Kongressbericht ICAAC 2002


H. Burgmann
Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Klin. Abt. für Infektionen und Chemotherapie, AKH Wien
(Vorstand: Univ.-Prof. DDr. W. Graninger)



Beim ICAAC 2002 in San Diego wurden einige wissenschaftliche Arbeiten zum Thema Telithromycin, einem Vertreter der Ketolide, präsentiert.

Folgende Themen wurden abgehandelt:

1. Weltweite Resistenzdaten (S. pneumoniae, S. pyogenes, H. influenzae)
2. Klinische Studien mit Telithromycin
3. Pharmakodynamische/pharmakokinetische Daten von Telithromycin
4. Satellitensymposium zum Thema „Ökologische Auswirkungen der Resistenz“

 

Weltweite Resistenzdaten

In den 90er Jahren wurde mittels des SENTRY-Surveillance-Programmes eine deutliche Zunahme von Resistenzen der Respirationstraktkeime in Asien registriert. So produzierten 17% von Moraxella catarrhalis und Haemophilus influenzae ß-Laktamasen, 20% der S. pneumoniae waren Pen G-resistent (MIC 2 mg/L) und etwa 50% waren Makrolid-resistent.

1999 wurde PROTEKT (Prospective Resistant Organism Tracking And Epidemiology for the Ketolide Telithromycin) als globales Surveillance-Programm für Respirationstraktinfektionserreger (RTI) ins Leben gerufen.

Die Analyse von 3.362 Isolaten von S. pneumoniae zwischen 1999/2000 (PROTEKT Global) ergab eine Pen G-Resistenzrate (MIC 2 mg/L) von 22,1% mit weiteren 14,1% der Isolate mit Intermediärresistenz (MIC 0,12 - 1 mg/L). Es fand sich aber eine große geographische Streubreite der nicht Pen G-empfindlichen Keime (resistent + intermediär resistent): z.B. in Hongkong 58,6%, Japan 64,3%, Südkorea 81%, Frankreich 62%, Spanien 53,4%, USA 43%.

Wie oben angeführt, entpuppte sich Japan als Hochrisikoland für resistente RTI-Keime. Im Winter 2000/2001 waren 30,9% der Pneumokokken resistent gegen Pen G und 77,2% gegen Erythromycin (Iinuma et al.) [1]. Für S. pyogenes betrug die Erythromycin-Resistenzrate 5%, 8,8% von
H. influenzae und 93,7% von M. catarrhalis produzierte ß-Laktamasen. Telithromycin hingegen zeigte durchgehend Empfindlichkeit gegen die getesteten RTI-Keime, vor allem auch gegen die Pen G- und Erthromycin-resistenten Bakterien.

Die Makrolid-Resistenz kann nun grob gesprochen in 2 Arten unterschieden werden:

Target-site-Resistenz: Dabei kommt es zur Methylierung der 23S rRNA durch die rRNA-Methylase erm(B)- oder erm(A)-Subklasse erm(TR). Diese Methylierung bedingt eine verminderte Bindung der Makrolide und wird als MLSB-Phänotyp bezeichnet.

Efflux-Resistenz: Dieser Resistenzmechanismus wird durch das mef(A)-Gen hervorgerufen und resultiert in einem relativ geringen Resistenzlevel mit MIC von 1-8 mg/L und einer erhaltenen Empfindlichkeit gegen Clindamycin.

Brown S. et al. präsentierten Resistenzdaten von S. pyogenes der USA während des Winters 2000/2001 [2]. 5,5% von S. pyogenes waren Ery-resistent, allerdings mit einem deutlichen Nord-Süd-Gefälle. So lag die Resistenzrate im NW bei 8,2%, im SW bei 3,8%, und war > 10% in 10 Staaten. Städte waren die Brennpunkte der Resistenz mit beispielsweise 33,3% Resistenzrate in Stamford. 49,8% waren vom mef(A)-, 41,2% erm(TR)- und 5,7% vom erm(B)-Resistenztyp. Ery A-resistente S. pyogenes waren in 96,7% und 96,3% resistent gegen Clarithromycin und Azithromycin. Telithromycin zeigte ausgezeichnete Wirksamkeit bei diesen Keimen.

