Epidemiologie, Klinik und mikrobiologische Diagnostik der Pest

J. Heesemann, A. Rakin
Max von Pettenkofer-Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie,
Lehrstuhl Bakteriologie, München
(Vorstand: Prof. DDr. J. Heesemann)



Schlüsselwörter:
Rattenfloh, Beulenpest, Pestherde, Wayson-Färbung, Virulenzplasmid, Multiresistenz

Zusammenfassung
Die Pest gehört nicht zu den „ausgestorbenen“ Seuchen. In den Ländern Tansania, Zaire, Vietnam, Peru, Birma (Myanmar) und Madagaskar erreicht sie beachtenswerte Infektionshäufigkeiten. Nach dem 11. September 2001 wurde der Pesterreger als potentielle bioterroristische Waffe erneut in der Öffentlichkeit diskutiert. Das Jahr 2001 hat durch die Veröffentlichung der Genomsequenz von Yersinia pestis auch einen großen Erkenntnisgewinn für die Pestforschung erbracht.
Es gibt drei typische Krankheitsbilder der Pest: Beulenpest, Pestsepsis und Pestpneumonie. Die schnelle Diagnose und eine adäquate Antibiotikatherapie sind lebensrettend. Das therapeutische Mittel der ersten Wahl ist Streptomycin. Prophylaktisch können Tetracycline oder Trimethoprim-Sulfamethoxazol gegeben werden. Eine Antibiotikatestung ist dringend erforderlich, seitdem in Madagaskar multiresistente Pesterreger isoliert wurden.

Key-words:
Rat flea, bubonic plague, plague foci, Wayson-stain, virulence plasmid, multidrug resistance

Summary
Plague has not disappeared. It still belongs to a dangerous infectious disease in Tanzania, Zaire, Vietnam, Peru, Birma (Myanmar) and Madagascar. After September 11th, 2001 the causative agent of plague was again discussed as a potential bioterroristic weapon. In 2001 the total genome sequence of Yersinia pestis has been published and thus will stimulate Y. pestis research.
The principle forms of plague are bubonic, septicemic and pneumonic. A rapid diagnosis and initiation of suitable antibiotic treatment are required to reduce lethality of this disease. Streptomycin is the drug of the first choice. Tetracycline and trimethoprim-sulfamethoxazole are recommended for prophylaxis. In vitro testing of antibiotic resistance of Y. pestis is required since multidrug resistant strains have been reported in 1997.

Einleitung

Die Pest gehört zu den gefürchtetsten Infektionskrankheiten, die wir kennen [1]. Die Geschichte belegt wenigstens drei Pandemien, denen mehr als 100 Millionen Menschen zum Opfer fielen (Justinianische Pest: 6. Jahrhundert n. Chr., „Schwarzer Tod“: Mitte des 14. Jahrhunderts, Hongkong-Pest: Ende des 19. Jahrhunderts). Der Erreger, Yersinia pestis, wurde von Alexandre Yersin 1894 in Hongkong entdeckt. Einige Jahre später zeigten Ogata und Simond, dass der Pesterreger durch Rattenflöhe übertragen wird. Die Hongkong-Pest führte zu einer weltweiten Verbreitung des Pesterregers – erstmalig gelangte der Pesterreger an die Westküste Amerikas und nach Australien. Die Pest hat heute ihren Schrecken verloren. In Westeuropa gibt es keine Pestherde. Eine rechtzeitig erkannte Pesterkrankung kann mit Antibiotika effektiv therapiert werden. Dieser Zustand sollte uns aber nicht glauben lassen, dass die Pest besiegt sei.
Auch heute noch gibt es auf allen Kontinenten Wildpestherde und entsprechend sporadische Pestfälle bis hin zu kleinen Pestepidemien [2]. Besonders Besorgnis erregend ist aber der kürzlich von einem Pestkranken auf Madagaskar isolierte Y. pestis-Stamm, der ein übertragbares Multiresistenzplasmid trägt [3]. Darüber hinaus haben die Milzbrandanschläge in den USA im letzten Quartal des Jahres 2001 gezeigt, dass bioterroristische Anschläge keine Fiktion sind. Der Pesterreger gehört auch in die Kategorie der Biowaffen. Dieser Beitrag soll altbekanntes Wissen zur Pest auffrischen, auf neue Erkenntnisse über den Pesterreger hinweisen und die Diagnose und Therapie der Pest verbessern.

