Infektiologie des
Kindesalters - Allgemeine Aspekte und Besonderheiten |
J.P. Guggenbichler
Klinik mit Poliklinik für Kinder und Jugendliche der Friedrich
Alexander Universität Erlangen-Nürnberg
(Vorstand: Univ.-Prof. Dr. W. Rascher)
|
Einleitung
Im Kindesalter besteht für das diagnostische
und therapeutische Vorgehen bei Infektionen eine Vielzahl von Besonderheiten.
Diese erfordern eine unterschiedliche Vorgangsweise als bei der
Behandlung von Infektionen im Erwachsenenalter.
|
Die
körpereigene Abwehr Unreife der Mechanismen
Auf der Basis einer funktionellen, genetisch
bestimmten oder angeborenen Unreife der körpereigenen Abwehr
kommt es zu häufigen und besonders schwer und stürmisch
verlaufenden Krankheitsbildern, speziell in den ersten Lebensmonaten.
Betroffen davon sind insbesondere Früh-
und Neugeborene sowie Säuglinge im ersten Trimenon, jedoch
auch Patienten mit eingeschränkter körpereigener Abwehr
durch angeborene oder erworbene Defekte der humoralen oder zellulären
Immunität, der Granulozytenfunktion bzw. anderer spezifischer
und unspezifischer Abwehrfunktionen. Auch verschiedene funktionelle
und anatomische Fehlbildungen können eine Rolle spielen.
Wichtig bei der Frühgeborenen- und/oder
Neugeborenensepsis ist die Tatsache, dass Faktoren der körpereigenen
Abwehr, wie die zelluläre Immunität sowie die Komplementfunktion,
noch nicht ausreichend funktionstüchtig sind. Antikörper
werden zum Großteil erst ab der 30. Schwangerschaftswoche
(SSW) von der Mutter auf das Neugeborene übertragen. Daher
besitzen Frühgeborene < 30. SSW nur einen Bruchteil der
Antikörperkonzentration des reifen Neugeborenen (ca. 25 %).
Antikörper der IgM- oder IgA-Klasse sowie Sekretions-IgA-Antikörper
werden diaplazentar nicht übertragen und fehlen daher beim
Neugeborenen.
Die aus den beschriebenen Mangelzuständen
resultierenden Folgen sind: eine fehlende Fixierung des Infektionserregers
an der Eintrittspforte, eine rasche Proliferation der Keime in der
Blutbahn und die Ausbreitung z.B. in die Meningen. Die initial fehlende
lokale und systemische Entzündungsreaktion führt nicht
zuletzt wegen der verspäteten Diagnose zu einer wesentlich
höheren Keimbelastung, die in der Therapie zu zusätzlichen
Problemen durch die hohen Toxinmengen führt.
Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Infektionen
beim Neugeborenen und jungen Säugling werden wegen der fehlenden
Entzündungsreaktion erst relativ spät erkannt und sind
dann durch einen besonders stürmischen Krankheitsverlauf gekennzeichnet.
Natürlich besteht auch postoperativ eine
vorübergehende Einschränkung der körpereigenen Abwehr.
Vor allem Neugeborene sind nach Korrektur von Fehlbildungen für
nosokomiale Infektionen anfällig. Nach großen kardiochirurgischen
Eingriffen kommt es unter extrakorporaler Zirkulation zu einer Verminderung
der zellulären Immunität, da T-Lymphozyten an den Kunststoffschläuchen
haften bleiben.
Unter antineoplastischer Therapie oder nach
Verabreichung immunsuppressiver Medikamente ist die Problematik
bei Kindern ähnlich wie bei Erwachsenen.
|
Erstinfektionen
Häufige Infekte, die auf dem Erstkontakt
eines Kindes mit einem der vielen pathogenen Erreger ohne vorherigen
Antigenkontakt mit Antikörperbildung beruhen, sind für
das Kindesalter geradezu charakteristisch. Keineswegs ist es ungewöhnlich,
dass ein Säugling oder Kleinkind in den ersten fünf Lebensjahren
an 6-8 Infekten pro Jahr erkrankt. Selbstverständlich sind
dabei epidemiologische und sozioökonomische Gegebenheiten zu
berücksichtigen.
In der Mehrzahl handelt es sich bei diesen Infekten
um Viruserkrankungen, die zunächst keiner antimikrobiellen
Therapie bedürfen.
Mechanismen der lokalen Abwehr werden durch
diese Virusinfektionen funktionell beeinträchtigt:
- In den Atemwegen führt eine Veränderung
der Viskosität des Schleimteppichs und eine Lähmung
der Zilienfunktion der Bronchialschleimhaut zu einer Verminderung
der mukoziliären Clearance.
- Die Belüftung der Nasennebenhöhlen
und der Paukenhöhle sowie der Sekretabfluss werden durch
das von der Virusinfektion hervorgerufene submuköse Ödem
verhindert.
- Die Besiedelbarkeit von Schleimhäuten
ist erhöht, da an virusinfizierten Epithelzellen um ein Vielfaches
mehr Keime haften.
- Im Intestinaltrakt kommt es bei Infektionen
(Rotaviren) durch die gestörte Peristaltik zur Überwucherung
oberer Dünndarmabschnitte mit Keimen. Daraus resultieren
funktionelle Störungen der Verdauungsleistung.
Störungen der lokalen Abwehr prädisponieren
zu bakteriellen Superinfektionen. Von besonderer Bedeutung
ist, dass diese bakteriellen Superinfektionen bereits nach wenigen
Stunden, aber auch erst nach 4-7 Tagen auftreten können. Eine
erneute Verschlechterung oder ein neuerlicher Fieberschub nach anfänglicher
Besserung ist dabei charakteristisch. Leider gibt es keine Statistiken
über die Häufigkeit derartiger Komplikationen, man schätzt
aber, dass zwischen 15 und 45% der Patienten betroffen sind.
Bis heute ist unklar, warum bestimmte Patienten
häufiger an einer bakteriellen Superinfektionen erkranken.
Defekte der spezifischen körpereigenen Abwehr sind meist nicht
zu finden. Gegenwärtig gehen intensive klinisch-experimentelle
Untersuchungen in Richtung der unspezifischen Abwehr, der Bildung
von antimikrobiell wirksamen Substanzen in der Schleimschicht eben
der Mukosaimmunität.
|
Wann
antimikrobielle Therapie beginnen?
Dass am Anfang einer jeden antimikrobiellen
Therapie eine korrekte Diagnose stehen muss, ist eine Forderung,
die für ältere Kinder und Jugendliche sicher nach wie
vor Gültigkeit hat. Leider ist sie aber, vor allem im frühen
Kindesalter, nur schwer zu erfüllen. In der Regel wesentlich
stürmischer verlaufende Infektionen im Kindesalter bedürfen
meist einer sofortigen korrekten Behandlung, um bleibende Schäden
vom Patienten abzuwehren. Zum Beispiel verschlechtert eine nur um
wenige Stunden verzögerte Behandlung einer eitrigen Meningitis
sowohl die Überlebenschancen als auch die Chance auf eine Restitutio
ad integrum wesentlich. Die klinische und mikrobiologische Diagnostik
sowie die Diagnosesicherung stellen daher im Kindesalter besondere
Herausforderungen auch bezüglich eines Zeitfaktors dar.
Auch akute Harnwegsinfektionen, die im frühen
Säuglingsalter besonders schwer unter Entgleisungen des Wasser-,
Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushaltes verlaufen können,
müssen ohne Verzögerung behandelt werden. Die akute Pyelonephritis
im Kindesalter wird heute als eine Notfallsituation betrachtet,
in der es ebenso wie bei der eitrigen Meningitis gilt, eine Eradizierung
der Erreger so rasch wie möglich zu erreichen. Dadurch kann
die Bildung von Nierennarben verhindert werden, die erst Jahrzehnte
später z.B. während einer Schwangerschaft zu schwer wiegenden
Folgen wie Eklampsie, Neigung zu Frühgeburtlichkeit, lebenslanger
Hypertonie bzw. einer Einschränkung der Nierenfunktion bis
hin zur pyelonephritischen Schrumpfniere führen können.
Bereits der geringste Verdacht auf eine Infektion
erfordert bei Patienten mit eingeschränkter körpereigener
Abwehr den sofortigen Beginn einer effektiven antimikrobiellen Behandlung.
Einige Beispiele für eingeschränkte
körpereigene Abwehr:
- initiale neutropenische Behandlungsphase
einer Leukämie
- postoperativer Zustand nach großen
chirurgischen Eingriffen
- angeborene Immundefekte
- Milzexstirpation (noch Jahre danach)
- unreife Frühgeborene
Die antimikrobielle Behandlung erfolgt nach
Abnahme entsprechender Kulturen aus Blut, Harn, Liquor und anderen
relevanten Entzündungsherden noch vor dem Vorliegen einer
mikrobiologischen Bestätigung oder Resistenzprüfung.
Die Erstauswahl des Antibiotikums muss auf das
gehäufte Auftreten multiresistenter Keime im Krankenhaus insbesondere
auf Intensivstationen abgestimmt werden und die lokalen bzw. regionalen
Verhältnisse berücksichtigen. Das macht die Erstauswahl
des Antibiotikums schwierig.
Die Indikation für eine antimikrobielle
Behandlung, im Kindesalter in erster Linie auf dem klinischen
Erscheinungsbild beruhend, ist entscheidend. Sie kann durch Laborparameter
(Blutbild, CRP, Procalcitonin etc.) und die mikrobiologische Diagnostik
unterstützt oder modifiziert werden.
Der optimale Zeitpunkt für den Beginn einer
antibiotischen Therapie ist schwierig zu bestimmen und bedarf großer
klinischer Erfahrung. Diese beruht im Wesentlichen auf einer sorgfältigen
Beobachtung des Krankheitsverlaufes mit mehrmaligen klinischen Untersuchungen
des Patienten in kurzen Abständen.
Gründe für den Beginn einer antimikrobiellen
Therapie:
- Raschere Schmerzfreiheit und Heilung
- Vermeidung von Komplikationen (z.B. durch
Ausbreitung der Keime aus der Paukenhöhle in die Mastoidzellen)
- Verhinderung der Chronifizierung des Infektionsprozesses
- Unterbrechung der Infektionskette
Entscheidende Hinweise für den richtigen
Zeitpunkt einer antimikrobiellen Therapie:
- Keine klinische Besserung am 3. (4.) Krankheitstag,
insbesondere bei Patienten unter 3 Jahren
- Lokale Komplikationen wie Otitis media,
Sinusitis, Pneumonie
- Erneute Fieberzacke und klinische Verschlechterung
nach bereits einsetzender Besserung
Eine prophylaktische Verabreichung eines Antibiotikums
vor Auftreten der bakteriellen Superinfektion zur Verhinderung derselben
ist noch im Stadium des Virusinfektes nicht sinnvoll. Es treten
dabei die bei Erwachsenen bekannten Probleme auf, wie Verschleierung
der Infektion, Selektion resistenter Keime unter der Therapie sowie
eine inkomplette Ausheilung des Infektionsprozesses.
Eine stabile körpereigene Flora, welche
die Schleimhäute besiedelt, stellt einen wesentlichen Bestandteil
der körpereigenen Abwehr dar, wie immer wieder beobachtet werden
kann. Eine Destabilisierung dieser körpereigenen Flora durch
Antibiotika erleichtert pathogenen Mikroorganismen, sich auf den
Schleimhäuten auszubreiten. Keinesfalls jedoch sollte die Angst
vor solchen möglichen negativen Antibiotika-Einflüssen
dazu führen, medizinisch indizierte antimikrobielle Therapien
zu unterlassen.
|
Pharmakokinetische
Besonderheiten
Im Neugeborenen- und Säuglingsalter gibt
es Besonderheiten, wie geänderte Bioverfügbarkeit, Pharmakokinetik,
Pharmakodynamik und ein unterschiedliches Gefährdungspotential
durch antimikrobielle Substanzen, die bei einer antimikrobiellen
Behandlung unbedingt zu berücksichtigen sind.
Für den therapeutischen Erfolg einer Antibiotikatherapie
ist entscheidend, dass biologisch wirksame Konzentrationen am Infektionsort,
d.h. im Gewebe, in Körperhöhlen und Körperflüssigkeiten,
über eine ausreichend lange Zeit aufrechterhalten werden. Eine
wichtige Orientierungsgröße für die Anwendung antimikrobieller
Substanzen ist die Bioverfügbarkeit eines Medikamentes.
Im Folgenden soll auf einzelne, für die
antimikrobielle Therapie im Kindesalter grundlegende pharmakologische
Aspekte eingegangen werden:
Bioverfügbarkeit
Die Beurteilung der Bioverfügbarkeit von Antibiotika erfolgt
durch die Messung des Serumkonzentrationsverlaufes und/oder der
im Harn wiederentdeckten Menge an Wirksubstanz bei nicht metabolisierten
Antibiotika.
Die Mehrzahl der Patienten erhält eine
orale Therapie, bei der Resorption und Bioverfügbarkeit des
Präparates wesentlich zum therapeutischen Erfolg beitragen.
Pharmakologische Untersuchungen im Rahmen der Zulassung von Medikamenten
werden an gesunden, nüchternen Jugendlichen und Erwachsenen
durchgeführt. Die Verabreichung erfolgt an Säuglinge und
Kleinkinder mit verschiedenen Grundkrankheiten oft ohne ausreichende
Rücksicht auf den Füllungszustand des Magens. Nur selten
stehen pharmakokinetische Daten von Kindern, fast nie von Säuglingen
und Kleinkindern zur Verfügung.
Die Bioverfügbarkeit von Antibiotika wurde
durch pharmakokinetische Untersuchungen in verschiedenen Lebensaltern
bestimmt (Abb. 1).
Abbildung 1: Serumkonzentration
von Penicillin VK in verschiedenen Lebensaltern nach Gabe
von 12.500 IE/kg KG
|
Kinder im Alter von ca. 6 Jahren resorbieren
Oralpenicillin sehr gut, die maximale Serumkonzentration wird bereits
nach 30 Minuten erreicht, die Ausscheidung erfolgt mit einer Halbwertszeit
von ca. 50 Minuten. Die Bioverfügbarkeit ist etwa gleich gut
wie bei Jugendlichen und Erwachsenen. Es zeigt sich, dass entsprechend
der Fläche unter der Kurve und der im Harn wiederentdeckten
Wirkstoffmenge Neugeborene eine deutlich größere Wirkstoffmenge
resorbieren als ältere Kinder. Dies beruht einerseits auf einer
höheren Membranpermeabilität bei Früh- und Neugeborenen
mit besserer Penetration des Wirkstoffes im Darm, anderseits auf
einer durch die Unreife der Nieren verzögerten renalen Elimination.
Aufgrund des bei Neugeborenen größeren
Verteilungsvolumens (ca. 40%) als bei 6-jährigen Kindern (26%)
kommt es trotz der größeren resorbierten Wirkstoffmenge
zu niedrigeren Serum-Spitzenkonzentrationen.
Die Bioverfügbarkeit ist neben der Membranpermeabilität
wesentlich vom Ausmaß der resorbierenden Oberfläche und
der Intensität der Peristaltik abhängig: Da Oralpenicilline
und Amoxicillin nur im Duodenum und in den obersten 25-30 cm des
Jejunums resorbiert werden, ist eine um das 3-4fache beschleunigte
Passagezeit bei Säuglingen für eine substantielle Verminderung
der Resorptionsmenge verantwortlich. Dadurch besteht nach dem ersten
Lebensmonat eine wesentliche Einschränkung der Bioverfügbarkeit
z.B. für Penicillin V und auch für andere Antibiotika,
wie z.B. Azidocillin. Bestimmungen der 2-Stunden-Serumkonzentrationen
nach Verabreichung von 17,5 mg/kg KG Amoxicillin + Clavulansäure
sowie Sulbactam + Ampicillin als Einzeldosis ergaben, dass bei Säuglingen
im Vergleich zu Schulkindern nur ein Drittel der 2-Stunden-Serumkonzentrationen
erreicht werden, d.h. 2 µg/ml vs. 6 µg/ml von Amoxicillin/Clavulansäure
bzw. 1,3 µg/ml vs. 5 µg/ml bei Sulbactam/Ampicillin.
Bei 3 von 12 Säuglingen im Alter zwischen 9 und 15 Monaten
konnten nach Gabe von Sul-bactam/Ampicillin keineWirkstoffkonzentrationen
nachgewiesen werden (Nachweisgrenze von 0,25 µg/ml).
Anders als die Oralpenicilline werden Cephalexin,
aber auch Cefaclor, Cefadroxil und Loracarbef im gesamten Intestinaltrakt
resorbiert. Es bestehen daher keine Resorptionseinbußen im
Säuglingsalter.
Die oralen Cephalosporine der 3. Generation
wie Cefixim, Ceftibuten, Cefpodoxim-Proxetil, Cefetamet-Pivotil
weisen keine vollständige Bioverfügbarkeit (50 bis 75%)
auf.
Von einer verminderten Bioverfügbarkeit
veresterter Substanzen wegen der im Säuglingsalter verminderten
Ausstattung an intestinalen Hydrolasen wird in Literaturangaben
gesprochen. Für Prodrugs, z.B. Cefpodoxim-Proxetil,
konnte jedoch keine Resorptionseinbuße im frühen Säuglingsalter
nachgewiesen werden.
Eine gute Bioverfügbarkeit zeigen generell
Makrolidantibiotika, vor allem die neueren Makrolide wie Roxithromycin
und Clarithromycin. Im Gegensatz zu b-Laktamantibiotika, die sehr
rasch über die Blutbahn in das interstitielle Kompartiment
verteilt werden, füllen Makrolidantibiotika nach der Resorption
in den kleinen Kreislauf zuerst das interstitielle und intrazelluläre
Kompartiment der Lunge auf, und erst der nicht gewebegebundene Überlauf
ist im Blut nachweisbar. Nahezu 100% Bioverfügbarkeit besitzt
das Trimethoprim.
Resorptionseinbußen durch Nahrungsmittel
und veränderte Resorption und Elimination bei verschiedenen
Grundkrankheiten
Nahrungsmittel mit einem hohen Gehalt an Kalzium,
insbesondere Milch und Milchprodukte, führen zu substantiellen
Resorptionseinbußen von verschiedenen b-Laktamantibiotika
insbesondere von Penicillin V, das als Salz im sauren Milieu des
Magens in Penicillin V und K dissoziiert. Wenn gleichzeitig Milch
mit dem Antibiotikum verabreicht wird, rekombiniert sich Penicillin
V mit dem im Überschuss vorhandenen Kalzium und führt
zu einem unlöslichen, unresorbierbaren Kalziumsalz (Abb. 2).
Allerdings werden keineswegs alle Antibiotika in ihrer Bioverfügbarkeit
beeinträchtigt: Das Benzathinsalz des Penicillin V (Ospen®)
wird unabhängig vom Füllungszustand des Magens resorbiert.
Cephalosporine werden, da im gesamten Dünndarm resorbiert,
praktisch in ihrer Bioverfügbarkeit nicht verändert. Die
meisten Makrolidantibiotika zeigen sogar höhere Wirkstoffkonzentrationen,
wenn sie gleichzeitig mit Nahrungsmitteln verabreicht werden. Azithromycin
wird jedoch durch gleichzeitige Verabreichung von Nahrung massiv
in seiner Bioverfügbarkeit beeinträchtigt.
Abbildung 2: Serumkonzentrationen
von Penicillin VK nüchtern und nach einer Milchmahlzeit
nach Gabe von 12.500 IE/kg KG an 6-jährige Kinder
|
Insgesamt ist es von großer Bedeutung,
diese resorptionsmindernden Faktoren zu berücksichtigen, da
bei oraler Verabreichung einerseits die nicht resorbierte Wirkstoffmenge
am Infektionsort fehlt, andererseits im Intestinaltrakt zu Störungen
(z.B. osmotischen Durchfällen) führt.
Durchfall (akut und chronisch) als häufige
Begleiterkrankung bei verschiedenen Infekten, führt wie auch
hohes Fieber (> 39,5°C) zu einer verminderten Bioverfügbarkeit
(- 40% Serumspitzenkonzentration, - 25% AUC).
