Infektiologie des Kindesalters - Allgemeine Aspekte und Besonderheiten

J.P. Guggenbichler
Klinik mit Poliklinik für Kinder und Jugendliche der Friedrich Alexander Universität Erlangen-Nürnberg
(Vorstand: Univ.-Prof. Dr. W. Rascher)



Einleitung

Im Kindesalter besteht für das diagnostische und therapeutische Vorgehen bei Infektionen eine Vielzahl von Besonderheiten. Diese erfordern eine unterschiedliche Vorgangsweise als bei der Behandlung von Infektionen im Erwachsenenalter.

 

Die körpereigene Abwehr – Unreife der Mechanismen

Auf der Basis einer funktionellen, genetisch bestimmten oder angeborenen Unreife der körpereigenen Abwehr kommt es zu häufigen und besonders schwer und stürmisch verlaufenden Krankheitsbildern, speziell in den ersten Lebensmonaten.

Betroffen davon sind insbesondere Früh- und Neugeborene sowie Säuglinge im ersten Trimenon, jedoch auch Patienten mit eingeschränkter körpereigener Abwehr durch angeborene oder erworbene Defekte der humoralen oder zellulären Immunität, der Granulozytenfunktion bzw. anderer spezifischer und unspezifischer Abwehrfunktionen. Auch verschiedene funktionelle und anatomische Fehlbildungen können eine Rolle spielen.

Wichtig bei der Frühgeborenen- und/oder Neugeborenensepsis ist die Tatsache, dass Faktoren der körpereigenen Abwehr, wie die zelluläre Immunität sowie die Komplementfunktion, noch nicht ausreichend funktionstüchtig sind. Antikörper werden zum Großteil erst ab der 30. Schwangerschaftswoche (SSW) von der Mutter auf das Neugeborene übertragen. Daher besitzen Frühgeborene < 30. SSW nur einen Bruchteil der Antikörperkonzentration des reifen Neugeborenen (ca. 25 %). Antikörper der IgM- oder IgA-Klasse sowie Sekretions-IgA-Antikörper werden diaplazentar nicht übertragen und fehlen daher beim Neugeborenen.

Die aus den beschriebenen Mangelzuständen resultierenden Folgen sind: eine fehlende Fixierung des Infektionserregers an der Eintrittspforte, eine rasche Proliferation der Keime in der Blutbahn und die Ausbreitung z.B. in die Meningen. Die initial fehlende lokale und systemische Entzündungsreaktion führt nicht zuletzt wegen der verspäteten Diagnose zu einer wesentlich höheren Keimbelastung, die in der Therapie zu zusätzlichen Problemen durch die hohen Toxinmengen führt.

Zusammenfassend bleibt festzuhalten: Infektionen beim Neugeborenen und jungen Säugling werden wegen der fehlenden Entzündungsreaktion erst relativ spät erkannt und sind dann durch einen besonders stürmischen Krankheitsverlauf gekennzeichnet.

Natürlich besteht auch postoperativ eine vorübergehende Einschränkung der körpereigenen Abwehr. Vor allem Neugeborene sind nach Korrektur von Fehlbildungen für nosokomiale Infektionen anfällig. Nach großen kardiochirurgischen Eingriffen kommt es unter extrakorporaler Zirkulation zu einer Verminderung der zellulären Immunität, da T-Lymphozyten an den Kunststoffschläuchen haften bleiben.

Unter antineoplastischer Therapie oder nach Verabreichung immunsuppressiver Medikamente ist die Problematik bei Kindern ähnlich wie bei Erwachsenen.

 

Erstinfektionen

Häufige Infekte, die auf dem Erstkontakt eines Kindes mit einem der vielen pathogenen Erreger ohne vorherigen Antigenkontakt mit Antikörperbildung beruhen, sind für das Kindesalter geradezu charakteristisch. Keineswegs ist es ungewöhnlich, dass ein Säugling oder Kleinkind in den ersten fünf Lebensjahren an 6-8 Infekten pro Jahr erkrankt. Selbstverständlich sind dabei epidemiologische und sozioökonomische Gegebenheiten zu berücksichtigen.

In der Mehrzahl handelt es sich bei diesen Infekten um Viruserkrankungen, die zunächst keiner antimikrobiellen Therapie bedürfen.

Mechanismen der lokalen Abwehr werden durch diese Virusinfektionen funktionell beeinträchtigt:

  • In den Atemwegen führt eine Veränderung der Viskosität des Schleimteppichs und eine Lähmung der Zilienfunktion der Bronchialschleimhaut zu einer Verminderung der mukoziliären Clearance.
  • Die Belüftung der Nasennebenhöhlen und der Paukenhöhle sowie der Sekretabfluss werden durch das von der Virusinfektion hervorgerufene submuköse Ödem verhindert.
  • Die Besiedelbarkeit von Schleimhäuten ist erhöht, da an virusinfizierten Epithelzellen um ein Vielfaches mehr Keime haften.
  • Im Intestinaltrakt kommt es bei Infektionen (Rotaviren) durch die gestörte Peristaltik zur Überwucherung oberer Dünndarmabschnitte mit Keimen. Daraus resultieren funktionelle Störungen der Verdauungsleistung.

Störungen der lokalen Abwehr prädisponieren zu bakteriellen Superinfektionen. Von besonderer Bedeutung ist, dass diese bakteriellen Superinfektionen bereits nach wenigen Stunden, aber auch erst nach 4-7 Tagen auftreten können. Eine erneute Verschlechterung oder ein neuerlicher Fieberschub nach anfänglicher Besserung ist dabei charakteristisch. Leider gibt es keine Statistiken über die Häufigkeit derartiger Komplikationen, man schätzt aber, dass zwischen 15 und 45% der Patienten betroffen sind.

Bis heute ist unklar, warum bestimmte Patienten häufiger an einer bakteriellen Superinfektionen erkranken. Defekte der spezifischen körpereigenen Abwehr sind meist nicht zu finden. Gegenwärtig gehen intensive klinisch-experimentelle Untersuchungen in Richtung der unspezifischen Abwehr, der Bildung von antimikrobiell wirksamen Substanzen in der Schleimschicht eben der Mukosaimmunität.

 

Wann antimikrobielle Therapie beginnen?

Dass am Anfang einer jeden antimikrobiellen Therapie eine korrekte Diagnose stehen muss, ist eine Forderung, die für ältere Kinder und Jugendliche sicher nach wie vor Gültigkeit hat. Leider ist sie aber, vor allem im frühen Kindesalter, nur schwer zu erfüllen. In der Regel wesentlich stürmischer verlaufende Infektionen im Kindesalter bedürfen meist einer sofortigen korrekten Behandlung, um bleibende Schäden vom Patienten abzuwehren. Zum Beispiel verschlechtert eine nur um wenige Stunden verzögerte Behandlung einer eitrigen Meningitis sowohl die Überlebenschancen als auch die Chance auf eine Restitutio ad integrum wesentlich. Die klinische und mikrobiologische Diagnostik sowie die Diagnosesicherung stellen daher im Kindesalter besondere Herausforderungen auch bezüglich eines Zeitfaktors dar.

Auch akute Harnwegsinfektionen, die im frühen Säuglingsalter besonders schwer unter Entgleisungen des Wasser-, Elektrolyt- und Säure-Basen-Haushaltes verlaufen können, müssen ohne Verzögerung behandelt werden. Die akute Pyelonephritis im Kindesalter wird heute als eine Notfallsituation betrachtet, in der es ebenso wie bei der eitrigen Meningitis gilt, eine Eradizierung der Erreger so rasch wie möglich zu erreichen. Dadurch kann die Bildung von Nierennarben verhindert werden, die erst Jahrzehnte später z.B. während einer Schwangerschaft zu schwer wiegenden Folgen wie Eklampsie, Neigung zu Frühgeburtlichkeit, lebenslanger Hypertonie bzw. einer Einschränkung der Nierenfunktion bis hin zur pyelonephritischen Schrumpfniere führen können.

Bereits der geringste Verdacht auf eine Infektion erfordert bei Patienten mit eingeschränkter körpereigener Abwehr den sofortigen Beginn einer effektiven antimikrobiellen Behandlung.

Einige Beispiele für eingeschränkte körpereigene Abwehr:

  • initiale neutropenische Behandlungsphase einer Leukämie
  • postoperativer Zustand nach großen chirurgischen Eingriffen
  • angeborene Immundefekte
  • Milzexstirpation (noch Jahre danach)
  • unreife Frühgeborene

Die antimikrobielle Behandlung erfolgt nach Abnahme entsprechender Kulturen aus Blut, Harn, Liquor und anderen relevanten Entzündungsherden noch vor dem Vorliegen einer mikrobiologischen Bestätigung oder Resistenzprüfung.

Die Erstauswahl des Antibiotikums muss auf das gehäufte Auftreten multiresistenter Keime im Krankenhaus insbesondere auf Intensivstationen abgestimmt werden und die lokalen bzw. regionalen Verhältnisse berücksichtigen. Das macht die Erstauswahl des Antibiotikums schwierig.

Die Indikation für eine antimikrobielle Behandlung, im Kindesalter in erster Linie auf dem klinischen Erscheinungsbild beruhend, ist entscheidend. Sie kann durch Laborparameter (Blutbild, CRP, Procalcitonin etc.) und die mikrobiologische Diagnostik unterstützt oder modifiziert werden.

Der optimale Zeitpunkt für den Beginn einer antibiotischen Therapie ist schwierig zu bestimmen und bedarf großer klinischer Erfahrung. Diese beruht im Wesentlichen auf einer sorgfältigen Beobachtung des Krankheitsverlaufes mit mehrmaligen klinischen Untersuchungen des Patienten in kurzen Abständen.