 

Mikrobiologie des Pesterregers

Seit 1964 wird der Pesterreger als Yersinia pestis bezeichnet (früher Pasteurella pestis). Zum Genus Yersinia gehören inzwischen 11 Arten, wobei neben Y. pestis noch Y. pseudotuberculosis und Y. enterocolitica von humanmedizinischer Bedeutung sind [1].
Die zwei letzteren Arten werden durch kontaminierte Lebensmittel aufgenommen und sind enteropathogen. Die Yersinien gehören wie Salmonellen und Escherichia coli zur Familie der Enterobacteriaceae. Der Vergleich der 16S rDNA-Sequenzen zeigt, dass Y. pestis und Y. pseudotuberculosis eigentlich einer Art angehören sollten, wogegen Y. enterocolitica phylogenetisch deutlich abgegrenzt werden kann [4].
Alle drei Arten wachsen fakultativ anaerob mit Temperaturoptimum bei 28° C auf Blutagar und weniger gut auf Mac-Conkey-Agar. Das Wachstum erfolgt langsam (deutliche Kolonien nach 48 Stunden). Y. pestis zeigt eine Dissoziation in 2 Kolonietypen: 1. runde, glatte Kolonien mit scharfem Rand und 2. größere, granulierte, flache Kolonien mit fransenartigem Randsaum. Auf Blutagar wachsen Yersinien ohne Hämolyse. In Flüssigkeitsmedien bildet Y. pestis einen Bodensatz ohne deutliche Trübung des Mediums. Y. pestis kann nach Gram, Giemsa und Wayson (modifizierte Methylenblau-Färbung) angefärbt werden. Mikroskopisch stellen sie sich als pleomorphe, vorwiegend kokkoide Stäbchen dar. Nach Wayson- oder Methylenblau-Färbung wird die typische bipolare Anfärbung der ovalen Stäbchen (Sicherheitsnadelform) von Y. pestis deutlich (Abb. 1).

 

Abbildung 1: Ausstrich von Bubonen-Aspirat, bipolare Färbung der Stäbchen (Sicherheitsnadelform), Methylenblau-Färbung

Abbildung 1

Zur Absicherung der Identifizierung von Y. pestis kann das in Tabelle 1 dargestellte biochemische Differenzierungsschema dienen. Die signifikantesten Merkmale sind das Fehlen der Motilität und der Hydrolyse von Harnstoff [1]. Von epidemiologischem Interesse ist die Biotypisierung (eine Serotypisierung ist aufgrund des kurzkettigen O-Antigens nicht möglich). Man unterscheidet die Biotypen antiqua, mediaevalis und orientalis (Tab. 2). Zu ähnlichen Ergebnissen führen auch genomische Restriktionsmuster von Y. pestis [5].

Tabelle 1: Biochemische Differenzierung von Y. pestis zur Abgrenzung von enteropathogenen Yersinien

Reaktion
Y. pestis
Y. pseudotuberculosis
Y. enterocolitica
(Biotypen I B, II - IV)
Beweglichkeit
Harnstoff
Aesculin
Saccharose
Melibiose
-
-
-/+
-
-
+
+
+
+
+
+
+
-
+
-

 

Tabelle 2: Biovarietäten von Y. pestis

Biovar
NO3-Reduktion
Glycerin
Vorkommen
Antiqua
Mediaevalis
Orientalis
+
-
+
+
+
-
Zentralasien, Afrika
Vorderer Orient, Kasachstan
Amerika, Afrika, Asien

Y. pestis wird schnell abgetötet durch Erwärmen auf 56° C für 15 min und durch Sonnenlichtexposition (3-4 h). In getrockneten Sekreten oder Blut und im Flohfäzes ist der Erreger über 3 Wochen lebensfähig. In Erdhöhlen von Nagetieren und im Rattenfloh kann Y. pestis über ein Jahr überleben. Da frische Y. pestis-Isolate in der Regel hoch virulent sind, dürfen die Erreger oder Pest-verdächtige Proben nur in einem L3-Sicherheitslabor bearbeitet werden.