Bei Mukoviszidose führt eine beschleunigte
renale Elimination z.B. von b-Laktamantibiotika der Penicillinreihe
zu niedrigen Serum- und Gewebskonzentrationen mit ungenügenden
therapeutischen Ergebnissen. Aminoglykoside werden bei Patienten
mit Mukoviszidose neben der normalen glomerulären Filtration
auch tubulär sezerniert, d.h. es entsteht ein zusätzlicher
Ausscheidungsweg von Aminoglykosiden und damit ebenfalls eine beschleunigte
renale Elimination.
Verlängerung der Halbwertszeit
Die Enzymunreife im frühen Säuglingsalter führt
z.B. in der Leber zu einer verzögerten Glukuronidierung und
durch die verzögerte Ausscheidung zu einer Verlängerung
der Halbwertszeit. Dies hat früher z.B. nach Verabreichung
von Chloramphenicol gelegentlich zu einem schweren toxischen Erscheinungsbild
(Gray-Syndrom) geführt.
Die Unreife der Niere im Neugeborenenalter und
im ersten Trimenon bzw. eine gleichzeitig bestehende Dehydratation
führen zu einer verzögerten renalen Clearance und dadurch
zu einer Verlängerung der Halbwertszeit.
Dosierung nach Körpergewicht, Wahl der
Tagesdosis und Verabreichungsweise
Dosisempfehlungen werden in mg/kg KG angegeben, um entsprechende
Wirkstoffkonzentrationen am Ort der Infektion zu gewährleisten.
Die Dosierung nach 1/2 und ganzen Messlöffeln entsprechend
dem Lebensalter ist für Säuglinge und Kleinkinder zu ungenau.
Von besonderer Bedeutung ist auch die korrekte Wahl der Tagesdosis.
In Europa werden im Gegensatz zu Dosierungsrichtlinien
in den USA etwa 3fach höhere Tagesdosen verabreicht. Zum Beispiel
beträgt die Therapieempfehlung für Europa bei Amoxicillin
60 mg/kg KG, die für Cefaclor 50 mg/kg KG. Beide Medikamente
werden in den USA mit 20 mg/kg KG dosiert. Die Vorteile einer höheren
Gesamt-Tagesdosis bestehen in einer effizienten Eradikation der
Keime und dadurch auch in einer Verhinderung bzw. Verzögerung
der Resistenzentwicklung, wie sie durch subinhibitorische Konzentrationen
induziert wird.
Die korrekte Wahl der Tagesdosis und der Dosierungsintervalle
hängt vom pharmakokinetischen Profil der Substanz (Bioverfügbarkeit,
Wirkstoffkonzentration am Infektionsort, Eliminationsgeschwindigkeit)
und der antimikrobiellen Wirksamkeit (MHK-Wert) ab. Diese Parameter
werden unter Pharmakodynamik subsumiert.
Die Verabreichungsweise, d.h. die Zahl der Gaben
pro Tag, welche die Compliance beeinflusst, sowie die galenische
Zubereitung und der Geschmack eines Präparates sind weitere
wichtige Aspekte einer antimikrobiellen Therapie im Kindesalter.
Untersuchungen zeigen, dass eine 3x tägliche Verabreichung
von weniger als 75% der Patienten eingehalten wird. Eine 2x tägliche
Verabreichung hingegen wird von mehr als 90% der Patienten korrekt
eingehalten. Zwischen einer 1x täglichen und einer 2x täglichen
Verabreichung besteht kein Unterschied in der Compliance.
Dosisanpassung bei Leberfunktionsstörungen
Leberfunktionsstörungen können durch eine antimikrobielle
Therapie einerseits verstärkt werden, anderseits kann es bei
bestehender Leberfunktionsstörung durch die verminderte Metabolisierung
(Glukuronisierung) und Ausscheidung der Substanz zu Kumulation und
in der Folge zu gesteigerter Lebertoxizität der verabreichten
Wirksubstanz kommen. Nachdem keine Parameter bekannt sind, anhand
deren eine Dosisanpassung bei eingeschränkter Leberfunktion
möglich wäre, sind Antibiotika und Chemotherapeutika,
die in der Leber metabolisiert werden, bei Leberfunktionsstörungen
zu vermeiden. Makrolidantibiotika und Lincosamide, Rifampicin, Tetrazykline,
Metronidazol, Ketoconazol und praktisch alle Tuberkulostatika gehören
zu diesen Substanzen. Bei Leberfunktionsstörungen sind meist
auch Wirkstoffkonzentrationen in der Galle vermindert, woraus eine
eingeschränkte antimikrobielle Wirksamkeit bei Infektionen
der Gallenwege resultiert.
Dosisanpassung bei Nierenfunktionsstörungen
Nierenfunktionsstörungen führen zu einer verminderten
Elimination der Wirksubstanz. Dadurch kommt es zur Kumulation und
Toxizität, die wiederum die Nierenfunktionsstörung verstärkt.
So kann es bei eingeschränkter Nierenfunktion bereits durch
therapeutische Dosen von Aminoglykosiden zu Innenohrschwerhörigkeit
und neurotoxischen Reaktionen mit muskulärer Hypotonie kommen.
Die Verabreichung von Imipenem oder von (hoch dosiertem) Penicillin
kann zu Krampfanfällen führen bzw. zu neuromuskulärer
Hyperexzitabilität. Die toxische Wirkung von Aminoglykosiden
kann durch Interaktion mit anderen Medikamenten, z.B. Furosemid,
durch Kompetition in der Elimination verstärkt werden. Eine
Dosisanpassung erfolgt bei den meisten Substanzen anhand der Kreatinin-Clearance
durch Anpassung der Tagesdosis. Die Dosisanpassung kann aber auch
so erfolgen, dass als erste Dosis die Regeldosierung verwendet wird
und entsprechend der Kreatinin-Clearance die Dosierungsintervalle
verlängert werden. Die Feinabstimmung erfolgt durch Bestimmung
der Talspiegel. Aminoglykoside, Glykopeptide und Cephalosporine
der 1. Generation bedürfen bei einer bestehenden Nierenfunktionsstörung
in jedem Fall einer Dosisanpassung.
Unterschiedliche Eiweißbindung
Der Prozentsatz der Eiweißbindung von Antibiotika im Serum
ist je nach Wirkstoff verschieden und hängt vom pH-Wert, der
gleichzeitigen Gabe anderer Medikamente (Verdrängung) und von
der Dosierung des Medikamentes (Überschreitung der Bindekapazität
bei hohen Dosen) ab. Je nach Medikament kann die Eiweißbindung
zwischen vernachlässigbar gering (z.B. Fosfomycin) und über
90% der Wirkstoffkonzentration (Ceftriaxon, Dicloxacillin) schwanken.
Welche klinische Relevanz die Verabreichung
von Präparaten mit unterschiedlicher Eiweißbindung hat,
ist umstritten bzw. bisher weitgehend unklar. Als günstig zu
bewerten ist die Transportfunktion und Depotfunktion, d.h. in einem
proteinreichen Exsudat sind bei Präparaten mit hoher Eiweißbindung
ungleich höhere Konzentrationen zu beobachten als bei Präparaten
mit geringer Eiweißbindung. Eigene experimentelle Untersuchungen
in einem Modell mit infizierten Fibrinklumpen weisen darauf hin,
dass trotz hoher Gesamt-Wirkstoffkonzentrationen nur der freie,
d.h. ungebundene Wirkstoff antimikrobielle Wirksamkeit besitzt.
Daher sind bei Substanzen mit geringer Eiweißbindung trotz
niedrigerer Gesamt-Wirkstoffkonzentrationen am Infektionsort vielfach
höhere freie Wirkstoffkonzentrationen zu beobachten.
Die verminderte Zahl von Bindungsstellen an
Albumin kann im Neugeborenenalter zu Problemen führen. Antibiotika
verdrängen das Bilirubin aus Albumin-Bindungsstellen und freies,
nicht eiweißgebundenes Bilirubin, das die Blut-Hirn-Schranke
leichter durchdringt, führt dadurch zu einer erhöhten
Gefahr eines Kernikterus.
Bedeutung der Gewebekonzentration
Intrazellulär werden hohe Wirkstoffkonzentrationen erreicht
durch lipidlösliche Substanzen wie Makrolide, Chinolone und
Rifampin. Lipidunlösliche Substanzen wie Penicillin und Cephalosporine
verteilen sich weitgehend interzellulär im interstitiellen
Flüssigkeitskompartiment. Außer der Lipidlöslichkeit
wird die Gewebegängigkeit eines Präparates auch von der
Eiweißbindung, aktiven Transportmechanismen und der unterschiedlichen
Fensterung der Kapillaren in bestimmten Organen gesteuert. Eine
besonders geringe Durchlässigkeit besteht im Rahmen der Blut-Liquor-Schranke
in die Meningen durch die so genannten tight junctions
der Kapillaren. Diese sind jedoch bei akuten Entzündungsprozessen
weit geöffnet und erlauben eine gute Penetration (= 40% der
Serumkonzentration von Na-Benzylpenicillin am ersten Behandlungstag).
Der Wert einer hohen Gewebekonzentration einer
Wirksubstanz ist differenziert zu sehen und im Zusammenhang mit
den jeweiligen Keimen zu beurteilen.
Bei der Testung der Gewebsproben wird die gesamte
Wirkstoffkonzentration, die im Blutkompartiment (5%) im interstitiellen
Flüssigkeitskompartiment (35%) und intrazellulär (60%)
vorliegt, gemessen. Die Wirkstoffkonzentrationen verteilen sich
jedoch nicht gleichmäßig in den einzelnen Kompartimenten.
Hohe Gewebskonzentrationen bedeuten daher, dass sich der weitaus
größte Teil der Wirkstoffkonzentration intrazellulär
befindet. Dies bedeutet gleichzeitig, dass je nach Abnahmezeit im
steady state im Blutkompartiment und im interstitiellen Flüssigkeitskompartiment
geringe Wirkstoffkonzentrationen vorhanden sind. Bei Substanzen,
die sich weitgehend im interstitiellen Flüssigkeitskompartiment
verteilen, sind daher trotz niedrigerer Gesamt-Wirkstoff-konzentrationen
deutlich höhere Wirkstoffkonzentrationen in der interstitiellen
Flüssigkeit zu finden als bei Präparaten mit hohen Gewebespiegeln.
Für die Klinik heißt dies nun, dass
bei Infektionen mit intrazellulär residierenden Keimen wie
Mykoplasmen, Chlamydien, Legionellen, aber auch Listerien, Borrelien
und Leptospiren hohe intrazelluläre Wirkstoffkonzentrationen
günstig sind. Die meisten schweren Infektionen durch Streptokokken,
Pneumokokken, H. influenzae spielen sich jedoch im interstitiellen
Flüssigkeitskompartiment, in Körperhöhlen oder in
Exsudaten ab. Dabei sind hohe intrazelluläre Wirkstoffkonzentrationen
therapeutisch eher nachteilig bzw. unnötig.
Granulozyten und alveoläre Makrophagen
können aktiv Wirkstoffkonzentrationen, z.B. von Makrolidantibiotika,
an den Infektionsort transportieren und bei Zerfall freisetzen.
Dies ist ein interessantes theoretisches Modell, das aber mengenmäßig
eher zu vernachlässigen ist.
Wesentlich bei der Betrachtung der Gewebegängigkeit
von Präparaten ist, dass eine balancierte Kinetik
besteht, d.h., dass in allen Kompartimenten (Blut-, interstitielles
Flüssigkeitskompartiment und, wenn bei intrazellulären
Keimen nötig, auch im intrazellulären Kompartiment und
in der Epithelial Lining Fluid, ELF) therapeutisch ausreichende
Wirkstoffkonzentrationen vorhanden sind. Bei den Makrolidantibiotika
ist dies für Clarithromycin, Josamycin und Roxithromycin gegeben,
nicht jedoch für Azithromycin, bei dem sehr niedrige Serumkonzentrationen
hohen Gewebskonzentrationen gegenüberstehen.
Wie lange therapieren?
Die Behandlungsdauer von Infektionen kann zwischen einer Einmalgabe
eines Antibiotikums und einer Langzeittherapie über Monate
bis zur Dauertherapie variieren. Im Erwachsenenalter ist bei einer
Reihe von Infektionen, wie der unkomplizierten Zystourethritis der
jungen Frau, eine Einmalgabe Standard. In der Kinderheilkunde ist
jedoch üblicherweise eine längere Therapiedauer nötig,
um eine nachhaltige Heilung zu erzielen und Rezidive zu verhindern.
Bei der experimentellen Festlegung der Therapiedauer liegt das häufigste
Problem im Studiendesign: Vielfach sind Risikopatienten, die am
meisten unter Komplikationen leiden, nicht ausreichend in der Studienpopulation
berücksichtigt oder die Nachbeobachtungszeit ist zu kurz bemessen.
Die Therapiedauer muss sich daher nach der Korrektur
der ursprünglichen Pathologie richten und weniger nach der
Dauer bis zur Eradikation der Keime. Die Funktion der Eustachischen
Tube ist im Rahmen eines Virusinfektes der oberen Luftwege
für ca. 10-14 Tage gestört. Bei einer Behandlungsdauer
von 5 Tagen besteht für weitere 7 Tage nach Therapieende eine
funktionelle Störung der Tubenbelüftung sowie persistierendes
Sekret in der Paukenhöhle, was die Wiederbesiedelung der Paukenhöhle
durch Keimaszension aus dem Nasen-Rachenraum begünstigt.
Bei der Otitis media konnte bei einzelnen
Studien eine Überlegenheit einer 10-tägigen Behandlungsdauer
über eine 5-tägige Therapiedauer beobachtet werden. Sie
manifestierte sich jedoch nicht im unmittelbaren Behandlungsergebnis
nach Therapieende. Deutliche Unterschiede bis 50% zugunsten der
längeren Behandlung traten zwischen dem 35. und 48. Tag nach
Therapieende in der Zahl der Rezidive zwischen einer 5- und 10-tägigen
Behandlungsdauer zugunsten der längeren Behandlung zutage.
Bei Patienten mit einer Streptokokkentonsillitis
kann die Behandlung mit einem Oralpenicillin bei gleicher mikrobiologischer
Eradikationsrate nicht auf 5 Tage reduziert werden, wie es durch
verschiedene Oralcephalosporine (z.B. Cefadroxil oder Cefpodoxim-Proxetil)
bereits dokumentiert ist.
Bei Harnwegsinfektionen muss sich die
Therapiedauer nach der restharnfreien Entleerung richten. Solange
die Patienten nach einer akuten Harnwegsinfektion nicht restharnfrei
entleeren, besteht ein hohes Risiko einer Reinfektion.
|
Definition
und Grundbegriffe
Infektion bezeichnet den Zustand, in
dem sich ein pathogener Mikroorganismus (Bakterien, Viren, Pilze,
Parasiten) im Körper in erster Linie auf Haut und Schleimhäuten
festsetzt und sich vermehrt. Keime können aber auch direkt
in tiefere Gewebsschichten eindringen, z.B. bei Verletzung, einem
penetrierenden Trauma oder bei Störung der Barrierefunktion
der Haut und Schleimhaut. In die Blutbahn eingedrungene Keime können
sich in verschiedenen Geweben, wie den Meningen, der Lunge oder
im Harntrakt (Säuglinge < 3 Monate), festsetzen und zu lokalen
Infektionen führen. Gelegentlich spielt auch eine lokale Durchblutungsstörung,
wie z.B. eine Osteomyelitis nach einem stumpfen Trauma der betroffenen
Extremität, eine Rolle.
Infektionskrankheit liegt dann vor, wenn
der Organismus mit subjektiven und objektiven Krankheitssymptomen
reagiert. Bei intakten körpereigenen Abwehrmechanismen kann
eine Infektion ohne klinische Symptome bestehen; diese wird als
inapparente oder subklinisch verlaufende Infektion (stille Feiung)
bezeichnet.
Die Kolonisation von Haut und Schleimhäuten
ist ein physiologisches Phänomen, das im Gegensatz zur Infektion
steht. Haut und Schleimhäute sind mit einer Vielzahl von apathogenen
Bakterien besiedelt. Zur körpereigenen Abwehr trägt eine
stabile körpereigene Flora im Rachen, im Intestinaltrakt und
auf der Haut wesentlich bei, indem sie in Konkurrenz mit pathogenen
Keimen um Nahrungsstoffe steht. Verschiedene Keime bilden Pyocine
oder freie Fettsäuren, die ein Milieu (pH-Wert) bilden, welches
das Anwachsen fremder Keime verhindert. Probiotika, d.h. apathogene
Keime wie Lactobacillus spp. sollen durch Konkurrenz die
Adhärenz pathogener Mikroorganismen verhindern. Sie waren jedoch
in eigenen Untersuchungen in einem Modellversuch an Gefrierschnitten
menschlichen Dünndarms nicht imstande, die Adhärenz pathogener
Mikroorganismen wie EHEC oder Salmonella enteritidis zu verhindern.
Zwischen Infektion, Erkrankung und asymptomatischem
Trägerstatus besteht eine fließende Grenze. Die körpereigene
Abwehr steht in einem biologischen Gleichgewicht mit der Virulenz
der Erreger, d.h. der Fähigkeit eines Keimes, sich im Körper
anzusiedeln und zu vermehren, sowie der Ausprägung der pathogenetischen
Fähigkeiten, wie Toxinbildung und Gewebeinvasion. Bei hoher
Virulenz des Erregers bedarf es einer starken körpereigenen
Abwehr, um den Erreger abzuwehren, bei verminderter körpereigener
Abwehr können bereits Keime mit geringer Virulenz oder apathogene
Keime, z.B. Keime der körpereigenen Flora, zur Erkrankung führen.
Auch das klinische Bild hängt von der Effizienz der körpereigenen
Abwehr ab: Bei einem Patienten kann zum Beispiel eine Infektion
mit Meningokokken zu einer Meningitis, einer Meningoencephalitis,
einer Meningitis mit Sepsis und einer Sepsis ohne Meningitis führen.
Er kann aber auch nur an einer Pharyngitis die sich üblicherweise
einer mikrobiologischen Diagnose entzieht an einer eitrigen
Rhinitis, Urethritis oder Cervicitis erkranken.
Bei vielen Virusinfektionen, wie z.B. Masern,
Varicellen, Hepatitis A und B, sind die Patienten bereits Tage vor
dem Auftreten der klinischen Symptome ansteckend. Ist der Patient
nach der Ansteckung aber vor Auftreten der klinischen Symptome bereits
infektiös, bezeichnet man dies als die Latenzzeit. Den
Zeitraum zwischen Ansteckung und Auftreten einer Infektionskrankheit
bezeichnet man als Inkubationszeit. Mit der klinischen Heilung
erwirbt der Patient einen mehr oder weniger langdauernden Schutz
vor einer Neuinfektion. Für eine Reihe von viralen Mikroorganismen
besteht ein lebenslanger Infektionsschutz, für andere
Virusinfektionen ist die Dauer der Schutzwirkung jedoch bemerkenswert
gering: Bei Respiratory Syncytial (RS)-Viren und Rotaviren hält
der Schutz nur wenige Monate an. Reinfektionen verlaufen jedoch
weniger akut als die Erstinfektion. Bei einem Rezidiv einer Harnwegsinfektion
verläuft die Reinfektion klinisch umso weniger akut, je kürzer
das Intervall zwischen Infektion und Reinfektion ist.
Kein lebenslanger Infektionsschutz besteht bei
Pertussis. Beim Erwachsenen können Infektionen jedoch ohne
die typischen Hustenanfälle
verlaufen, sondern nur mit einem über mehrere Wochen andauernden
Husten.
Dass ein lebenslanger Infektionsschutz auch
nach einer Maserninfektion besteht, kann heute nicht mehr
mit Sicherheit angenommen werden.
Nachdem serologisch gesicherte Zweiterkrankungen
im Jugend- und Erwachsenenalter beobachtet wurden, liegt der Schluss
nahe, dass durch eine Wildvirus-Boosterung der Infektionsschutz
bei älteren Kindern und Erwachsenen laufend wieder aufgefrischt
wurde. Heute, wo Personen keine Boosterung durch erkrankte Kinder
erfahren, könnte sich der Infektionsschutz nach Jahrzehnten
wiederum abschwächen. Einerseits müsste man diesem Phänomen
im Rahmen des Impfplanes für Erwachsene Rechnung tragen. Anderseits
besteht aber die Chance, das Masernvirus als ausschließlich
humanpathogenes Virus durch eine weltweite Impfkampagne vollständig
zu eliminieren.