Farrell et al. präsentierten Resistenzdaten von S. pneumoniae und S. pyogenes bei pädiatrischen Patienten [3, 4].

Betreffend S. pneumoniae fanden sich weltweit folgende Resistenzraten: intermediate Penicillin-resistent 18%, Penicillin-resistent 24,8% und Makrolid-resistent 35,9%. Allerdings ist eine große geographische Streubreite zu verzeichnen: 0% in den Niederlanden und Belgien bzw. > 60% in Südkorea. 52,1% der Makrolid-resistenten Pneumokokken waren coresistent gegen Pen G, und der Großteil der multiresistenten Keime wurde bei Kindern < 2 Jahre isoliert. Telithromycin zeigte hervorragende Aktivität gegen Keime mit mef(A) und/oder erm(B).

Bezüglich S. pyogenes war die Ery A-Resistenzrate weltweit 10,2% mit der höchsten Rate in Italien (36,7%) und Polen (37,5%). Kein Ery A-resistenter Keim war auf Clarithromycin oder Azithromycin empfindlich. Alle Keime mit erm(A) und mef(A) waren auf Telithromycin empfindlich, während 85,7% mit erm(B) nicht Telithromycin-empfindlich waren.

In einer weiteren Präsentation im Rahmen der PROTEKT-Studie wurde die Resistenzrate von H. influenzae untersucht. 15-25% der isolierten
H. influenzae-Isolate waren ß-Laktamase-positiv, wobei der TEM-1-Typ mit 90-95% gegenüber dem ROB-1-Typ überwog. Interessant war, dass der ROB-1-Typ mit Ausnahme eines Erregers in Österreich in Europa nicht vorkommt, während er 20,8% der ß-Laktamasen in den USA ausmacht. Telithromycin ist hoch effektiv gegen beide ß-Laktamase-Typen.

 

Klinische Studien zu Telithromycin

Betreffend die klinische Effektivität wurden einige interessante Studien vorgestellt. Tellier G. et al. verglichen die Sicherheit und Effektivität von
5 oder 7 Tage Telithromycin gegenüber 10-Tage-Therapie mit Clarithromycin bei community acquired pneumonia (CAP) [5]. 581 Patienten wurden in 3 Gruppen eingeteilt: Gruppe 1 erhielt Telithromycin für 5 Tage, Gruppe 2 für 7 Tage und Gruppe 3 erhielt Clarithromycin für 10 Tage. Die klinische Heilungsrate war für Gruppe 1 89,3%, Gruppe 2 88,8% und Gruppe 3 91,8%. Eine Subgruppenuntersuchung fokussierte auf die Makrolid-resistenten Pneumokokken. Telithromycin war effektiv gegen alle Makrolid-resistenten S. pneumoniae-Isolate. Eradikationsraten betrugen 100% in der 5- und 7-Tage-Gruppe bzw. 50% in der 10-Tage-Clarithromycin-Gruppe. Alle Individuen der 5- und 7-Tage-Telithromycin-Gruppe mit S. pneumoniae zeigten klinische Heilung in 100%, während die Heilungsrate in der Clarithromycin-Gruppe nur bei 66,7% lag.

Die Studie schloss, dass 1-mal 800 mg Telithromycin für 5 bzw. 7 Tage gleich effektiv ist wie 2-mal tgl. Clarithromycin für 10 Tage. Im Sinne der Kostenreduktion ist die 5-Tage-Telithromycinbehandlung eine interessante Therapieoption.

In einer weiteren Studie von Pullman et al. wurde die klinische und bakteriologische Effektivität von Telithromycin bei Patienten mit CAP, verursacht durch Erythromycin-resistente Stämme, untersucht [6]. Sowohl bei Einfach- als auch bei Mischinfektionen war Telithromycin bei 88,9% der Patienten mit Erythromycin-resistenten S. pneumoniae-Infektionen klinisch sowie bakteriologisch effektiv.

P. Iannini et al. verglichen Telithromycin 1-mal tgl. 800 mg bei CAP, der akuten Exazerbation der chronischen Bronchitis und bei der akuten Sinusitis mit 2-mal tgl. Amoxicillin/Clavulansäure (875/125 mg) [7]. Insgesamt wurden in die Studie um die 24.000 Personen inkludiert. Die meisten Nebenwirkungen waren geringgradig und betrafen den Gastrointestinaltrakt. Die Effektivität von 1-mal tgl. 800 mg Telithromycin war vergleichbar zur 2-mal tgl. Gabe von Amoxicillin/Clavulansäure.

