglicht eine Heilungsrate von 80-90%,
wobei die lokale Wundversorgung und Druckentlastung, die bakteriologische
Diagnostik und konsequente systemische antibiotische Therapie sowie
die Wiederherstellung einer adäquaten Gefäßversorgung die Grundlagen
zur Behandlung dieser diabetischen Spätkomplikation darstellen (siehe
Tabelle 1).
Tabelle 1: Grundlagen
in der Therapie des diabetischen Fußulkus
- Wundbehandlung und Druckentlastung
- Therapie der Infektion
- Wiederherstellung einer adäquaten Gefäßversorgung
- Optimierung der metabolischen Kontrolle
- Behandlung von Zusatzerkrankungen
- Patientenschulung und Pflegeinstruktion
|
|
|
Ursachen und Differenzialdiagnose
Als auslösende
Ursache für das diabetische Fußulkus lässt sich meist ein vorausgegangenes
Trauma bzw. eine Fehlbelastung durch schlechtes Schuhwerk ermitteln
(siehe Abbildung 1). Rund 60% der diabetischen Fußulzera sind
durch die Polyneuropathie bedingt, 30% durch eine periphere
arterielle Verschlusserkrankung und rund 10% durch eine Kombination
aus beiden. Die Differenzialdiagnostik hinsichtlich neuropathischem
bzw. ischämischem Fußulkus (siehe Tabelle 2) umfasst die genaue
Inspektion der Füße, die Sensibilitätsprüfung mit einer 128-Hz-Stimmgabel
und dem Mikrofilament, die Bestimmung des Temperaturempfindens
mittels Metallstab sowie die Beurteilung der Durchblutungssituation
durch Dopplersonographie und ev. Angiographie. Bei fehlenden
Fußpulsen und/oder einem Knöchel-Arm-Index unter 0,9 ist die
Angiographie angezeigt.
|
|
Abbildung 1:
|
Tabelle 2: Differenzialdiagnose
neuropathisches und ischämisches Ulkus
|
Inspektion |
Haut trocken,
warm, rosig |
Haut kalt,
blass, livide |
|
Ulkus-Lokalisation |
druckbelastete
Stellen (plantar,
Fußrand, interdigital) |
druckunabhängig
(akrale Nekrosen
an Zehen und Ferse) |
|
Fußpulse |
palpabel |
schwach
bzw. fehlend |
|
Schmerzen |
Schmerz-,
Druck-,
Vibrations- und
Temperaturempfinden
reduziert |
Schmerzen
bei
Belastung,
später Ruheschmerz |
|
|
Dopplerindex |
normal
(> 1) |
pathologisch
(< 1) |
|
Oszillogramm |
unauffällig |
fehlender
diastolischer Rückfluss |
|
Diagnostik |
Röntgen
MR |
Duplexsonographie
Angiographie |
|
|
|
Die Wundbehandlung
des diabetischen Fußulkus
Die Auswahl der lokalen Therapiemaßnahmen
des diabetischen Ulkus ist größtenteils empirisch und basiert auf
dem Zustand des Ulkus, wobei verschiedene Maßnahmen in verschiedenen
Wundheilungsphasen (Entzündungs- und Reinigungsphase mit Nekrosen
und Wundsekretion, Granulationsphase mit der Bildung von Kollagen
durch Fibroblasten, Epithelialisierungsphase) zur Anwendung kommen.
Grundsätzlich sollte durch die lokale Wundbehandlung ein physiologisches
Wundheilungsmilieu geschaffen und das Infektionsrisiko reduziert
werden sowie ein Schutz der Wunde vor traumatischen Schädigungen
erfolgen.
Debridement und
Ulkuskontrolle
Ein enzymatisches (mit Trypsin
als Leukase, Desoxyribonuklease als Fibrolan) oder meist mechanisches
Debridement (mit Skalpell oder scharfem Löffel) des diabetischen
Ulkus wird im Fall von manifesten Infektionen als obligatorisch
angesehen, jedoch ist das Fehlen einer ausgeprägten Ischämie von
grundlegendem Einfluss auf den Erfolg dieser Behandlung. Wichtig
ist auch das Vorhandensein von ausreichend lebensfähigem Weichteilgewebe,
um ein Freilegen des Knochens zu verhindern. Das Ulkus sollte 1-
bis 2-mal täglich kontrolliert werden und zumindest 1-mal wöchentlich
ein Debridement der Wunde erfolgen.