Bei Patienten nach antineoplastischer Therapie
bzw. nach Knochenmarktransplantation besteht eine besondere Situation.
Bei diesen Patienten ist bei Erreichen der Remission eine Wiederauffrischungsimpfung
zuerst mit Tot- bzw. Toxoidimpfstoffen, nach voller Wiederherstellung
der humoralen und zellulären körpereigenen Abwehr nach
15 Monaten auch mit attenuierten Lebendimpfstoffen indiziert.
Von Erregerpersistenz spricht man, wenn
die Keime nach klinischer Besserung oder Heilung überleben.
Die Persistenz eines Mikroorganismus im Körper eines asymptomatischen
Trägers ist jedoch nicht harmlos, da diese zur Weiterverbreitung
eines Keimes beitragen kann. Beispielsweise können Meningokokken
bei einer Person lediglich als Besiedler des Nasen-Rachenraums vorliegen,
bei einer anderen Person mit einer Verminderung der körpereigenen
Abwehr jedoch zur Erkrankung führen.
Auf 1 Patienten mit einer invasiven Meningokokkeninfektion
kommen mindestens 10 asymptomatische Träger.
Ein asymptomatischer Trägerstatus kann
auch zum Schaden des individuellen Patienten beitragen. Wir haben
beobachtet, dass Säuglinge in einer Kinderkrippe über
Wochen mit H. influenzae-Kapseltyp b besiedelt waren und
erst im Rahmen eines Virusinfektes an einer invasiven Infektion
mit diesem Erreger klinisch erkrankten.
|
Virulenzfaktoren
Die Erforschung pathogenetischer Mechanismen,
die den verschiedenen Infektionen zugrunde liegen, hat zu neuen
therapeutischen und prophylaktischen Ansätzen bei einzelnen
Infektionskrankheiten geführt.
Zwei Kategorien von Virulenzfaktoren können
grob unterschieden werden:
- Virulenzfaktoren, die den intensiven Kontakt
eines Keimes mit der Schleimhaut vermitteln und damit die Besiedlung
der Schleimhäute bzw. der Haut ermöglichen, sowie die
Proliferation auf diesen Strukturen fördern
- Virulenzfaktoren, die auch die Fähigkeit
eines Keimes zur Invasion umfassen und eine Schädigung vitaler
Strukturen des Wirtes durch Toxine herbeiführen
Besiedlung der Haut bzw. Schleimhäute
Beginn jeder Infektion ist die Besiedlung von Oberflächen d.h.
der Haut oder Schleimhaut. Zu diesem Zweck muss ein Keim die Fähigkeit
zur Adhärenz an spezifische Oberflächenstrukturen des
Patienten haben. Erst dann kann die Proliferation erfolgen und der
Keim Toxine, wie Enterotoxine oder verschiedene Zytotoxine an die
entsprechenden Rezeptoren in relevanten Konzentrationen heranbringen
(Abb. 3).
Die Bedeutung der Adhärenz wurde
von Smith und Liggood im Zusammenhang mit der Bildung von Enterotoxinen
am Beispiel von enterotoxischen E. coli untersucht. Virulenzfaktoren
wie ST- (hitzestabiles Enterotoxin) und LT- (hitzelabiles En-terotoxin)
Enterotoxin bzw. das für die Adhärenz verantwortliche
Colonisationsfaktor-Antigen (CFA), werden durch Plasmide codiert.
Wenn gentechnologisch diese Plasmide aus dem Zytoplasma entfernt
werden, verliert der Keim die pathogene Eigenschaft im Tiermodell.
Beide Faktoren sind gleichwertig in ihrer Bedeutung für die
Pathogenität von enterotoxischen E. coli (ETEC). Dasselbe
Prinzip gilt auch für die Pathogenität von enterohämorrhagischen
E. coli (EHEC) und von zahlreichen anderen Keimen (z.B. Meningokokken,
Salmonellen, Gonokokken etc.), dass nämlich Toxinbildung nur
in Verbindung mit der Fähigkeit zur spezifischen Adhärenz
an Schleimhäuten zu Erkrankung führt. Nicht haftende Stämme
sind generell apathogen!
Die Adhärenz auf Seiten des Keimes wird
durch Fimbrien oder Pili ermöglicht (Abb. 4).
Abbildung 3:
EHEC an Intestinalepithelzellen des Schweines: Auflösung
der Mikrovillusstruktur |
|
Abbildung
4: E. coli mit Fimbrien |
|
|
Fimbrien sind artspezifisch in erster Linie
für gramnegative Enterobakterien, aber meist Serotyp-übergreifend.
Adhärenzstrukturen bestimmter pathogener
Keime sind spezifisch für Rezeptoren, z.B. beim Menschen. Andere
Keime haften nur an Epithelzellen bestimmter Tierarten: E. coli
K88 haften nur an Epithelzellen von Jungferkeln, K99 an Kälbern.
Entge-gen der Literatur haben wir jedoch Keime gefunden, die sowohl
an Haftstrukturen von Tieren als auch von Menschen adhärieren,
wie z.B. O78, der sowohl humanpathogen als auch tierpathogen ist.
EHEC sowie Salmonella enteritidis infizieren
überwiegend Epithelzellen des terminalen Ileums. Die Keime
haften in 10fach niedrigeren Konzentrationen in anderen Etagen des
Intestinaltraktes, z.B. im Jejunum, aber auch im Colon. Bisher verwendete
Modelle zur Untersuchung der Adhärenz von Keimen stützten
sich auf Gewebskulturzellen von immortalisierten Tumorzellen unterschiedlichen
Reifegrades. In diesen Modellen war es nicht möglich, diese
pathogenetisch relevanten Besonderheiten der Adhärenz zu erfassen.
Erst die Untersuchung der Adhärenz an Gefrierschnitten menschlichen
Materials ergab eine weiterführende Einsicht (Abb. 5, 6).
Abbildung 5:
Adhärenz von ETEC an der Schleimhaut des terminalen
Ileums (Gefrierschnitt, Vergr. 800x) |
|
Abbildung 6:
Adhärenz und Invasion von Intestinalschleimhaut
durch EPEC (Gefrierschnitt terminales Ileum vom
Menschen, Vergr. 800x) |
|
|
Die Rezeptoren für die Adhärenz von
Keimen am Wirtsorganismus bestehen in erster Linie aus Makromolekülen,
meist Glykoproteinen an der äußeren Zellmembran, die
zur spezifischen Bindung an die Fimbrien der Keime befähigt
sind. Fimbrien haften an diesen Kohlenhydratstrukturen, z.B. Tetrasacchariden
der Globoserie, mit 3 Molekülen Galaktose (Abb. 7).
Abbildung 7: Rezeptorstruktur
(Glykoprotein) von "p" fimbrientragenden E.coli,
die für Infektionen des oberen Harntraktes verantwortlich
zeichnen.
|
Untersuchungen zeigen, dass die Rezeptordichte
auf bestimmten Schleimhäuten und in bestimmten Lebensabschnitten
unterschiedlich ist. Auch bestehen individuelle Unterschiede der
Rezeptordichte, die insofern klinische Relevanz erlangen, als Patienten
mit einer hohen Rezeptordichte häufiger an Infektionen erkranken.
Patienten mit rezidivierenden Streptokokkeninfektionen (>
3 bewiesene Streptokokkeninfektionen im Jahr) weisen statistisch
im Vergleich (Matched-pairs-Technik) eine 5fach höhere Rezeptordichte
für Streptokokken an Wangenschleimhautepithelzellen auf.
Eine höhere Rezeptordichte an Uroepithelien
spielt auch bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen eine
pathogenetische Rolle. Die Adhärenz von Keimen, z.B. an Uroepithelien,
kann in einem In-vitro-Modell untersucht werden. An aus dem
Morgenharn gesunder Probanden gewonnener Uroepithelzellen haften
normalerweise ca. 4-7 CFU E. coli/Epithelzelle. Bei Patienten mit
rezidivierenden Harnwegsinfektionen ohne Abflussbehinderung haften
ca. 6-8fach mehr Keime pro Uroepithelzelle. Patienten mit urodynamischen
Problemen wie vesikoureteralem Reflux, die trotz einer Antibiotikaprophylaxe
häufige Rezidive aufweisen, haben ca. 5fach mehr auf Uroepithelzellen
haftende Keime, während auf Uroepithelzellen von Patienten
mit Reflux, aber ohne Rezidivneigung, eine normale Adhärenz
zu beobachten ist, ähnlich den Keimzahlen auf Epithelzellen
von gesunden Probanden.
Adhärenzrezeptoren für Streptokokken
der Gruppe A sind an Wangenschleimhautepithelien von Kindern in
den ersten 12-18 Lebensmonaten nur in geringer Dichte vorhanden,
Adhärenzrezeptoren für Streptokokken der Gruppe B werden
überwiegend bei Neugeborenen, aber auch in der Genitalschleimhaut
präpubertärer Mädchen, kaum jedoch an Wangenschleimhautepithelien
von Säuglingen nach dem ersten Trimenon gefunden.
Adhärenzrezeptoren für Mycoplasma
pneumoniae an terminalen Bronchiolen treten erst ab dem 3. Lebensjahr
auf. Deshalb erkranken Patienten erst ab dem Alter von 3-3 1/2 Jahren
an einer Mykoplasmen-Pneumonie. Infektionen bei jüngeren Kindern
verlaufen klinisch unter dem Bild einer Pharyngitis, Laryngitis
oder Bronchitis.
Auch andere, für die enge Bindung an die
Zelle verantwortliche Haftstrukturen sind neben den Fimbrien,
die den Initialkontakt des Keimes mit der Wirtszelle vermitteln,
erforscht worden. Es sind dies z.B. die M-Proteine, welche die Penetration
eines Keimes in die Epithelzelle und die Motilität vermitteln.
Andere Faktoren sind für die Ausbreitung von Keimen auf Schleimhäuten
verantwortlich und ermöglichen Keimen, die schützende
Schleimschicht zu durchdringen. Zahlreiche pathogene Keime, z.B.
Salmonella spp., bilden Invasine, die an Integrinen an basolateralen
Oberflächen von intestinalen Epithelzellen binden und so die
Invasion der Schleimhaut ermöglichen.
Andere Haftstrukturen bestehen für grampositive
Kokken: Es sind dies nichtfibrilläre Adhäsine, z.B. das
Protein F von Streptococcus pyogenes, mit dem der Keim an
Fibronektin der Mundhöhlenschleimhaut adhäriert. Die Fibrillen,
haarähnliche Strukturen, scheinen nicht für die Adhärenz
verantwortlich zu sein.
Die Toxin-Bildung wird häufig durch
Plasmide vermittelt. Plasmide sind extrachromosomale DNA-Strukturen
in der Bakterienzelle, in denen bestimmte Eigenschaften codiert
sind, z.B. die Bildung von Proteinen (Toxinen). Da Plasmide von
einem Serotyp auf einen anderen, z.B. durch Sexpili, übertragen
werden können, sind diese Virulenzfaktoren nicht an bestimmte
Serotypen gebunden. So ist die Bildung von Verotoxin, verantwortlich
für das hämolytisch urämische Syndrom bei EHEC, nur
zu 50% mit dem Stamm O 157 assoziiert. Auch andere E. coli-Stämme
wie O 55 und O 126 können die Bildung von Verotoxin übernehmen.
Zu den weiteren pathogenetischen Faktoren von
Keimen gehören z.B. Siderophore, die bakteriellen Mikroorganismen
Eisenquellen erschließen, welche diese zum besseren Wachstum
und zur Bildung von Virulenzfaktoren benötigen. Manche Keime,
wie z.B. H. influenzae oder S. pneumoniae, bilden
eine Polysaccharid-Schleimkapsel. Bekapselte Stämme
von H. influenzae und Pneumokokken sind für invasive
Infektionen wie Meningitis, Epiglottitis, Sepsis und Bakteriämie
verantwortlich. Durch die Polysaccharidkapsel können sich die
Keime gegen Phagozytose schützen, was ihnen einen Überlebensvorteil
bietet.
Den Wirtsorganismus schädigende Virulenzfaktoren
Toxisch wirkende bakterielle Proteine, die von gramnegativen und
grampositiven Keimen nach außen abgegeben oder bei Lyse der
Bakterienzelle nach außen entleert werden, bezeichnet man
als Exotoxine. Sie unterscheiden sich von den Endotoxinen,
die als Lipopolysaccharide Bestandteile der gramnegativen Zellwand
darstellen.
Von diesen Exotoxinen gehen eine Reihe von toxischen
Wirkungen aus:
- Zytotoxine betreffen unspezifisch eine Reihe
von verschiedenen Zellen
- Neurotoxine betreffen in erster Linie Nervenzellen
oder die motorische Endplatte (Botulinustoxin, Tetanustoxin)
- Hepatotoxine zerstören spezifisch Leberzellen
bzw. die Kupffer´schen Sternzellen
- Leukotoxine schädigen weiße Blutkörperchen
- Kardiotoxine betreffen entweder die quergestreifte
Herzmuskulatur oder das Reizleitungssystem
Ein Zytotoxin, das Diphtherietoxin hemmt z.B.
die Proteinsynthese der Zelle, indem es die ADP-Phosphoribosylgruppe
von NAD abtrennt und so den Elongationsfaktor, den Wachstumsfaktor
der Zelle ausschaltet. Bereits ein einziges Molekül des Diphtherietoxins
kann eine Zelle zerstören; deshalb gehört dieses Toxin
zu den toxischsten Produkten in der Natur.
Die Zerstörung von Zellmembranen kann von
Exotoxinen bewirkt werden: Das Toxin wird in die Zellmembran eingebaut
und eröffnet dort Kanäle, durch die vitale Zellbestandteile
verloren gehen. Das alpha-Hämolysin von E. coli öffnet
z.B. Kalziumkanäle der glatten Muskulatur der Blase und der
Ureteren. Es kommt durch den Kalziumverlust initial zu heftigen
Kontraktionen der glatten Muskelzelle klinisch als Tenesmen
der Blasenmuskulatur erkennbar. In weiterer Folge führt das
alpha-Hämolysin durch Lähmung der glatten Muskelzelle
zur Ureteratonie und Detrusorschwäche mit inkompletter Entleerung
der Blase und Restharnbildung. In der Schwangerschaft führt
dieses Toxin bei Harnwegsinfektionen durch E. coli zu vorzeitigen
Kontraktionen des Uterus, wodurch eine erhebliche Zunahme des Risikos
einer Frühgeburt entsteht.
Ein anderer Mechanismus der Membranschädigung
ist die Bildung von Phospholipasen der Zellmembran, die eine Zelllyse
bewirken. Da die meisten Zellen Phospholipide in der Zellmembran
enthalten, wirken diese Phospholipasen auf zahlreiche Zellen zytotoxisch.
Am besten bekannt sind Hämolysine.
Bei Harnwegsinfektionen besteht ein weiterer
pathogenetischer Faktor darin, dass vorübergehend Hormonrezeptoren
blockiert werden. Aldosteronrezeptoren können durch Coli-Toxine
blockiert werden, was zu einem vorübergehenden Pseudohypoaldosteronismus
mit Hyponatriämie und Hyperkaliämie führt. Auch die
ADH-Rezeptoren können durch Coli-Toxine blockiert werden, wodurch
es zu einem Pseudodiabetes insipidus oder zu einer distalen/proximalen
tubulären Azidose kommen kann.
Superantigene führen über einen
weiteren Mechanismus zu toxischen Reaktionen: Sie binden in kleinen
Mengen an major histocompatibility complex II (MHCII)
und an T-Zellrezeptoren und führen zu einer überschießenden
Ausschüttung von Interleukin II und Zytokinen mit Gewebsschädigung,
Kreislaufzusammenbruch bis hin zum Multiorganversagen.
Nahrungsmittelintoxikationen, z.B. durch
Staphylokokken-Enterotoxine, sind bekannte weitere Toxinwirkungen.
Sie führen im Darm zu einer profusen Flüssigkeits- und
Elektrolytsekretion. Ein ähnlicher Mechanismus ist auch beim
Cholera-Toxin und beim E. coli hitzelabilen Enterotoxin (LT)
beschrieben, das zur maximalen Steigerung normaler Sekretionsmechanismen
in den Lieberkühn´schen Krypten ohne Entzündungsreaktion
führt. Innerhalb von wenigen Stunden kann ein Patient dadurch
bis zu 12-14% des Körpergewichtes verlieren. Schwerste Zeichen
der Dehydratation, Azidose und Kreislaufzusammenbruch sind die Folge.
Hydrolytische Enzyme, die Gewebe auflösen
und so das Vordringen und die Ausbreitung von Bakterien begünstigen,
können von bestimmten pathogenen Bakterien produziert werden
(z.B. Streptokinase und Streptodornase der Streptokokken, Hyaluronidase
der Staphylokokken). Der pathologische Effekt, der von diesen Keimen
ausgeht, ist oft schwer von der Gewebszerstörung durch Phagozyten
zu unterscheiden.
Manche Bakterien provozieren autoimmunologische
Phänomene: Bakterielle Proteine, z.B. so genannte Heat-shock-Proteine,
besitzen Epitope, die einen ausreichend großen Unterschied
zu Wirtszellen aufweisen, um eine Immunantwort auszulösen,
aber doch ähnlich genug sind, dass Antikörper und T-Lymphozyten
auch körpereigenes Gewebe angreifen.
Funktionelle Störungen körpereigener
Funktionen, z.B. durch physiologische Flora, die plötzlich
an normalerweise sterilen Stellen auftritt (Fehlbesiedlung), stellen
einen wesentlichen, vielfach unterbewerteten Pathomechanismus dar.
Dieser Mechanismus spielt bei akuten, besonders aber protrahierten
Durchfallerkrankungen eine besondere Rolle. Der Dünndarm
ist vom Ligamentum Treitz bis 30 cm vor der Bauhin´schen Klappe
steril. Im Rahmen von Virusinfekten oder bei gestörter Peristaltik
durch Überlastung des Darmes mit Nahrung (Toleranzüberschreitung)
kommt es zur Fehlbesiedlung oberer Dünndarmabschnitte mit normaler
(physiologischer) Flora. Diese Flora führt dann zu funktionellen
Störungen der Verdauung und Resorption:
Normale Flora in Konzentrationen von 3-5 log
10 an normalerweise sterilen Darmabschnitten führt
- zur Entleerung der Disaccharidasespeicher
und damit zuerst zur Lactoseintoleranz, in der weiteren Folge
zur Intoleranz aller Disaccharide und zuletzt zur Glukoseintoleranz.
Damit werden Kohlenhydrate nicht mehr gespalten und resorbiert,
sondern vergärt. Die Folge ist eine osmotische Diarrhoe.
- zur Dekonjugation bzw. Dehydroxylation von
Gallensäuren. Chenodesoxycholsäure ist normalerweise
zur Mizellenbildung an Glycin oder Taurin gekoppelt. Im terminalen
Ileum wird die Aminosäure durch Enzyme bakterieller Mikroorganismen
(Lactobacillen, Veillonellen etc.) abgespalten, die wertvollen
Gallensäuren im enterohepatischen Kreislauf wiederum in die
Leber rückresorbiert. Geschieht dies bereits im Jejunum durch
Aufsteigen anaerober Keime aus der physiologischen Ileum-Darmflora
in normalerweise sterile Darmabschnitte, ist keine Mizellenbildung
und damit auch keine Fettresorption möglich.
- zur Dihydroxy-Chenodesoxycholsäure
durch Dehydroxylation der Trihydroxy-Chenodesoxycholsäure
an der 7a-Stelle. Dihydroxy-Chenodesoxycholsäure führt
als toxisches Produkt zu wässrigen Durchfällen.
- zur Hydroxylation der häufigsten Fettsäure
der Nahrung, der Ölsäure, durch dieselben Bakterien.
Es entsteht ein toxisches Produkt, die 10 OH-Stearinsäure,
mit ähnlicher Wirkung wie Rizinolsäure.
Überwucherung des Nahrungsbreies mit normaler
Flora kann zur Bildung biogener Amine führen, z.B. von Putrescin,
Cadaverin etc., die die Resorption von Wasser beeinträchtigen.
Ursachen für eine Fehlbesiedlung sind
im Wesentlichen gestörte Peristaltik und besondere Adhärenz
dieser Mikroorganismen bei Besiedlung von höher liegenden Darmabschnitten.