Singer et al. behandelten in ihrer Publikation die Auswirkung der steigenden Chinolon-Resistenz auf die Behandlung der CAP, im Speziellen auf die Hospitalisierungsrate [8]. Sie verwendeten für ihre Berechnungen zwei Ausgangsannahmen:

a. die derzeitige Chinolon-Resistenz in den USA von 1,5% und
b. als Worst-case-Szenario die 15,7% Chinolon-Resistenz von S. pneumoniae in Hongkong.

Als Grundlage für die Resistenzdaten der Pneumokokken dient die PROTEKT-Studie 1999/2000.

Weitere zugrunde liegende Annahmen der Berechnung:

  • die Selbstheilungsrate der CAP beträgt 10%
  • 90% der sensiblen Bakterien sprechen auf Therapie an
  • 20% der initialen Therapieversager und 100% der sekundären Therapieversager werden hospitalisiert

3 Therapieschemata wurden hinsichtlich der Effektivität und Hospitalisierungsrate evaluiert: Primär-/Sekundärtherapie

Azithromycin (250 mg/d – loading dose 500 mg)/ Moxifloxacin (400 mg)

Amoxicillin (875 mg)/ Moxifloxacin (400 mg)

Telithromycin (800 mg)/ Moxifloxacin (400 mg)

Bei einer Chinolon-Resistenz von 1,5% finden sich nun folgende Hospitalisierungsraten:

Azi/Moxi 10,5%
Amoxi/Moxi 6,6%
Telithro/Moxi 2,6%

Bei einer angenommenen Chinolon-Resistenz von 15,7% (Hongkong) finden sich folgende Hospitalisierungsraten:

Azi/Moxi 14,1%
Amoxi/Moxi 8,8%
Telithro/Moxi 3,5%

Die Autoren folgerten aus ihren Berechnungen, dass bei steigender Chinolon-Resistenz die Hospitalisierungsrate bei den vorliegenden Daten um 1/3 ansteigt. Eine effektive Primärtherapie wie beispielsweise mit Telithromycin wäre hoch effektiv, um dieser steigenden Hospitalisierungsrate und den daraus folgenden zusätzlichen Krankenhauskosten gegenzusteuern.

 

Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Telithromycin

Ein weiterer Themenschwerpunkt am ICAAC war die Pharmakokinetik und Pharmakodynamik von Telithromycin.

Montay et al. zeigten, dass Coadministration von Telithromycin und Digoxin zu einer erhöhten Bioavailability von Digoxin von ungefähr 36% führte [9]. Die Tal-Plasmakonzentrationen blieben allerdings im therapeutischen Bereich, und es wurden keine Zeichen der Digoxin-Toxizität beobachtet.

Laut Bhargava et al. resultiert die gleichzeitige Gabe von Telithromycin und Theophyllin in einer 17,3% Erhöhung der AUC von Theophyllin [10]. Ursächlich dafür scheint der gleiche Abbauweg beider Substanzen über den Cytochrom-P450-Weg zu sein. Es konnten keine Intoxikationen nachgewiesen werden.

Ketokonazol und im geringeren Grade Itrakonazol führen bei gleichzeitiger Applikation zu erhöhten Telithromycinkonzentrationen, in beiden Fällen war die Gabe sicher und wurde gut vertragen.

 

Satellitensymposium zum Thema:
Ökologische Auswirkungen der Resistenz

In einem Satellitensymposium wurden die ökonomischen Auswirkungen der zunehmenden Resistenz diskutiert. Die Ausbreitung von Resistenzen stellt beispielsweise die derzeitigen Empfehlungen für die empirische Therapie von RTI in Frage und hat auch ökonomische Auswirkungen. Um diesen Einfluss auf die zukünftige Therapie zu minimieren, müssen Schritte unternommen werden, diese Mechanismen zu kontrollieren. In einem WHO-Bericht wurde der weit reichende und oft inadäquate Gebrauch von antimikrobiellen Substanzen als Hauptursache für die Entstehung von Resistenzen erkannt. Der Zusammenhang zwischen Makrolidverbrauch und Resistenzentstehung konnte beispielsweise in Spanien gezeigt werden (Abb. 1).