Wundreinigung, Verbandmaterial
und Verbandwechsel
Die Verbandversorgung erfolgt
mit adsorbierenden, nicht-okklusiven, nicht-adhäsiven Materialien.
Als Verbandmaterial in der Entzündungsphase und Granulationsphase
eignen sich dabei z.B. Aktivkohleverbände (wie Actisorb®, der Aktivkohleanteil
adsorbiert dabei Bakterien und neutralisiert unangenehmen Wundgeruch,
der Silberanteil besitzt eine bakterizide Wirkung), Kalziumalginate
(wie Algosteril®, Algosorb® und Sorbalgon® für mittel bis stark
sezernierende und/oder blutende Wunden mit dem Vorteil der Sekretaufnahme)
und Hydropolymere bzw. Hydrokolloide (wie Tielle®, Suprasorb®, Hydrocoll®
für nicht infizierte, leicht bis mäßig exsudierende Wunden), die
auch eine lokale Mazeration verhindern. Der Wundrand soll mit geeigneten
Produkten, wie mittelcremigen Zinksalben oder Mirfulan®, abgedeckt
werden. Um Verklebungen zu verhindern, kann unter einem Aktivkohleverband
ein Gel oder Wunddistanzgitter verwendet werden.
Bei jedem anfangs 1- bis 2-mal täglichen
Verbandwechsel soll eine Wund- und Umgebungsreinigung
mit physiologischer Kochsalzlösung bzw. Ringerlösung durchgeführt
werden; diese Maßnahmen und tropfend-nasse Gazekompressen ermöglichen
das Abspülen aufgeweichter Massen. Im Anschluss daran erfolgt eine
5- bis 30-minütige Trockenphase, während der Wunde und Umgebung
steril abgedeckt werden. Ziel dieser Maßnahme ist es, Mazerationen
der umgebenden Haut zu vermeiden. Durch die Feuchttherapie kann
eine Reduktion der Häufigkeit und des Ausmaßes des chirurgischen
Debridements vermindert werden. Kollagensynthese, Granulation und
Epithelialisierung werden in einem feuchten Wundbett mit semipermeabler
Abdeckung gefördert. In der Epithelialisierungsphase muss
die Ausbreitung der Granulation gehemmt und die Einsprossung des
Epithelgewebes vom Wundrand durch Fettgaze geschützt werden. Da
in diesem Stadium die Wunde schwach bis nicht mehr sezerniert, sind
nur noch dünne bzw. transparente Verbände, wie Folien und Schaumstoff,
einzusetzen.
Eine Ausnahme von den angeführten
lokalen Versorgungsmaßnahmen stellen trockene akrale Nekrosen
dar: Hier ist die konsequente Trockenbehandlung bis zur chirurgischen
Sanierung nach Demarkierung angezeigt.
Die Druckentlastung ist ein
wesentlicher Bestandteil der lokalen Behandlung des diabetischen
Fußulkus, wobei durch Verbandschuhe, therapeutisches Entlastungsschuhwerk,
Kontaktgipsanlage und Gehstützen eine komplette und langdauerende
Immobilisierung des Patienten verhindert werden kann.
|
Die Therapie der
Infektion des diabetischen Fußulkus
Die bakterielle Infektion ist beim
diabetischen Fuß durch eine vermehrte Trockenheit bei neuropathisch
gestörter Schweißsekretion sowie Fehlbelastung mit Hyperkeratose
und Fissurenbildung begünstigt. Ein neuropathisches Ulkus kann sekundär
bakteriell besiedelt werden. Zur Ausbreitung der Entzündung tragen
neben Veränderungen von Gewebsfaktoren die beim Diabetiker gestörte
Leukozytenfunktion mit verminderter Chemotaxis und Phagozytose bei.
Systemische Entzündungsreaktionen wie Fieber und Leukozytose können
bei der bakteriellen Infektion des diabetischen Fußes fehlen, als
Laborparameter verlässlicher sind der CRP-Wert und die Blutsenkungsreaktion
sowie eine Verschlechterung der Blutzuckerkontrolle.