Der Mechanismus der Fehlbesiedlung kann auch
bei intensivgepflegten, künstlich beatmeten Patienten entstehen,
postoperativ, nach Polytrauma oder bei eingeschränkter körpereigener
Abwehr, wenn es zu einer Überwucherung oberer Dünndarmabschnitte
mit gramnegativen Enterobakterien kommt.
Die mikrobielle Translokation aus dem
Intestinaltrakt stellt einen weiteren wesentlichen Pathomechanismus
nosokomialer Infektionen (Sepsis, Pneumonie, Harnwegsinfektionen,
Durchfallerkrankungen) und des Multiorganversagens bei intensivgepflegten
Patienten dar.
Bei Störung der intestinalen Epithelzellbarriere,
z.B. verursacht durch Minderperfusion bei eingeschränkter Kreislaufsituation
wegen großer Blut- und Flüssigkeitsverluste, oder aufgrund
verminderter körpereigener Abwehr oder ausgelöst durch
Hypoperistaltik, können lebende Mikroorganismen die Epithelzellbarriere
überwinden und in Mesenteriallymphknoten und in weiterer Folge
in die Blutbahn eindringen. Aber nicht nur lebende, sondern auch
abgestorbene Mikroorganismen oder bakterielle Abbauprodukte, wie
Bestandteile der Zellwand, penetrieren die Epithelzell-barriere
und führen zu Aktivierung von Zytokinen, Leukotrienen und der
Komplementkaskade, die zusammen wiederum ihrerseits die Epithelzellbarriere
schädigen. Dieses Geschehen wird als Systemic Inflammatory
Response Syndrom (SIRS) bezeichnet. In der weiteren Folge kommt
es zur Sepsis bzw. Multiorganversagen. Auch anatomische Lücken
sowie eine Änderung der bakteriellen Flora begünstigen
die mikrobielle Translokation.
Die Probleme bei der nosokomialen Sepsis bestehen
einerseits in der hohen Morbidität durch das Auftreten multiresistenter
Mikroorganismen, die den Einsatz von Breitspektrum-Antibiotika nötig
macht, sowie anderseits in einer Letalität von bis zu 50%.
Die Antwort auf die neuen Erkenntnisse der Pathomechanismen
von SIRS, Sepsis und Multiorganversagen sind therapeutische Optionen
in Richtung von Maßnahmen zur Blockierung der bakteriellen
Translokation. Als eine einfache und effiziente therapeutische
Maßnahme hat sich der frühzeitige Beginn einer enteralen
Ernährung in Form von Sondennahrung mit Zugabe von Omega-3-Fettsäuren
erwiesen. Damit kann einerseits der Protein-Kalorien-Malnutrition
entgegengewirkt und der anabole Stoffwechselstatus gestoppt werden,
anderseits eine mechanische Waschfunktion oberer Dünndarmabschnitte
zur Verhinderung der bakteriellen Translokation erreicht werden.
Mit der Zugabe von Arginin und Glutamin zur Sondennahrung wird dem
Körper bei der Reparatur der geschädigten Schleimhaut
geholfen.
Als sehr effiziente Maßnahme zur Verhinderung
der bakteriellen Translokation hat sich im Tiermodell (IL-6-knock-out-Mäuse)
die Zugabe von Galacturoniden als Rezeptoranaloga zur Blockierung
der Anlagerung von Keimen am Darmepithel erwiesen. Diese sauren
Di- und Tri-Galakturonide, die in sehr ähnlicher Weise auch
in der Muttermilch vorkommen, blockieren bereits in Konzentrationen
von 0,1% die Adhärenz zahlreicher pathogener Mikroorganismen
an der Schleimhaut. Klinische Studien, die einen Rückgang der
nosokomialen Sepsis und des Multiorganversagens durch eine antimikrobielle
Sondennahrung zeigen sollen, werden gegenwärtig durchgeführt.
Die Blockierung von Effektormolekülen wie
z.B. die Verabreichung von monoklonalen Antikörpern gegen TNF,
wasserlöslichen TNF-Rezep-toren, IL-1-Rezeptor-Antagonisten,
hat hingegen zu keinen sichtbaren therapeutischen Verbesserungen
geführt.
Pathomechanismen bei viralen Infektionen
Eine viral bedingte Epithel-Schädigung bei der Rhinitis
führt zu einer erheblichen Veränderung der Schlagfrequenz
und Schlagrichtung der Flimmerhaare, wodurch die Transportrate von
ca. 7,5 mm/min auf weniger als 4 mm/min sinkt. Im weiteren Verlauf
lösen sich die Zilien ab, Epithelzellen werden vakuolisiert
und sterben schließlich ab. Es handelt sich um einen zwar
geringen, aber disseminierten Epithelverlust. Ulcera, fibrinöse
Auflagerungen und Blutungen sind die Ausnahme. Wenn vorhanden, weisen
sie auf bakterielle Erreger wie Streptokokken, Pneumokokken, Corynebacterium
diphtheriae hin. Blutig seröser Schnupfen beim Neugeborenen
ist pathognomonisch für Lues connata.
Mikroskopische Befunde am Epithel sind spärlich:
gesehen werden verklumpte Flimmerhärchen bzw. entblößte
Zelloberflächen mit zahlreichen adhärierenden Keimen.
Eine Entzündungsreaktion geht von geschädigten
Zellen des Epithels aus. Diese sezernieren Entzündungsmediatoren,
wie Bradykinin, Histamin, Serotonin, Leukotriene und Prostaglandine,
die zugleich auch potente vasoaktive Stoffe darstellen. Ein wichtiger
Bestandteil der Entzündungsreaktion ist die Erweiterung der
Arteriolen durch eine verringerte Aktivität sympathischer,
vasokonstriktorischer Nerven im Bereich der Arteriolen und Vasokonstriktion
des venösen Abflusses. Dadurch resultiert eine Schwellung venöser
Sinusoide, die eine Anschwellung der Nasenschleimhaut bedingt. Außerdem
führen diese Mediatorsubstanzen initial zu einem profusen wässrigen
Sekret, das innerhalb von 2-3 Tagen durch vermehrte Aktivität
der Becherzellen in ein dickes, zähes Sekret übergeht.
Dies beruht auf einer durch die Virusinfektion bedingten Verminderung
nasaler Enzyme, die das Bradykinin spalten. Das Bradykinin fördert
aber auch die Transsudation durch eine Schrankenstörung der
Epithelzellbarriere. Gleichzeitig fördern diese Mediatorsubstanzen
auch die Entwicklung einer Hyperplasie der Schleimhaut.
Die submuköse Schwellung der Nasenschleimhaut
führt zu einer Obstruktion physiologischer Öffnungen,
die den Abfluss der Nasennebenhöhlen über die mittlere
Nasenmuschel beeinträchtigt. Alle diese Faktoren begünstigen
durch die profunde Störung der mukoziliären Clearance
eine bakterielle Besiedelung und Infektion.
Virusinfektionen, z.B. Infektionen mit Herpesviren,
Cytomegalieviren, führen zu zytotoxischen Reaktionen auf Epithelzellen
der Schleimhäute, der Leberzellen, der Nervenzellen im Gehirn
etc.
Virusinfektionen von Organtransplantaten, z.B.
durch Zytomegalieviren, führen durch Bildung von antigenen
Strukturen im Transplantat zur Transplantatabstoßung.
|
Faktoren
der körpereigenen Abwehr
Bereits lange vor der Geburt ist der Körper
im Mutterleib dem kontinuierlichen Angriff bakterieller und viraler
Mikroorganismen sowie Pilzen ausgesetzt. Zur Abwehr dieser ständigen
Bedrohung haben sich phylogenetisch eine Vielzahl von höchst
erfolgreichen Abwehrmechanismen entwickelt.
Spezifische Abwehr-Mechanismen
Eine Reihe von spezifischen Mechanismen der Abwehr ist zu unterscheiden:
- Die humorale Immunität umfasst die
Bildung der verschiedenen Antikörperklassen inklusive der
IgG-Subklassen und des Sekretions-IgA;
- die zelluläre Immunität wird gebildet
aus den verschiedenen T-Lymphozytenpopulationen wie T-Helferzellen,
Killerlymphozyten etc. und den Rezeptoren, die für die Antigenerkennung
und Antigenpräsentation wichtig sind;
- die Komplementfaktoren und andere Signalpeptide
wie TNF-, Interleukine, die für Chemotaxis, Phagozytose und
die Bildung zytolytischer Komplexe, den Membranangriffskomplex
C5b-C9 verantwortlich sind und die Aktivierung, Proliferation
und Differenzierung von T-Lymphozyten vermitteln sowie
- das Phagozytosesystem mit Granulozyten und
Makrophagen, welche die als fremd erkannten Mikroorganismen abtransportieren.
Eine spezifische Immunität wird nach dem
Erstkontakt des Organismus mit einem Krankheitserreger erworben.
Die aktive Immunität entwickelt sich innerhalb weniger Tage
bis Wochen, hält aber, je nach Erreger, über Monate bis
Jahre an und zeigt den so genannten Memory-Effekt, der zu einer
raschen Neubildung und intensiven Auffrischung von Abwehrmechanismen
bei erneutem Kontakt führt. Die Stimulation der aktiven Immunität
ist auch durch die meist parenterale Verabreichung von lebenden,
mitigierten oder abgetöteten Mikroorganismen bzw. deren Exotoxinen
in Form der Impfung möglich.
Eine passive Übertragung von Antikörpern
der IgG-Klasse erfolgt diaplazentar in den letzten Wochen der Schwangerschaft
und spielt beim Neugeborenen eine wichtige Rolle: Diese Übertragung
begründet vor allem die humorale Immunität. Durch die
Muttermilch werden Antikörper, aber auch aktivierte T-Lymphozyten
übertragen. Die parenterale Verabreichung von Immunglobulinen
verleiht dem Patienten einen vorübergehenden Schutz, der einige
Wochen anhält.
Es sind zahlreiche angeborene und erworbene
Defekte dieser Abwehrmechanismen beschrieben. Defekte der spezifischen
Abwehr führen zu häufigen und oft schweren bis lebensbedrohenden
Infektionen. Sie sind für rezidivierende Infekte, d.h. das
häufig kranke Kind, jedoch nur in > 2% der Patienten verantwortlich.
Defekte der spezifischen körpereigenen Abwehr sind durch Infekte
in verschiedenen Organsystemen mit zum Teil unüblichen Keimen,
protrahiertem Verlauf und nahezu obligat durch Gedeihstörung
gekennzeichnet.
Von besonderer Bedeutung für rezidivierende
Infekte im Kindesalter ist die unspezifische Mukosa-assoziierte
Immunität, das Mukosa-assoziierte Lymphatische Gewebe (MALT)
und die erst kürzlich entdeckte angeborene Abwehr.
Unspezifische Abwehr
Abwehrmechanismen, die man unter die unspezifische Abwehr einordnet,
sind vielfach vorhanden. Sie beste-hen u.a. in physikalischen und
biologischen Schutzmechanismen und äußern sich als natürliche
Resistenz einer Spezies, z.B. des Menschen. Diese Mechanismen sind
zwar wesentlich weniger spektakulär, aber höchst effizient
und für die Abwehr zu Beginn einer Infektion verantwortlich.
Mechanische Barriere- und Klärfunktion
Eine natürliche mechanische Barriere gegen Noxen aller Art
wird durch Haut und Schleimhäute gebildet. Die Gesamtoberfläche
aller Schleimhäute mit 350 m2 beim Jugendlichen spielt als
Grenzfläche eine große Rolle. Die Nase reinigt täglich
10.000 bis 20.000 l Atemluft. Nur wenige Partikel, die größer
als 10 µm sind, können ungestört die Filterfunktion
der Nase passieren.
Anders als die Haut, die sich mit einer Schicht
toter Zellen, dem verhornenden Plattenepithel schützt, ist
die Schleimhaut von einer schützenden Schleimschicht bedeckt.
Die Schleimschicht, bestehend aus Glykoproteinen, ist aufgebaut
aus einer flüssigen Solschicht und einer viskösen Gelschicht,
in der Mikroorganismen gefangen werden. Das Flimmerepithel und die
darauf wie ein Teppich liegende Schleimschicht transportieren ständig
die abgelagerten Staub-Partikelchen, Viren, Bakterien, Pilze und
Antigene (z.B. Allergene) nach außen. Die Flimmerhaare (Zilien)
schlagen mit einer Frequenz von ca. 3-5 Schlägen pro Sekunde
und bewegen die Schleimschicht in einer Minute ca.
0,7 Zentimeter in Richtung nach außen. Man bezeichnet diese
Reinigungsfunktion als die mukoziliäre Clearance. Die
Viskosität der Schleimschicht ist von grundlegender Bedeutung.
Wenn die Solschicht eine zu hohe Viskosität aufweist, wie sie
bei Virusinfektionen oder auch bei trockener Umgebungsluft entsteht,
wird der Zilien-Schlag gehemmt und die Zilien können den zähflüssigen
Schleim nicht mehr transportieren. Stase des Schleimes begünstigt
die Entstehung einer Infektion. Bei zu dünnflüssigem Schleimteppich
werden die Partikelchen in der Gelschicht nicht mehr gefangen und
auf der Schleimhaut verbleibende Mikroorganismen können virulent
werden. Ein wesentlicher Virulenzmechanismus ist die Motilität
der Bakterien, durch die sie die Schleimschicht durchdringen und
sich an Membranrezeptoren der Epithelzellen anlagern können
(Abb. 8).
Abbildung 8: Aufbau der
regulären Schleimschicht mit Sol- und Gelphase
|
Zwei Schutzmechanismen der Nase bzw. der oberen
Bronchialschleimhaut kennt jeder: Physikalische und chemische Reize
der sensorischen Nerven der Nase lösen eine heftige wässrige
Sekretion aus. Reizende Stoffe werden auf diese Art von der Nasenschleimhaut
gespült. Wenn Schleimhautepithelzellen mit bakteriellen oder
viralen Mikroorganismen besiedelt sind, kommt es zu einer Abstoßung
der gesamten Zelle inklusive der anhaftenden Organismen. Durch den
Niesreflex oder Hustenreflex werden reizende Stoffe, Bakterien und
Epithelzellen ausgeschleudert.
Eine reguläre Belüftung der Schleimhäute
und ein ungehinderter Sekretfluss sind daher notwendigerweise wesentliche
Faktoren der unspezifischen Abwehr. Durch eine Vergrößerung
der Rachenmandeln kann es zu einer gestörten Belüftung
der Nasenschleimhaut mit einer persistierenden chronischen Infektion
der Nasenschleimhäute und der angrenzenden Strukturen (Nasennebenhöhlen)
kommen.
In ähnlicher Weise wie bei der mukoziliären
Clearance der Atemwegsschleimhaut ist eine reguläre Peristaltik
des Intestinaltrakts zur Verhinderung von Stase und damit der Fehlbesiedlung
oberer normaler steriler Dünndarmabschnitte wesentlich.
Im Harntrakt ist die restharnfreie Entleerung
zur Verhinderung von Infektionsrezidiven von entscheidender Bedeutung.
Sie ist bei vesikoureteralem Reflux, aber auch bei Detrusorschwäche
bzw. Harnröhrenklappen oder Engstellen beeinträchtigt.
An der Oberfläche wirksame antimikrobielle
Substanzen
Schweiß und Talgdrüsen auf der Haut, wie auch andere
Körpersekrete, z.B. Tränenflüssigkeit, Speichel und
der saure Magensaft, wirken aufgrund ihres sauren pH-Wertes und
verschiedener biologischer Substanzen (Fettsäuren, Lysozym)
antimikrobiell. Der Schleim der Nase enthält bakteriostatische
Substanzen wie Lactoferrin und Lysozym, Siderophore, die Eisen speichern,
aber auch Kohlenhydratstrukturen als Rezeptoranaloga, mit denen
Keime im Schleim fixiert werden.
Auch intestinale Enzyme, wie Pankreasenzyme
und Gallensäuren, besitzen antimikrobielle Wirksamkeit. Von
Gallensäuren wissen wir, dass sie die äußerste Hülle
der Rotaviren angreifen, dadurch sind diese Mikroorganismen nicht
mehr imstande, an der Schleimhaut zu adhärieren und sind dadurch
im Stuhl weniger infektiös als im Nasensekret. Voll infektionstüchtige
Rotaviren werden überwiegend im Nasen-Rachen-Sekret ausgeschieden
und als Tröpfcheninfektion weiterverbreitet.
Der Schleim enthält auch Sekretions-IgA,
das vorwiegend gegen Oberflächenstrukturen von Keimen gerichtet
ist und ebenso die Adhärenz von Keimen an Epithelzellen blockiert.
Die Mukosaimmunität
Granulozyten können Bakterien durch Phagozytose eliminieren.
Untersuchungen der antibakteriellen Aktivität von Granulozyten
haben gezeigt, dass die Bindung von E. coli an Granulozytenrezeptoren
durch Degranulation von protease- und myeloperoxidasehaltigen Vesikeln
zur Abtötung adhärenter Bakterien auch ohne Phagozytose
führt. In ähnlicher Weise führt auch die Adhärenz
bakterieller Mikroorganismen, insbesondere E. coli, an Mukosazellen
zur Suppression der Proliferation der Bakterien und zur Bakterizidie.
Der Rezeptor-Ligand-Komplex vermittelt nicht nur den Bakterien-Zellkontakt,
sondern initiiert auch eine Aktivierung der Zielzelle über
verschiedene Wege der Signaltransduktion. Dabei werden sekundäre
Botenstoffe wie Calcium und cAMP intrazellulär freigesetzt.
Zusätzlich kommt es auch zu einem intrazellulären Calcium
Shift und einer Ansäuerung der Epithelzelle.
INF-beta, TNF-alpha oder NO (Stickstoff-Monoxyd),
die durch die Epithelzelle gebildet werden, kommen dabei als bakterizide
Substanzen in Frage. Svenson konnte in Uroepithelzellen und in Bronchialepithelzellen
die Induktion von Zytokinen nach Bindung von MR(p)-Fimbrien an den
Glykolipidrezeptor zeigen. Dies veranlasst die Epithelzelle zur
Bildung von IL-6 und IL-8. Verstärkt wird die von der E.
coli-Adhärenz induzierte Epithelzellaktivierung durch lokal
sezernierte Prostaglandine.
Im flüchtigen Radikal NO kann die bakteriotoxische
Eigenschaft vermutet werden. Sie ist in Makrophagen und Monozyten
bereits als humoraler Abwehrmechanismus gegenüber intrazellulär
gelegenen Bakterien und Tumorzellen nachgewiesen worden. Im Tiermodell
wurde bei alveolären Makrophagen NO im Zusammenhang mit der
natürlichen Abwehrfunktion gegenüber Klebsiellen in der
Lunge nachgewiesen. Auch bei Infektion mit Salmonella typhimurium
konnte die antimikrobielle Bedeutung des von Epithelzellen gebildeten
NO gezeigt werden.
Weitere antimikrobielle Peptide sind ebenfalls
in Betracht zu ziehen. Defensine sind kleinmolekulare Proteine
mit einem Molekulargewicht von ca. 5.000 Dalton, die aus 38-42 Aminosäuren
zusammengesetzt sind. Sie bohren Poren in die Zellwand und lösen
damit eine Kolliquationsnekrose aus. Die Exkretion von beta-Defensin
aus Epithelzellen der Trachea und Bronchien nach Adhärenz bakterieller
Mikroorganismen bzw. Kontakt mit LPS konnte nachgewiesen werden.
beta-Defensin besitzt antimikrobielle Aktivität gegen ein breites
Spektrum bakterieller und viraler Mikroorganismen sowie Pilze. Die
Wirksamkeit besteht aber nur gegen ein kleines Inokulum (< 2-3
Keime/Epithelzelle).
Alle diese Untersuchungen zeigen, dass Mukosazellen
neben ihrer Barrierefunktion auch antibakterielle Fähigkeiten
besitzen, ähnlich den alveolären Makrophagen. Diese Schutzfunktion
wird als unspezifische Mukosaimmunität bezeichnet. Mukosaepithelzellen
der inneren Grenzfläche sind an der Kontrolle der
bakteriellen Besiedlung beteiligt. Dieses Prinzip eignet sich aber
in erster Linie zur Regulierung der Besiedlung durch schwach virulente
Erreger und niedrige Keimzahlen, die kommensal im Oropharynx bzw.
bei Tröpfcheninfektion, im Gastrointestinaltrakt und im Urogenitaltrakt
vorkommen. Zur Abwehr hochvirulenter Pathogene sind unspezifisch
gerichtete Defensine wahrscheinlich zu schwach.
