Harnwegsinfektionen bei geriatrischen Patienten

K. Kranz
Institut Haus der Barmherzigkeit, Wien
(Vorstand: Univ.-Prof. Dr. Ch. Gisinger)



Schlüsselwörter:
Harnwegsinfekt, Geriatrie, Keimspektrum


Zusammenfassung

Infektionen der harnableitenden Wege stellen bei geriatrischen Patienten neben respiratorischen Infekten eine der Hauptursachen für fieberhafte Zustände dar. Aufgrund von Komorbiditäten und veränderter subjektiver Wahrnehmung im Alter ist die Symptomatik gerade bei betagten Patienten oftmals verschleiert. Plötzliches hohes Fieber, Harnverhalten und Verwirrtheitszustände sind verdächtige Symptome für eine Infektion und sollten nach Ausschluss anderer Ursachen die Gewinnung eines Harnes und konsekutiven Antibiogrammes nach sich ziehen, da das Resistenzmuster der Keime in der Regel nicht dem eines jüngeren Patientenkollektivs entspricht. Darüber hinaus präsentieren sich Harnwegsinfektionen zumeist in Form von Mischinfektionen, wodurch die antibiotische Therapie besonderen Stellenwert erlangt.
Besondere Beachtung und engmaschige Kontrolle bedürfen vor allem Patienten, die in der Anamnese Obstruktionen der harnableitenden Wege aufweisen oder mechanischer Systeme zur Harnableitung bedürfen.


Key-words:
urinary tract infection, geriatrics, microbiological spectrum


Summary

Urinary tract infections (UTI), together with infections of the respiratory system represent the main cause of febrile conditions in geriatric patients. Due to co-morbidity and altered subjective perception in old age, symptomatic, especially with elderly patients, is often obscured. Sudden high temperature, urinary retention and confusion are suspicious symptoms for an infection and should, after excluding other causes, result in obtaining urine and consecutive antibiogrammes as the germs’ resistance pattern does not normally correspond with those of younger patients’ collective. Furthermore, UTI usually present themselves as mixed infections, which gives antibiotic therapy high priority. Special attention and tight inspection is required for patients whose anamnesis states an obstruction of the UT, or require mechanical implements for urination.



Einleitung

Entzündungen der harnableitenden Wege stellen neben Infektionen des Respirationstraktes im geriatrischen Patientenkollektiv eine der Hauptursachen für Infektionen dar. Etwa 25% aller weiblichen Patienten und 10% aller männlichen Patienten ab dem 65. Lebensjahr weisen eine Infektion des Urogenitaltraktes auf. Begünstigend wirken vor allem Komorbiditäten wie Diabetes mellitus, Erkrankungen der Prostata, Harnblasenkatheter sowie neurologische Erkrankungen (z.B. Enzephalitis disseminata), die zu einer Beeinträchtigung der neurogenen Versorgung der Harnblase führen. Ein ebenfalls wesentlicher Faktor für die Entstehung von Harnwegsinfekten (HWI) stellt die unzureichende Zufuhr von Flüssigkeit dar, da das Durstgefühl im Alter in der Regel deutlich reduziert ist. Darüber hinaus ist durch verringerte Potenz des Immunsystems generell eine Begünstigung von Infektionen gegeben. Als „der“ Wegbereiter für die Entstehung von Infektionen der ableitenden Harnwege ist die Anwesenheit von Harnblasenkathetern anzuführen. Das Risiko eines nosokomialen Harnwegsinfektes beträgt bei transurethralem Blasenkatheter 4% pro Tag, i.e., dass nach ca. 3 Wochen mit einer annähernd 100%-igen Keimbesiedelung gerechnet werden muss. Nicht unerwähnt soll auch der Stellenwert des pH-Wertes des Harnes sein, da bei Erhöhung des pHs das Wachstum von Keimen begünstigt ist.

 

Einteilung

Die Urethra als unterster Abschnitt der harnableitenden Wege ist in der Regel keimbesiedelt (Aerobier und Anaerobier). Bei Infektionen, die aszendierend die oberen Abschnitte betreffen, unterscheidet man zwischen dem unteren HWI (Zystitis, Urethritis, Prostatitis) und dem oberen HWI (Pyelonephritis).

