Antibiotikatherapie beim geriatrischen Patienten

F. Thalhammer
Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Klin. Abt. für Infektionen und Chemotherapie, AKH Wien
(Vorstand: Univ.-Prof. DDr. W. Graninger)



Schlüsselwörter:
Infektionen, Geriatrie, Antibiotika, Nierenfunktion


Zusammenfassung

Infektionserkrankungen zählen zu den wichtigsten Krankheiten des älteren Patienten, präsentieren sich aber häufig atypisch. Bei der Wahl des Antibiotikums ist eines mit einer großen therapeutischen Breite einem mit einem schmalen der Vorzug zu geben. Bei der Dosierung der Antibiotika ist auf die tatsächliche Nierenfunktion Rücksicht zu nehmen. Trotzdem muss die antimikrobielle Therapie so kurz wie möglich und vor allem so hoch wie möglich sein; der Leitsatz der geriatrischen Medikamententherapie „start slow, go slow“ ist in der Therapie von Infektionen falsch.


Key-words:
infections, elderly patients, antimicrobial treatment, renal impairment


Summary

Infectious diseases are one of the most important diseases in elderly patients. The presentation of infections are very often atypical. Dosage recommendations of antimicrobial drugs have to consider the renal function of the elderly patients. The antimicrobial treatment of these patients has to be as short as possible and as high as possible. In infectious diseases it is wrong to say „start slow, go slow“.



Einleitung

Infektionskrankheiten sind bei älteren Patienten häufiger und zeichnen sich durch einen schwereren Krankheitsverlauf aus als bei jüngeren Patienten. So ist die Prävalenz der ambulant erworbenen Pneumonie um den Faktor 3 erhöht, jene für den Harnwegsinfekt um den Faktor 20. Neben „klassischen“ Infektionen sind Fremdkörperinfektionen im Vormarsch, da ältere Patienten häufiger Prothesen im weitesten Sinn (z.B. Schrittmacher, Defibrillator, Gelenksprothesen, Gefäßprothesen) implantiert erhalten.
Generell verlaufen Infektionen beim alten Menschen vielfach schwerer und komplizierter als im jüngeren Lebensalter. Infektionen beim alten Menschen präsentieren sich häufig atypisch, sodass die Infektion spät bzw. zu spät diagnostiziert und verzögert therapiert wird und damit Komplikationen oder der Tod des Patienten eintreten. Es können auch bei geriatrischen Patienten alle Antibiotika verwendet werden, jedoch muss die beim alten Menschen veränderte Pharmakokinetik, die größere Wahrscheinlichkeit von Infektionen sowie von Nebenwirkungen beachtet werden.

Für die erhöhte Mortalität bei Infektionskrankheiten bei älteren Patienten sind zahlreiche Faktoren verantwortlich: verminderte Funktionsreserven, verändertes Keimspektrum, verminderte Abwehrmechanismen, vielfältige Komorbidität, vielfache Krankenhausaufnahmen, verzögerte Diagnosestellung sowie Therapiebeginn, verzögertes Ansprechen auf Antibiotikatherapie und eine vermehrte Rate unerwünschter Nebenwirkungen.

 

Gesteigerte Infektanfälligkeit - Abwehrschwäche

Aufgrund der Alterung des Immunsystems ist die T-Lymphozytenproduktion/-proliferation erniedrigt, und die Antikörperproduktion für neue Antigene ist ebenfalls eingeschränkt. Die dünnere Haut oder der verminderte Hustenreflex dieser Patientengruppe reduziert die nonadaptive Immunität. Chronische Erkrankungen wie Malignome, Diabetes mellitus, Atherosklerose oder Prostatahyperplasie stellen weitere Risikofaktoren dar. Medikamente (Sedativa, Narkotika, H2-Blocker) sowie die oftmalige Malnutrition älterer Patienten fördern die Infektanfälligkeit. Funktionelle Beeinträchtigungen wie Immobilität, Inkontinenz oder Dysphagie können der Anstoß zu einer Infektion mit letalem Ausgang sein (Abbildung 1).