Die natürliche, angeborene Immunität
Zwischen der spezifischen induzierten und der unspezifischen angeborenen
Abwehr besitzt der Körper noch ein Bindeglied, das auch gegen
hochpathogene Erreger einen natürlichen angeborenen Schutz
vermittelt. Man nennt dies die natürliche Immunität.
Die zentrale Rolle der natürlichen Immunität besteht in
der Fähigkeit von Zellen des angeborenen Immunsystems, infektiöse
Keime zu erkennen und von körpereigenem Gewebe und Eukaryonten
zu unterscheiden. Makrophagen und Monozyten besitzen die für
die Erkennung pathogener Mikroorganismen nötigen Rezeptoren.
Mikrobielle Strukturen, die durch das natürliche
Immunsystem erkannt werden, haben ein generelles Molekülmuster,
das keine Variabilität im Rahmen der Antigenvariabilität
aufweist. Diese Strukturen bestehen überwiegend aus Kohlenhydraten,
die essentiell für pathogene mikrobielle Zellfunktionen sind
und sich absolut von den Kohlenhydraten in der Zellwand von Eukaryonten
unterscheiden. Sie werden als pathogen assoziierte Molekularmuster
(PAMPs - pathogen associated molecular patterns) bezeichnet und
umfassen die Lipopolysaccharide gramnegativer Bakterien und Lipoteichonsäure
grampositiver Keime oder die doppelsträngige RNA vieler RNA-Viren.
Der infizierte Wirtsorganismus verfügt über Abwehrzellen,
die eine Reihe von Rezeptormolekülen besitzen. Diese erkennen
die PAMPs und leiten daraufhin eine rasche Abwehrreaktion des spezifischen
Immunsystems ein. Die Erkennungsmoleküle weisen eine breite
Spezifität auf, sind im Bronchialtrakt und Gastrointestinaltrakt
positioniert und werden als Pattern recognition receptors (PRR)
bezeichnet (Medzhitov).
Das Mannose-bindende Lectin (MBL) ist ein spezielles,
besonders vielseitiges Molekül der natürlichen Abwehr.
Es weist funktionelle Analogie zu IgM, IgG und C1q auf und wirkt
als Art Universalantikörper, induziert als Opsonin die Phagozytose
und stimuliert den klassischen Weg der Komplementaktivierung.
Das natürliche und angeborene Abwehrsystem
ist zusammen mit den unspezifischen mechanischen Klärfunktionen
sehr effizient und vernichtet wahrscheinlich die Mehr-heit der Infektionserreger
an der Epitheloberfläche, bevor das spezifische Immunsystem
auf den Plan gerufen wird.
Häufig wird eine intakte Flora als
wesentlicher Bestandteil der körpereigenen Abwehr in ihrer
Bedeutung unterschätzt. Keime, die an Oberflächen haften,
sind in permanenter Kompetition um Nahrungsstoffe. Zahlreiche Bakterien
sind auch imstande, Bakteriozine und Pyocine zu bilden, die das
Wachstum anderer Keimspezies unterdrücken. Eine stabile Flora
unterdrückt z.B. das Anwachsen potentiell pathogener Mikroorganismen.
Bei Destabilisierung der Flora durch Antibiotika können fremde
Keime leichter Schleimhäute kolonisieren.
Beispiel ist die Infektion/Besiedlung des Intestinaltraktes
mit Salmonella enteritidis. Untersuchungen konnten zeigen,
dass mehr als 106 Keime von Salmonella enteritidis nötig
sind, um eine Infektion hervorzurufen. Wenn man unspezifisch die
Intestinalflora z.B. durch parenterale Gabe eines Aminoglykosids
stört, sind bereits 1.000 Keime für eine Infektion ausreichend.
Klinische Relevanz bei der unkritischen Gabe
eines Antibiotikums bei der Behandlung eines Virusinfektes: Durch
die Gabe eines Antibiotikums kann oft die bakterielle Superinfektion
nicht verhindert werden. Die Infektion findet dann möglicherweise
1-2 Tage später mit einem auf das verabreichte Antibiotikum
resistenten Keim statt. Die Gabe des Antibiotikums kann den klinischen
Krankheitsverlauf verschleiern und evtl. zu einer chronisch schwelenden
Infektion Anlass geben.
Ob die Verabreichung von Probiotika,
d.h. apathogenen Bakterienkulturen, imstande ist, eine Besiedelung
des Intestinaltraktes mit pathogenen Mikroorganismen zu verhindern,
ist nicht zweifelsfrei belegt. Lactobacillus acidophilus
zeigt eine langsame Proliferation über 48 Stunden, benötigt
ein spezielles Nährmedium und proliferiert am besten bei Zimmertemperatur.
Um die entsprechenden Plätze an der Darmschleimhaut zu besetzen,
sind unphysiologisch große Mengen nötig. In eigenen Untersuchungen
konnten wir feststellen, dass die Besiedelung des terminalen Ileums
mit Lactobacillus acidophilus nicht imstande ist, die gleichzeitige
oder nachfolgende Besiedelung mit EHEC, ETEC und Salmonella enteritidis
zu verhindern (Abb. 9).
Abbildung 9: Adhärenz
von Lactobacillus acidophilus und EHEC am Gefrierschnittmodell
des terminalen Ileums vom Menschen. Eine Besiedelung des Gefrierschnittes
mit Lactobacillen konnte die nachfolgende Adhärenz von
EHEC und Besiedelung nicht verhindern. Lactobacillus acidophilus:
feine rötliche fibrilläre Strukturen; EHEC: dunkelblaue,
kurze Stäbchen, Färbung nach Giemsa
|
Störung der unspezifischen Abwehr
Virusinfektionen oder eine anatomische Fehlbildung lösen häufig
funktionelle Störungen der unspezifischen körpereigenen
Abwehr aus. Wenn z.B. der reguläre Aufbau der Schleimschicht
in Sol- und Gelschicht mit eng definierter Viskosität sowie
einer regulären, ostiumgerichteten Zilienfunktion durch virale
Infektionen der Schleimhäute und durch die oft daraus resultierende
bakterielle Superinfektion nachhaltig gestört wird, kommt es
zu einer Störung der mechanischen Reinigungsfunktion von Epitheloberflächen.
Durch Viren (vor allem durch RS-Viren) infizierte
Epithelzellen sind leichter bakteriell besiedelbar. Durch eine vermehrte
Expression von Adhärenzstrukturen an der Oberfläche von
Epithelzellen beobachten wir als weiteres Phänomen, dass diese
Epithelzellen mit 50-100fach höheren Keimzahlen besiedelt werden
als nicht virusinfizierte Epithelzellen. Die gesteigerte Besiedelbarkeit
von Schleimhäuten normalisiert sich erst allmählich über
4-6 Wochen (Abb. 10).
Abbildung 10: Vermehrte
Besiedelung einer RS-Virus-infizierten Nasenschleimhautepithelzelle
durch bakterielle Erreger (H. influenzae)
|
Der Pathomechanismus von Virusinfekten führt
über Mediatoren (Interleukine, LT, PAF, Thromboxan) zu einer
Zunahme des arteriellen Zuflusses in die Submukosa und zum Verschluss
des venösen Abflusses. Die Folge ist die Schwellung des submukösen
Venenplexus. Das bekannte klinische Korrelat für diese pathophysiologischen
Vorgänge ist die beim Schnupfen verstopfte Nase, der Verschluss
des Eingangs in die Kieferhöhle/Siebbeinzelle, der Verschluss
der Eustachischen Tube oder des Ductus lacrimalis. Sekret kann nicht
abfließen liegen gebliebenes Sekret bzw. ein Sekretstau
wird bakteriell superinfiziert. Die mukoziliäre Clearance der
Schleimhaut der Eustachischen Tube ist durch eine Virusinfek-tion
für 10-14 Tage gestört.
Funktionelle Störungen der Zilienmotilität
(immotiles Zilien-Syndrom) können angeboren sein. Die Bildung
eines zähflüssigen Schleimes (z.B. bei Mukoviszidose),
sowie die Störung der Belüftung der Nasen-Rachen-Schleimhaut
(z.B. durch vergrößerte, obstruktive Rachenmandeln) führen
zur gesteigerten bakteriellen Besiedelung der Schleimhäute
des Respirationstraktes. Die Verlegung des nasalen Ausgangs des
Ductus nasolacrimalis entweder durch eine hyperplastische Schleimhaut
oder eine anatomische Fehlbildung, wie einem knöchernen Sporn,
führt zu Abflussbehinderung der Tränen und einer Infektion
des Tränensackes. Weitere anatomische Veränderungen im
Respirationstrakt, wie eine Deviation der Nasenscheidewand oder
ein zu langer Processus uncinatus, führen zur Abflussbehinderung
des Sekretes aus der Kieferhöhle und den Siebbeinzellen. Dies
alles sind Ursachen für chronische und/oder rezidivierende
Infektionen.
Eine nicht restharnfreie Entleerung der Blase
im Rahmen eines vesiko-ureteralen Refluxes, einer hinteren Harnröhrenklappe
oder einer Detrusorschwäche führt zu rezidivierenden Harnwegsinfektionen.
Experimentelle Untersuchungen in der Klinik
sprechen dafür, dass für rezidivierende Infekte auch eine
angeborene Störung der Mukosaimmunität und/oder eine verzögerte,
verminderte oder fehlende Bildung von lokalen antimikrobiellen Substanzen
in Oberflächensekreten wie beta-Defensin verantwortlich ist.
Patienten mit vollkommenem Fehlen der Mukosaimmunität, z.B.
Fehlen der Bildung von beta-Defensin, wurden beobachtet und mit
dem Auftreten z.B. rezidivierender Harnwegsinfektionen trotz normaler
Abflussverhältnisse korreliert.
Ob eine zeitlich verzögerte Bildung von
beta-Defensin zu einer verminderten Mukosaimmunität führt,
wird gegenwärtig untersucht: Da beta-Defensin nur gegen ein
kleines Inokulum wirkt, kann eine Proliferation von Keimen an Epithelzellen
dieses sensible System überfordern.
Das häufig kranke Kind
Anamnese und klinische Symptome leiten in erster Linie die strategischen
Überlegungen des praktizierenden Kinderarztes zur Abklärung
des häufig kranken Kindes, keineswegs beruhen sie
allein auf einer labordiagnostischen, immunologischen Abklärung.
- Monotope Infektionen in einem Organsystem
bei gutem Gedeihen und gutem Allgemeinzustand müssen den
Verdacht auf Störungen von Barrierefunktionen, anatomische
Besonderheiten und Strukturanomalien richten.
- Rekurrente, prolongierte, pyogene Infektionen
in verschiedenen Organsystemen bei mangelndem Gedeihen mit
dem Beginn nach dem ersten bis zweiten Trimenon weisen auf einen
B-Zelldefekt und Antikörpermangelsyndrom (Bruton´sche
Agammaglobulinämie) hin. Die Abklärung besteht in der
Bestimmung der verschiedenen Immunglobulinklassen, der Bestimmung
der B-Lymphozyten bzw. der Bestimmung von Impfantikörpern,
Isohämagglutininen und des Sekretions-IgA im Speichel.
- Ungewöhnlich häufige pyogene
Pilz- oder Protozoeninfektionen bzw. persistierende Virusinfektionen,
z.B. persistierende Adenovirusinfektionen der Lunge oder eine
systemische Infektion mit Bacillus Calmette Guérin,
weisen auf einen Defekt der T-Zellimmunität oder einen kombinierten
B- und T- Zelldefekt (SCID) hin. Eine schwere therapierefraktäre
Hypokalzämie im Neugeborenenalter sollte den Verdacht auf
einen T-Zelldefekt (Di-George-Syndrom bei fehlender Anlage der
Epithelkörperchen) erwecken. Niedrige Lymphozytenzahlen im
peripheren Blut, ein fehlender Thymus im Thoraxröntgen, negative
Ergebnisse bei Intrakutantesten geben einen weiteren diagnostischen
Hinweis. Die Diagnose kann durch die Bestimmung der T-Lymphozyten
in der Durchflusszytometrie und Differenzierung der verschiedenen
Lymphozytenpopulationen mit dem Zytotoxizitäts-Assay gestellt
werden.
- Rekurrierende Staphylokokkeninfektionen
der Haut, Impetigo, Furunkel oder kalte Abszesse der Lymphknoten
weisen auf einen Defekt der Granulozytenfunktion hin. Die Abklärung
umfasst die Bestimmung der Granulozytenzahl, der Granulozytenmorphologie
und den NBT-Test. Die Bestimmung der Chemolumineszenz ist ein
guter Screening-Test für Granulozytenadhärenz und Aggregation,
Chemotaxis und Spontanmotilität sowie der Aktivierung des
Respiratory Burst.
- Rekurrierende Infekte mit kapseltragenden
Bakterien, z.B. Pneumokokken, H. influenzae und Meningokokken,
weisen auf einen Defekt der Komplementfaktoren hin. Die Diagnose
wird durch die Bestimmung der einzelnen Komplementfaktoren gestellt.
Ursachen der Infektanfälligkeit
Pathogenetische Faktoren, die nicht auf einem Defekt der spezifischen
körpereigenen Abwehr beruhen, überwiegen als Ursachen
für rezidivierende Infekte:
- Nicht effiziente Behandlung des initialen
Infektes, z.B. durch eine falsche Wahl des Antibiotikums. Die
Ursache kann auch die falsche Wahl der Tagesdosis, Fehler bei
der Verabreichung (z.B. Gabe nach der Mahlzeit bei notwendiger
Verabreichung auf nüchternem Magen), zu lange Dosierungsintervalle
und zu kurze Behandlungsdauer sein
- Anatomische und funktionelle Fehlbildungen,
die z.B. bei Schleimhautschwellung keinen ausreichenden Sekretabfluss
ermöglichen
- Eine besondere epidemiologische Situation,
wobei mehrere Mitglieder in einer Familie sich immer wieder erneut
anstecken (Ping-pong-Infektionen in der Familie und im Kindergarten)
- Milieuschäden, Mitrauchen, schlech-te,
beengte Wohnverhältnisse sowie trockene Luft in der Wohnung
- Allergische hyperergische Phänomene,
die zu rezidivierenden Infektionen auf der Basis einer gestörten
mukoziliären Clearance beitragen
Selten sind Störungen der spezifischen
Abwehr, z.B. eine angeborene Agammaglobulinämie, eine transitorische
Hypogammaglobulinämie, ein selektiver IgA-Mangel, die Ursache
für akute oder rezidivierende Atemwegsinfektionen.
IgA-Proteasen, die von der Mehrzahl bakterieller
Mikroorganismen auch in unseren Breiten gebildet werden, führen
bei dieser hohen Besiedlungsrate zudem zur Ausschaltung der lokalen
Immunität (IgA-Proteasen-Bildung durch H. influenzae 80%, Pneumokokken
100%, M. catarrhalis und Staphylokokken 30%).
Diagnostische Hinweise
Die empfohlene diagnostische Vorgangsweise besteht zusätzlich
zur sorgfältigen Anamnese in der Untersuchung des Blutbildes:
Bereits im Differentialblutbild kann man Hinweise auf einen spezifischen
Abwehrdefekt wie eine abnorme Zahl von Granulozyten, Lymphozyten,
eosinophilen Leukozyten, oder Strukturanomalien der Granulozyten
erhalten.
Die Dokumentation der humoralen Immunität
durch Bestimmung der Serum-Antikörper einschließlich
der IgG-Subklassen, des Sekretions-IgA und des IgE-Spiegels ist
auch dann indiziert, wenn klinisch bereits der Verdacht auf ein
Antikörpermangelsyndrom erhärtet oder ausgeräumt
werden kann.
Bei rezidivierenden Infektionen der oberen Luftwege
(chronische Sinusitis, Otitis media) ergibt die Darstellung der
Strukturen des Mittelgesichtes durch ein CT mit besonderer Signalgebung
(Knochenfenster) wesentliche Hinweise z.B. auf eine Abflussbehinderung
aus den Kieferhöhlen, eine Belüftungsstörung der
Mastoidzellen oder des Vorliegen eines Cholesteatoms.
Therapeutische Hinweise
Die therapeutische Vorgangsweise bei rezidivierenden Infekten der
oberen und unteren Luftwege beruht zuerst auf einer adäquaten
antimikrobiellen Behandlung des persistierenden bakteriellen
Infektes. Gleichzeitig muss in einer konzertierten Aktion
der Sekretabfluss durch abschwellende Nasentropfen gewährleistet
werden, sowie eine Verbesserung der mukoziliären Clearance
durch Sekretverflüssigung und Harmonisierung der Viskosität
der Schleimschicht sowie durch Steigerung der Zilienschlagfrequenz
erfolgen. beta-Sympathikomimetika oder ätherische Öle
sind dabei wirksam.
Bei einer angeborenen Immundefizienz sowie bei
einer transitorischen Hypogammaglobulinämie bzw. bei einem
IgG-Subklassendefekt (IgG2- oder IgG4-Mangel), kann als passive
Immunprophylaxe versuchsweise Immunglobulin 3- bis 4-wöchentlich
über 6 Monate gegeben werden. Danach sollte ein Auslassversuch
über wiederum 6 Monate mit Registrierung aller Infektionen
vorgenommen werden. Das weitere Vorgehen ist dann von dem Ergebnis
abhängig zu machen.
Gegen die meisten Atemwegsinfektionen gibt es
keine Impfungen. Impfung schützt nur gegen eine Infektion mit
Influenza-Viren der Typen A und B. Die Hib-Impfung verhindert die
Epiglottitis. Für die Vermeidung von Komplikationen bei Atemwegsinfektionen
ist die Hib-Impfung jedoch nur in einem kleinen Prozentsatz wirksam,
da Infektionen der Luftwege meist durch nicht bekapselte Stämme
von H. influenzae verursacht werden.
Die Verabreichung von Bakterienlysaten
ist nach wie vor nicht allgemein akzeptiert. Der klinische Effekt
der oralen Verabreichung von abgetöteten bakteriellen Mikroorganismen
(Luivac, Broncho-Vaxom) als eine Art orale/lokale Immunisierung
ist jedoch in klinischen Untersuchungen, die nach GCP-Standards
durchgeführt wurden, bei mehreren 1.000 Patienten bewiesen.
Es ist gegenüber einer Placebogabe bei mehr als 50% der Patienten
ein statistisch signifikanter Rückgang der Zahl und Schwere
von Infekten zu verzeichnen. Eigene Untersuchungen ergaben, dass
durch die orale Verabreichung dieser Präparate Sekretions-IgA-Antikörper
gegen Oberflächenstrukturen von Keimen im Speichel und im Nasensekret
induziert werden, welche die Adhärenz von Keimen an Epithelzellen
und die Besiedelbarkeit von Schleimhäuten blockieren.
Es gibt Hinweise darauf, dass die Verabreichung
von Bakterienlysaten auch zur Verbesserung der Mukosaimmunität
der Schleimhaut führt, indem die Bildung von beta-Defensin
aus Epithelzellen induziert wird.
In den Bakterienlysaten sind auch Kohlenhydratstrukturen
(PAMPs) aus der Zellwand bakterieller Mikroorganismen enthalten,
die im Rahmen der natürlichen angeborenen Immunität die
spezifische Abwehrfunktion stimulieren.
Die Wirkung weiterer Immunstimulanzien pflanzlicher
Herkunft ist sowohl experimentell als auch durch klinische Studien
nicht ausreichend geklärt.
Die Behandlung anatomischer Defekte erfolgt
chirurgisch durch Korrektur des Defektes.
|
Fieber
- Pathogenese und Behandlung
Fieber ist eine zentral ausgelöste
Erhöhung der Körpertemperatur bzw. eine Temperaturregulationsstörung,
die meist als Begleitsymptom einer Reihe von Infektionskrankheiten
auftritt, aber auch durch mangelnde Flüssigkeitszufuhr als
Durstfieber entstehen kann.