 

Symptome

Typische Symptome können bei alten Menschen leicht übersehen werden, da sie gelegentlich von den Betroffenen nur schwach wahrgenommen und bisweilen ignoriert werden. Oft sind die Symptome auch nicht so stark ausgeprägt, wie das in jugendlichen Jahren der Fall ist. Die Angabe von Schmerzen beim Harnlassen wird nur von den wenigsten Patienten angeführt. Dadurch bleiben manche Harnwegsinfekte unerkannt und können letztendlich zu einer aszendierenden Infektion (Pyelonephritis) bzw. bis zur Urosepsis führen. In der Regel deuten aber plötzliches hohes Fieber und Verschlechterung des Allgemeinzustandes auf die Existenz eines HWI hin. Übel riechender und/oder sedimentreicher, missfärbiger Harn muss nicht zwangsläufig mit einem Infekt vergesellschaftet sein, ist aber dennoch ein wertvoller diagnostischer Hinweis. Ein sehr eindeutiges Symptom für das Vorliegen einer Entzündung der Harnwege ist, vor allem bei Männern, das Harnverhalten (Abbildung 1), das jedoch bedauerlicherweise ebenfalls nicht zwangsläufig mit Schmerzen einhergeht. Eine klinisch-physikalische Untersuchung (Perkussion des Abdomens) führt hierbei jedoch rasch zu einer Diagnose. Leider wird dieses simple diagnostische Verfahren bisweilen übersehen und führt unter der Verdachtsdiagnose des „Akuten Abdomens“ zu einer unnötigen Transferierung der Patienten in ein Akutkrankenhaus.
Abbildung 1: Harnverhalten

 

Diagnostisches Vorgehen

Frischer Urin wird mit Teststäbchen auf Nitrit und Leukozyten untersucht (Sensitivität 93%, Spezifität 17%, bei symptomatischen Patienten hoher positiver Vorhersagewert von 90%, negativer Vorhersagewert 24%). Sind auf dem Teststreifen Nitrit und Leukozyten positiv, sind weitere Untersuchungen überflüssig. Die zusätzliche oder alleinige Untersuchung des Harnsediments bringt keine zusätzliche diagnostische Sicherheit. Bei Verdacht auf einen unkomplizierten HWI ist eine Kultur in der Regel nicht nötig. Bei Patienten mit komplizierenden Faktoren (Alter!) muss vor Beginn einer empirischen Behandlung eine Kultur angelegt werden.

 

Vorgehen bei unklarer Diagnose

Bei Patientinnen mit Beschwerden, aber unklarer Diagnose nach dem Teststäbchenverfahren (weder Nitrit noch Leukozyten positiv, oder nur eines von beiden) muss immer eine Kultur angelegt werden. Ist Nitrit nachweisbar, ist ein HWI anzunehmen. Eine Therapie wird eingeleitet, wenn ein Abwarten der Kultur nicht zumutbar ist. Bei Leukozyturie kann ebenfalls eine Behandlung eingeleitet werden, und ein HWI ist wahrscheinlich. Finden sich auch in der Urinkultur keine Bakterien und persistiert die Leukozyturie nach einer Antibiotikatherapie, sollte der Urin auf säurefeste Stäbchen (TBC) untersucht werden. Finden sich keine Leukozyten, ist die Wahrscheinlichkeit eines HWI geringer als 5%; hierbei muss eine Kolpitis bzw. Urethritis in Betracht gezogen werden, wobei diese Patientinnen ggf. nach Abwarten der Urinkultur, zum Gynäkologen überwiesen werden sollten.

 

Keimspektrum

Als häufigster Erreger bei gemischtem Patientenkollektiv ist E. coli anzutreffen, der bei ca. 60-80% aller primären HWI und bei 50% der sekundären HWI kultiviert werden kann. Im Gegensatz dazu steht das Erregerspektrum bei betagten Patienten, bei dem E. coli lediglich ca. 30% beträgt, dicht gefolgt von Proteus spp. (22%) und Pseudomonas aeruginosa (20%) an dritter Stelle. Klebsiella spp. (~6%) und insbesondere Pseudomonas aeruginosa stellen sich oftmals durch ihre Multiresistenz im geriatrischen Bereich als Problemkeime dar (Diagramm 1). Dieses Patientenkollektiv unterscheidet sich weiters auch dadurch, dass in der Regel Mischinfektionen (ca. 30%) mit verschiedenen Keimen vorliegen (Tabelle 1). Nicht zu vergessen sind Candida spp., die bei immunkompromittierten, bei vorangegangener antibiotischer Therapie und Diabetikern nicht zu selten anzutreffen sind (Diagramm 1, Tabelle 1).
Diagramm 1: Erregerspektrum HWI (Mean 85a) in % Tabelle 1: Anteil in % an Mischinfektionen bei HWI

 

Komplikationen

Durch Aszension der Erreger in die oberen Harnwege besteht die Gefahr der Entwicklung einer Pyelonephritis, die eine ernst zu nehmende Komplikation darstellt. Die Symptomatik zeigt sich typischerweise in Fieberschüben, Flankenschmerz und abdominellen Schmerzen, die bis zum Subileus reichen können. Leider sind auch wie beim unkomplizierten HWI die Beschwerden älterer Patienten oftmals wenig eindeutig, dennoch sollte immer, gerade bei Verdacht auf oder bestehender Obstruktion, an diese Komplikation gedacht werden.