Gründe für den Beginn einer antimikrobiellen Therapie:

  • Raschere Schmerzfreiheit und Heilung
  • Vermeidung von Komplikationen (z.B. durch Ausbreitung der Keime aus der Paukenhöhle in die Mastoidzellen)
  • Verhinderung der Chronifizierung des Infektionsprozesses
  • Unterbrechung der Infektionskette

Entscheidende Hinweise für den richtigen Zeitpunkt einer antimikrobiellen Therapie:

  • Keine klinische Besserung am 3. (4.) Krankheitstag, insbesondere bei Patienten unter 3 Jahren
  • Lokale Komplikationen wie Otitis media, Sinusitis, Pneumonie
  • Erneute Fieberzacke und klinische Verschlechterung nach bereits einsetzender Besserung

Eine prophylaktische Verabreichung eines Antibiotikums vor Auftreten der bakteriellen Superinfektion zur Verhinderung derselben ist noch im Stadium des Virusinfektes nicht sinnvoll. Es treten dabei die bei Erwachsenen bekannten Probleme auf, wie Verschleierung der Infektion, Selektion resistenter Keime unter der Therapie sowie eine inkomplette Ausheilung des Infektionsprozesses.

Eine stabile körpereigene Flora, welche die Schleimhäute besiedelt, stellt einen wesentlichen Bestandteil der körpereigenen Abwehr dar, wie immer wieder beobachtet werden kann. Eine Destabilisierung dieser körpereigenen Flora durch Antibiotika erleichtert pathogenen Mikroorganismen, sich auf den Schleimhäuten auszubreiten. Keinesfalls jedoch sollte die Angst vor solchen möglichen negativen Antibiotika-Einflüssen dazu führen, medizinisch indizierte antimikrobielle Therapien zu unterlassen.

 

Pharmakokinetische Besonderheiten

Im Neugeborenen- und Säuglingsalter gibt es Besonderheiten, wie geänderte Bioverfügbarkeit, Pharmakokinetik, Pharmakodynamik und ein unterschiedliches Gefährdungspotential durch antimikrobielle Substanzen, die bei einer antimikrobiellen Behandlung unbedingt zu berücksichtigen sind.

Für den therapeutischen Erfolg einer Antibiotikatherapie ist entscheidend, dass biologisch wirksame Konzentrationen am Infektionsort, d.h. im Gewebe, in Körperhöhlen und Körperflüssigkeiten, über eine ausreichend lange Zeit aufrechterhalten werden. Eine wichtige Orientierungsgröße für die Anwendung antimikrobieller Substanzen ist die Bioverfügbarkeit eines Medikamentes.

Im Folgenden soll auf einzelne, für die antimikrobielle Therapie im Kindesalter grundlegende pharmakologische Aspekte eingegangen werden:

 

Bioverfügbarkeit
Die Beurteilung der Bioverfügbarkeit von Antibiotika erfolgt durch die Messung des Serumkonzentrationsverlaufes und/oder der im Harn wiederentdeckten Menge an Wirksubstanz bei nicht metabolisierten Antibiotika.

Die Mehrzahl der Patienten erhält eine orale Therapie, bei der Resorption und Bioverfügbarkeit des Präparates wesentlich zum therapeutischen Erfolg beitragen. Pharmakologische Untersuchungen im Rahmen der Zulassung von Medikamenten werden an gesunden, nüchternen Jugendlichen und Erwachsenen durchgeführt. Die Verabreichung erfolgt an Säuglinge und Kleinkinder mit verschiedenen Grundkrankheiten oft ohne ausreichende Rücksicht auf den Füllungszustand des Magens. Nur selten stehen pharmakokinetische Daten von Kindern, fast nie von Säuglingen und Kleinkindern zur Verfügung.

Die Bioverfügbarkeit von Antibiotika wurde durch pharmakokinetische Untersuchungen in verschiedenen Lebensaltern bestimmt (Abb. 1).

Abbildung 1: Serumkonzentration von Penicillin VK in verschiedenen Lebensaltern nach Gabe von 12.500 IE/kg KG

Kinder im Alter von ca. 6 Jahren resorbieren Oralpenicillin sehr gut, die maximale Serumkonzentration wird bereits nach 30 Minuten erreicht, die Ausscheidung erfolgt mit einer Halbwertszeit von ca. 50 Minuten. Die Bioverfügbarkeit ist etwa gleich gut wie bei Jugendlichen und Erwachsenen. Es zeigt sich, dass entsprechend der Fläche unter der Kurve und der im Harn wiederentdeckten Wirkstoffmenge Neugeborene eine deutlich größere Wirkstoffmenge resorbieren als ältere Kinder. Dies beruht einerseits auf einer höheren Membranpermeabilität bei Früh- und Neugeborenen mit besserer Penetration des Wirkstoffes im Darm, anderseits auf einer durch die Unreife der Nieren verzögerten renalen Elimination.

Aufgrund des bei Neugeborenen größeren Verteilungsvolumens (ca. 40%) als bei 6-jährigen Kindern (26%) kommt es trotz der größeren resorbierten Wirkstoffmenge zu niedrigeren Serum-Spitzenkonzentrationen.

Die Bioverfügbarkeit ist neben der Membranpermeabilität wesentlich vom Ausmaß der resorbierenden Oberfläche und der Intensität der Peristaltik abhängig: Da Oralpenicilline und Amoxicillin nur im Duodenum und in den obersten 25-30 cm des Jejunums resorbiert werden, ist eine um das 3-4fache beschleunigte Passagezeit bei Säuglingen für eine substantielle Verminderung der Resorptionsmenge verantwortlich. Dadurch besteht nach dem ersten Lebensmonat eine wesentliche Einschränkung der Bioverfügbarkeit z.B. für Penicillin V und auch für andere Antibiotika, wie z.B. Azidocillin. Bestimmungen der 2-Stunden-Serumkonzentrationen nach Verabreichung von 17,5 mg/kg KG Amoxicillin + Clavulansäure sowie Sulbactam + Ampicillin als Einzeldosis ergaben, dass bei Säuglingen im Vergleich zu Schulkindern nur ein Drittel der 2-Stunden-Serumkonzentrationen erreicht werden, d.h. 2 µg/ml vs. 6 µg/ml von Amoxicillin/Clavulansäure bzw. 1,3 µg/ml vs. 5 µg/ml bei Sulbactam/Ampicillin. Bei 3 von 12 Säuglingen im Alter zwischen 9 und 15 Monaten konnten nach Gabe von Sul-bactam/Ampicillin keineWirkstoffkonzentrationen nachgewiesen werden (Nachweisgrenze von 0,25 µg/ml).

Anders als die Oralpenicilline werden Cephalexin, aber auch Cefaclor, Cefadroxil und Loracarbef im gesamten Intestinaltrakt resorbiert. Es bestehen daher keine Resorptionseinbußen im Säuglingsalter.

Die oralen Cephalosporine der 3. Generation wie Cefixim, Ceftibuten, Cefpodoxim-Proxetil, Cefetamet-Pivotil weisen keine vollständige Bioverfügbarkeit (50 bis 75%) auf.

Von einer verminderten Bioverfügbarkeit veresterter Substanzen wegen der im Säuglingsalter verminderten Ausstattung an intestinalen Hydrolasen wird in Literaturangaben gesprochen. Für „Prodrugs“, z.B. Cefpodoxim-Proxetil, konnte jedoch keine Resorptionseinbuße im frühen Säuglingsalter nachgewiesen werden.

Eine gute Bioverfügbarkeit zeigen generell Makrolidantibiotika, vor allem die neueren Makrolide wie Roxithromycin und Clarithromycin. Im Gegensatz zu b-Laktamantibiotika, die sehr rasch über die Blutbahn in das interstitielle Kompartiment verteilt werden, füllen Makrolidantibiotika nach der Resorption in den kleinen Kreislauf zuerst das interstitielle und intrazelluläre Kompartiment der Lunge auf, und erst der nicht gewebegebundene „Überlauf“ ist im Blut nachweisbar. Nahezu 100% Bioverfügbarkeit besitzt das Trimethoprim.

Resorptionseinbußen durch Nahrungsmittel und veränderte Resorption und Elimination bei verschiedenen Grundkrankheiten

Nahrungsmittel mit einem hohen Gehalt an Kalzium, insbesondere Milch und Milchprodukte, führen zu substantiellen Resorptionseinbußen von verschiedenen b-Laktamantibiotika insbesondere von Penicillin V, das als Salz im sauren Milieu des Magens in Penicillin V und K dissoziiert. Wenn gleichzeitig Milch mit dem Antibiotikum verabreicht wird, rekombiniert sich Penicillin V mit dem im Überschuss vorhandenen Kalzium und führt zu einem unlöslichen, unresorbierbaren Kalziumsalz (Abb. 2). Allerdings werden keineswegs alle Antibiotika in ihrer Bioverfügbarkeit beeinträchtigt: Das Benzathinsalz des Penicillin V (Ospen®) wird unabhängig vom Füllungszustand des Magens resorbiert. Cephalosporine werden, da im gesamten Dünndarm resorbiert, praktisch in ihrer Bioverfügbarkeit nicht verändert. Die meisten Makrolidantibiotika zeigen sogar höhere Wirkstoffkonzentrationen, wenn sie gleichzeitig mit Nahrungsmitteln verabreicht werden. Azithromycin wird jedoch durch gleichzeitige Verabreichung von Nahrung massiv in seiner Bioverfügbarkeit beeinträchtigt.

 

Abbildung 2: Serumkonzentrationen von Penicillin VK nüchtern und nach einer Milchmahlzeit nach Gabe von 12.500 IE/kg KG an 6-jährige Kinder

Insgesamt ist es von großer Bedeutung, diese resorptionsmindernden Faktoren zu berücksichtigen, da bei oraler Verabreichung einerseits die nicht resorbierte Wirkstoffmenge am Infektionsort fehlt, andererseits im Intestinaltrakt zu Störungen (z.B. osmotischen Durchfällen) führt.

Durchfall (akut und chronisch) als häufige Begleiterkrankung bei verschiedenen Infekten, führt wie auch hohes Fieber (> 39,5°C) zu einer verminderten Bioverfügbarkeit (- 40% Serumspitzenkonzentration, - 25% AUC).