 

Molekularbiologie der Pathogenität von Y. pestis

Schon früh war Mikrobiologen aufgefallen, dass frische Pestisolate auf festen Nährböden bei 37° C viel langsamer wachsen als bei 28° C, dass wenigstens zwei Kolonietypen mit dem Auge erkennbar sind sowie dass die größeren flachen Kolonien für Nagetiere viel weniger virulent sind als die runden Formen mit dem glatten Rand. Darüber hinaus konnte auch beobachtet werden, dass die virulenten Formen Hämin oder Kongorot (Kongorot-Agar) speichern, was zur Bezeichnung des Phänotyps „Pigmentation“ (Pgm) führte (Abb. 2).

 

Abbildung 2: Y. pestis aus einer Stammsammlung wurde auf Kongorot-Agar ausgestrichen und 3 Tage bei 28° C inkubiert. Die rot pigmentierten Kolonien sind Pgm-positiv und können Hämin speichern. Die blassen Kolonien haben den pgm-Iocus deletiert.

Abbildung 2

Virulente Y. pestis zeigen ein kalziumabhängiges Wachstum bei 37° C. Wird durch Zugabe von Magnesiumchlorid/Natriumoxalat (10 mM/10 mM) dem Nähragar Kalzium entzogen (MOX-Agar, Präzipitation von Ca-Oxalat), wachsen die avirulenten Y. pestis bei 37° C nach 24 Std. zu sichtbaren Kolonien heran, während die virulenten Yersinien nur mikroskopisch zu erkennen sind [1]. Bei 28° C wachsen beide Formen auf MOX-Agar gleich gut. Dieses Phänomen wird auch bei virulenten Y. pseudotuberculosis und Y. enterocolitica beobachtet. Verantwortlich für diesen Phänotyp ist das 70 Kilobasen große Virulenzplasmid pYV, das bei allen drei Yersinia-Arten vorkommt. Dieses Virulenzplasmid kodiert für ein Protein-Typ III-Sekretionssystem, das die Yersinien befähigt, Pathogenitätsfaktoren (die sog. Yersinia outer proteins, Yops) an der Erreger-Wirtzell-Kontaktzone in das Zytoplasma zu translozieren [1]. Einige dieser Yops und ihre zellulären Funktionen sind in Abbildung 3 dargestellt.

Abbildung 3: Schematische Darstellung von Y. pestis mit den drei Virulenzplasmiden und der kontaktinduzierten Yop-Translokation (Proteinsekretion-Typ III)

Abbildung 3

Bisherige Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Yops die Signaltransduktionskaskade, die normalerweise nach Kontakt mit Bakterien zur Aktivierung der Zelle führt (z.B. Phagozytose, Sauerstoffradikalbildung, TNF-alpha-Produktion), hemmen und Makrophagen durch Apoptoseinduktion abtöten [6]. Darüber hinaus induziert das lange bekannte V-Antigen von Y. pestis IL-10 in Makrophagen, was zur Immunsuppression führt [7]. Y. pestis trägt noch zwei weitere Plasmide: pTOX ist ein 100 Kb großes Plasmid, das für ein mausspezifisches Toxin (Mtx, Lipase D) und ein Kapselprotein (Fraktion 1, Fra 1) kodiert. Die Lipase D benötigen die Pestbakterien zum Überleben und Vermehren im Flohmagen. pCPC ist 10 Kb groß und kodiert für eine temperaturabhängige Protease, die Plasminogen bei 37° C aktiviert und Fibrinbildung bei 28° C induziert. Der Proteaseaktivität wird eine pathogenetische Bedeutung bei der subkutanen Disseminierung zugeschrieben. Auf pCPC ist auch das Gen, für das Bacteriocin Pestizin lokalisiert, das auf Yersinia pseudotuberculosis Serotyp I, Y. enterocolitica Biotyp I B sowie bestimmte E. coli-Stämme bakterizid wirkt [8].
In der Natur kommen Y. pestis-Stämme mit allen möglichen Plasmidkombinationen vor. Im Labor erweisen sich besonders die zwei großen Plasmide bei 37° C Anzuchttemperatur als instabil (spontane Konversion zu avirulenten Stämmen). Eine weitere genetische Instabilität ist auf dem Chromosom lokalisiert, die im Zusammenhang mit Verlust der Virulenz, der Pestizinempfindlichkeit und des Pigmentationsphänotyps steht [1, 8, 9]. Auf einem etwa 100 Kb großen Bereich auf dem Chromosom befinden sich Gencluster, die für Häminspeicherung (hms-locus) und für Siderophorbiosynthese (Yersiniabaktin) und Aufnahme sowie Pestizinempfindlichkeit (irp/fyuA-locus) kodieren. Dieser Bereich trägt zahlreiche IS-Elemente, die wahrscheinlich für spontane Deletionen und damit für Verlust der genannten Phänotypen sorgen. Der infektionsbiologische oder mikroökologische Sinn der genetischen Instabilitäten der Virulenzgene bei Y. pestis ist unklar.
Gensequenzvergleiche zwischen den humanpathogenen Yersinia-Arten haben nicht nur deutlich gemacht, dass Y. pestis und Y. pseudotuberculosis phylogenetisch zu einer Bakterienart gehören, sondern auch, dass Y. pestis vor 1.500 bis 30.000 Jahren aus
Y. pseudotuberculosis, Serotyp 01, entstanden ist [10]. Die Genomsequenz von Y. pestis hat diesen evolutionären Zusammenhang bestätigt und darüber hinaus gezeigt, dass über 149 Gene, die in Y. pseudotuberculosis aktiv sind, in Y. pestis durch Insertionselemente oder Punktmutationen inaktiviert sind [11].

