Diabetische periphere Neuropathie
und damit einhergehende Veränderungen des knöchernen Fußskelettes
werden unter dem Begriff der Neuro-Osteoarthropathie zusammengefasst.
Die Kenntnisse über die Pathogenese
skelettärer Alterationen sowie Veränderungen der Haut, Nerven, Gefäße
und Muskeln der Füße diabetischer Patienten sind gerade in den letzten
10 Jahren entscheidend gewachsen. In früheren Publikationen wird
fast ausnahmslos die periphere arterielle Verschlusskrankheit als
Ursache trophischer Schäden an den Füßen von Diabetikern dargestellt.
Zwangsläufig war damit in der Vergangenheit eine hohe Amputationsquote
bei Diabetikern verbunden. Heute wissen wir, dass nur ein relativ
kleiner Teil der Diabetiker mit Fußkomplikationen eine periphere
arterielle Verschlusskrankheit aufweist, während bei dem größeren
Teil dieser Patienten auf Grund der peripheren Neuropathie mit Weitstellung
arterieller Gefäße sogar eine gesteigerte Durchblutung besteht.
Diese diabetische periphere Neuropathie führt in weiterer Folge
auch zu den charakteristischen Veränderungen des knöchernen Fußskelettes,
die unter dem Begriff der Neuro-Osteoarthropathie zusammengefasst
werden.
Fasst man den Begriff „diabetischer
Fuß“ enger, so versteht man darunter eine Schädigung im Bereich
der Füße als Folge eines Diabetes. Lange Zeit war damit das Bild
der trockenen oder feuchten Gangrän assoziiert worden. Die komplexe
Veränderung der Skelettarchitektur, die Dysbalance der Fußmuskulatur
und der Ausfall wichtiger vegetativer Funktionen wie die der Schweißsekretion
haben aber als gemeinsame Ursache die Neuropathie, ein Umstand,
der lange Zeit nicht in unserem Wissen mit dem richtigen Stellenwert
etabliert war. Auf Grund dieses fehlenden Wissens wurde die Prophylaxe
vernachlässigt und erst der eingetretene Schaden behandelt. Dies
führte in der Vergangenheit zu einer unnotwendig hohen Zahl an Amputationen.
Die Behandlung der eingetretenen
Fußschäden des Diabetikers ist auf Grund der veränderten Heilungstendenz
meist langwierig, die Schäden am Skelett irreparabel, sodass
direkte Behandlungskosten und Folgekosten hoch anzusetzen
sind. Amputationen führen infolge der Funktionsminderung zur
Reduktion der Mobilität und dadurch zur Verschlechterung der
Stoffwechselsituation. Gerade ältere Patienten werden nach
Amputationen in hohem Prozentsatz zum Pflegefall.
Viele verschiedene Ursachen führen
zur Entwicklung des diabetischen Fußes. Die wichtigste Rolle
kommt der Neuropathie zu. Bei 2/3 aller Fälle ist die Neuropathie
die Hauptursache, dabei sind sensomotorische und autonome
Nerven geschädigt. Die so genannte Autosympathektomie ist
für das Zustandekommen der diabetischen Osteoarthropathie
verantwortlich. Ätiopathogenetisch ist der Mehranfall von
Sorbitol mit toxischer Wirkung auf den Myosin-Stoffwechsel
des peripheren und autonomen Nervensystems schädlich.
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Abbildung 1: Charcot-Fuß
mit Ulkus in Sohlenmitte
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Durch Schädigung motorischer Nerven
atrophieren insbesondere die kleinen Fußmuskeln und die Extensorenmuskulatur
des Unterschenkels. Unelastischer Gang, Krallenzehenstellung und
Überlastung der Mittelfußköpfchen sind direkte Folgen der motorischen
Neuropathie. Die Schädigung der sensorischen Fasern bewirkt den
Verlust der Schmerzempfindung, die Störung der Temperaturempfindung
und die Verminderung der Tiefensensibilität. Häufige Hautverletzungen,
Verbrennungen, Erfrierungen und Überbeanspruchung des Fußskelettes
auf Grund mangelnder Bewegungskoordination sind die unmittelbaren
Folgen. Das autonome Nervensystem reguliert die Durchblutung, Schweißsekretion
und Hauttemperatur. Durch die Autosympathektomie kommt es zur Weitstellung
peripherer Gefäße, genauer gesagt zur Öffnung arteriovenöser Shunts
und damit zur „Luxusperfusion“, weiters zur Verminderung der Schweißsekretion.