 

Antibiotische Therapie

siehe Übersicht Tabelle 2

Tabelle 2: Antimikrobielle Therapie
Therapie der Zystitis
Amoxicillin
2 x 500 mg
Trimethoprim
1 x 400 mg
Bacampicillin
2 x 800 mg
Mecillinam
2 x 400 mg
Amoxicillin/Clav.
2 x 1,0 g
Cefaclor
2 x 500 mg
Cefuroxim-Axetil
2 x 500 mg
Cefixim
1 x 400 mg
Ciprofloxacin
1 (-2) x 250 - 500 mg
Levofloxacin
1 (-2) x 250 - 500 mg
Therapiedauer
Akute unkomplizierte Zystitis
3 Tage
Akute unkomplizierte Zystitis mit Risikofaktoren
7 Tage
Akute unkomplizierte Pyelonephritis
10 - 14 Tage
Komplizierte Harnwegsinfektion
10 - 21 Tage

 

Supportive Therapiemaßnahmen

Gerade bei betagten Patienten ist, falls nicht kardiologische Erkrankungen eine Flüssigkeitsrestriktion erforderlich machen, auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr zu achten, da der Selbstreinigungsmechanismus der Harnwege hierbei entscheidend unterstützt wird. Bei der Notwendigkeit einer mechanischen Ableitung des Harnes ist auf peinlichste Hygiene zu achten, da, wie bereits angeführt, der Harnblasenkatheter den Wegbereiter für Infektionen darstellt. Generell muss besonders bei inkontinenten Patienten (Windelträgern) auf regelmäßiges Wechseln geachtet werden, da die nasse, kontaminierte Windel ein ideales Milieu darstellt. Bei rezidivierenden Infektionen der Harnblase bei Katheterträgern sollte auch die Indikation zur Anlage einer suprapubischen Ableitung großzügig gestellt werden, da Infektionen deutlich seltener und später auftreten. Bei rezidivierenden Harnwegsinfekten und pH- Erhöhung sollte auch der Versuch der Ansäuerung des Harns mittels L- Methionin versucht werden.

 

PUBS

Ein bisweilen anzutreffendes indirektes Symptom eines HWI bei Drainage der harnableitenden Wege ist eine Violettfärbung des Harnbeutels. Die Ursache dieser als PUBS (purple urin bag syndrome) bezeichnete Veränderung ist in der Regel die Anwesenheit von Gram-negativen Keimen (Citrobact. freundii, Providencia stuartii und Proteus vulg.). Typischerweise besteht hierbei ein makroskopisch unauffälliger Aspekt des Harnes (Abbildung 2).
Abbildung 2:

 

Literatur:

1. Nicolle L.E.: „Resistant pathogens in urinary tract infections.“ J. Am. Geriatr. Soc. 50 (7 Suppl) (2002 Jul) 230-5.
2. Shortliffe L.M., McCue J.D.: „Urinary tract infection at the age extremes: pediatrics and geriatrics.“ Am. J. Med. 113 Suppl 1A (2002 Jul 8) 55-66.
3. Rivierre P., Dauphin L., Lemonnier J.Y., Rea C., Chavanne D., Gauvain J.B.: „Urinary infection in geriatric short stay: value of urinary strips.“ Rev. Med. Interne 18(10) (1997) 765-768.
4. Mantani N., Ochiai H., Imanishi N., Kogure T., Terasawa K., Tamura J.: „A case-control study of purple urine bag syndrome in geriatric wards.“ J. Infect. Chemother. 9(1) (2003 Mar) 53-57.
5. Keerasuntonpong A., Thearawiboon W., Panthawanan A., Judaeng T., Kachintorn K., Jintanotaitavorn D., Suddhisanont L., Waitayapiches S., Tiangrim S., Thamlikitkul V.: „Incidence of urinary tract infections in patients with short-term indwelling urethral catheters: a comparison between a 3-day urinary drainage bag change and no change regimens.“ Am. J. Infect. Control. 31(1) (2003 Feb) 9-12.

Anschrift des Verfassers:
OA Dr. Alexander Kranz
Haus der Barmherzigkeit
A-1180 Wien, Vinzenzgasse 2-6
E-Mail: alexander.kranz@hdb-wien.at


zurück zum Inhalt