 

Ökologie und Epidemiologie

Bei der Pest handelt es sich um eine Zoonose von Nagetieren, die durch Flöhe übertragen wird. Der Rattenfloh (Xenopsylla cheopsis) infiziert sich durch Blut von septikämischen Ratten. Y. pestis kann im Vormagen des Flohs überleben und das Blut koagulieren. Wahrscheinlich führt dieser Zustand den Floh zu erneuter Blutmahlzeit. Nach dem Stich wird der infektiöse Mageninhalt herausgewürgt. Auf diese Weise wird der Pesterreger auf andere Wirte (Nagetiere, Haustiere, Menschen u. a.) übertragen. Je nach Widerstandsfähigkeit des Wirtes können Flöhe den Pesterreger dann weiter verbreiten.

Zu den typischen Nagetieren in Wildpestgebieten gehören Ratten, Feldmäuse, Ziesel, Erdhörnchen u. a. Pestepidemien treten in der Regel dann auf, wenn der Pesterreger in urbane Rattenpopulationen einbricht und eine Epizootie auslöst. Die infizierten Rattenflöhe können dann Haustiere und Menschen befallen. Von der Stichstelle aus gelangt der Pesterreger in die nächstgelegenen Lymphknoten (z.B. untere Extremität, Inguinallymphknoten). Innerhalb von 2 bis 6 Tagen entwickelt sich eine schmerzhafte Lymphadenitis (Bubo) mit starker Schwellung und schwerem Krankheitsgefühl. Die WHO hat die bekannten Wildpestherde und die gemeldeten Pestfälle weltweit registriert [2].
Wie in Tabelle 3 dargestellt, kommen die häufigsten Pestfälle in Tansania, Vietnam, Zaire, Peru, Madagaskar und Birma (Myanmar) vor. Aber auch in den Südweststaaten der USA (New Mexico, Arizona, Colorado, Kalifornien) werden ca. 10 bis 20 Pestfälle pro Jahr registriert. (In Tab. 3 sind nur diese Länder aufgeführt.) Besonders häufig werden Pestfälle in den warmen Sommermonaten während des Vermehrungsmaximums der Flöhe und der Wurfzeit der Nagetierpopulation im Pestherd gemeldet.
Die Beulenpest beim Menschen muss nicht ansteckend sein, solange der Patient keine Pestseptikämie mit nachfolgender Pestpneumonie entwickelt. Pestpneumonien sind hoch infektiös, der Erreger kann dann durch Tröpfchen übertragen werden. Wahrscheinlich liegt die Infektionsdosis bei 1 - 10 Erregern. Eine Pestpneumonie kann in 2 Tagen zum Tode führen. Bei den 390 Pestfällen in den USA im Zeitraum 1947 bis 1996 handelte es sich in 83,9% um Beulenpest (Letalität: 13,5%), 12,6% um primäre Pestseptikämien (Letalität: 22,4%) und um 1,8% Lungenpest (Letalität: 57%) [12].
Besonders erwähnenswert ist eine Zunahme der Pestfälle in den letzten Jahren und das Auftreten von multiresistenten Erregern. In den Jahren 1980 - 1989 wurden im Jahresdurchschnitt 861 Pestfälle registriert, während in den Jahren 1990 - 1994 der Jahresdurchschnitt bei 2.025 Fällen lag [2].