Bei Mukoviszidose führt eine beschleunigte renale Elimination z.B. von b-Laktamantibiotika der Penicillinreihe zu niedrigen Serum- und Gewebskonzentrationen mit ungenügenden therapeutischen Ergebnissen. Aminoglykoside werden bei Patienten mit Mukoviszidose neben der normalen glomerulären Filtration auch tubulär sezerniert, d.h. es entsteht ein zusätzlicher Ausscheidungsweg von Aminoglykosiden und damit ebenfalls eine beschleunigte renale Elimination.

Verlängerung der Halbwertszeit
Die Enzymunreife im frühen Säuglingsalter führt z.B. in der Leber zu einer verzögerten Glukuronidierung und durch die verzögerte Ausscheidung zu einer Verlängerung der Halbwertszeit. Dies hat früher z.B. nach Verabreichung von Chloramphenicol gelegentlich zu einem schweren toxischen Erscheinungsbild (Gray-Syndrom) geführt.

Die Unreife der Niere im Neugeborenenalter und im ersten Trimenon bzw. eine gleichzeitig bestehende Dehydratation führen zu einer verzögerten renalen Clearance und dadurch zu einer Verlängerung der Halbwertszeit.

Dosierung nach Körpergewicht, Wahl der Tagesdosis und Verabreichungsweise
Dosisempfehlungen werden in mg/kg KG angegeben, um entsprechende Wirkstoffkonzentrationen am Ort der Infektion zu gewährleisten. Die Dosierung nach 1/2 und ganzen Messlöffeln entsprechend dem Lebensalter ist für Säuglinge und Kleinkinder zu ungenau. Von besonderer Bedeutung ist auch die korrekte Wahl der Tagesdosis.

In Europa werden im Gegensatz zu Dosierungsrichtlinien in den USA etwa 3fach höhere Tagesdosen verabreicht. Zum Beispiel beträgt die Therapieempfehlung für Europa bei Amoxicillin 60 mg/kg KG, die für Cefaclor 50 mg/kg KG. Beide Medikamente werden in den USA mit 20 mg/kg KG dosiert. Die Vorteile einer höheren Gesamt-Tagesdosis bestehen in einer effizienten Eradikation der Keime und dadurch auch in einer Verhinderung bzw. Verzögerung der Resistenzentwicklung, wie sie durch subinhibitorische Konzentrationen induziert wird.

Die korrekte Wahl der Tagesdosis und der Dosierungsintervalle hängt vom pharmakokinetischen Profil der Substanz (Bioverfügbarkeit, Wirkstoffkonzentration am Infektionsort, Eliminationsgeschwindigkeit) und der antimikrobiellen Wirksamkeit (MHK-Wert) ab. Diese Parameter werden unter Pharmakodynamik subsumiert.

Die Verabreichungsweise, d.h. die Zahl der Gaben pro Tag, welche die Compliance beeinflusst, sowie die galenische Zubereitung und der Geschmack eines Präparates sind weitere wichtige Aspekte einer antimikrobiellen Therapie im Kindesalter. Untersuchungen zeigen, dass eine 3x tägliche Verabreichung von weniger als 75% der Patienten eingehalten wird. Eine 2x tägliche Verabreichung hingegen wird von mehr als 90% der Patienten korrekt eingehalten. Zwischen einer 1x täglichen und einer 2x täglichen Verabreichung besteht kein Unterschied in der Compliance.

Dosisanpassung bei Leberfunktionsstörungen
Leberfunktionsstörungen können durch eine antimikrobielle Therapie einerseits verstärkt werden, anderseits kann es bei bestehender Leberfunktionsstörung durch die verminderte Metabolisierung (Glukuronisierung) und Ausscheidung der Substanz zu Kumulation und in der Folge zu gesteigerter Lebertoxizität der verabreichten Wirksubstanz kommen. Nachdem keine Parameter bekannt sind, anhand deren eine Dosisanpassung bei eingeschränkter Leberfunktion möglich wäre, sind Antibiotika und Chemotherapeutika, die in der Leber metabolisiert werden, bei Leberfunktionsstörungen zu vermeiden. Makrolidantibiotika und Lincosamide, Rifampicin, Tetrazykline, Metronidazol, Ketoconazol und praktisch alle Tuberkulostatika gehören zu diesen Substanzen. Bei Leberfunktionsstörungen sind meist auch Wirkstoffkonzentrationen in der Galle vermindert, woraus eine eingeschränkte antimikrobielle Wirksamkeit bei Infektionen der Gallenwege resultiert.

Dosisanpassung bei Nierenfunktionsstörungen
Nierenfunktionsstörungen führen zu einer verminderten Elimination der Wirksubstanz. Dadurch kommt es zur Kumulation und Toxizität, die wiederum die Nierenfunktionsstörung verstärkt. So kann es bei eingeschränkter Nierenfunktion bereits durch therapeutische Dosen von Aminoglykosiden zu Innenohrschwerhörigkeit und neurotoxischen Reaktionen mit muskulärer Hypotonie kommen. Die Verabreichung von Imipenem oder von (hoch dosiertem) Penicillin kann zu Krampfanfällen führen bzw. zu neuromuskulärer Hyperexzitabilität. Die toxische Wirkung von Aminoglykosiden kann durch Interaktion mit anderen Medikamenten, z.B. Furosemid, durch Kompetition in der Elimination verstärkt werden. Eine Dosisanpassung erfolgt bei den meisten Substanzen anhand der Kreatinin-Clearance durch Anpassung der Tagesdosis. Die Dosisanpassung kann aber auch so erfolgen, dass als erste Dosis die Regeldosierung verwendet wird und entsprechend der Kreatinin-Clearance die Dosierungsintervalle verlängert werden. Die Feinabstimmung erfolgt durch Bestimmung der Talspiegel. Aminoglykoside, Glykopeptide und Cephalosporine der 1. Generation bedürfen bei einer bestehenden Nierenfunktionsstörung in jedem Fall einer Dosisanpassung.

Unterschiedliche Eiweißbindung
Der Prozentsatz der Eiweißbindung von Antibiotika im Serum ist je nach Wirkstoff verschieden und hängt vom pH-Wert, der gleichzeitigen Gabe anderer Medikamente (Verdrängung) und von der Dosierung des Medikamentes (Überschreitung der Bindekapazität bei hohen Dosen) ab. Je nach Medikament kann die Eiweißbindung zwischen vernachlässigbar gering (z.B. Fosfomycin) und über 90% der Wirkstoffkonzentration (Ceftriaxon, Dicloxacillin) schwanken.

Welche klinische Relevanz die Verabreichung von Präparaten mit unterschiedlicher Eiweißbindung hat, ist umstritten bzw. bisher weitgehend unklar. Als günstig zu bewerten ist die Transportfunktion und Depotfunktion, d.h. in einem proteinreichen Exsudat sind bei Präparaten mit hoher Eiweißbindung ungleich höhere Konzentrationen zu beobachten als bei Präparaten mit geringer Eiweißbindung. Eigene experimentelle Untersuchungen in einem Modell mit infizierten Fibrinklumpen weisen darauf hin, dass trotz hoher Gesamt-Wirkstoffkonzentrationen nur der freie, d.h. ungebundene Wirkstoff antimikrobielle Wirksamkeit besitzt. Daher sind bei Substanzen mit geringer Eiweißbindung trotz niedrigerer Gesamt-Wirkstoffkonzentrationen am Infektionsort vielfach höhere freie Wirkstoffkonzentrationen zu beobachten.

Die verminderte Zahl von Bindungsstellen an Albumin kann im Neugeborenenalter zu Problemen führen. Antibiotika verdrängen das Bilirubin aus Albumin-Bindungsstellen und freies, nicht eiweißgebundenes Bilirubin, das die Blut-Hirn-Schranke leichter durchdringt, führt dadurch zu einer erhöhten Gefahr eines Kernikterus.

Bedeutung der Gewebekonzentration
Intrazellulär werden hohe Wirkstoffkonzentrationen erreicht durch lipidlösliche Substanzen wie Makrolide, Chinolone und Rifampin. Lipidunlösliche Substanzen wie Penicillin und Cephalosporine verteilen sich weitgehend interzellulär im interstitiellen Flüssigkeitskompartiment. Außer der Lipidlöslichkeit wird die Gewebegängigkeit eines Präparates auch von der Eiweißbindung, aktiven Transportmechanismen und der unterschiedlichen Fensterung der Kapillaren in bestimmten Organen gesteuert. Eine besonders geringe Durchlässigkeit besteht im Rahmen der Blut-Liquor-Schranke in die Meningen durch die so genannten „tight junctions“ der Kapillaren. Diese sind jedoch bei akuten Entzündungsprozessen weit geöffnet und erlauben eine gute Penetration (= 40% der Serumkonzentration von Na-Benzylpenicillin am ersten Behandlungstag).

Der Wert einer hohen Gewebekonzentration einer Wirksubstanz ist differenziert zu sehen und im Zusammenhang mit den jeweiligen Keimen zu beurteilen.

Bei der Testung der Gewebsproben wird die gesamte Wirkstoffkonzentration, die im Blutkompartiment (5%) im interstitiellen Flüssigkeitskompartiment (35%) und intrazellulär (60%) vorliegt, gemessen. Die Wirkstoffkonzentrationen verteilen sich jedoch nicht gleichmäßig in den einzelnen Kompartimenten. Hohe Gewebskonzentrationen bedeuten daher, dass sich der weitaus größte Teil der Wirkstoffkonzentration intrazellulär befindet. Dies bedeutet gleichzeitig, dass je nach Abnahmezeit im steady state im Blutkompartiment und im interstitiellen Flüssigkeitskompartiment geringe Wirkstoffkonzentrationen vorhanden sind. Bei Substanzen, die sich weitgehend im interstitiellen Flüssigkeitskompartiment verteilen, sind daher trotz niedrigerer Gesamt-Wirkstoff-konzentrationen deutlich höhere Wirkstoffkonzentrationen in der interstitiellen Flüssigkeit zu finden als bei Präparaten mit hohen Gewebespiegeln.