Beim Säugling und Kleinkind spricht man
von Fieber, wenn die Temperatur anhaltend über 38,5°C,
beim älteren Kind und Erwachsenen > 38°C liegt. Darunter
liegende Werte werden jeweils als subfebrile Temperatur bezeichnet.
Ein zirkadianer Rhythmus kennzeichnet die Regeltemperatur,
die üblicherweise in den frühen Abendstunden am höchsten
ist. Bei Fieber ist der zirkadiane Rhythmus meist aufgehoben, er
kann aber auch verstärkt sein, d.h. bei einer Fieberkontinua
ist die Körpertemperatur am späten Nachmittag und frühen
Abend am höchsten.
Das Thermoregulationszentrum im Hypothalamus
spielt eine zentrale Rolle in der Temperaturregulation. Zellen des
Immunsystems können Zytokine freisetzen, die zu einer Erhöhung
der Regeltemperatur führen. Auch Pyrogene der Zellwand bakterieller
Mikroorganismen wie Peptidoglykane führen zu einer plötzlichen
Temperaturerhöhung. Muskelzittern, Schüttelfrost, Vasokonstriktion,
Piloerektion sind mit dem Anstieg der Körpertemperatur verbunden.
Im Anschluss an Infektionen der Luftwege bzw.
nach Abklingen einer Epstein-Barr-Virusinfektion wird die postinfektiöse
Hyperthermie (+ 0,5°C Regeltemperatur) beobachtet. Sie besteht
in einer monatelang andauernden Hyperthermie, die jedoch einen zirkadianen
Rhythmus aufweist. Gegen infektiöses Fieber sprechen die fehlenden
Akut-Phase-Proteine und die normale Blutsenkungsgeschwindigkeit.
Beim zerebralen Fieber, z.B. nach Hirnblutungen
oder Encephalitis, ist die Ursache weniger eine vermehrte Wärmebildung
als eine zentrale Fehlsteuerung und eine dadurch verminderte Wärmeabgabe.
Auch das Durstfieber beruht auf einer verminderten Wärmeabgabe
und ist dadurch gekennzeichnet, dass das Fiebermaximum in die frühen
Morgenstunden fällt, wenn die letzte Wasserzufuhr lange Zeit
zurückliegt.
Bei Früh- und Neugeborenen kann eine ungenügende
Wärmegeneration durch Einschränkung der Kreislaufsituation
im septischen Schock anstelle des Fiebers zu Hypothermie führen.
Früh- und Neugeborene mit Fieber oder Untertemperatur
sind grundsätzlich stationär einzuweisen, da eine Temperaturerhöhung
in diesem Lebensalter ein Alarmzeichen einer gravierenden Infektion
ist. Bei fehlenden lokalen Entzündungszeichen ist an eine early
oder late onset Sepsis, Meningitis oder Harnwegsinfektion zu denken.
Eine rektale/axilläre Temperaturdifferenz
von > 1°C beobachtet man bei Entzündungsherden im Abdomen,
die den Verdacht auf eine akute Appendizitis nahelegen.
Fiebertypen Fieberverlaufsformen
- Wenn der Patient, mit oder ohne zirkadianen
Rhythmus, durchgehend Fieber über 39°C aufweist, spricht
man von Kontinua. Die klassische Ursache für eine
Kontinua ist der Typhus abdominalis, aber auch beim Kawasaki-Syndrom
tritt eine Kontinua über mehrere Tage bis Wochen auf.
- Wenn die Körpertemperatur während
Stunden zurückgeht, aber nie normale Werte zeigt, spricht
man von remittierendem Fieber. Diesen Fiebertyp sieht man
z.B. bei rheumatischen Erkrankungen wie dem Morbus Still. Ein
2x/24 Stunden auftretendes remittierendes Fieber ist typisch für
eine systemische Leishmaniose.
- Beim intermittierenden Fieber (man
nennt diesen Fiebertypus auch den septischen Fiebertyp) fällt
die Temperatur im Intervall auf normale Werte. Diesen Fiebertyp
beobachtet man bei Endokarditis, wenn es zur Ausschwemmung von
Keimen aus endokardialen Vegetationen kommt. Im Fieberanstieg
ist die Chance, eine positive Blutkultur zu erhalten, am größten,
aber auch im Intervall sind Blutkulturen häufig positiv.
- Das undulierende Fieber, d.h. der
Temperaturverlauf entspricht einer Sinuskurve im 24-36 h-Abstand,
beobachtet man bei verschiedenen Infektionen, z.B. der Brucellose,
aber auch als Pel-Ebstein´schen-Fiebertyp beim M. Hodgkin.
- Bei Fieberabfall kennt man die lytische
Entfieberung, die typisch für Virusinfektionen ist, und unterscheidet
davon den kritischen Fieberabfall, bei dem die Temperatur innerhalb
weniger Stunden unter enormer Kreislaufbelastung auf normale Werte
fällt. Dieser Fieberverlauf ist typisch für bakterielle
Infekte z.B. die Pneumokokken-Pneumonie.
Positive Aspekte des Fiebers
Fieber hat einen günstigen Einfluss auf die Elimination bakterieller
und viraler Mikroorganismen: Gonokokken und Spirochäten werden
bei Temperaturen über 40°C abgetötet. Darauf beruhen
auch die günstigen Erfolge bei Neurolues durch Fiebertherapie
in der vorantibiotischen Ära. Auch das Wachstum von Pneumokokken
und bestimmten Viren wird durch Fieber gehemmt. Pathogene Bakterien
benötigen bei Fieber höhere Konzentrationen an Eisen.
Gleichzeitig kommt es zu einer Abnahme des freien Serum-Eisenspiegels
und einer Erhöhung des Ferritins. Der gleichzeitige Anstieg
der Körpertemperatur und der verminderte Zugriff von Bakterien
auf Eisenmoleküle wird als konzertierte Abwehrreaktion des
Körpers gegen Infektionserreger gesehen.
Eine moderate Erhöhung der Körpertemperatur
z.B. bis 39°C steigert die Phagozytose, Lymphozytentransformation
und Interferonbildung. Im Tiermodell wird diese Erhöhung der
Körpertemperatur mit einer besseren Überlebensrate assoziiert.
Negative Aspekte des Fiebers
Fieber über 39,5°C vermindert die körpereigene Abwehr,
indem die Phagozytose von Staphylokokken substantiell eingeschränkt
wird. Auch die Lebens- und Funktionsfähigkeit von Lymphozyten
ist bei hohem Fieber eingeschränkt. Im Tierversuch haben Tiere
eine höhere Letalität, wenn die Temperatur nicht gesenkt
wird. Metabolische Untersuchungen legen eine günstige Wirkung
einer Euthermie nahe. Fieber steigert den Grundumsatz, die Perspiratio
insensibilis, den Sauerstoffbedarf und die CO2-Produktion um 10-12%
pro °C Temperaturerhöhung. Klinisch beobachtet man Tachypnoe
und Tachykardie.
Bei hohem Fieber kommt es zu weiteren neurologischen
Manifestationen wie Irritabilität, Delirien und Halluzinationen.
Hyperpyrexie über 42°C führt zu Hirnschädigung
bzw. verstärkt eine bereits bestehende Schädigung des
Gehirns, z.B. im Rahmen einer Meningitis.
Fieber insbesondere der rasche Fieberanstieg
kann zu Fieberkrämpfen führen. 2-4% aller Kinder
zwischen dem 9. Lebensmonat und dem 5. Lebensjahr erleiden mindestens
eine Episode eines Fieberkrampfes.
Krampfanfälle, die länger als 20 Minuten
dauern, fokal beginnen und sekundär generalisieren, mit postiktaler
Bewusstseinstrübung oder Lähmung einhergehen, die bei
Patienten jünger als 6 Monate oder älter als 3 1/2 Jahre
sowie bei nicht wesentlich erhöhter Körpertemperatur auftreten,
werden als komplizierte Fieberkrämpfe bezeichnet und
bedürfen einer sorgfältigen Behandlung und weiteren Abklärung
mit bildgebenden Verfahren. Bei pathologischem EEG-Befund spricht
man von Krampfanfall (epileptischem Anfall), ausgelöst durch
Fieber. Bei fokalen Anfällen ist an eine Herpesenzephalitis
zu denken, und wenn diese nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden
kann, ist eine Behandlung mit Acyclovir (45 mg/kg KG in 3 Dosen)
einzuleiten. Bei Säuglingen und Kleinkindern unter 18 Monaten
sollte auch ohne meningeale Reizerscheinungen eine Lumbalpunktion
durchgeführt werden. Ein EEG ist in jedem Fall indiziert.
Fiebertherapie
Antipyretische Analgetika wirken auf zwei Ebenen: Hohe Dosen der
sauren antipyretischen Analgetika wie Salizylsäure und Ibuprofen
reduzieren die Prostaglandinsynthese im entzündeten Schleimhautgewebe.
Daraus resultiert eine verminderte lokale Entzündungsreaktion,
Schwellung und Durchblutung und eine verminderte Erregbarkeit der
lokalen Nervenendigungen. Paracetamol wirkt nur im Zentralnervensystem,
da die wenig polaren, nur gering an Eiweiß gebundenen Substanzen
gut durch die Blut-Liquorschranke penetrieren. Antipyretische Analgetika
sind in der Lage, die zentrale Bildung von Prostaglandinen zu vermindern.
Ibuprofen ist von den antipyretischen Analgetika der stärkste
Hemmer der zentralen Prostaglandinsynthese und reduziert bereits
in geringsten Konzentrationen fieberinduzierende Zytokine.
Fieber als Manifestation schwerer bakterieller
Infektionen
Fieber ist eine häufige Manifestation bakterieller oder viraler
Infektionen. Bei Rhinitis, Otitis media oder Pharyngitis beim immunkompetenten
Patienten ist die Erkrankung selbstlimitierend und spricht gut auf
Antipyretika bzw. wenn bakterielle Mikroorganismen als Ursache in
Frage kommen, auf Antibiotika an. Patienten verlieren bei Fieber
über die Perspiratio insensibilis oder durch durchfällige
Stühle Wasser und haben ein vermindertes Durstgefühl.
Oft führt daher bereits eine adäquate Hydrierung zu
einem Temperaturabfall von 1-2°C.
Schwere bakterielle Infektionen wie Sepsis,
bakterielle Meningitis, Pyelonephritis, Pneumonie bzw. Osteomyelitis
und septische Arthritis gehen mit septischen Temperaturen, einer
Einschränkung der Kreislaufsituation, toxischem Ikterus, Verbrauchskoagulopathie
und Hyperpyrexie einher und weisen insbesondere bei immunsupprimierten
Patienten sowie Früh- und Neugeborenen eine signifikante Mortalität
auf.
Für den Kinderarzt ist Fieber eines
der häufigsten Symptome.
Fieber ohne fokale Entzündungszeichen
Fieber ohne lokale Infektionszeichen bereitet nicht selten Schwierigkeiten
in der Beurteilung und im weiteren Vorgehen.
Alter < 3 Monate
Bei Säuglingen unter 3 Monaten ist Fieber immer ein Zeichen
einer ernsten Erkrankung.
Bei Neugeborenen und Säuglingen < 1
Monat kann es sich um eine schwere lebensbedrohliche bakterielle
oder virale Infektion handeln, aber auch eine late onset
Sepsis/Meningitis durch Streptokokken der Gruppe B. Eine E. coli-,
Listerien- und Herpes simplex-Infektion führt in dieser Altersgruppe
ebenso zu hohem Fieber. Differentialdiagnostisch kommen in diesem
Alter bei Fieber ohne fokale Entzündungszeichen in Frage:
- eine okkulte Sepsis
- eine Meningitis
- eine Urosepsis
- eine septische Arthritis
- eine bakterielle Gastroenteritis durch S.
enteritidis oder EHEC
Alter > 3 Monate bis 2. Lebensjahr
Als Erreger einer okkulten Sepsis beim immunkompetenten Patienten
zwischen 3 und 24 Monaten kommen in Frage:
- bakterielle Mikroorganismen wie Pneumokokken,
Meningokokken, Staphylokokken (Toxic Shock Syndrome)
- virale Erreger wie Herpesviren, RS-Viren,
Cytomegaloviren
- nichtinfektiöse Ursachen wie Elektrolytentgleisungen,
Diabetes insipidus, Organoazidurien, intrakranielle Blutungen
oder selten ein Guillain-Barré-Syndrom
Auch verschiedene Intoxikationen, z.B.
Botulismus, verlaufen mit dem Leitsymptom Fieber.
Alter > 2 Jahre
Nach dem 2. Lebensjahr sollte bei Hyperpyrexie mit toxischen Symptomen
in erster Linie wieder an eine bakterielle Infektion gedacht
werden. Bei Patienten ohne fokale Infektionszeichen ist eine Bakteriämie/Sepsis
meist durch Pneumokokken oder Meningokokken möglich. Meningokokkeninfektionen
manifestieren sich jedoch in > 50% der Fälle mit typischen
Hautmanifestationen, die von einzelnen petechialen Blutungen bis
zu großflächigen Sugillationen und Ekchymosen reichen
können (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom).
Fieber mit lokalen Infektionszeichen
Bei Vorliegen lokaler Infektionszeichen wie Pneumonie, Urosepsis,
Meningitis, Osteomyelitis und Durchfallerkrankungen erhält
man aus dem klinischen Bild Hinweise auf den Erreger. In Frage kommen
Pneumokokken, Meningokokken, E. coli und andere Enterobacteriaceae,
aber auch Salmonellen und EHEC, im ambulanten Bereich meist mit
guter antimikrobieller Empfindlichkeit. Multiresistente Keime sind
bei Infektionen, die im Krankenhaus erworben wurden, oder nach erfolgloser
Vorbehandlung einer Infektion mit Breitspektrumantibiotika oder
nach prophylaktischer Gabe von Breitspektrumantibiotika in Betracht
zu ziehen.
Fieber bei immuninkompetenten Patienten
Bei immuninkompetenten Patienten kommen je nach der Art der Einschränkung
der körpereigenen Abwehr unterschiedliche Erreger in Betracht:
Bei Asplenie bzw. nach Milzexstirpation sind
Streptokokken und Pneumokokken für foudroyante Krankheitsbilder
mit hoher Letalität verantwortlich. Bei Agammaglobulinämie
sind zahlreiche verschiedene Keime, in erster Linie aber Pneumokokken,
H. influenzae, Meningokokken, Staphylokokken, aber auch multiresistente
Hospitalkeime und Pilze zu beobachten.
Bei Einschränkung der zellulären Abwehr
kommen Pilzinfektionen, Infektionen mit Pneumocystis carinii,
Bacillus Calmette Guérin oder persistierende Virusinfektionen
(Adenoviren, CMV) in Frage.
Bei Patienten mit kongenitalen Herzfehlern ist
das Risiko einer Endokarditis durch Staphylokokken, Streptococcus
viridans und Enterokokken gegeben; Patienten mit liegendem Fremdkörper
(zentralvenöse Katheter, liegende Ableitungssysteme) erleiden
Infektionen durch Staphylokokken, seltener Enterokokken und kaum
durch gramnegative Erreger oder Pilze.
Bei neutropenischen Patienten mit Leukämie
oder unter antineoplastischer Behandlung sind Keime der Darmflora
bzw. multiresistente nosokomiale Keime (Klebsiella pneumoniae,
Enterobacter cloacae oder P. aeruginosa) zu isolieren.
Diagnostische und therapeutische Hinweise
Die Vorgangsweise bei hohem Fieber und schwerer Beeinträchtigung
des Allgemeinzustandes beinhaltet eine ausführliche Anamnese
und sorgfältige physikalische Untersuchung, um evtl. einen
Infektionsherd zu identifizieren. Ein rascher Fieberanstieg mit
Schüttelfrost weist auf eine bakterielle Infektion hin. Ein
Blutbild und Differentialblutbild, CRP sowie eine Harnanalyse sind
sofort durchzuführen. Im Differentialblutbild findet man bei
bakteriellen Infektionen eine Linksverschiebung mit Stabkernigen
und Vorstufen (Myelozyten und Metamyelozyten), oft eine Thrombopenie
und einen toxischen Ikterus mit Transaminasenanstieg. Bei einem
toxischen schwer kranken Säugling ist eine Lumbalpunktion indiziert,
da in diesem Alter meningeale Reizerscheinungen trotz Meningitis
fehlen können.
Kulturen von Blut, Harn müssen vor Beginn
einer antibiotischen Behandlung abgenommen werden. Die kalkulierte
Antibiotikatherapie bei einem schwer kranken Patienten mit Hyperpyrexie
bzw. bei Patienten mit eingeschränkter körpereigener Abwehr
besteht aus einem Cephalosporin der 3. Generation (z.B. Cefotaxim)
und einem Aminoglykosid. Anstelle dieser Kombinationstherapie kann
man auch Imipenem/Cilastatin oder Meropenem als Monotherapie verabreichen.
Patienten mit einer Gesamtleukozytenzahl über 25.000 oder unter
2.500 und einem CRP-Wert > 100 mg/l gehören bei schweren
bakteriellen Infektionen zur höchsten Risikogruppe.
Fieber unklarer Genese (FUO)
Fieber unklarer Genese (FUO, Fever of unknown origin) besitzt eine
Sonderstellung bezüglich Diagnose und therapeutischem Vorgehen.
- Fieber unklarer Genese liegt vor bei einem
fieberhaften Zustand von der Dauer
> 1 Woche beim Säugling und Kleinkind
> 2-3 Wochen beim Adoleszenten
- Dokumentation eines kontinuierlichen Fiebers
auch im Krankenhaus
- unbefriedigender Diagnose nach intensiver
Diagnostik (> 1 Woche) im Krankenhaus
Ursachen des FUO
- autoimmunologische Ursachen (M. Still, Subsepsis
allergica Wissler, Kollagenerkrankungen wie Lupus erythematodes,
Dermatomyositis etc.), aber auch neoplastische Ursachen (M. Hodgkin,
Leukämie, B-Zell-Lymphom und Ewing-Sarkom, DD: Osteomyelitis).
Wenn der Patient bereits Antibiotika erhält, ist auch an
ein Medikamentenfieber zu denken.
- Infektiöse Ursachen des FUO sind die
Tuberkulose, Salmonellose, Brucellose, Tularämie, Leptospirose
oder ungewöhnliche Manifestationen häufiger Virusinfektionen
wie infektiöse Mononukleose, Hepatitis und CMV bei immunsupprimierten
Patienten
Kawasaki-Syndrom
Bei einer Reihe von protrahierten Fieberzuständen ist deren
Ätiologie noch nicht geklärt. Eine Erkrankung unklarer
Genese in diesem Alter ist das Kawasaki-Syndrom. Dies zeigt unbehandelt
eine Kontinua über 2-3 Wochen. Nach der 2. Krankheitswoche
nimmt unbehandelt das Risiko für Koronaraneurysmen
sprunghaft zu.
Deshalb ist eine frühzeitige Diagnose so
wichtig, die auf klinischen Verdachtsmomenten beruht und innerhalb
von 3-4 Tagen die Diagnose nahe legt. Sie besteht neben dem
unklaren Fieber in einer generalisierten Lymphadenopathie,
wobei die Kieferwinkellymphknoten stärker betroffen sind. Weiterhin
fallen besonders Lacklippen, eine Himbeerzunge und ein Enanthem
ins Auge. Hautmanifestationen bestehen in einem scarlatiniformen
Exanthem am Stamm und einem Palmarerythem. Das Blutbild zeigt eine
Leukozytose mit Linksverschiebung, eine Thrombozytose, ein erhöhtes
CRP und eine beschleunigte Senkungsgeschwindigkeit. Der Rachenabstrich
auf Streptokokken ist negativ, der AST normal. Hautabschilferungen
der Finger und Zehen treten erst nach 2-3 Wochen auf.
Auch die systemische Form der juvenilen rheumatoiden
Arthritis (Morbus Still) manifestiert sich mit einer Kontinua
oder remittierendem Fieber über Wochen ohne lokale Entzündungsreaktion.
Unter den hereditären Erkrankungen
mit Fieber sind die anhidrotische ektodermale Dysplasie, die Dysautonomia
Riley Day und der Diabetes insipidus, deren Gemeinsamkeit eine Schwierigkeit
der Temperaturregulation durch Probleme der Flüssigkeitsbilanzierung
ist, sowie das hereditäre Mittelmeerfieber zu nennen.