Tabelle 3: Gemeldete Fälle an Pestkranken und -toten 1980 - 1994 (WHO, 1996)

Kontinent
Erkrankte
Tote
Afrika
Madagaskar
Tansania
Zaire
Amerika
Brasilien
Peru
USA
Asien
Indien
Myanmar
Vietnam
10.155
1.390
4.964
2.242
2.923
700
1.722
229
5.661
876
1.160
3.304
1.344
302
419
531
184
9
112
33
325
54
14
158
Total
18.739
1.853

1995 wurde in Madagaskar bei einem Jugendlichen mit Beulenpest ein multiresistenter Y. pestis, Biovar orientalis isoliert, der ein konjugatives Plasmid der Inc6-C-Gruppe mit Resistenzgenen gegen Betalaktam-Antibiotika, Chloramphenicol, Tetracyclin, Kanamycin, Streptomycin, Spectinomycin und Sulfonamide trägt. Dieser Stamm erwies sich in vitro noch empfindlich für Cephalosporine, Gentamicin, Chinolone und Trimethoprim. Der Patient überlebte nach Therapie mit Trimethoprim-Sulfamethoxazol.

 

Klinik

Die Pest manifestiert sich in drei unterschiedlichen Krankheitsbildern.

1. Beulenpest:
Ausgehend vom Ort des Flohstiches entwickelt sich eine schmerzhafte Lymphknotenschwellung inguinal, axillar oder cervikal innerhalb von 2 bis 6 Tagen, verbunden mit schwerem Krankheitsgefühl (hohes Fieber, Durchfall, Erbrechen, Verwirrtheit, Kopfschmerzen, Schüttelfrost). Erreger sind häufig in Blutkulturen und Bubo-Aspirat nachweisbar (10-107 Erreger pro ml Blut).

2. Primäre Pestsepsis:
Bei etwa 10% der Pestinfizierten entwickeln sich keine Bubonen, sondern die Infektion führt primär zu einem septischen Krankheitsbild (im Unterschied zur sekundären Sepsis bei Beulenpest) mit schweren gastrointestinalen Beschwerden.

3. Lungenpest:
Die Lungenpest kann sich sekundär aus der Pestbakteriämie z.B. nach Beulenpest oder Pestsepsis entwickeln oder primär durch Aufnahme des Erregers über die Atemluft (Tröpfcheninfektion, Y. pestis-kontaminierter Staub von infizierten Tieren). Nach einer sehr kurzen Inkubationszeit von 1 bis 3 Tagen entwickelt sich ein schweres Krankheitsbild mit blutigem Sputum, Pneumonie und septischen Temperaturen. Wenn nicht innerhalb von 12 bis 18 Stunden eine adäquate Antibiotika-Therapie eingeleitet wird, endet die Pestpneumonie in der Regel tödlich. Im Gegensatz zur Beulenpest sind die Pneumoniepatienten hoch infektiös. Kontaktpersonen sollten Mundschutz, Schutzbrille, Haube, Schutzkittel und Handschuhe tragen und prophylaktisch Antibiotika (z.B. Minocyclin, Trimethoprim-Sulfamethoxazol) einnehmen.

 

Diagnostik

Eine Infektion mit Yersinia pestis setzt in der Regel einen Aufenthalt in einem Pestenzootiegebiet voraus. Dies ist bei der Anamneseerhebung zu berücksichtigen. Differentialdiagnostisch kommen bei fehlendem Bubo z.B. Malaria, Q-Fieber, Typhus, Fleckfieber, Brucellose und bei Lymphknotenschwellung oder Ulzeration z.B. Diphtherie und Tularämie in Frage.