Für die Klinik heißt dies nun, dass bei Infektionen mit intrazellulär residierenden Keimen wie Mykoplasmen, Chlamydien, Legionellen, aber auch Listerien, Borrelien und Leptospiren hohe intrazelluläre Wirkstoffkonzentrationen günstig sind. Die meisten schweren Infektionen durch Streptokokken, Pneumokokken, H. influenzae spielen sich jedoch im interstitiellen Flüssigkeitskompartiment, in Körperhöhlen oder in Exsudaten ab. Dabei sind hohe intrazelluläre Wirkstoffkonzentrationen therapeutisch eher nachteilig bzw. unnötig.

Granulozyten und alveoläre Makrophagen können aktiv Wirkstoffkonzentrationen, z.B. von Makrolidantibiotika, an den Infektionsort transportieren und bei Zerfall freisetzen. Dies ist ein interessantes theoretisches Modell, das aber mengenmäßig eher zu vernachlässigen ist.

Wesentlich bei der Betrachtung der Gewebegängigkeit von Präparaten ist, dass eine „balancierte Kinetik“ besteht, d.h., dass in allen Kompartimenten (Blut-, interstitielles Flüssigkeitskompartiment und, wenn bei intrazellulären Keimen nötig, auch im intrazellulären Kompartiment und in der Epithelial Lining Fluid, ELF) therapeutisch ausreichende Wirkstoffkonzentrationen vorhanden sind. Bei den Makrolidantibiotika ist dies für Clarithromycin, Josamycin und Roxithromycin gegeben, nicht jedoch für Azithromycin, bei dem sehr niedrige Serumkonzentrationen hohen Gewebskonzentrationen gegenüberstehen.

Wie lange therapieren?
Die Behandlungsdauer von Infektionen kann zwischen einer Einmalgabe eines Antibiotikums und einer Langzeittherapie über Monate bis zur Dauertherapie variieren. Im Erwachsenenalter ist bei einer Reihe von Infektionen, wie der unkomplizierten Zystourethritis der jungen Frau, eine Einmalgabe Standard. In der Kinderheilkunde ist jedoch üblicherweise eine längere Therapiedauer nötig, um eine nachhaltige Heilung zu erzielen und Rezidive zu verhindern. Bei der experimentellen Festlegung der Therapiedauer liegt das häufigste Problem im Studiendesign: Vielfach sind Risikopatienten, die am meisten unter Komplikationen leiden, nicht ausreichend in der Studienpopulation berücksichtigt oder die Nachbeobachtungszeit ist zu kurz bemessen.

Die Therapiedauer muss sich daher nach der Korrektur der ursprünglichen Pathologie richten und weniger nach der Dauer bis zur Eradikation der Keime. Die Funktion der Eustachischen Tube ist im Rahmen eines Virusinfektes der oberen Luftwege für ca. 10-14 Tage gestört. Bei einer Behandlungsdauer von 5 Tagen besteht für weitere 7 Tage nach Therapieende eine funktionelle Störung der Tubenbelüftung sowie persistierendes Sekret in der Paukenhöhle, was die Wiederbesiedelung der Paukenhöhle durch Keimaszension aus dem Nasen-Rachenraum begünstigt.

Bei der Otitis media konnte bei einzelnen Studien eine Überlegenheit einer 10-tägigen Behandlungsdauer über eine 5-tägige Therapiedauer beobachtet werden. Sie manifestierte sich jedoch nicht im unmittelbaren Behandlungsergebnis nach Therapieende. Deutliche Unterschiede bis 50% zugunsten der längeren Behandlung traten zwischen dem 35. und 48. Tag nach Therapieende in der Zahl der Rezidive zwischen einer 5- und 10-tägigen Behandlungsdauer zugunsten der längeren Behandlung zutage.

Bei Patienten mit einer Streptokokkentonsillitis kann die Behandlung mit einem Oralpenicillin bei gleicher mikrobiologischer Eradikationsrate nicht auf 5 Tage reduziert werden, wie es durch verschiedene Oralcephalosporine (z.B. Cefadroxil oder Cefpodoxim-Proxetil) bereits dokumentiert ist.

Bei Harnwegsinfektionen muss sich die Therapiedauer nach der restharnfreien Entleerung richten. Solange die Patienten nach einer akuten Harnwegsinfektion nicht restharnfrei entleeren, besteht ein hohes Risiko einer Reinfektion.

 

Definition und Grundbegriffe

Infektion bezeichnet den Zustand, in dem sich ein pathogener Mikroorganismus (Bakterien, Viren, Pilze, Parasiten) im Körper in erster Linie auf Haut und Schleimhäuten festsetzt und sich vermehrt. Keime können aber auch direkt in tiefere Gewebsschichten eindringen, z.B. bei Verletzung, einem penetrierenden Trauma oder bei Störung der Barrierefunktion der Haut und Schleimhaut. In die Blutbahn eingedrungene Keime können sich in verschiedenen Geweben, wie den Meningen, der Lunge oder im Harntrakt (Säuglinge < 3 Monate), festsetzen und zu lokalen Infektionen führen. Gelegentlich spielt auch eine lokale Durchblutungsstörung, wie z.B. eine Osteomyelitis nach einem stumpfen Trauma der betroffenen Extremität, eine Rolle.

Infektionskrankheit liegt dann vor, wenn der Organismus mit subjektiven und objektiven Krankheitssymptomen reagiert. Bei intakten körpereigenen Abwehrmechanismen kann eine Infektion ohne klinische Symptome bestehen; diese wird als inapparente oder subklinisch verlaufende Infektion (stille Feiung) bezeichnet.

Die Kolonisation von Haut und Schleimhäuten ist ein physiologisches Phänomen, das im Gegensatz zur Infektion steht. Haut und Schleimhäute sind mit einer Vielzahl von apathogenen Bakterien besiedelt. Zur körpereigenen Abwehr trägt eine stabile körpereigene Flora im Rachen, im Intestinaltrakt und auf der Haut wesentlich bei, indem sie in Konkurrenz mit pathogenen Keimen um Nahrungsstoffe steht. Verschiedene Keime bilden Pyocine oder freie Fettsäuren, die ein Milieu (pH-Wert) bilden, welches das Anwachsen fremder Keime verhindert. Probiotika, d.h. apathogene Keime wie Lactobacillus spp. sollen durch Konkurrenz die Adhärenz pathogener Mikroorganismen verhindern. Sie waren jedoch in eigenen Untersuchungen in einem Modellversuch an Gefrierschnitten menschlichen Dünndarms nicht imstande, die Adhärenz pathogener Mikroorganismen wie EHEC oder Salmonella enteritidis zu verhindern.

Zwischen Infektion, Erkrankung und asymptomatischem Trägerstatus besteht eine fließende Grenze. Die körpereigene Abwehr steht in einem biologischen Gleichgewicht mit der Virulenz der Erreger, d.h. der Fähigkeit eines Keimes, sich im Körper anzusiedeln und zu vermehren, sowie der Ausprägung der pathogenetischen Fähigkeiten, wie Toxinbildung und Gewebeinvasion. Bei hoher Virulenz des Erregers bedarf es einer starken körpereigenen Abwehr, um den Erreger abzuwehren, bei verminderter körpereigener Abwehr können bereits Keime mit geringer Virulenz oder apathogene Keime, z.B. Keime der körpereigenen Flora, zur Erkrankung führen. Auch das klinische Bild hängt von der Effizienz der körpereigenen Abwehr ab: Bei einem Patienten kann zum Beispiel eine Infektion mit Meningokokken zu einer Meningitis, einer Meningoencephalitis, einer Meningitis mit Sepsis und einer Sepsis ohne Meningitis führen. Er kann aber auch nur an einer Pharyngitis – die sich üblicherweise einer mikrobiologischen Diagnose entzieht – an einer eitrigen Rhinitis, Urethritis oder Cervicitis erkranken.

Bei vielen Virusinfektionen, wie z.B. Masern, Varicellen, Hepatitis A und B, sind die Patienten bereits Tage vor dem Auftreten der klinischen Symptome ansteckend. Ist der Patient nach der Ansteckung aber vor Auftreten der klinischen Symptome bereits infektiös, bezeichnet man dies als die Latenzzeit. Den Zeitraum zwischen Ansteckung und Auftreten einer Infektionskrankheit bezeichnet man als Inkubationszeit. Mit der klinischen Heilung erwirbt der Patient einen mehr oder weniger langdauernden Schutz vor einer Neuinfektion. Für eine Reihe von viralen Mikroorganismen besteht ein lebenslanger Infektionsschutz, für andere Virusinfektionen ist die Dauer der Schutzwirkung jedoch bemerkenswert gering: Bei Respiratory Syncytial (RS)-Viren und Rotaviren hält der Schutz nur wenige Monate an. Reinfektionen verlaufen jedoch weniger akut als die Erstinfektion. Bei einem Rezidiv einer Harnwegsinfektion verläuft die Reinfektion klinisch umso weniger akut, je kürzer das Intervall zwischen Infektion und Reinfektion ist.

Kein lebenslanger Infektionsschutz besteht bei Pertussis. Beim Erwachsenen können Infektionen jedoch ohne die typischen Hustenanfälle
verlaufen, sondern nur mit einem über mehrere Wochen andauernden Husten.

Dass ein lebenslanger Infektionsschutz auch nach einer Maserninfektion besteht, kann heute nicht mehr mit Sicherheit angenommen werden.

Nachdem serologisch gesicherte Zweiterkrankungen im Jugend- und Erwachsenenalter beobachtet wurden, liegt der Schluss nahe, dass durch eine Wildvirus-Boosterung der Infektionsschutz bei älteren Kindern und Erwachsenen laufend wieder aufgefrischt wurde. Heute, wo Personen keine Boosterung durch erkrankte Kinder erfahren, könnte sich der Infektionsschutz nach Jahrzehnten wiederum abschwächen. Einerseits müsste man diesem Phänomen im Rahmen des Impfplanes für Erwachsene Rechnung tragen. Anderseits besteht aber die Chance, das Masernvirus als ausschließlich humanpathogenes Virus durch eine weltweite Impfkampagne vollständig zu eliminieren.