Diese beiden vegetativen Störungen führen dazu, dass der Fuß des
Diabetikers meist auffällig warm und trocken ist. Die trockene,
oft rissige Haut begünstigt als Eintrittspforte die Entstehung von
Infektionen, zudem entstehen auf Grund verminderter mechanischer
Eigenschaften über Knochenvorsprüngen Ulzerationen. Die diabetische
Osteoarthropathie hat ihre Wurzeln ebenfalls in der Durchblutungsveränderung
mit Öffnung arteriovenöser Shunts infolge der Schädigung des sympathischen
Nervensystems. 0,15-2,5% der Diabetiker erkranken an der neuropathischen
Osteoarthropathie. Infolge der gesteigerten Durchblutung kommt es
durch resorptive Vorgänge zur Formveränderung des Fußskelettes mit
verminderter mechanischer Belastbarkeit. Die Mittelfußknochen können
das Aussehen abgelutschter Zuckerstangen annehmen. Da die Schutzfunktion
der Oberflächen- und Tiefensensibilität reduziert ist, kommt es
zur Überlastung der Fußwurzelknochen mit wiederkehrenden Mikro-
und Makrofrakturen. Im Anschluss kommt es zu ausgedehnten und lange
dauernden Umbauvorgängen des Fußskelettes. Subluxationen und Luxationen
im Bereich des Chopart- und Lisfranc-Gelenkes führen zu massiven
Deformitäten, wie vor allem der Knickplattfußdeformität bzw. zum
typischen Schaukelfuß. Zur radiologischen Stadieneinteilung nach
topographischen Gesichtspunkten eignet sich die Klassifikation von
Sanders. Dabei werden 5 Typen unterschieden. Ca. 70% der Veränderungen
entfallen auf Typ I, II und III. Nekrosen im Bereich der Metatarsophalangealgelenke
werden als Typ I klassifiziert, daraus kann die Zuspitzung der Metatarsalia
resultieren, die wiederum das Entstehen eines Ulkus begünstigt (siehe
Abbildung 2). Bei Typ-II- Veränderungen (siehe Abbildung 3) sind
hauptsächlich die Tarsometatarsalgelenke, also das Lisfranc-Gelenk
betroffen. Durch Verformung der Cuneiformia entsteht nach Luxation
des Naviculare der schwere Knick-Plattfuß. Der arthropathische Schaukelfuß
entwickelt sich in Folge einer Nekrose vorwiegend im Bereich des
Chopart-Gelenkes (= Typ III); siehe Abbildung 4. Der steil stehende
Talus prädisponiert auf Grund der Drucküberlastung zur Entstehung
des plantaren Ulkus im Fußwurzelbereich. Die seltenen Typ-IV-Veränderungen
entsprechen Nekrosen im Bereich des oberen Sprunggelenkes bzw. des
unteren Sprunggelenkes (= Typ V). Die verminderte Dämpfungseigenschaft
des Fußskelettes führt in Kombination mit unzureichendem Schuhwerk
oft nach kurzer Zeit zu ausgedehnter Ulzeration über druckbelasteten
Knochenarealen und nachfolgend zur Infektion. Die häufigsten Mikroorganismen
sind die gramnegativen aeroben Proteus mirabilis, Pseudomonas
aeruginosa und E. coli sowie die grampositiven Enterokokken
und Staphylococcus aureus.
Abbildung 2: Osteoarthropathie
Typ I nach Sanders
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Abbildung 3: Osteoarthropathie
Typ II nach Sanders
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Abbildung 4: Luxation
des Chopart-Gelenkes bei Osteoarthropathie Typ III nach Sanders
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Die Entstehung einer Ulzeration ist
ein multifaktorielles Geschehen. Die Haut weist auf Grund der verminderten
Schweißsekretion reduzierte mechanische Qualität auf, Schwielenbildung
und Rissigkeit sind die Folge. Durch motorische Neuropathie entstehen
Krallenzehen und der kontrakte Spreizfuß und damit überbelastete
Hautareale. Besonders betroffen sind die Zehenkuppen, die Streckseite
der Mittelgelenke und die Sohlenhaut über den Mittelfußköpfchen.
Durch osteoarthropathische Deformierung des Fußskelettes entstehen
zusätzlich überbeanspruchte Hautareale im Bereich der Fußwurzel
und des Rückfußes. Durch die Formveränderung des Fußes wird die
Mechanik der Muskeln und Sehnen beeinträchtigt, der daraus resultierende
unelastische, plumpe Gang führt zu einem Anstieg von Druckbelastungen
auf unphysiologische Werte.
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