Bei Verdacht auf Pest sollten Kulturen von Bubonen-Aspirat, Blut (2 bis 3 Blutkulturen innerhalb von 60 min) und ggf. Sputum oder Liquor angesetzt werden (Blutagar, BHI-Agar, Mac-Conkey-Agar, Inkubation bei 28° C bis 48 Stunden). Obligat ist die Anfärbung von Patientenmaterial nach Gram und Wayson (oder Methylenblau), um die typischen sicherheitsnadelförmigen Pestbakterien mikroskopisch zu identifizieren. Da die meisten Pesterreger das F1-Kapselprotein produzieren, können die Erreger mittels Anti-F1-Serum in der Immunfluoreszenz spezifisch dargestellt werden. Neuerdings können auch molekularbiologische Methoden wie PCR und In-situ-Hybridisierung mit fluoreszierenden r-RNA-spezifischen Proben (FISH-Technik) zum Direktnachweis von Pestbakterien herangezogen werden [13]. Auch der Nachweis von F1-Antigen im Blut mittels ELISA gehört zur Schnelldiagnostik der Pest, wogegen die serologische Diagnostik (z.B. Nachweis von Serumantikörpern gegen F1-Antigen) mehr von retrospektiver und epidemiologischer Bedeutung ist [1]. Hier sollte erwähnt werden, dass Y. pestis-Isolate nicht selten als Y. pseudotuberculosis falsch identifiziert wurden [1, 12].
Der Krankheitsverdacht, die Erkrankung sowie der Tod an Pest sind meldepflichtig.

 

Therapie und Prophylaxe

Für das Überleben des Pestpatienten sind eine schnelle Diagnose und eine sofortige Antibiotikatherapie entscheidend. Penicilline und Cephalosporine haben sich für die Therapie der Pest als ineffizient erwiesen. Das wirksamste Antibiotikum ist bis heute Streptomycin geblieben. Bei Pestmeningitis oder Streptomycin-Kontraindikation ist eine Chloramphenicol-Therapie angezeigt. Auch Doxycyclin hat sich als wirksam erwiesen. In Tabelle 4 sind die anerkannten Therapieprotokolle angegeben. Patienten mit Verdacht auf Pestpneumonie müssen nach Beginn der Antibiotikatherapie mindestens weitere 48 Stunden isoliert werden.

 

Tabelle 4: Empfehlungen für Therapie und Prophylaxe

Therapie (8-10 Tage)
Tagesdosis
Applikation
Dosierungsintervall (h)

Streptomycin
Gentamicin
Erwachsene
Kinder

Tetracyclin (Erwachsene)

Doxycyclin

Chloramphenicol

Prophylaxe (7 Tage)

Doxycyclin
Trimethoprim-
Sulfamethoxazol

30 mg/kg/KG

3 - 5 mg/kg/KG
6 - 7 mg/kg/KG

2 g

200 mg (initial)
100 mg
25 mg/kg/KG (initial)
50 mg/kg/KG



100 - 200 mg
1,6 - 3,2 g

i . m.

i. v. / i. m.
i. v. / i. m.

p. o.

p. o.
p. o.
i. v.




p. o.
p. o.
8 - 12

8
8

6

12
12

6



12
12

Medizinisches Personal und andere Personen, die Kontakt mit Pestpatienten haben, sollen prophylaktisch Tetracyclin/Doxycyclin oder Trimethoprim-Sulfamethoxazol für 7 Tage einnehmen.
Eine Impfung mit Totvakzinen ist nicht empfehlenswert. Bei Aufenthalt in Wildpestherden sind Schutzmaßnahmen gegen Flohstiche (entsprechende Beinkleidung, Flohrepellent u. a.) und ggf. eine Antibiotikaprophylaxe empfehlenswert. Trotz aller neuen Erkenntnisse zur Pest und Pesttherapie gilt auch weiterhin das Camus-Zitat (aus Die Pest):

"Denn er wusste, was dieser frohen Menge unbekannt war und was in den Büchern zu lesen steht: dass der Pestbazillus niemals ausstirbt oder verschwindet ..."