Bei Patienten nach antineoplastischer Therapie bzw. nach Knochenmarktransplantation besteht eine besondere Situation. Bei diesen Patienten ist bei Erreichen der Remission eine Wiederauffrischungsimpfung zuerst mit Tot- bzw. Toxoidimpfstoffen, nach voller Wiederherstellung der humoralen und zellulären körpereigenen Abwehr nach 15 Monaten auch mit attenuierten Lebendimpfstoffen indiziert.

Von Erregerpersistenz spricht man, wenn die Keime nach klinischer Besserung oder Heilung überleben. Die Persistenz eines Mikroorganismus im Körper eines asymptomatischen Trägers ist jedoch nicht harmlos, da diese zur Weiterverbreitung eines Keimes beitragen kann. Beispielsweise können Meningokokken bei einer Person lediglich als Besiedler des Nasen-Rachenraums vorliegen, bei einer anderen Person mit einer Verminderung der körpereigenen Abwehr jedoch zur Erkrankung führen.

Auf 1 Patienten mit einer invasiven Meningokokkeninfektion kommen mindestens 10 asymptomatische Träger.

Ein asymptomatischer Trägerstatus kann auch zum Schaden des individuellen Patienten beitragen. Wir haben beobachtet, dass Säuglinge in einer Kinderkrippe über Wochen mit H. influenzae-Kapseltyp b besiedelt waren und erst im Rahmen eines Virusinfektes an einer invasiven Infektion mit diesem Erreger klinisch erkrankten.

 

Virulenzfaktoren

Die Erforschung pathogenetischer Mechanismen, die den verschiedenen Infektionen zugrunde liegen, hat zu neuen therapeutischen und prophylaktischen Ansätzen bei einzelnen Infektionskrankheiten geführt.

Zwei Kategorien von Virulenzfaktoren können grob unterschieden werden:

  • Virulenzfaktoren, die den intensiven Kontakt eines Keimes mit der Schleimhaut vermitteln und damit die Besiedlung der Schleimhäute bzw. der Haut ermöglichen, sowie die Proliferation auf diesen Strukturen fördern
  • Virulenzfaktoren, die auch die Fähigkeit eines Keimes zur Invasion umfassen und eine Schädigung vitaler Strukturen des Wirtes durch Toxine herbeiführen

Besiedlung der Haut bzw. Schleimhäute
Beginn jeder Infektion ist die Besiedlung von Oberflächen d.h. der Haut oder Schleimhaut. Zu diesem Zweck muss ein Keim die Fähigkeit zur Adhärenz an spezifische Oberflächenstrukturen des Patienten haben. Erst dann kann die Proliferation erfolgen und der Keim Toxine, wie Enterotoxine oder verschiedene Zytotoxine an die entsprechenden Rezeptoren in relevanten Konzentrationen heranbringen (Abb. 3).

Die Bedeutung der Adhärenz wurde von Smith und Liggood im Zusammenhang mit der Bildung von Enterotoxinen am Beispiel von enterotoxischen E. coli untersucht. Virulenzfaktoren wie ST- (hitzestabiles Enterotoxin) und LT- (hitzelabiles En-terotoxin) Enterotoxin bzw. das für die Adhärenz verantwortliche Colonisationsfaktor-Antigen (CFA), werden durch Plasmide codiert. Wenn gentechnologisch diese Plasmide aus dem Zytoplasma entfernt werden, verliert der Keim die pathogene Eigenschaft im Tiermodell. Beide Faktoren sind gleichwertig in ihrer Bedeutung für die Pathogenität von enterotoxischen E. coli (ETEC). Dasselbe Prinzip gilt auch für die Pathogenität von enterohämorrhagischen E. coli (EHEC) und von zahlreichen anderen Keimen (z.B. Meningokokken, Salmonellen, Gonokokken etc.), dass nämlich Toxinbildung nur in Verbindung mit der Fähigkeit zur spezifischen Adhärenz an Schleimhäuten zu Erkrankung führt. Nicht haftende Stämme sind generell apathogen!

Die Adhärenz auf Seiten des Keimes wird durch Fimbrien oder Pili ermöglicht (Abb. 4).

Abbildung 3: EHEC an Intestinalepithelzellen des Schweines: Auflösung der Mikrovillusstruktur

Abbildung 4: E. coli mit Fimbrien

 


Fimbrien sind artspezifisch in erster Linie für gramnegative Enterobakterien, aber meist Serotyp-übergreifend.

Adhärenzstrukturen bestimmter pathogener Keime sind spezifisch für Rezeptoren, z.B. beim Menschen. Andere Keime haften nur an Epithelzellen bestimmter Tierarten: E. coli K88 haften nur an Epithelzellen von Jungferkeln, K99 an Kälbern. Entge-gen der Literatur haben wir jedoch Keime gefunden, die sowohl an Haftstrukturen von Tieren als auch von Menschen adhärieren, wie z.B. O78, der sowohl humanpathogen als auch tierpathogen ist.

EHEC sowie Salmonella enteritidis infizieren überwiegend Epithelzellen des terminalen Ileums. Die Keime haften in 10fach niedrigeren Konzentrationen in anderen Etagen des Intestinaltraktes, z.B. im Jejunum, aber auch im Colon. Bisher verwendete Modelle zur Untersuchung der Adhärenz von Keimen stützten sich auf Gewebskulturzellen von immortalisierten Tumorzellen unterschiedlichen Reifegrades. In diesen Modellen war es nicht möglich, diese pathogenetisch relevanten Besonderheiten der Adhärenz zu erfassen. Erst die Untersuchung der Adhärenz an Gefrierschnitten menschlichen Materials ergab eine weiterführende Einsicht (Abb. 5, 6).

Abbildung 5: Adhärenz von ETEC an der Schleimhaut des terminalen Ileums (Gefrierschnitt, Vergr. 800x)

Abbildung 6: Adhärenz und Invasion von Intestinalschleimhaut durch EPEC (Gefrierschnitt terminales Ileum vom Menschen, Vergr. 800x)

Die Rezeptoren für die Adhärenz von Keimen am Wirtsorganismus bestehen in erster Linie aus Makromolekülen, meist Glykoproteinen an der äußeren Zellmembran, die zur spezifischen Bindung an die Fimbrien der Keime befähigt sind. Fimbrien haften an diesen Kohlenhydratstrukturen, z.B. Tetrasacchariden der Globoserie, mit 3 Molekülen Galaktose (Abb. 7).

Abbildung 7: Rezeptorstruktur (Glykoprotein) von "p" fimbrientragenden E.coli, die für Infektionen des oberen Harntraktes verantwortlich zeichnen.

Untersuchungen zeigen, dass die Rezeptordichte auf bestimmten Schleimhäuten und in bestimmten Lebensabschnitten unterschiedlich ist. Auch bestehen individuelle Unterschiede der Rezeptordichte, die insofern klinische Relevanz erlangen, als Patienten mit einer hohen Rezeptordichte häufiger an Infektionen erkranken. Patienten mit rezidivierenden Streptokokkeninfektionen (> 3 bewiesene Streptokokkeninfektionen im Jahr) weisen statistisch im Vergleich (Matched-pairs-Technik) eine 5fach höhere Rezeptordichte für Streptokokken an Wangenschleimhautepithelzellen auf.

Eine höhere Rezeptordichte an Uroepithelien spielt auch bei rezidivierenden Harnwegsinfektionen eine pathogenetische Rolle. Die Adhärenz von Keimen, z.B. an Uroepithelien, kann in einem In-vitro-Modell untersucht werden. An aus dem Morgenharn gesunder Probanden gewonnener Uroepithelzellen haften normalerweise ca. 4-7 CFU E. coli/Epithelzelle. Bei Patienten mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen ohne Abflussbehinderung haften ca. 6-8fach mehr Keime pro Uroepithelzelle. Patienten mit urodynamischen Problemen wie vesikoureteralem Reflux, die trotz einer Antibiotikaprophylaxe häufige Rezidive aufweisen, haben ca. 5fach mehr auf Uroepithelzellen haftende Keime, während auf Uroepithelzellen von Patienten mit Reflux, aber ohne Rezidivneigung, eine „normale“ Adhärenz zu beobachten ist, ähnlich den Keimzahlen auf Epithelzellen von gesunden Probanden.

Adhärenzrezeptoren für Streptokokken der Gruppe A sind an Wangenschleimhautepithelien von Kindern in den ersten 12-18 Lebensmonaten nur in geringer Dichte vorhanden, Adhärenzrezeptoren für Streptokokken der Gruppe B werden überwiegend bei Neugeborenen, aber auch in der Genitalschleimhaut präpubertärer Mädchen, kaum jedoch an Wangenschleimhautepithelien von Säuglingen nach dem ersten Trimenon gefunden.

Adhärenzrezeptoren für Mycoplasma pneumoniae an terminalen Bronchiolen treten erst ab dem 3. Lebensjahr auf. Deshalb erkranken Patienten erst ab dem Alter von 3-3 1/2 Jahren an einer Mykoplasmen-Pneumonie. Infektionen bei jüngeren Kindern verlaufen klinisch unter dem Bild einer Pharyngitis, Laryngitis oder Bronchitis.

Auch andere, für die enge Bindung an die Zelle verantwortliche Haftstrukturen sind neben den Fimbrien, die den Initialkontakt des Keimes mit der Wirtszelle vermitteln, erforscht worden. Es sind dies z.B. die M-Proteine, welche die Penetration eines Keimes in die Epithelzelle und die Motilität vermitteln. Andere Faktoren sind für die Ausbreitung von Keimen auf Schleimhäuten verantwortlich und ermöglichen Keimen, die schützende Schleimschicht zu durchdringen. Zahlreiche pathogene Keime, z.B. Salmonella spp., bilden Invasine, die an Integrinen an basolateralen Oberflächen von intestinalen Epithelzellen binden und so die Invasion der Schleimhaut ermöglichen.

Andere Haftstrukturen bestehen für grampositive Kokken: Es sind dies nichtfibrilläre Adhäsine, z.B. das Protein F von Streptococcus pyogenes, mit dem der Keim an Fibronektin der Mundhöhlenschleimhaut adhäriert. Die Fibrillen, haarähnliche Strukturen, scheinen nicht für die Adhärenz verantwortlich zu sein.