Entzündliche Darmerkrankungen wie
der M. Crohn manifestieren sich mit protrahiertem Fieber, allerdings
auch mit schweren lokalen Entzündungsreaktionen wie Bauchschmerzen
und Durchfall mit blutigen Stühlen.
Praktisches Vorgehen bei FUO
- Sorgfältige Anamnese sowie das
Alter des Patienten können wesentliche Hinweise geben.
Die Ursache des FUO bei Kindern < 6 Jahren sind vorwiegend
Infektionen des Respirationstraktes und des Harntraktes. Bei älteren
Kindern und Jugendlichen sind es eher autoimmunologische Erkrankungen,
entzündliche Darmerkrankungen, Neoplasien, evtl. Tuberkulose.
- Expositionsanamnese, wie z.B. Kontakt
zu Wildtieren, Reisen in tropische Länder oder Endemiegebiete
von Malaria, die oft erst nach Rückkehr in das Heimatland
auftritt. Erfragt werden sollte außerdem die Impfanamnese,
die Einnahme von Medikamenten, besonderen Nahrungsmitteln sowie
der ethnische Hintergrund des Patienten.
- Körperliche Untersuchung ergibt
weitere Hinweise auf
- Dehydratation weist auf ein Durstfieber hin, evtl. auch auf
eine Temperaturregulationsstörung
- Exantheme mit typischer Morphe können einen Hinweis auf
bestimmte Erreger geben
- Fieberblasen als Zeichen einer gestörten körpereigenen
Abwehr treten häufig bei Pneumokokken-, Streptokokken- und
Meningokokkeninfektionen, aber auch bei Salmonellose auf
- Konjunktivitis, Himbeerzunge, Lacklippen und geschwollene Kieferwinkellymphknoten
sind typisch für das Kawasaki-Syndrom
- Subkonjunktivale und subunguale Blutungen sowie die Osler´schen
Knötchen findet man bei Endocarditis lenta
- Ein Klopfschmerz über den Nasennebenhöhlen weist auf
eine chronische Sinusitis hin und muss entweder röntgenologisch
oder durch ein CT mit Knochenfenster dokumentiert werden
- Eine Hepatosplenomegalie und eine generalisierte Lymphadenopathie
sind häufige Begleitsymptome und treten bei infektiösen,
parainfektiösen Prozessen und Neoplasien auf
- Hyperaktive Sehnenreflexe und Fieber können als Zeichen
einer Thyreotoxikose auftreten, fehlende Sehnenreflexe bestehen
bei Botulismus-Infektion
Die laborchemische Abklärung muss
sorgfältig geplant werden. Ein ungezielter serologischer Rundumschlag
ist, wie auch eine längere stationäre Aufnahme, teuer,
und die Möglichkeit einer spezifischen Diagnose ist gering.
Wertvolle Hinweise kann aber bereits das Blutbild mit Differentialblutbild
und die BKS liefern:
- Häufig ist eine Infektanämie nachweisbar
- Toxische Granulationen der Leukozyten weisen
auf eine bakterielle Infektion hin
- Auch die Siegelringzellen bei Malaria und
Trypanosomen beim Kala Azar findet man im Blutausstrich
Blutkulturen (aerobe und anaerobe) müssen
mehrfach angelegt werden, um eine Endokarditis oder einen tief sitzenden
Abszess zu diagnostizieren. Je nach Anamnese und Verdachtsdiagnose
ist auch eine Isolierung auf Spezialnährmedien notwendig. Anlegen
von Harnkulturen, Aspirationsmaterial aus der Lunge durch broncho-alveoläre
Lavage bringt repräsentative Proben, die mit entsprechenden
Färbungen (Gram, Ziehl-Nielsen) rasch beurteilt werden können.
Tuberkulin-Hauttestung (nach Mendel-Mantoux)
in einer Verdünnung von 1:10 muss routinemäßig durchgeführt
werden. Um eine Anergie auszuschließen, kann die Tuberkulintestung
auch in Form des Multitest Mérieux mit 5 weiteren Antigenen
einschließlich Candida albicans durchgeführt werden.
Serologische Tests werden entsprechend
einer Verdachtsdiagnose, die sich aus der Anamnese, der physikalischen
Untersuchung und dem Verlauf ergibt, durchgeführt.
Röntgenuntersuchungen der Lunge
in 2 Ebenen und der Nasennebenhöhlen sind indiziert. Mit szintigraphischen
Untersuchungen mit Gallium, das Leukozyten markiert, oder Technetiumphosphat,
das Osteoklasten markiert, kann man einen okkulten Infektionsherd
sichtbar machen. Mit der Sonographie können Abszesse im Bauchraum
(Douglas, subphrenisch) nachgewiesen werden.
Die Diagnostik des FUO ist schwierig und
bedarf der gründlichen, meist stationären Abklärung.
Vermieden werden sollte vor allem eine zu schnelle empirische Antibiotikabehandlung,
da diese einen Infektionsherd verschleiern kann und den Zeitraum
bis zur Stellung einer spezifischen Diagnose verzögert.
Die Behandlung erfolgt entsprechend der spezifischen
ätiologischen Diagnose.
|
Probleme
der mikrobiologischen Diagnostik
Eine Reihe von Bedingungen sind zu erfüllen,
um aussagekräftige Befunde bei einer mikrobiologischen Untersuchung
zu erhalten. Diese sind in bestimmten Lebensabschnitten im Kindesalter
jedoch schwerer als bei Erwachsenen zu erreichen.
Möglichst gezielt mit einem Schmalspektrum-Antibiotikum
zu behandeln lautet einer der Grundsätze einer antimikrobiellen
Therapie. Voraussetzung dafür ist ein Keimnachweis und das
Ergebnis der Resistenzprüfung.
Probleme bei der Gewinnung von Proben
Abstriche
Die Probengewinnung bei Otitis media ist nur durch Parazentese,
die Probengewinnung bei Sinusitis durch Punktion der Kieferhöhlen
möglich. Diese Maßnahmen sind belastend und nur bei rezidivierenden,
therapierefraktären Otitiden oder schweren rezidivierenden
Sinusitiden gerechtfertigt. Ein Abstrich von der Epiglottis ist,
wie auch ein Bronchialsekret bzw. eine bronchoalveoläre Lavage,
nur in Narkose zu gewinnen.
Sputum
Patienten bis zum Alter von ca. 6 Jahren verschlucken das Sputum;
dadurch ist kein ausreichendes Probenmaterial zu gewinnen. Patienten
mit Pneumonien durch Mykoplasma/Chlamydia pneumoniae oder
Legionellen haben meist einen trockenen Reizhusten und produzieren
kaum Sputum. Die Probengewinnung durch Pleurapunktion bei Pleuritis
exsudativa ist hingegen gut möglich. Im Pleurapunktat können
die Keime gut gezüchtet werden. Auch nach Antibiotikagabe ist
ein Keimnachweis, allerdings keine Resistenzprüfung, entweder
durch Gramfärbung (evtl. nach Zytozentrifugation) oder durch
Counterimmunelektrophorese oder Latexagglutination möglich.
Die bronchoalveoläre Lavage (BAL) ist auf Problemfälle
(nosokomiale Pneumonie bei immunsupprimierten Patienten, Therapieresistenz)
beschränkt. Die transtracheale Bronchialaspiration bzw. die
transthorakale Lungenaspiration ist abzulehnen.
Gelenksflüssigkeit
Kniegelenkspunktionen, Hüftgelenkspunktionen sind unter absolut
sterilen Kautelen mit Sonographielenkung durchzuführen.
Probenvolumina
Bei der Entnahme von Blutkulturen ist es z.B. im Früh- oder
Neugeborenenalter, bei schwer kranken Patienten im septischen Schock
oft nicht möglich, größere Blutmengen aseptisch
zu entnehmen, da eine Venenpunktion wegen des Kreislaufzustands
des Patienten schwierig ist. Der optimale Zeitpunkt für die
Entnahme der Blutkultur ist im frühen Stadium eines Fieberanstiegs,
noch vor Beginn der Antibiotikatherapie. Bei Endokarditis herrscht
jedoch eine kontinuierliche Bakteriämie, und daher ist der
Entnahmezeitpunkt unwichtig.
Bei älteren Kindern und Jugendlichen ist
die Ausbeute u.U. mit 10-20% positiven Befunden gering. Untersuchungen
haben gezeigt, dass sogar bei Früh- und Neugeborenen, bei denen
die Keimzahlen höher sind als im Erwachsenenalter, trotz optimaler
Bedingungen bei Probengewinnung und Kultur nur bei 25% der Patienten
mit Verdacht auf Sepsis ein Keim isoliert werden kann. Es ist daher
notwendig, bei dringendem Verdacht mehrere Kulturen im Abstand von
20 Minuten zu entnehmen.
Die Blutmenge beträgt bei Neugeborenen
0,5-1 ml, bei älteren Kindern bis 5 ml. Meist wird routinemäßig
je eine Blutkulturflasche für Aerobier und eine für Anaerobier
beimpft. Bei intraabdominalen Infektionsherden und Verdacht auf
Endokarditis muss auf jeden Fall eine aerobe und anaerobe Blutkultur
angelegt werden. Es ist wichtig, dass Blutkulturflaschen nicht gekühlt
werden dürfen, sondern notfalls bei Zimmertemperatur
bebrütet werden, da vor allem Pneumokokken, Meningokokken
und H. influenzae rasch absterben. Wichtig ist bei bestimmten
Indikationen z.B. Kathetersepsis eine quantitative Blutkultur und
der Vergleich der Keimzahlen zwischen der durch den kontaminierten
Katheter abgenommenen Kultur und einer aus einer peripheren Vene
abgenommenen Kultur. Eine Verbesserung der Ergebnisse der Blutkulturen
ist mit der Methode der Signalflasche (aufgesetzte Agarplatte) möglich.
Die Ausbeute an positiven Befunden ist höher, das Ergebnis
liegt 6-8 h früher vor.
Kontamination der Proben mit Standortflora
Die korrekte Interpretation eines mikrobiologischen Befundes ist
besonders wichtig, da die gleichen Keime einmal als Besiedler von
Schleimhäuten ohne pathogenetische Bedeutung, anderseits auch
als Erreger schwerer Infektionen, Abszesse, Phlegmone oder als Ursache
einer Bakteriämie/Sepsis auftreten können. Bei Entnahme
von mikrobiologischen Proben bei Infektionen der oberen und unteren
Luftwege ist (mit Ausnahme der BAL) eine Kontamination mit Standortflora
nicht zu vermeiden. Deshalb ist vom mikrobiologischen Labor auch
eine Quantifizierung der Keime und die Beurteilung, ob ein fakultativ
pathogener Keim als Monoflora oder als Teil einer Mischflora vorliegt,
zu fordern.
Besondere Schwierigkeiten treten bei der Gewinnung
von Harnproben auf. Die Gewinnung eines Mittelstrahlharns ist meist
erst nach dem 3. Lebensjahr möglich. Der Beutelurin ist immer
mit einer gewissen Keimmenge kontaminiert und muss sofort bearbeitet
werden, um repräsentative Ergebnisse zu erbringen. Ein Versand
eines Beutelurins ist nicht möglich, da sich die Kontaminationskeime
bis zur quantitativen Keimzahlbestimmung um das 100-1.000fache vermehrt
haben und so einen falsch positiven Befund vortäuschen können.
Die Gewinnung des Harns durch Katheterisierung ist wegen des Risikos
der Keimverschleppung, die suprapubische Blasenpunktion wegen der
Belastung des Patienten nur in Ausnahmen durchzuführen. Wenn
in einer Harnprobe mehrere verschiedene Keime isoliert werden, weist
dies, mit Ausnahme beim Patienten mit einer neurogenen Blasenentleerungsstörung,
auf eine Kontamination hin und ist nicht verwertbar. Ein Ausweg
aus diesem Dilemma bietet der Uricult. Dieser kann sofort angelegt
werden und gibt einen verlässlichen Hinweis auf die Keimzahl.
Nach 8-12 Stunden Bebrütung kann der Uricult zur Identifizierung
des Leitkeims und zur Empfindlichkeitsprüfung in ein mikrobiologisches
Labor übersandt werden.
Kontakt des Probenmaterials (z.B. Blutkulturen)
mit Antibiotika oder Desinfektionsmitteln
Der Zeitpunkt der Abnahme muss so gewählt werden, dass er vor
dem Beginn einer antimikrobiellen Behandlung liegt. Viele Patienten
erhalten jedoch bereits ein Antibiotikum, das die Anzüchtung
von Keimen enorm kompliziert.
Zeitspanne bis zur Bearbeitung der Proben
Mikrobiologische Proben können im Transportmedium oder nach
Befeuchtung der Tupfer bis zu 24 Stunden gelagert oder verschickt
werden. Bei trockenen Rachenabstrichen können innerhalb
von 24 Stunden bei 30% der Proben Streptokokken nicht mehr überleben
und werden fälschlich als negative Ergebnisse übermittelt.
Die Übersendung von Proben zur Untersuchung auf bestimmte Erreger
(B. pertussis) bedarf spezieller Transportmedien (Scholte-Stainer-Medium).
Das rasche Anlegen von Proben ist auch nötig, um die Überwucherung
durch Kontaminationskeime so gering wie möglich zu halten.
Ein Versand über größere Entfernungen mittels Kuriersystem
ist nur bei den selten notwendigen Spezialuntersuchungen gerechtfertigt
und bedarf des engen Kontaktes zwischen mikrobiologischem Labor
und Arzt.
Interpretation der Ergebnisse
Ein Problem der Interpretation der Ergebnisse der Blutkulturen ergibt
sich durch Kontamination der Proben durch Hautflora. So ist der
Nachweis von Staphylococcus epidermidis meist das Ergebnis
einer Kontamination durch eine nicht korrekt entnommene Probe. Bei
Früh- und Neugeborenen bzw. Patienten unter immunsuppressiver
Therapie oder bei liegendem Fremdkörper z.B. eines zentralvenösen
Katheters ist jedoch das Ergebnis als pathologisch zu bewerten und
eine entsprechende Behandlung einzuleiten.
Das Gleiche gilt auch für die Interpretation
von Liquorkulturen. Der Nachweis von S. aureus, S. epidermidis
oder Enterokokken ist nur bei Vorliegen eines Ventrikel-Ableitungssystems
als relevant zu bewerten. Dann aber ist dieser Befund auch ohne
deutliche Pleozytose als pathologisch zu bewerten.
Schwierig gestaltet sich die Interpretation
von Tracheal-Absaugsekreten bei intubierten Patienten. Der Nachweis
von Pseudomonas aeruginosa beweist keineswegs das Vorliegen
einer Infektion. Es ist möglich, dass auch Frühgeborene
unter künstlicher Beatmung mit eingeschränkter körpereigener
Abwehr durch P. aeruginosa nur besiedelt sind und zu diesem
Zeitpunkt keiner spezifischen Behandlung bedürfen. Die Indikation
für eine Behandlung hängt dabei vom klinischen Bild, dem
Blutbild, der Blutgasanalyse, dem Röntgenbild bzw. einer Synopsis
dieser Befunde ab.
Auch bei Patienten mit Mukoviszidose
hängt die Interpretation des Sputumbefundes und die Entscheidung
für eine antimikrobielle Behandlung von der Klinik ab. Bei
diesem Krankheitsbild ist es nötig, quantitative Sputumkulturen
anzulegen. Nur dadurch kann man einen evtl. Behandlungserfolg durch
einen Rückgang der Keimzahlen im Sputum feststellen. Bei Sputumkulturen
besteht noch eine Besonderheit. Während bei bakteriellen Infektionen
üblicherweise ein Keim als Ursache in Frage kommt, sind es
bei der Mukoviszidose mehrere Keime. So können 3-4 verschiedene
Arten von P. aeruginosa mit unterschiedlichen API-Identifizierungen
und unterschiedlicher antimikrobieller Empfindlichkeit vorhanden
sein. Wenn die Resistenzprüfung auf P. aeruginosa nur
mit Testung einer Kolonie durchgeführt wird, kann die Wahl
des Antibiotikums nur für einen Teil der Keime relevant sein.
Zeitdauer bis zum Vorliegen der Ergebnisse
Ein weiteres großes Problem der mikrobiologischen Diagnostik
ist die Zeitdauer bis zur Übermittlung der Kulturergebnisse
und Resistenzprüfung. Bei einem Rachenabstrich mit Streptokokkennachweis
dauert dies 8-12 Stunden, Harnkulturen, Nasenabstriche, Kulturen
von Abszessen dauern mit Resistenzprüfung 24-36 Stunden. Kulturen
zum Nachweis von B. pertussis und B. parapertussis
müssen mindestens 5 Tage bebrütet werden. Mycoplasma
pneumoniae und Chlamydia pneumoniae bedürfen einer
Inkubationszeit von 7 Tagen, dabei ist keine routinemäßige
Resistenzprüfung möglich.
Neue Methoden zur beschleunigten Resistenzprüfung
(Vitek-System u.a.) können nach Isolierung des Keimes die Resistenzprüfung
auf 4 Stunden verkürzen, werden jedoch bisher noch nicht zur
Routine eingesetzt. Alle diese Systeme bedürfen jedoch einer
Reinkultur, die 8-24 Stunden benö-tigt. Die Zeitersparnis ist
somit nicht gravierend.
Schnelltests für eine limitierte Zahl bakterieller
und viraler Mikroorganismen stehen seit Jahren zur Verfügung.
Der Beginn der Schnelldiagnostik erfolgte durch Nachweis bakterieller
Oberflächenantigene gegen Meningokokken, Pneumokokken, H.
influenzae und der Streptokokken der Gruppe B mittels Counterimmunelektrophorese
aus dem Liquor. Die Sensitivität und Spezifität ist hoch,
es bedarf jedoch einer besonderen apparativen Ausstattung. Eine
Vereinfachung dieser Methode erfolgte durch die Entwicklung von
Latextests, wobei die spezifischen Antikörper auf Latexkügelchen
aufgebracht wurden, die bei Vorliegen entsprechender bakterieller
Antigene verklumpen und eine Trübung der Lösung bedingen.
Ein weiterer wertvoller Schnelltest zur Diagnose
einer Tonsillitis ist der Streptokokken-A-Schnelltest, der innerhalb
von 5 Minuten ein Ergebnis mit einer Sensitivität und Spezifität
von 95% erbringt.
Schnelltests zur Virusdiagnostik sind der Rotavirus-Schnelltest
und der RS-Schnelltest, die ebenso verlässliche Ergebnisse
bringen und die Entscheidung für eine antimikrobielle Therapie
zumindest erleichtern.
Identifizierung von Keimen durch PCR ist noch
zu teuer und bringt keinen wesentlichen Zeitvorsprung, zumal auch
keine Empfindlichkeitsprüfung erfolgt.
Wenn sich die Entscheidung für eine antimikrobielle
Behandlung nicht auf ein Ergebnis der mikrobiologischen Testung
und Resistenzprüfung stützen kann, muss man eine kalkulierte,
empirische Behandlung beginnen.
|
Resistenzentwicklung
Einleitung
Es ist eine Tatsache, dass die Entwicklung der Antibiotika in den
letzten 50 Jahren wahrscheinlich zum größten Fortschritt
der Medizin in diesem Jahrhundert beigetragen hat. Dabei ist aber
bemerkenswert, dass die Todesrate an Infektionen in diesem Zeitraum
nicht abgenommen, sondern eine Verschiebung der Todesfälle
in spätere Lebensabschnitte durch unterschiedliche Keime stattgefunden
hat. Diese alarmierenden Fakten müssen als Folge der Entwicklung
multipel antibiotikaresistenter Mikroorganismen gesehen werden,
die in verschiedenen Ländern dramatische Ausmaße annehmen.
Die Resistenzproblematik ist im Krankenhaus insbe-sondere auf Intensivstationen
besonders gravierend.
Dazu einige Beispiele:
- Methicillin-resistente Staphylokokken (Australien
35%)
- Vancomycin-resistente Enterokokken (USA
10%)
- Multidrug-resistente Enterobacteriaceae
(P. aeruginosa, Enterobacter cloacae, Serratia marcescens:
weltweit bis zu 25%)
- resistente M. tuberculosis (GUS Staaten
> 10%)
- Chloroquin-resistente P. falciparum
verbreitet
Noch immer besteht in Deutschland und in den
skandinavischen Ländern ein wesentlicher Unterschied zwischen
der Resistenzentwicklung im Krankenhaus und der im ambulanten Bereich.