 

Gewinnung des Bubonen-Aspirats und Färbung nach Wayson

1. 1 ml Spritze mit 1 ml Kochsalzlösung (steril)
2. Einstich in Bubo und Aspiration von blutiger Spülflüssigkeit (häufig kein flüssiger Eiter vorhanden).
3. Aspirattropfen auf Objektträger ausstreichen, lufttrocknen und mit absolutem Alkohol fixieren.
4. Wayson-Färbung (0,2 g basisches Fuchsin plus 0,75 g Methylenblau) in 20 ml Äthylalkohol (95%) lösen und langsam in 200 ml einer 5%igen Phenollösung einrühren und filtrieren.
5. Wayson-Färbelösung 10 - 20 Sekunden auf fixierten Ausstrich einwirken lassen, mit Wasser waschen und trocknen.

 

Literatur:

1. Perry R.D., Fetherston J.D.: „Yersinia pestis – Etiologic Agent of Plague.“ Clin. Microbiol. Reviews 10 (1997) 35-66.

2. „Prevention of Plague.“ Recommendation of the Advisory Committee on Immunization Practices (ACIP) MMWR 45 (RR-14): (1996) 1-15.

3. Galimand M., Guiyoule A., Gerbaud G., Rasamanana B., Chanteau S., Carnie E., Courvalin P.: „Multidrug Resistance in Yersinia Pestis Mediated by a Transferable Plasmid.“ N. Engl. J. Med. 337 (1997) 667-680.

4. Ibrahim A., Goebel B.M., Liesack W., Griffiths M., Stackebrandt E.: „The phylogeny of the genus Yersinia based on 16S rDNA sequences.“ FEMS Micro. Letters 114 (1993) 173-178.

5. Rakin A., Heesemann J.: „The established Yersinia pestis biovars are characterized by typical patterns of I-Ceui restriction fragment length polymorphism.“ Mol. Genet. Microbiol. Virusol. 3 (1995) 26-29.

6. Ruckdeschel K., Harb S., Roggenkamp A., Hornef M., Zumbihl R., Köhler S., Heesemann J., Rouot B.: „Yersinia enterocolitica impairs activation of transcription factor NF-kB: Involvement in the induction of programmed cell death and in the suppression of the macrophage TNF-a production.“ J. Exp. Med. 187 (1998) 1069-1079.

7. Sing A., Roggenkamp A., Geiger A.M., Heesemann J.: „Yersinia enterocolitica Evasion of the Host Innate Immune Response by V Antigen-Induced IL-10 Production of Macrophages Is Abrogated in IL-10-Deficient Mice.“ J. Immunol. 168 (2002) 1315-1321.

8. Rakin A., Saken E., Harmsen D., Heesemann J.: „The pesticin receptor of Yersinia enterocolitica: a novel virulence factor with dual function.“ Mol. Microbiol. 13 (1994) 253-263.

9. Schubert S., Rakin A., Karch H., Carniel E., Heesemann J.: „Prevalence of the “High-Pathogenicity Island“ of Yersinia Species among Escherichia coli Strains That are Pathogenic to Humans.“ Infect. Immun. 66 (1998) 480-485.

10. Achtmann M., Zurth K., Morelli G., Torrea G., Guiyoule A.,. Carniel E.: „Yersinia pestis, the cause of plague, is a recently emerged clone of Yersinia pseudotuberculosis.“ Proc. Natl. Acad. Sci. USA 96 (1999) 14043-14048.

11. Parkhill J. et al.: „Genome sequence of Yersinia pestis, the causative agent of plague.“ Nature 413 (2001) 523-527.

12. Anonymus: „Fatal Human Plague – Arizona and Colorado, 1996.“ MMWR 46 (1997) 617-620.

13. Hinnebusch J., Schwan T.G.: „New Method for Plague Surveillance Using Polymerase Chain Reaction To Detect Yersinia pestis in Fleas.“ J. Clin. Microbiol. 31 (1993) 1511-1514.

14. Trebesius K.-H., Harmsen D., Rakin A., Schmelz J., Heesemann J.: „Development of rRNA targeted PCR and in situ hybridization with fluorescently labelled oligonucleotides for detection of Yersinia species.“ J. Clin. Microbiol. 36 (1998) 2557-2564.

 

Anschrift der Verfasser:
Prof. DDr. J. Heesemann, Dr. A. Rakin
Max von Pettenkofer-Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie
D-80336 München, Pettenkoferstraße 9a
E-Mail: heesemann@m3401.mpk.med.uni-muenchen.de, rakin@m3401.mpk.med.uni-muenchen.de

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