Prävention des diabetischen Fußes

M. Frank
Krankenanstalt Rudolfstiftung, 1. Medizinische Abteilung, Wien
(Vorstand: Prim. Univ.-Prof. Dr. G. Schernthaner).


Wegen der hohen Morbidität und Mortalität zählt das diabetische Fußsyndrom zu den schwerwiegendsten Komplikationen des Diabetes mellitus.


Zusammenfassung

Effektive Präventivmaßnahmen sind notwendig, um die Vorgaben der St.-Vincente-Deklaration nach 50%iger Reduktion der Amputationen bei Diabetespatienten realisieren zu können. Sie umfassen die jährliche Screeninguntersuchung aller Diabetiker auf das Vorliegen einer peripheren Neuropathie oder PAVK zur Identifikation von Hochrisikopatienten, eine strukturierte Patientenschulung, die Gewährleistung einer regelmäßigen, verletzungsfreien Fußpflege und die Versorgung mit geeignetem Schuhwerk.



Einleitung

Das diabetische Fußsyndrom bezeichnet das Auftreten einer Ulzeration, Infektion oder Destruktion von Gewebe. Damit assoziiert sind neurologische Störungen und verschiedene Stadien einer arteriellen Verschlusskrankheit. Durch eine multidisziplinäre Betreuung in spezialisierten diabetischen Fußambulanzen in Verbindung mit qualifizierter Fußpflege, Versorgung mit geeignetem Schuhwerk und strukturierter Patientenschulung kann die Amputationsfrequenz um 45 bis 85% gesenkt werden.

 

Wer ist gefährdet?

Grundlage einer effektiven Prävention stellt die Identifikation der Risikopatienten dar. Während eine jährliche Fußuntersuchung bei allen Diabetespatienten obligatorisch ist, sind bei nachgewiesenen Risikofaktoren häufigere Kontrollen notwendig (siehe Tabellen 1 und 2).

Tabelle 1: Risikofaktoren für das diabetische Fußsyndrom

  • höheres Lebensalter
  • lange Diabetesdauer mit schlechter Stoffwechselkontrolle
  • Multimorbidität: Nephropathie, Retinopathie, KHK, Hypertonie, Hyperlipidämie, Herzinsuffizienz
  • diabetische Neuropathie
  • periphere arterielle Verschlusskrankheit
  • Nikotin-, Alkoholkonsum
  • mangelnde Schulung, inadäquate Fußpflege
  • ungeeignetes Schuhwerk
  • soziale Isolation, Immobilität, eingeschränkte Sehkraft
  • Fußdeformität, eingeschränkte Gelenkmobilität
  • Zustand nach abgeheiltem Ulkus oder nach Amputation

 

Tabelle 2: Risikofaktoren und Screening

Risikofaktor Fußuntersuchung
Keine Neuropathie 1 x alle 12 Monate
Sensorische Neuropathie 1 x alle 6 Monate
Sensorische Neuropathie
und PAVK
und/oder Fußdeformität
1 x alle 3 Monate
Zustand nach früherem Ulkus 1 x alle 1 bis 3 Monate

 

Sekundärprävention: Diabetische Neuropathie und periphere arterielle Verschlusskrankheit

30% aller Diabetiker weisen mit einer diabetischen Polyneuropathie oder peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (PAVK) die hauptsächlichsten Risikofaktoren für die Entstehung eines diabetischen Fußulkus oder einer Gangrän auf. Der Prävention, Diagnostik und Therapie dieser diabetischen Spätkomplikationen kommt entscheidende Bedeutung zu.

 

Diabetisches Polyneuropathie-Syndrom

Mit 70% stellt die periphere sensomotorische und autonome Neuropathie mit Reduktion der Sensibilität, Schmerzempfindung, Propriozeption und Vasomotorik am Fuß die häufigste Ursache des diabetischen Fußsyndroms dar. Bei der jährlichen Diagnostik anhand einer genauen Anamnese und einfacher, nichtinvasiver Tests wird nur in ausgewählten Fällen die Hilfe eines Neurologen benötigt.

  • Anamnese: Hyp- oder Parästhesien, Schmerzen mit nächtlicher Exazerbation. • Inspektion: Durch Ausfall der sympathischen Innervation und Sudomotorenparese ist die Haut warm und trocken, durch Muskelatrophie kommt es zu Krallenzehenbildung und an druckbelasteten Stellen zu Hyperkeratosen.
  • Apparative Diagnostik: Prüfung der Vibrationsempfindung mit der Rydell-Seiffer'schen 128-Hz-Stimmgabel, der Oberflächensensibilität mit dem Semmes-Weinstein-10-g-Monofilament, der Temperaturempfindung mittels Tip-Therm-Sonde und des Reflexstatus mit dem Reflexhammer.

Bei nachgewiesener peripherer Neuropathie stellt die Optimierung der diabetischen Stoffwechsellage und Vermeidung neurotoxischer Noxen wie Alkohol und Nikotin die derzeit einzige bewiesene Kausaltherapie dar. Der Aufklärung der Patienten über Wesen und Risiken ihrer Neuropathie und der Vermeidung von Läsionen am gefährdeten „Hochrisikofuß“ kommt wesentliche Bedeutung zu.