Die Toxin-Bildung wird häufig durch Plasmide vermittelt. Plasmide sind extrachromosomale DNA-Strukturen in der Bakterienzelle, in denen bestimmte Eigenschaften codiert sind, z.B. die Bildung von Proteinen (Toxinen). Da Plasmide von einem Serotyp auf einen anderen, z.B. durch Sexpili, übertragen werden können, sind diese Virulenzfaktoren nicht an bestimmte Serotypen gebunden. So ist die Bildung von Verotoxin, verantwortlich für das hämolytisch urämische Syndrom bei EHEC, nur zu 50% mit dem Stamm O 157 assoziiert. Auch andere E. coli-Stämme wie O 55 und O 126 können die Bildung von Verotoxin übernehmen.

Zu den weiteren pathogenetischen Faktoren von Keimen gehören z.B. Siderophore, die bakteriellen Mikroorganismen Eisenquellen erschließen, welche diese zum besseren Wachstum und zur Bildung von Virulenzfaktoren benötigen. Manche Keime, wie z.B. H. influenzae oder S. pneumoniae, bilden eine Polysaccharid-Schleimkapsel. Bekapselte Stämme von H. influenzae und Pneumokokken sind für invasive Infektionen wie Meningitis, Epiglottitis, Sepsis und Bakteriämie verantwortlich. Durch die Polysaccharidkapsel können sich die Keime gegen Phagozytose schützen, was ihnen einen Überlebensvorteil bietet.

Den Wirtsorganismus schädigende Virulenzfaktoren
Toxisch wirkende bakterielle Proteine, die von gramnegativen und grampositiven Keimen nach außen abgegeben oder bei Lyse der Bakterienzelle nach außen entleert werden, bezeichnet man als Exotoxine. Sie unterscheiden sich von den Endotoxinen, die als Lipopolysaccharide Bestandteile der gramnegativen Zellwand darstellen.

Von diesen Exotoxinen gehen eine Reihe von toxischen Wirkungen aus:

  • Zytotoxine betreffen unspezifisch eine Reihe von verschiedenen Zellen
  • Neurotoxine betreffen in erster Linie Nervenzellen oder die motorische Endplatte (Botulinustoxin, Tetanustoxin)
  • Hepatotoxine zerstören spezifisch Leberzellen bzw. die Kupffer´schen Sternzellen
  • Leukotoxine schädigen weiße Blutkörperchen
  • Kardiotoxine betreffen entweder die quergestreifte Herzmuskulatur oder das Reizleitungssystem

Ein Zytotoxin, das Diphtherietoxin hemmt z.B. die Proteinsynthese der Zelle, indem es die ADP-Phosphoribosylgruppe von NAD abtrennt und so den Elongationsfaktor, den Wachstumsfaktor der Zelle ausschaltet. Bereits ein einziges Molekül des Diphtherietoxins kann eine Zelle zerstören; deshalb gehört dieses Toxin zu den toxischsten Produkten in der Natur.

Die Zerstörung von Zellmembranen kann von Exotoxinen bewirkt werden: Das Toxin wird in die Zellmembran eingebaut und eröffnet dort Kanäle, durch die vitale Zellbestandteile verloren gehen. Das alpha-Hämolysin von E. coli öffnet z.B. Kalziumkanäle der glatten Muskulatur der Blase und der Ureteren. Es kommt durch den Kalziumverlust initial zu heftigen Kontraktionen der glatten Muskelzelle – klinisch als Tenesmen der Blasenmuskulatur erkennbar. In weiterer Folge führt das alpha-Hämolysin durch Lähmung der glatten Muskelzelle zur Ureteratonie und Detrusorschwäche mit inkompletter Entleerung der Blase und Restharnbildung. In der Schwangerschaft führt dieses Toxin bei Harnwegsinfektionen durch E. coli zu vorzeitigen Kontraktionen des Uterus, wodurch eine erhebliche Zunahme des Risikos einer Frühgeburt entsteht.

Ein anderer Mechanismus der Membranschädigung ist die Bildung von Phospholipasen der Zellmembran, die eine Zelllyse bewirken. Da die meisten Zellen Phospholipide in der Zellmembran enthalten, wirken diese Phospholipasen auf zahlreiche Zellen zytotoxisch. Am besten bekannt sind Hämolysine.

Bei Harnwegsinfektionen besteht ein weiterer pathogenetischer Faktor darin, dass vorübergehend Hormonrezeptoren blockiert werden. Aldosteronrezeptoren können durch Coli-Toxine blockiert werden, was zu einem vorübergehenden Pseudohypoaldosteronismus mit Hyponatriämie und Hyperkaliämie führt. Auch die ADH-Rezeptoren können durch Coli-Toxine blockiert werden, wodurch es zu einem Pseudodiabetes insipidus oder zu einer distalen/proximalen tubulären Azidose kommen kann.

Superantigene führen über einen weiteren Mechanismus zu toxischen Reaktionen: Sie binden in kleinen Mengen an „major histocompatibility complex II“ (MHCII) und an T-Zellrezeptoren und führen zu einer überschießenden Ausschüttung von Interleukin II und Zytokinen mit Gewebsschädigung, Kreislaufzusammenbruch bis hin zum Multiorganversagen.

Nahrungsmittelintoxikationen, z.B. durch Staphylokokken-Enterotoxine, sind bekannte weitere Toxinwirkungen. Sie führen im Darm zu einer profusen Flüssigkeits- und Elektrolytsekretion. Ein ähnlicher Mechanismus ist auch beim Cholera-Toxin und beim E. coli hitzelabilen Enterotoxin (LT) beschrieben, das zur maximalen Steigerung normaler Sekretionsmechanismen in den Lieberkühn´schen Krypten ohne Entzündungsreaktion führt. Innerhalb von wenigen Stunden kann ein Patient dadurch bis zu 12-14% des Körpergewichtes verlieren. Schwerste Zeichen der Dehydratation, Azidose und Kreislaufzusammenbruch sind die Folge.

Hydrolytische Enzyme, die Gewebe auflösen und so das Vordringen und die Ausbreitung von Bakterien begünstigen, können von bestimmten pathogenen Bakterien produziert werden (z.B. Streptokinase und Streptodornase der Streptokokken, Hyaluronidase der Staphylokokken). Der pathologische Effekt, der von diesen Keimen ausgeht, ist oft schwer von der Gewebszerstörung durch Phagozyten zu unterscheiden.

Manche Bakterien provozieren autoimmunologische Phänomene: Bakterielle Proteine, z.B. so genannte „Heat-shock-Proteine“, besitzen Epitope, die einen ausreichend großen Unterschied zu Wirtszellen aufweisen, um eine Immunantwort auszulösen, aber doch ähnlich genug sind, dass Antikörper und T-Lymphozyten auch körpereigenes Gewebe angreifen.

Funktionelle Störungen körpereigener Funktionen, z.B. durch physiologische Flora, die plötzlich an normalerweise sterilen Stellen auftritt (Fehlbesiedlung), stellen einen wesentlichen, vielfach unterbewerteten Pathomechanismus dar. Dieser Mechanismus spielt bei akuten, besonders aber protrahierten Durchfallerkrankungen eine besondere Rolle. Der Dünndarm ist vom Ligamentum Treitz bis 30 cm vor der Bauhin´schen Klappe steril. Im Rahmen von Virusinfekten oder bei gestörter Peristaltik durch Überlastung des Darmes mit Nahrung (Toleranzüberschreitung) kommt es zur Fehlbesiedlung oberer Dünndarmabschnitte mit normaler (physiologischer) Flora. Diese Flora führt dann zu funktionellen Störungen der Verdauung und Resorption:

Normale Flora in Konzentrationen von 3-5 log 10 an normalerweise sterilen Darmabschnitten führt

  • zur Entleerung der Disaccharidasespeicher und damit zuerst zur Lactoseintoleranz, in der weiteren Folge zur Intoleranz aller Disaccharide und zuletzt zur Glukoseintoleranz. Damit werden Kohlenhydrate nicht mehr gespalten und resorbiert, sondern vergärt. Die Folge ist eine osmotische Diarrhoe.
  • zur Dekonjugation bzw. Dehydroxylation von Gallensäuren. Chenodesoxycholsäure ist normalerweise zur Mizellenbildung an Glycin oder Taurin gekoppelt. Im terminalen Ileum wird die Aminosäure durch Enzyme bakterieller Mikroorganismen (Lactobacillen, Veillonellen etc.) abgespalten, die wertvollen Gallensäuren im enterohepatischen Kreislauf wiederum in die Leber rückresorbiert. Geschieht dies bereits im Jejunum durch Aufsteigen anaerober Keime aus der physiologischen Ileum-Darmflora in normalerweise sterile Darmabschnitte, ist keine Mizellenbildung und damit auch keine Fettresorption möglich.
  • zur Dihydroxy-Chenodesoxycholsäure durch Dehydroxylation der Trihydroxy-Chenodesoxycholsäure an der 7a-Stelle. Dihydroxy-Chenodesoxycholsäure führt als toxisches Produkt zu wässrigen Durchfällen.
  • zur Hydroxylation der häufigsten Fettsäure der Nahrung, der Ölsäure, durch dieselben Bakterien. Es entsteht ein toxisches Produkt, die 10 OH-Stearinsäure, mit ähnlicher Wirkung wie Rizinolsäure.

Überwucherung des Nahrungsbreies mit normaler Flora kann zur Bildung biogener Amine führen, z.B. von Putrescin, Cadaverin etc., die die Resorption von Wasser beeinträchtigen.

Ursachen für eine Fehlbesiedlung sind im Wesentlichen gestörte Peristaltik und besondere Adhärenz dieser Mikroorganismen bei Besiedlung von höher liegenden Darmabschnitten.

Der Mechanismus der Fehlbesiedlung kann auch bei intensivgepflegten, künstlich beatmeten Patienten entstehen, postoperativ, nach Polytrauma oder bei eingeschränkter körpereigener Abwehr, wenn es zu einer Überwucherung oberer Dünndarmabschnitte mit gramnegativen Enterobakterien kommt.