In Zentraleuropa spielen gegenwärtig beta-Laktamase-bildende,
Amoxicillin-unempfindliche H. influenzae und Penicillin-resistente
Pneumokokken zum Glück eine untergeordnete Rolle.
Streptokokken sind immer, Pneumokokken und
H. influenzae in mehr als 95% auf Penicillin bzw. Aminopenicilline
empfindlich.
Makrolidantibiotika haben im Spektrum gegenwärtig
weitgehend die Leitkeime von Infektionen der oberen und unteren
Luftwege. Makrolid-resistente Streptococcus pneumoniae
und Streptococcus pyogenes nehmen jedoch deutlich zu. In
den USA, Südamerika, Südafrika, Südostasien, aber
auch in Spanien und Frankreich sind resistente Mikroorganismen,
z.B. Leitkeime für Infekte der Luftwege, bereits in den ambulanten
Bereich vorgedrungen und sind Ursache für zahlreiche Therapieversager.
Bei Patienten, die aus dem Urlaub aus diesen Ländern zurückkommen,
ist das zu berücksichtigen.
Keime, die bei primären Harnwegsinfektionen
isoliert werden, sind weitgehend auf TMP, aber auch auf Aminopenicilline
empfindlich.
In der anhaltenden Bedrohung durch Infektionskrankheiten
ist daher Antibiotikaresistenz ein Schlüsselelement.
Die Resistenzentwicklung wird als Konsequenz einer breiten Anwendung
jeder Substanzklasse gesehen und unterminiert deren therapeutischen
Wert. Weitere Faktoren, die zur Resistenzentwicklung beitragen,
sind inadäquate Hygienemaßnahmen bei der Infektionskontrolle
im Krankenhaus. Sie begünstigen die Verbreitung dieser multiresistenten
Keime. Auch soziologische und bevölkerungskinetische Phänomene
wie Urbanisierung und Überbevölkerung begünstigen
die Resistenzentwicklung.
Der breite Gebrauch und die unkritische Verschreibung
von Antibiotika ist Hauptursache für die Entwicklung neuer
Resistenzen und macht dadurch die Entwicklung immer neuer Antibiotika
notwendig.
Diese Spirale dreht sich immer schneller, und
es ist in der nahen Zukunft zu erwarten, dass alle bisher zur Verfügung
stehenden Präparate wie beta-Laktamantibiotika, Makrolide,
Azole und Chinolone in gleichem Maße vulnerabel für die
Entwicklung von Resistenzen sind. Das Gleiche gilt auch für
antivirale Substanzen, z.B. gegen HIV.
Um der rasanten Entwicklung der Resistenz von
Mikroorganismen entgegenzutreten, müssen zunächst Ursprung
und Mechanismen der Resistenzentwicklung aufgeklärt werden.
Weltweit stellt diese Fragestellung eine wissenschaftliche Herausforderung
dar, der durch Anstrengungen im Bereich der Epidemiologie, Mikrobiologie,
Molekularbiologie und Biochemie begegnet wird.
Resistenzmechanismen
Bakterielle Mikroorganismen können sich der Wirksamkeit von
Antibiotika durch eine Reihe von Mechanismen entziehen. In der Folge
einige der bisher bekannten:
- Bildung inaktivierender Enzyme:
Am häufigsten werden beta-Laktamasen beobachtet, die den
beta-Laktamring sprengen und somit das Antibiotikum zerstören.
Es wurden zahlreiche beta-Laktamasen mit erweitertem Spektrum
sowie Cephalosporinasen beschrieben. Die beta-Laktamasen befinden
sich bei Stäbchen (H. influenzae, E. coli,
Bacteroides spp.) zwischen Zellwand und Zellmembran, von
Kokken (Staphylokokken) werden diese jedoch in die Umgebung sezerniert.
beta-Laktamasen können durch beta-Laktamaseinhibitoren (Clavulansäure,
Sulbactam), die selber keine wesentliche antimikrobielle Wirksamkeit
besitzen, blockiert werden. Isoxazolylpenicilline aber auch Aminoglykoside
blockieren ebenfalls die Bildung von b-Laktamasen. Auch Aminoglykosid-modifizierende
Enzyme und makrolidspal-tende Enzyme werden beschrieben.
- Veränderung der Membranpermeabilität
durch Änderung der Porine:
In diesem Fall ist ein Keim imstande, Poren in der Zellwand so
zu modifizieren, dass ein Antibiotikum nicht mehr penetrieren
kann. Beispiele sind die chromosomale Resistenz gegen beta-Laktamantibiotika
sowie die Resistenz gegen Aminoglykoside.
- Änderung der intrazellulären Bindungsstelle,
sodass ein Antibiotikum sein Ziel nicht mehr findet:
Als Beispiele gelten die Aminoglykosidresistenz, die Resistenz
von Makroliden und Lincosaminen.
- Entwicklung von Efflux-Pumpen:
Ein Mechanismus, der vor allem für Makrolidresistenz verantwortlich
ist. Dabei wird das Antibiotikum aktiv aus der Zelle gepumpt,
wodurch keine antimikrobiell wirksamen Konzentrationen aufgebaut
werden können. Die Entwicklung von Efflux-Pumpen wird durch
langdauernde (14 Tage und mehr) subinhibitorische Konzentrationen
von Makrolidantibiotika gefördert.
Ursprung multipel resistenter Keime
In jüngster Zeit konzentrieren sich die Untersuchungen auf
einen Bereich, der bisher zu wenig beachtetet wurde: die körpereigene
Flora. Sie stellt ein Reservoir von apathogenen, jedoch vor
Einflüssen von Antibiotika nicht geschützten Mikroorganismen
dar.
Antibiotika wirken nicht nur auf die ätiologisch
bedeutsamen Erreger, zu deren Bekämpfung sie eingesetzt werden,
sondern auch auf Keime der physiologischen Flora wie Stuhlflora,
Flora der Mundhöhle, des Nasen-Rachenraums und der Haut. Daraus
resultieren die sog. biologischen Nebenwirkungen wie Selektionsdruck,
Erregerwechsel und Wiederbesiedlung von Körperoberflächen
mit resistenten Keimen und in letzter Konsequenz die Selektion multipel
resistenter Hospitalkeime. Erst in den letzten Jahren wurde deutlich
erkannt, dass schwere nosokomiale Infektionen, z.B. beim immunsupprimierten
Patienten, als vorwiegend endogene Infektionen aus dem Reservoir
der patienteneigenen Flora hervorgehen. Die dabei isolierten Erreger
zeichnen sich oft durch ausgeprägte Antibiotikaresistenzen
aus, insbesondere wenn Patienten mit mehreren Breitspektrum-Antibiotika
vorbehandelt wurden. Aktuelle Untersuchungen haben gezeigt, dass
diese apathogenen, aber multiresistenten Keime Resistenzmechanismen
auf potentiell pathogene Keime übertragen können. So kann
z.B. ein makrolidresistenter Streptococcus mitis/sanguis
in Gegenwart von subinhibitorischen Konzentrationen verschiedener
Antibiotika die Resistenzmechanismen auf Streptococcus pyogenes
übertragen.
Obwohl die körpereigene Flora, z.B. die
Stuhlflora, mit über 100 Keimarten und Keimzahlen von 109 bis
1012 Keimen/g Faeces, das größte Keimreservoir des Körpers
darstellt, wurden die Veränderungen der Darmflora durch Chemotherapie
erst spät Gegenstand kontrollierter wissenschaftlicher Untersuchungen.
Der dominante Keim der Stuhlflora wird oft als Erreger von Re- bzw.
Superinfektionen bei immunsupprimierten Patienten oder bei Patienten
mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen unter prophylaktischer Gabe
von Antibiotika beobachtet.
Die Verabreichung von Antibiotika, die zu hohen
intraluminalen Wirkstoffkonzentrationen im Darm führen, verursachen
eine massive Selektionierung multiresistenter Hospitalkeime. Bei
intravenös verabreichten Breitspektrum-Antibiotika ist die
hohe biliäre Ausscheidung und beta-Laktamasestabilität
(z.B. Ceftriaxon), bei auch oral verabreichten Antibiotika die unvollständige
Resorption und Bioverfügbarkeit (z.B. Cefixim und Cefaclor)
verantwortlich.
Einfluss von Antibiotika auf die körpereigene
Flora
Quantitative Untersuchungen der Stuhlflora wurden bei mehreren 100
Patienten unter dem Einfluss verschiedener Antibiotika durchgeführt.
Die folgenden Abbildungen zeigen die qualitative
und quantitative Veränderung der Stuhlflora unter dem Einfluss
der verschiedenen Antibiotika.
Cefixim, ein Cephalosporin der 3. Generation
mit breitem Wirkspektrum insbesondere gegen gramnegative Enterobakterien,
wird nur zu 50% absorbiert, 50% der verabreichten Wirkstoffmenge
bleiben unabsorbiert im Darm liegen. Bei einer Dosierung von 8-10
mg/kg KG resultieren Konzentrationen von ca. 100 µg/g Stuhl.
Die Coliflora wird innerhalb von 2 Tagen vollständig eradiziert.
Die Lücke wird durch Überwucherung mit Enterokokken in
Konzentrationen von 10
Keimen/g Stuhl und Candida albicans in Konzentrationen von
10/g Stuhl geschlossen.
Ab dem 3.-4. Behandlungstag kommt es zur Besiedlung mit multiresistenten
Enterobakterien wie Klebsiella spp., Enterobacter spp.
sowie P. aeruginosa, P. cepacia und Strenotrophomonas
maltophilia (Abb. 11).
Abbildung 11: Änderung
der Stuhlflora nach Gabe von Cefixim 9 mg/kg KG an 25 Säuglingen
und Kleinkindern
|
Ca. 7 Tage nach Absetzen des Antibiotikums kommt
es zum Wiederauftreten der Coliflora und über 2-6 Wochen zur
Verdrängung der Enterokokken, Candida albicans und auch
der multiresistenten Enterobakterien.
Eine ähnliche Veränderung der Stuhlflora
wurde auch nach Gabe von Cefaclor beobachtet, das zu 85% enteral
resorbiert wird. Die nicht absorbierten 15% der Wirksubstanz führen
zu einer profunden Veränderung der Stuhlflora (Abb. 12).
Abbildung 12: Änderung
der Zusammensetzung der Stuhlflora unter dem Einfluss von
Cefaclor 50 mg/kg KG. Untersuchungen an 25 Säuglingen
und Kleinkindern über einen Zeitraum von 3 Wochen
|
Cefpodoximproxetil besitzt als Prodrug
im Intestinaltrakt keine antimikrobielle Wirksamkeit, sondern wird
erst nach Durchtritt durch die Darmwand aktiviert. Da dieses Präparat
auch zu mehr als 90% renal ausgeschieden wird, sind keine antimikrobiellen
Wirkstoffkonzentrationen im Stuhl nachzuweisen. Dies ist die Erklärung
für die bemerkenswert geringe Veränderung der Intestinalflora
nach Gabe dieses Präparates.
Cefalexin wird vollständig im Dünndarm
resorbiert und hat deshalb keine Änderung der Intestinalflora
zur Folge (Abb. 13).
Abbildung 13: Quantitative
Untersuchung der Stuhlflora nach Gabe von Cefalexin über
einen Zeitraum von 3 Wochen
|
Auch nach Gabe von Cefadroxil wurde keine
Beeinflussung der Stuhlflora beobachtet, da auch dieses Präparat
vollständig aus dem Intestinaltrakt resorbiert wird.
Durch Penicillin wird die Coliflora nicht
verändert, deshalb erfolgt auch keine Überwucherung der
Intestinalflora mit Enterokokken, Candida albicans oder multiresistenten
Enterobakterien (Abb. 14).
Abbildung 14: Quantitative
Untersuchung der Stuhlflora nach Gabe von Phenoxymethylpenicillin
K über einen Zeitraum von 3 Wochen
|
Auch Makrolidantibiotika besitzen keine
Wirksamkeit auf E. coli, und damit ist keine Änderung
der Zusammensetzung und des Resistenzmusters der Darmflora zu beobachten
(Abb. 15).
Abbildung 15: Quantitative
Untersuchung der Stuhlflora nach Gabe von Erythromycin über
einen Zeitraum von 3 Wochen
|
Klinische Konsequenzen aus diesen Untersuchungen
resultieren in Reinfektionen mit einem entsprechend der verabreichten
Substanz selektierten teil- oder multiresistenten Stamm. Ein Rezidiv
eines Harnwegsinfektes, z.B. nach Gabe von Cefixim, erfolgt regelmäßig
durch einen multiresistenten Enterobacter cloacae, der nur
auf Carbapeneme empfindlich ist.
Einfluss der Pharmakokinetik auf die Entwicklung
resistenter Mikroorganismen
Um den Ansprüchen der modernen Pharmakologie und Compliance
gerecht zu werden, kommen zunehmend Makrolidantibiotika zum Einsatz,
die sich einerseits durch hohe Gewebskonzentrationen am Wirkort,
anderseits durch eine extrem lange Eliminationshalbwertszeit auszeichnen.
Dies gilt in besonderem Maße für Azithromycin mit einer
Halbwertszeit von 68-72 Stunden. Ein Vorteil ist das anwenderfreundliche
Dosierungsschema, kritisch zu betrachten ist jedoch das Auftreten
von subinhibitorischen Konzentrationen im Gewebe, der epithelial
lining fluid (ELF) und Körperflüssigkeiten über
mehrere Wochen. Die Induktion von Resistenzmechanismen unter subinhibitorischen
Konzentrationen ist für Makrolidantibiotika mehrfach in der
Literatur beschrieben. Eigene Untersuchungen haben gezeigt, dass
unter dem Einfluss von subinhibitorischen Konzentrationen von allen
Makrolidantibiotika primär empfindliche klinische Isolate von
S. pneumoniae, aber auch von H. influenzae innerhalb
von 2 Wochen in vitro eine gegen alle Makrolidantibiotika
mit einem 14- oder 15-gliedrigen Laktonring gerichtete Resistenz
entwickeln. Diese zunächst noch reversible Resistenz kann unter
erneuter Exposition mit subinhibitorischen Konzentrationen innerhalb
von 4 Tagen induziert werden. Der Resistenzmechanismus besteht in
der Induktion einer Makrolid-Efflux-Pumpe, die den Wirkstoff aktiv
eliminiert, so dass keine antimikrobiell wirksamen Konzentrationen
im Keim erreicht werden.
Baquero kreierte für dieses Phänomen
den Begriff des Selektiven Fensters und beschreibt damit
den Zeitraum, in dem die Konzentration eines Antibiotikums zwischen
MHK und MAK liegt. Wenn dieser Konzentrationsbereich, in dem die
bakterizide/bakteriostatische Wirksamkeit nicht mehr ausreicht,
der Wirkstoff jedoch trotzdem einen Einfluss auf den Stoffwechsel
des Mikroorganismus hat, groß genug ist, haben Antibiotika
die Fähigkeit, Resistenzen zu induzieren (Abb. 16).
Abbildung 16: Selektives
Fenster
|
In weiteren Untersuchungen konnte auch die Übertragung
dieses Resistenzmechanismus von apathogenen Streptokokken (Streptococcus
salivarius, Streptococcus mitis) auf Streptococcus pyogenes
unter subinhibitorischen Konzentrationen beobachtet werden.
Der Einfluss der Pharmakokinetik auf Veränderungen
der körpereigenen Rachenflora wurde durch den Vergleich von
Makrolidantibiotika mit unterschiedlicher Eliminationshalbwertszeit
mittels E-Teststreifen bei 180 Patienten untersucht.
Ergebnisse der Untersuchungen der Rachenflora
Nach Verabreichung von Makrolidantibiotika mit unterschiedlichen
pharmakokinetischen Eigenschaften (Erythromycin, Clarithromycin,
Roxithromycin, Josamycin und Azithromycin) zeigte sich zunächst
in allen Gruppen nach einer Woche eine Veränderung der Rachenflora
mit Auftreten von makrolidresistenten Stämmen (43% der Patienten
bei Erythromycin (N=12), 52% bei Clarithromycin (N=60), 65% bei
Roxithromycin (N=12), 15% bei Josamycin (N=12) und 70% bei Azithromycin
(N=50)). In den darauf folgenden Wochen fiel der Prozentsatz an
Patienten, die mit makrolidresistenten Keimen besiedelt waren, mit
Ausnahme von Azithromycin kontinuierlich ab: Nach 6 Wochen konnten
bei 17% der Patienten nach Gabe von Clarithromycin resistente Stämme
in der Rachenflora nachgewiesen werden, im Gegensatz zur Therapie
mit Azithromycin, bei 86% der Kinder mit makrolidresistenten Stämmen
besiedelt waren. Aus den Rachenabstrichen ließen sich Strep.
salivarius, Strep. viridans, Strep. pneumoniae, Staph.
aureus, Staph. epidermidis isolieren, die gegen sämtliche
14- und 15-gliedrige Makrolidantibiotika unempfindlich waren. 30%
dieser Patienten wiesen eine gänzlich veränderte Rachenflora
auf, dominiert durch multiresistente gramnegative Keime (Pseudomonas
aeruginosa, Serratia marcescens, Enterobacter cloacae, Klebsellia
species u.a.). Bei 10% der Patienten kam es zu einer massiven
Überwucherung mit C. albicans.
7 der 60 mit Azithromycin behandelten Patienten
erlitten innerhalb der Beobachtungsphase eine Reinfektion, wobei
neben viralen Infektionen auch bakterielle Infektionen mit makrolidresistenten
Keimen (Strep. pneumoniae, Strep. pyogenes, Pseudomonas aeruginosa)
gesehen wurden.
Tabelle 1: Patienten mit
Reinfektionen 2-7 Wochen nach Behandlung
Patienten
mit Reinfektionen 2-7 Wochen
nach Behandlung mit Azithromycin
|
B.F. |
F.M. |
M.E. |
S.J. |
L.Ch. |
Z.Y. |
K.C. |
S.K. |
|
3 a
|
4 a
|
3 a
|
8 a
|
5 a
|
2 a
|
2 a
|
1 a
|
|
Otitis media, Mastoiditis |
Otitis media, Mastoiditis |
Pharyngitis |
Sinusitis, Bronchitis |
Otitis media perf. |
Pharyngitis, Sinusitis |
Pneumonie |
purulente Rhinitis |
|
S. aureus |
P. aeruginosa |
H. influenzae |
S. pneumoniae |
S. aureus |
S. pneumoniae |
S. pyogenes |
Enterobacter cloacae |
|
Patienten
mit Reinfektionen 2-7 Wochen
nach Behandlung mit Clarithromycin
|
|
|
|
|
|
Die Beobachtung der ausgeprägten Veränderung
der Zusammensetzung und des Resistenzverhaltens der Rachenflora
bei Patienten nach Behandlung mit Azithromycin lässt sich durch
die extrem lange Gewebeelimination und durch das Auftreten von subinhibitorischen
Konzentrationen über mehrere Wochen erklären.
Unter diesem Einfluss erklärt sich auch
die nachhaltige Störung der Rachenflora und die Besiedelung
des Rachenraums durch gramnegative Enterobacteriaceae. Darüber
hinaus bietet eine gestörte Rachenflora nicht mehr den notwendigen
Schutz gegen das Eindringen von pathogenen Keimen, sodass auch die
hohe Reinfektionsrate in der Azithromycin-Gruppe auf diesen Effekt
zurückgeführt werden muss. Bei Gabe der anderen Makrolidantibiotika
wurde dieses Phänomen nicht beobachtet. Bei 60 Patienten, die
Clarithromycin erhielten, wurde nur bei einem Patienten ein Rezidiv
einer Sinusitis mit einem makrolidresistenten S. aureus,
bei 36 Patienten unter Erythromycin-, Josamycin- oder Roxithromycintherapie
wurde bei keinem Patienten ein Rezidiv beobachet.
|
Anschrift
des Verfassers:
Univ.-Prof. Dr. J. Peter Guggenbichler
Klinik mit Poliklinik der Universität Erlangen-Nürnberg
D-91054 Erlangen, Loschgestraße 15
E-Mail: prof.guggenbichler@iname.com |
zurück
zum Inhalt
|