 

Periphere arterielle Verschlusskrankheit

In 30% der Fälle von diabetischer Podopathie stellt die PAVK den Hauptbefund dar. Durch eine gleichzeitig vorliegende Polyneuropathie kann durch den Sensibilitätsverlust die Symptomatik maskiert und damit die Diagnose folgenschwer verzögert werden. Der vaskuläre Status soll bei jedem Diabetespatienten jährlich erhoben werden:

  • Anamnese: Claudicatio-Symptomatik, Ruheschmerzen
  • Inspektion: fehlende Fußpulse, blasse oder livide Haut mit Verlust der Haare und des subkutanen Fettgewebes, verzögerte Venenfüllung nach Elevation
  • Dopplersonographisch gemessener Knöchel-Arm-Index unter 0,9 weist, unter Berücksichtigung einer eventuell bestehenden Mediasklerose, auf eine relevante PAVK hin.
  • Bei Verdacht auf eine Gefäßbeteiligung ist die Indikation zur intraarteriellen DSA-Angiographie oder MR-Angiographie großzügig zu stellen.

Maßnahmen der arteriellen Revaskularisation sind möglichst noch vor Ausbildung größerer Gewebsnekrosen anzustreben. Symptomatisch wird, neben der Optimierung der diabetischen Stoffwechsellage, Modifikation der Risikofaktoren Hypertonie, Nikotin und Hyperlipidämie, die Gabe von Thrombozytenaggregationshemmern und, soferne ein florides Fußulkus dieses nicht verbietet, ein konsequentes Bewegungstraining empfohlen. Vasoaktive Substanzen werden in klinischen Studien unterschiedlich beurteilt.

„Auch kleine Wunden stellen beim Diabetiker einen medizinischen Notfall dar und müssen unverzüglich von einem qualifizierten Arzt behandelt werden.“

 

Tertiärprävention: Vermeidung von Läsionen

Zum Auftreten des diabetischen Fußsyndroms kommt es, wenn Patienten mit peripherer Neuropathie und/oder PAVK Verletzungen ihrer Füße durch Fußpflege, Bagatelltraumen oder lokalen Druck in ungeeignetem Schuhwerk erleiden. Tertiärprävention als Verhütung von Folgeschäden diabetischer Spätkomplikationen bedeutet im Falle der diabetischen Podopathie die Vermeidung von Läsionen am Risikofuß.

 

Patientenschulung

Eine strukturierte Patientenschulung kann nachweislich die Amputationsraten drastisch reduzieren. Folgende Inhalte sollen vermittelt werden:

  • regelmäßige Fußinspektion durch den Patienten oder seine Angehörigen, um druck- oder verletzungsbedingte Komplikationen rechtzeitig zu erkennen
  • Prävention mechanischer, chemischer oder thermischer Noxen durch Vermeiden von Barfußgehen, keratinolytischen Agentien, heißen Bädern oder Sonnenbrand
  • Untersuchung der Schuhe auf Fremdkörper vor dem Anziehen
  • Anleitung zur verletzungsfreien Fußpflege und zum Gebrauch von geeignetem Schuhwerk
  • Richtiges Verhalten bei Verletzungen: Auch kleine Wunden stellen beim Diabetiker einen medizinischen Notfall dar und müssen unverzüglich von einem qualifizierten Arzt behandelt werden. Der Fuß muss entlastet werden.

 

Fußpflege
13% der Läsionen werden beim diabetischen Fußsyndrom durch unsachgemäße Fußpflege verursacht. Regelmäßige, verletzungsfreie Fußpflege kann das Risiko um ca. 90% vermindern. Sie beinhaltet das tägliche, mehrminütige Fußbad in lauwarmem Wasser, das sachgemäße Kürzen der Nägel, schonendes Abtragen von Hyperkeratosen und eine rückfettende Hautpflege zur Vermeidung von Rhagaden.

 

Geeignetes Schuhwerk

Fußläsionen bei Diabetespatienten werden in ca. 50% durch ungeeignete Schuhe verursacht. Schuhwerk, das an die veränderte Biomechanik und Deformitäten diabetischer Füße angepasst ist, ist ein wesentlicher Bestandteil der Prophylaxe und Rezidivprophylaxe. Eine Versorgung mit orthopädischem Schuhwerk ist bei Polyneuropathie-Syndrom oder peripherer arterieller Verschlusskrankheit auch dann indiziert, wenn bisher noch keine Fußläsion aufgetreten ist. Soweit keine Fußdeformitäten bestehen, können dazu wesentlich kostengünstigere, industriell gefertigte Spezialschuhe verwendet werden. Die Schuhe sollen, den Konstruktionsmerkmalen von Tovey entsprechend, weit genug und aus weichem Oberleder ohne Vorderkappe gefertigt sein und durch eine weiche Polsterung im Metatarsalbereich eine mindestens 30%ige Druckreduktion im Vergleich zum Barfußgang aufweisen.

Tabelle 3: Schuhversorgung nach Risikogruppen

Risikogruppe Schuhwerk
0: keine Sensibilitätsstörung normaler Konfektionsschuh
1: Sensibilität vermindert oder PAVK konfektionierter Schutzschuh
2: Sensibilität vermindert und Fußdeformität orthopädischer Maßschuh
3: Sensibilität vermindert und
eingeschränkte Gelenksbeweglichkeit
oder früheres Ulkus und Deformität
orthopädischer Maßschuh
mit starrer Vorfußrolle

4: Charcot-Arthropathie
+ Vorfußfraktur

+ Mittelfußfraktur
+ Rückfußfraktur


orthopädischer Maßschuh
mit starrer Vorfußrolle
mit Mittelfußversteifung
mit Rückfuß-/
Sprunggelenksversteifung
5: Akutes Ulkus Entlastungsschuh, Verbandschuh
Sims/Cavanagh, 1988, In: The Foot in Diabetes.
2nd Edition 1994, John Viley, Chicester

 

Anschrift der Verfasserin:
Dr. Marlies Frank
Krankenanstalt Rudolfstiftung, 1. Med. Abteilung
A-1030 Wien, Juchgasse 25

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