Abbildung 1:
Infektionen im Alter - Abwehrschwäche
  > Alterung des Immunsystems
  • T-Lymphozytenproduktion/-proliferation erniedrigt
  • Antikörperproduktion für neue Antigene erniedrigt
  > Veränderungen der nonadaptiven Immunität
  • dünnere Haut, vergrößerte Prostata
  • verminderter Hustenreflex
  > Chronische Erkrankungen
  • Malignom, Atherosklerose, Diabetes Mellitus, Demenz
  > Medikation
  • Sedativa, Narkotika, Anticholinergika, H2-Blocker
  > Mangelernährung
  • Malnutrition
  > Funktionelle Beeinträchtigung
  • Immobilität, Inkontinenz, Dysphagie

 

Epidemiologie

Mit der Tatsache der derzeit noch steigenden Lebenserwartung und des stetig wachsenden Anteils älterer Menschen an der Gesamtbevölkerung (Abbildung 2) ist das Gesundheitssystem und die Medizin gefordert. Amerikanische Studien zeigen im Zeitraum 1980 bis 1994 einen Rückgang der Gesamtkrankenhausaufnahmen, allerdings auch einen Anstieg jener Patienten, die wegen einer Infektion stationär behandelt werden mussten. Dieser Anstieg ist in der Altersklasse > 85 Jahre deutlich ausgeprägt. Dies spiegelt sich auch in den Mortalitätsraten wider, die in den Industriestaaten mit Beginn des 19. Jahrhunderts bis ungefähr 1980 drastisch zurückgegangen sind, nun aber wieder einen kleinen Anstieg verzeichnen.

Eine Infektion (35%) ist die häufigste Diagnose bei der Abklärung von älteren Patienten mit Fieber unbekannter Ursache (FUO), gefolgt von Kollagenosen und Malignomen (je 25%). Somit sind Infektionskrankheiten beim geriatrischen Patienten eine wichtige Krankheitsentität, die ihre Besonderheiten hat: Ältere Patienten (Lj. > 65 Jahre) weisen eine gesteigerte Infektanfälligkeit auf, Infektionen können schwerer verlaufen, Infektionskrankheiten präsentieren sich oft atypisch, die richtige Diagnose erfolgt somit verspätet, und zusätzlich treten bei älteren Patienten vermehrt Medikamentennebenwirkungen bzw. -interaktionen auf. Auch Fieber ist kein verlässlicher Infektionsparameter.

Abbildung 2:
Bevölkerungsentwicklung - Lebenserwartung - Heilmittelkosten

 

Pharmakologische Aspekte

Bei älteren Patienten unterliegt die Pharmakokinetik der verabreichten Medikamente ebenfalls einem „Alterungsprozess“ (Abbildung 3). Während die Adsorption von Medikamenten aus dem Gastrointestinaltrakt nahezu unverändert bleibt, ist jedoch der Metabolismus durch eine abnehmende Lebergröße sowie eine verminderte Leberdurchblutung eingeschränkt. Auch das Serumalbumin ist niedriger und die Eiweißaffinität nimmt ab, sodass stark eiweißgebundene Medikamente eine höhere Serumkonzentration aufweisen können. Aus klinischer Sicht ist jedoch die verminderte Nierenfunktion am bedeutendsten. Diese ist auch bei normalem Serumkreatinin im Vergleich zu jüngeren Patienten signifikant verringert (Abbildung 4). Es ist daher unbedingt notwendig, die Dosierung von Antibiotika mit einer schmalen therapeutischen Breite (z.B. Aminoglykoside, Vancomycin) der tatsächlichen Nierenfunktion anzupassen.

Abbildung 3:
Antibiotika in der Geriatrie
Veränderung pharmakokinetischer Parameter
Absorption
Amount of saliva
Gastric pH
Gastric acid secretion
Gastric emptying time
Gastrointestinal surface area
Gastrointestinal motility
Active transport mechanism
Gastric dopa
Decaboxylase
Verteilung
Cardiac output
Peripheral vascular resistance
Renal blood flow
Hepatic blood flow
Body water
Body fat tissue
Volume of distribution for lipid-soluble drugs
Volume of distribution for water-soluble drugs
Serum albumin levels
Metabolismus
Microsomal hepatic oxidation
Clearance
Steady-state levels
Half-lives
Levels of active metabolites
First-pass metabolism
Nierenfunktion
GFR
Blutfluss
Filtrations-Anteil
Noble, Metabolism 2003
Hämmerlein, Clin. Pharmakokinetics 1998

Abbildung 4:

Antibiotika in der Geriatrie
Serumkreatinin und Kreatininclearence
Mühlberg, Gerontology 1999

Die Folgen der veränderten Pharmakokinetik bei älteren Menschen spiegeln sich in größeren Medikamenteneffekten bei einer „normalen“ Medikamentendosierung wider, bei einer Zunahme der Arzneimittelnebenwirkungen um den Faktor 2-3 sowie in der Tatsache, dass 10% der Spitalsaufnahmen bei älteren Patienten auf Arzneimittelnebenwirkungen zurückzuführen sind.