Die mikrobielle Translokation aus dem Intestinaltrakt stellt einen weiteren wesentlichen Pathomechanismus nosokomialer Infektionen (Sepsis, Pneumonie, Harnwegsinfektionen, Durchfallerkrankungen) und des Multiorganversagens bei intensivgepflegten Patienten dar.

Bei Störung der intestinalen Epithelzellbarriere, z.B. verursacht durch Minderperfusion bei eingeschränkter Kreislaufsituation wegen großer Blut- und Flüssigkeitsverluste, oder aufgrund verminderter körpereigener Abwehr oder ausgelöst durch Hypoperistaltik, können lebende Mikroorganismen die Epithelzellbarriere überwinden und in Mesenteriallymphknoten und in weiterer Folge in die Blutbahn eindringen. Aber nicht nur lebende, sondern auch abgestorbene Mikroorganismen oder bakterielle Abbauprodukte, wie Bestandteile der Zellwand, penetrieren die Epithelzell-barriere und führen zu Aktivierung von Zytokinen, Leukotrienen und der Komplementkaskade, die zusammen wiederum ihrerseits die Epithelzellbarriere schädigen. Dieses Geschehen wird als Systemic Inflammatory Response Syndrom (SIRS) bezeichnet. In der weiteren Folge kommt es zur Sepsis bzw. Multiorganversagen. Auch anatomische Lücken sowie eine Änderung der bakteriellen Flora begünstigen die mikrobielle Translokation.

Die Probleme bei der nosokomialen Sepsis bestehen einerseits in der hohen Morbidität durch das Auftreten multiresistenter Mikroorganismen, die den Einsatz von Breitspektrum-Antibiotika nötig macht, sowie anderseits in einer Letalität von bis zu 50%.

Die Antwort auf die neuen Erkenntnisse der Pathomechanismen von SIRS, Sepsis und Multiorganversagen sind therapeutische Optionen in Richtung von Maßnahmen zur Blockierung der bakteriellen Translokation. Als eine einfache und effiziente therapeutische Maßnahme hat sich der frühzeitige Beginn einer enteralen Ernährung in Form von Sondennahrung mit Zugabe von Omega-3-Fettsäuren erwiesen. Damit kann einerseits der Protein-Kalorien-Malnutrition entgegengewirkt und der anabole Stoffwechselstatus gestoppt werden, anderseits eine mechanische „Waschfunktion“ oberer Dünndarmabschnitte zur Verhinderung der bakteriellen Translokation erreicht werden. Mit der Zugabe von Arginin und Glutamin zur Sondennahrung wird dem Körper bei der Reparatur der geschädigten Schleimhaut geholfen.

Als sehr effiziente Maßnahme zur Verhinderung der bakteriellen Translokation hat sich im Tiermodell (IL-6-knock-out-Mäuse) die Zugabe von Galacturoniden als Rezeptoranaloga zur Blockierung der Anlagerung von Keimen am Darmepithel erwiesen. Diese sauren Di- und Tri-Galakturonide, die in sehr ähnlicher Weise auch in der Muttermilch vorkommen, blockieren bereits in Konzentrationen von 0,1% die Adhärenz zahlreicher pathogener Mikroorganismen an der Schleimhaut. Klinische Studien, die einen Rückgang der nosokomialen Sepsis und des Multiorganversagens durch eine „antimikrobielle“ Sondennahrung zeigen sollen, werden gegenwärtig durchgeführt.

Die Blockierung von Effektormolekülen wie z.B. die Verabreichung von monoklonalen Antikörpern gegen TNF, wasserlöslichen TNF-Rezep-toren, IL-1-Rezeptor-Antagonisten, hat hingegen zu keinen sichtbaren therapeutischen Verbesserungen geführt.

Pathomechanismen bei viralen Infektionen
Eine viral bedingte Epithel-Schädigung bei der Rhinitis führt zu einer erheblichen Veränderung der Schlagfrequenz und Schlagrichtung der Flimmerhaare, wodurch die Transportrate von ca. 7,5 mm/min auf weniger als 4 mm/min sinkt. Im weiteren Verlauf lösen sich die Zilien ab, Epithelzellen werden vakuolisiert und sterben schließlich ab. Es handelt sich um einen zwar geringen, aber disseminierten Epithelverlust. Ulcera, fibrinöse Auflagerungen und Blutungen sind die Ausnahme. Wenn vorhanden, weisen sie auf bakterielle Erreger wie Streptokokken, Pneumokokken, Corynebacterium diphtheriae hin. Blutig seröser Schnupfen beim Neugeborenen ist pathognomonisch für Lues connata.

Mikroskopische Befunde am Epithel sind spärlich: gesehen werden verklumpte Flimmerhärchen bzw. entblößte Zelloberflächen mit zahlreichen adhärierenden Keimen.

Eine Entzündungsreaktion geht von geschädigten Zellen des Epithels aus. Diese sezernieren Entzündungsmediatoren, wie Bradykinin, Histamin, Serotonin, Leukotriene und Prostaglandine, die zugleich auch potente vasoaktive Stoffe darstellen. Ein wichtiger Bestandteil der Entzündungsreaktion ist die Erweiterung der Arteriolen durch eine verringerte Aktivität sympathischer, vasokonstriktorischer Nerven im Bereich der Arteriolen und Vasokonstriktion des venösen Abflusses. Dadurch resultiert eine Schwellung venöser Sinusoide, die eine Anschwellung der Nasenschleimhaut bedingt. Außerdem führen diese Mediatorsubstanzen initial zu einem profusen wässrigen Sekret, das innerhalb von 2-3 Tagen durch vermehrte Aktivität der Becherzellen in ein dickes, zähes Sekret übergeht. Dies beruht auf einer durch die Virusinfektion bedingten Verminderung nasaler Enzyme, die das Bradykinin spalten. Das Bradykinin fördert aber auch die Transsudation durch eine Schrankenstörung der Epithelzellbarriere. Gleichzeitig fördern diese Mediatorsubstanzen auch die Entwicklung einer Hyperplasie der Schleimhaut.

Die submuköse Schwellung der Nasenschleimhaut führt zu einer Obstruktion physiologischer Öffnungen, die den Abfluss der Nasennebenhöhlen über die mittlere Nasenmuschel beeinträchtigt. Alle diese Faktoren begünstigen durch die profunde Störung der mukoziliären Clearance eine bakterielle Besiedelung und Infektion.

Virusinfektionen, z.B. Infektionen mit Herpesviren, Cytomegalieviren, führen zu zytotoxischen Reaktionen auf Epithelzellen der Schleimhäute, der Leberzellen, der Nervenzellen im Gehirn etc.

Virusinfektionen von Organtransplantaten, z.B. durch Zytomegalieviren, führen durch Bildung von antigenen Strukturen im Transplantat zur Transplantatabstoßung.

 

Faktoren der körpereigenen Abwehr

Bereits lange vor der Geburt ist der Körper im Mutterleib dem kontinuierlichen Angriff bakterieller und viraler Mikroorganismen sowie Pilzen ausgesetzt. Zur Abwehr dieser ständigen Bedrohung haben sich phylogenetisch eine Vielzahl von höchst erfolgreichen Abwehrmechanismen entwickelt.

Spezifische Abwehr-Mechanismen
Eine Reihe von spezifischen Mechanismen der Abwehr ist zu unterscheiden:

  • Die humorale Immunität umfasst die Bildung der verschiedenen Antikörperklassen inklusive der IgG-Subklassen und des Sekretions-IgA;
  • die zelluläre Immunität wird gebildet aus den verschiedenen T-Lymphozytenpopulationen wie T-Helferzellen, Killerlymphozyten etc. und den Rezeptoren, die für die Antigenerkennung und Antigenpräsentation wichtig sind;
  • die Komplementfaktoren und andere Signalpeptide wie TNF-, Interleukine, die für Chemotaxis, Phagozytose und die Bildung zytolytischer Komplexe, den Membranangriffskomplex C5b-C9 verantwortlich sind und die Aktivierung, Proliferation und Differenzierung von T-Lymphozyten vermitteln sowie
  • das Phagozytosesystem mit Granulozyten und Makrophagen, welche die als fremd erkannten Mikroorganismen abtransportieren.

Eine spezifische Immunität wird nach dem Erstkontakt des Organismus mit einem Krankheitserreger erworben. Die aktive Immunität entwickelt sich innerhalb weniger Tage bis Wochen, hält aber, je nach Erreger, über Monate bis Jahre an und zeigt den so genannten Memory-Effekt, der zu einer raschen Neubildung und intensiven Auffrischung von Abwehrmechanismen bei erneutem Kontakt führt. Die Stimulation der aktiven Immunität ist auch durch die meist parenterale Verabreichung von lebenden, mitigierten oder abgetöteten Mikroorganismen bzw. deren Exotoxinen in Form der Impfung möglich.

Eine passive Übertragung von Antikörpern der IgG-Klasse erfolgt diaplazentar in den letzten Wochen der Schwangerschaft und spielt beim Neugeborenen eine wichtige Rolle: Diese Übertragung begründet vor allem die humorale Immunität. Durch die Muttermilch werden Antikörper, aber auch aktivierte T-Lymphozyten übertragen. Die parenterale Verabreichung von Immunglobulinen verleiht dem Patienten einen vorübergehenden Schutz, der einige Wochen anhält.

Es sind zahlreiche angeborene und erworbene Defekte dieser Abwehrmechanismen beschrieben. Defekte der spezifischen Abwehr führen zu häufigen und oft schweren bis lebensbedrohenden Infektionen. Sie sind für rezidivierende Infekte, d.h. das häufig kranke Kind, jedoch nur in > 2% der Patienten verantwortlich. Defekte der spezifischen körpereigenen Abwehr sind durch Infekte in verschiedenen Organsystemen mit zum Teil unüblichen Keimen, protrahiertem Verlauf und nahezu obligat durch Gedeihstörung gekennzeichnet.