Die Einteilung
der Läsionsausdehnung erfolgt in der klinischen Praxis
entsprechend den Kriterien nach Wagner (siehe Tabelle 3). Auch
kleine oberflächliche Läsionen können jedoch Anzeichen einer
tiefer gelegenen entzündlichen Veränderung, bis hin zur Osteomyelitits,
sein (siehe Abbildung 2). Diagnostisch ist hier die stumpfe
Sondierbarkeit der Läsionen anzuführen sowie die Durchführung
bildgebender Verfahren, wie Röntgen, Szintigraphie und Magnetresonanztomographie. |
|
Abbildung 2:
|
Tabelle 3: Einteilung
nach Wagner zur Läsionsausdehnung beim diabetischen Fuß
Stadium
0 |
Risikofuß,
keine offene Läsion |
|
Stadium
I |
oberflächliche
Läsion |
|
Stadium
II |
Ulkus
bis zur Gelenkskapsel, Sehnen oder Knochen |
|
Stadium
III |
Ulkus
mit Abszess, Osteomyelitis,
Infektionen der Gelenkskapsel |
|
Stadium
IV |
begrenzte
Vorfuß- oder Fersennekrose |
|
Stadium
V |
Nekrose
des gesamten Fußes |
|
|
Die Probenentnahme zur aeroben
und anaeroben bakteriologischen Diagnostik sollte aus der Tiefe
der Läsionen erfolgen. Eine oberflächliche Infektion wird meist
durch grampositive Kokken (Staphylococcus aureus und/oder
Streptokokken) verursacht, während tiefere Infektionen häufig durch
Anaerobier und gramnegative Keime entstehen. Die systemische antibiotische
Therapie muss konsequent und langfristig erfolgen.
Chirurgische Intervention
Tiefe Infektionen, die gliedmaßengefährdend
sind, gelten als chirurgischer Notfall: Eine Drainage, Entfernung
von Nekrosen und infiziertem Knochenanteil sollte so schnell wie
möglich erfolgen. Gleiches gilt für eine notwendige Revaskularisation.
Die orthopädischen und plastisch-chirurgischen operativen Eingriffe
zielen dabei auch auf ein möglichst gutes statisches Resultat ab.
Von großer Bedeutung ist langfristig die Versorgung mit orthopädischen
Entlastungsmaßnahmen, wie Spezialschuhen, entsprechend den pedographischen
Befunden (siehe Abbildung 3), um neuerliche Läsionen in mehrbelasteten
Fußbereichen zu vermeiden.
Abbildung 3:
|
Supportivmaßnahmen
Die Wundheilung beim diabetischen
Fußulkus erfolgt langsam, mit bedingt durch einen Mangel an lokalen
Wachstumsfaktoren, Veränderungen der extrazellulären Matrix, eine
reduzierte Fibroblastenaktivität, eine verminderte antimikrobielle
Aktivität der Leukozyten sowie die gestörte Mikro- und Makrozirkulation.
In den letzten Jahren haben sich gerade aus diesen pathophysiologischen
Überlegungen einige Studien mit der topischen Applikation von Wachstumsfaktoren
befasst, darunter G-CSF und der rekombinante humane Platelet-derived
growth factor (Becapleramin). Weitere Studien fanden zu biotechnischen
Geweben (Dermagraft®) und einer hyperbaren Sauerstofftherapie statt.
Revaskularisierung
Die Verbesserung der Zirkulation
ist eine wesentliche Maßnahme von angiologischer Seite, um eine
optimale Voraussetzung zur Abheilung des diabetischen Ulkus zu schaffen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass Diabetiker häufig atherosklerotische
Verschlüsse mehrerer Etagen aufweisen. Therapeutisch kommen eine
perkutane transluminale Angioplastie sowie die operative Revision
und Bypass-Operation zur Anwendung. Als konservative Maßnahme ist
der Einsatz einer Infusionstherapie mit Prostanoiden, wie Iloprost
(Ilomedin®), möglich.
|
Anschrift des Verfassers:
Univ.-Prof. Dr. Monika Lechleitner
Univ.-Klinik für Innere Medizin
A-6020 Innsbruck, Anichstraße 35 |
zurück
zum Inhalt
|