Da ältere Patienten, wie Anamnesen zeigen, meist mehrere verschiedene Medikamente verschrieben erhalten, ist den Medikamenteninteraktionen ein besonderes Augenmerk zu schenken. Es kann durch Chelatbildung die Resorption des Antibiotikums (z.B. Chinolone) vermindert oder durch die antimikrobielle Wirkung auf die Darmflora (Eubacterium lentum) der Abbau des Digoxins signifikant reduziert sein, sodass Digitalisintoxikationen auftreten können (Abbildung 5a-c, Tabelle 1). Die zahlreich verschriebenen Medikamente führen zu einem weiteren Problem, der oft mangelhaften Compliance älterer Patienten. In Bezug auf eine antimikrobielle Therapie kann dies zu einer Zunahme Antibiotika-resistenter Erreger sowie zu Therapieversagern führen, die eine Zunahme der Krankenhausaufnahmen und somit eine Zunahme unnötiger Behandlungskosten nach sich ziehen.

Abbildung 5a, 5b: Antibiotika in der Geriatrie
Medikamentenindikationen
Thalhammer, Br. J. Clin. Pharmacol. 1998

Abbildung 5c: Medikamenteninteraktionen

Thalhammer, Br. J. Clin. Pharmacol. 1998

Tabelle 1: Auswahl einiger Interaktionen von Antibiotika mit anderen Medikamenten
  Antibiotikum   Interaktion mit   Wirkung
  Chinolone
  Ciprofloxacin
  Clarithromycin
  Cotrimoxazol
  Cotrimoxazol
  Erythromycin
  Ketokonazol
  Makrolide
  Mefloquin
  Metronidazol
  Antacida
  Theophyllin
  Theophyllin
  Glipizide
  Methotrexat
  Lovastatin
  Lovastatin
  Digoxin
  Betablocker
  Warfarin
  AB-Resorption vermindert
  Erhöhte Theophyllinspiegel
  Erhöhte Theophyllinspiegel
  Hypoglykämie
  Knochenmarksuppression
  Rhabdomyolyse
  Rhabdomyolyse
  Bradykarde Rhythmusstörungen
  Rhythmusstörungen möglich
  Erhöhte Blutungsneigung

 

Nebenwirkungen von Antibiotika

Arzneimittelnebenwirkungen sind 2-3 mal häufiger im Vergleich zu 30-jährigen Patienten (Inzidenz 20-25%) und verursachen 10% der Spitalsaufnahmen bei diesen Patienten. Risikofaktoren für die erhöhte Rate von Nebenwirkungen sind das Lebensalter, weibliches Geschlecht, geringes Körpergewicht, Leber- und Nierenfunktionsstörungen sowie frühere Arzneimittelnebenwirkungen (Abbildung 6). Eine weitere wesentliche Nebenwirkung ist der akute Verwirrtheitszustand (Prävalenz 30%). Häufige Auslöser dieser plötzlich auftretenden Nebenwirkung sind neben Infektionen Antibiotika wie Penicilline, Cephalosporine und Chinolone.

Abbildung 6:
Antibiotika in der Geriatrie
Adverse Drug Events bei älteren Patienten
 
Magenschmerzen
Übelkeit
Erythem
Durchfall
Antibiotika
9,1 %
24,2 %
15,2 %
15,2 %
Antihypertonika
7,1 %
13,6 %
3,6 %
3,6 %
NSAID
70,6 %
5,9 %
11,8 %
11,8 %
Antidepressiva
41,7 %
8,3 %
8,3 %
Diuretika
9,1 %
9,1 %
9,1 %
Variables
Odds ratio (CI 95 %)
Number of long-term drugs
1.0 (0.9 - 1.1)
Urinary tract infection (n=404)
2.5 (1.8 - 3.5)
Sleeping disorder (n=224)
2.4 (1.7 - 3.6)
Coronary heart disease (n=388)
1.8 (1.2 - 2.5)
Asthma / COPD (n=190)
1.8 (1.1 - 2.7)
Depression (n=94)
1.7 (1.0 - 3.1)
Heart failure (n=198)
1.6 (0.9 - 2.2)
Atrial fibrillation (n=134)
1.3 (0.8 - 2.3)
Hypertension (n=735)
1.3 (1.0 - 1.8)
Diseases of the stomach (n=123)
1.2 (0.7 - 2.1)
Diabetes (n=226)
0.8 (0.5 - 1.3)

Veehof, Eur. J. Clin. Pharmacol. 1999

 