 

Abbildung 1: Verordnungen und Resistenzen

Abbildung 1: Verordnungen und Resistenzen

Weitere Kofaktoren für die Resistenzentwicklung sind neben Patienten-bezogenen Faktoren wie Selbstmedikation, geringe Compliance und Fehlinformation auch inkorrekte Diagnose (Virusinfektion), inadäquate Antibiotikaauswahl bzw. inadäquate Dosierung.

Eine wirksame Strategie im Kampf gegen resistente Erreger ist die Entwicklung neuer antimikrobieller Substanzen. Telithromycin ist ein Vertreter einer neuen Substanzgruppe, der Ketolide. Das Wirkspektrum umfasst die üblichen Respirationstraktpathogene. Telithromycin unterliegt nicht den Mechanismen der Makrolid-Lincosamid-Streptogramin-Resistenz und ist auch wirksam gegen Makrolid-resistente Bakterien.

Die ökonomische Auswirkung der klinischen Konsequenz der antimikrobiellen Resistenz ist bemerkenswert. Neben der Notwendigkeit von zusätzlichen diagnostischen Untersuchungen und Therapien muss auch das zusätzliche Leid der Patienten gesehen werden.

 

Literatur:

1. Iinuma Y., Inoue M., Farrell D.: „Longitudinal surveillance of antibiotic resistance among clinical isolates of community-acquired respiratory tract pathogens collected in Japan during the winters of 1999-2000 and 2000-2001.“ ICAAC (2002) C2-1644.

2. Brown S., Harding I., Farrell D.: „In vitro activity of the ketolide telithromycin against streptococcus pyogenes isolated in the United States during the winter of 2000-2001.“ ICAAC (2002) E-1904.
3. Farrell D.J., Bradley J., Jenkins S.: „Activity of the ketolide telithromycin against clinical isolates of streptococcus pyogenes from pediatric patients.“ ICAAC (2002) E-1903.
4. Farrell D.J., Morrissey I., Bakker S., Winsor E., Felmingham D.: „Distribution of TEM-1 and ROB-1 ß-lactamases in H. influenzae collected from patients with community acquired respiratory tract infections during the PROTEKT 1999-2000 surveillance study.“ ICAAC (2002) C2-1888.
5. Tellier G., Isakov T., Petermann W., Patel M., Lavin B.: „Efficacy and safety of telithromycin for 5 or 7 days vs. clarithromycin for 10 days in the treatment of patients with community acquired pneumonia.“ ICAAC (2002) L-373.
6. Pullman J., Boucher P., Patel M., Lavin B.: „Clinical and bacteriologic efficacy of telithromycin vs. clarithromycin in patients with community acquired pneumoniae due to Streptococcus pneumoniae, including erythromycin re-sistant strains.“ ICAAC (2002) L-372.
7. Iannini P., Stager K., Sharma K., Grethe N., Leroy B., Sharma D., Hamedani P., Nusrat R.: „A 24 000 patient trial comparing telithromycin and amoxicillin-clavulanate in the treatment of community acquired respiratory tract infections in a usual care setting.“ ICAAC (2002) LB-24.
8. Singer M.E., Harding I., Asche C.V., Jaffe D.H.: „Potential impact of rising quinolone resistance in community acquired pneumonia.“ ICAAC (2002) L-986.
9. Montay G., Shi J., Leroy B., Bhargava V:. „Effects of telithromycin on the pharmacokinetics of digoxin in healthy men.“ ICAAC (2002) A-1834.

10. Bhargava V., Leroy B., Shi J., Montay G.: „Effect of telithromycin on pharmacokinetics of theophylline in healthy volunteers.“ ICAAC (2002) A-1832.

 

Anschrift des Verfassers:
A.o. Univ.-Prof. Dr. Heinz Burgmann
Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Klin. Abt. für Infektionen und Chemotherapie
A-1090 Wien, Währinger Gürtel 18-20
E-Mail: heinz.burgmann@akh-wien.ac.at

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