Infektionen beim älteren Patienten

Die häufigsten Infektionen in dieser Altersgruppe sind Pneumonien, Harnwegsinfektionen und Haut- und Weichteilinfektionen bzw. ein septisches Krankheitsbild. Fremdkörperinfektionen gewinnen zunehmend an Bedeutung. Bei gleicher Infektion und gleicher Wirksamkeit der antimikrobiellen Therapie ist bei Patienten > 65 Jahre mit deutlich höheren Mortalitätsraten zu rechnen. Eine wesentliche Ursache hierfür ist das oft fehlende klinische Erscheinungsbild. Selten laufen bekannte Infektionen mit dem typischen Erscheinungsbild ab, meist präsentiert sich der Patient atypisch mit für die Infektion unspezifischen Funktionsstörungen (Abbildung 7). Infektionen können auch einen zunächst stillen Verlauf aufweisen, werden dadurch erst spät diagnostiziert, und der Krankheitsverlauf gestaltet sich dann schwierig und komplikationsreich. Manchmal werden die Symptome des Patienten fälschlicherweise dem Alterungsprozess zugeschrieben. Weitere Faktoren sind eine weniger aggressive Diagnostik, die meist bestehende Komorbidität und die fehlende Verträglichkeit von intravenösen Medikamenten. Auch der schlechte Ernährungsstatus zahlreicher älterer Patienten ist von Bedeutung, da hiermit auch die Immunabwehr des Patienten geschwächt ist. Der Krankheitsverlauf wird auch nicht unwesentlich davon mitbestimmt, ob der Patient daheim oder im Altersheim lebt bzw. im Krankenhaus stationär behandelt werden muss. So beträgt die Inzidenz von daheim lebenden älteren Menschen 2-4%, von jenen im Altersheim lebenden
10-25%. Die Inzidenz von Infektionen bei Altersheimbewohnern wird mit ungefähr 10-20 Infektionen pro 100 Altersheimbewohnern und Monat angegeben. Jene Patienten, die zur Therapie stationär aufgenommen werden, verlieren in 25-60% ihre Selbstständigkeit.

Abbildung 7:
Infektionen im Alter
Erscheinungsbild von Infektionen
Delirium
Verwirrtheit
Lethargie
Anorexie
Pat. "gedeiht" nicht
Spezifische Infektionen
Bakteriämie

     afebril, Dyspnoe, verwirrt, hypoton, stürzen

Pneumonie

     afebril, kein Husten bzw. Sputum

Intraabdominelle Infektionen

     nicht peritoneal, Anorexie

Meningitis

     kein Meningismus, verwirrt,
     Bewusstseinsveränderungen

 

Zusammenfassung

Bei der Wahl des Antibiotikums ist eines mit einer großen therapeutischen Breite (Betalaktamantibiotika) einem mit einem schmalen (z.B. Aminoglykoside) der Vorzug zu geben. Der oft eingeschränkten Nierenleistung muss mit einer Dosisanpassung oder mit der Wahl eines primär über die Leber metabolisierten Antibiotikums (z.B. Clindamycin, Doxycyclin, Makrolide, Moxifloxacin) Rechnung getragen werden. Trotzdem muss die antimikrobielle Therapie so kurz wie möglich und vor allem so hoch wie möglich sein; der Leitsatz der geriatrischen Medikamententherapie „start slow, go slow“ ist in der Therapie von Infektionen falsch.

Die Infektionsbehandlung bei geriatrischen Patienten verlangt,

1. wachsam und misstrauisch beim Aufspüren von Symptomen zu sein,
2. der Beginn einer nötigen Antibiotikatherapie muss rasch erfolgen,
3. man darf nicht zaghaft bei der Dosierung sein – aber sie muss der (tatsächlichen) Nierenfunktion angepasst sein und
4. Vorsicht ist bei Aminoglykosiden und Glykopeptiden geboten.

 

Literatur:

1. Burkhardt H.: „Pharmakotherapie des älteren Menschen aus klinischer Sicht.“ Internist 44 (2003) 959.
2. Hof H.: „Antibiotika in der Geriatrie.“ Socio-medico Verlag GmbH, 82405 Wessobrunn.
3. Veehof L.J.G.: „Adverse drug reactions and polypharmacy in the elderly in general practice.“ Eur. J. Clin. Pharmacol. 55 (1999) 533.
4. Williams C.M.: „Using medications appropriately in older adults.“ Am. Fam. Physician 66 (2002) 1917.

Anschrift des Verfassers:
a.o. Univ.-Prof. Dr. Florian Thalhammer
Univ.-Klinik f. Innere Medizin I, Klin. Abt. für Infektionen und Chemotherapie
A-1090 Wien, Währinger Gürtel 18-20
E-Mail: florian.thalhammer@meduniwien.ac.at


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