Von besonderer Bedeutung für rezidivierende Infekte im Kindesalter ist die unspezifische Mukosa-assoziierte Immunität, das Mukosa-assoziierte Lymphatische Gewebe (MALT) und die erst kürzlich entdeckte angeborene Abwehr.

Unspezifische Abwehr
Abwehrmechanismen, die man unter die unspezifische Abwehr einordnet, sind vielfach vorhanden. Sie beste-hen u.a. in physikalischen und biologischen Schutzmechanismen und äußern sich als natürliche Resistenz einer Spezies, z.B. des Menschen. Diese Mechanismen sind zwar wesentlich weniger spektakulär, aber höchst effizient und für die Abwehr zu Beginn einer Infektion verantwortlich.

Mechanische Barriere- und Klärfunktion
Eine natürliche mechanische Barriere gegen Noxen aller Art wird durch Haut und Schleimhäute gebildet. Die Gesamtoberfläche aller Schleimhäute mit 350 m2 beim Jugendlichen spielt als Grenzfläche eine große Rolle. Die Nase reinigt täglich 10.000 bis 20.000 l Atemluft. Nur wenige Partikel, die größer als 10 µm sind, können ungestört die Filterfunktion der Nase passieren.

Anders als die Haut, die sich mit einer Schicht toter Zellen, dem verhornenden Plattenepithel schützt, ist die Schleimhaut von einer schützenden Schleimschicht bedeckt. Die Schleimschicht, bestehend aus Glykoproteinen, ist aufgebaut aus einer flüssigen Solschicht und einer viskösen Gelschicht, in der Mikroorganismen gefangen werden. Das Flimmerepithel und die darauf wie ein Teppich liegende Schleimschicht transportieren ständig die abgelagerten Staub-Partikelchen, Viren, Bakterien, Pilze und Antigene (z.B. Allergene) nach außen. Die Flimmerhaare (Zilien) schlagen mit einer Frequenz von ca. 3-5 Schlägen pro Sekunde und bewegen die Schleimschicht in einer Minute ca.
0,7 Zentimeter in Richtung nach außen. Man bezeichnet diese Reinigungsfunktion als die mukoziliäre Clearance. Die Viskosität der Schleimschicht ist von grundlegender Bedeutung. Wenn die Solschicht eine zu hohe Viskosität aufweist, wie sie bei Virusinfektionen oder auch bei trockener Umgebungsluft entsteht, wird der Zilien-Schlag gehemmt und die Zilien können den zähflüssigen Schleim nicht mehr transportieren. Stase des Schleimes begünstigt die Entstehung einer Infektion. Bei zu dünnflüssigem Schleimteppich werden die Partikelchen in der Gelschicht nicht mehr gefangen und auf der Schleimhaut verbleibende Mikroorganismen können virulent werden. Ein wesentlicher Virulenzmechanismus ist die Motilität der Bakterien, durch die sie die Schleimschicht durchdringen und sich an Membranrezeptoren der Epithelzellen anlagern können (Abb. 8).

Abbildung 8: Aufbau der regulären Schleimschicht mit Sol- und Gelphase

Zwei Schutzmechanismen der Nase bzw. der oberen Bronchialschleimhaut kennt jeder: Physikalische und chemische Reize der sensorischen Nerven der Nase lösen eine heftige wässrige Sekretion aus. Reizende Stoffe werden auf diese Art von der Nasenschleimhaut gespült. Wenn Schleimhautepithelzellen mit bakteriellen oder viralen Mikroorganismen besiedelt sind, kommt es zu einer Abstoßung der gesamten Zelle inklusive der anhaftenden Organismen. Durch den Niesreflex oder Hustenreflex werden reizende Stoffe, Bakterien und Epithelzellen ausgeschleudert.

Eine reguläre Belüftung der Schleimhäute und ein ungehinderter Sekretfluss sind daher notwendigerweise wesentliche Faktoren der unspezifischen Abwehr. Durch eine Vergrößerung der Rachenmandeln kann es zu einer gestörten Belüftung der Nasenschleimhaut mit einer persistierenden chronischen Infektion der Nasenschleimhäute und der angrenzenden Strukturen (Nasennebenhöhlen) kommen.

In ähnlicher Weise wie bei der mukoziliären Clearance der Atemwegsschleimhaut ist eine reguläre Peristaltik des Intestinaltrakts zur Verhinderung von Stase und damit der Fehlbesiedlung oberer normaler steriler Dünndarmabschnitte wesentlich.

Im Harntrakt ist die restharnfreie Entleerung zur Verhinderung von Infektionsrezidiven von entscheidender Bedeutung. Sie ist bei vesikoureteralem Reflux, aber auch bei Detrusorschwäche bzw. Harnröhrenklappen oder Engstellen beeinträchtigt.

An der Oberfläche wirksame antimikrobielle Substanzen
Schweiß und Talgdrüsen auf der Haut, wie auch andere Körpersekrete, z.B. Tränenflüssigkeit, Speichel und der saure Magensaft, wirken aufgrund ihres sauren pH-Wertes und verschiedener biologischer Substanzen (Fettsäuren, Lysozym) antimikrobiell. Der Schleim der Nase enthält bakteriostatische Substanzen wie Lactoferrin und Lysozym, Siderophore, die Eisen speichern, aber auch Kohlenhydratstrukturen als Rezeptoranaloga, mit denen Keime im Schleim fixiert werden.

Auch intestinale Enzyme, wie Pankreasenzyme und Gallensäuren, besitzen antimikrobielle Wirksamkeit. Von Gallensäuren wissen wir, dass sie die äußerste Hülle der Rotaviren angreifen, dadurch sind diese Mikroorganismen nicht mehr imstande, an der Schleimhaut zu adhärieren und sind dadurch im Stuhl weniger infektiös als im Nasensekret. Voll infektionstüchtige Rotaviren werden überwiegend im Nasen-Rachen-Sekret ausgeschieden und als Tröpfcheninfektion weiterverbreitet.

Der Schleim enthält auch Sekretions-IgA, das vorwiegend gegen Oberflächenstrukturen von Keimen gerichtet ist und ebenso die Adhärenz von Keimen an Epithelzellen blockiert.

Die Mukosaimmunität
Granulozyten können Bakterien durch Phagozytose eliminieren. Untersuchungen der antibakteriellen Aktivität von Granulozyten haben gezeigt, dass die Bindung von E. coli an Granulozytenrezeptoren durch Degranulation von protease- und myeloperoxidasehaltigen Vesikeln zur Abtötung adhärenter Bakterien auch ohne Phagozytose führt. In ähnlicher Weise führt auch die Adhärenz bakterieller Mikroorganismen, insbesondere E. coli, an Mukosazellen zur Suppression der Proliferation der Bakterien und zur Bakterizidie. Der Rezeptor-Ligand-Komplex vermittelt nicht nur den Bakterien-Zellkontakt, sondern initiiert auch eine Aktivierung der Zielzelle über verschiedene Wege der Signaltransduktion. Dabei werden sekundäre Botenstoffe wie Calcium und cAMP intrazellulär freigesetzt. Zusätzlich kommt es auch zu einem intrazellulären Calcium Shift und einer Ansäuerung der Epithelzelle.

INF-beta, TNF-alpha oder NO (Stickstoff-Monoxyd), die durch die Epithelzelle gebildet werden, kommen dabei als bakterizide Substanzen in Frage. Svenson konnte in Uroepithelzellen und in Bronchialepithelzellen die Induktion von Zytokinen nach Bindung von MR(p)-Fimbrien an den Glykolipidrezeptor zeigen. Dies veranlasst die Epithelzelle zur Bildung von IL-6 und IL-8. Verstärkt wird die von der E. coli-Adhärenz induzierte Epithelzellaktivierung durch lokal sezernierte Prostaglandine.

Im flüchtigen Radikal NO kann die bakteriotoxische Eigenschaft vermutet werden. Sie ist in Makrophagen und Monozyten bereits als humoraler Abwehrmechanismus gegenüber intrazellulär gelegenen Bakterien und Tumorzellen nachgewiesen worden. Im Tiermodell wurde bei alveolären Makrophagen NO im Zusammenhang mit der natürlichen Abwehrfunktion gegenüber Klebsiellen in der Lunge nachgewiesen. Auch bei Infektion mit Salmonella typhimurium konnte die antimikrobielle Bedeutung des von Epithelzellen gebildeten NO gezeigt werden.

Weitere antimikrobielle Peptide sind ebenfalls in Betracht zu ziehen. Defensine sind kleinmolekulare Proteine mit einem Molekulargewicht von ca. 5.000 Dalton, die aus 38-42 Aminosäuren zusammengesetzt sind. Sie bohren Poren in die Zellwand und lösen damit eine Kolliquationsnekrose aus. Die Exkretion von beta-Defensin aus Epithelzellen der Trachea und Bronchien nach Adhärenz bakterieller Mikroorganismen bzw. Kontakt mit LPS konnte nachgewiesen werden. beta-Defensin besitzt antimikrobielle Aktivität gegen ein breites Spektrum bakterieller und viraler Mikroorganismen sowie Pilze. Die Wirksamkeit besteht aber nur gegen ein kleines Inokulum (< 2-3 Keime/Epithelzelle).

Alle diese Untersuchungen zeigen, dass Mukosazellen neben ihrer Barrierefunktion auch antibakterielle Fähigkeiten besitzen, ähnlich den alveolären Makrophagen. Diese Schutzfunktion wird als unspezifische Mukosaimmunität bezeichnet. Mukosaepithelzellen der „inneren“ Grenzfläche sind an der Kontrolle der bakteriellen Besiedlung beteiligt. Dieses Prinzip eignet sich aber in erster Linie zur Regulierung der Besiedlung durch schwach virulente Erreger und niedrige Keimzahlen, die kommensal im Oropharynx bzw. bei Tröpfcheninfektion, im Gastrointestinaltrakt und im Urogenitaltrakt vorkommen. Zur Abwehr hochvirulenter Pathogene sind unspezifisch gerichtete Defensine wahrscheinlich zu schwach.

Die natürliche, angeborene Immunität
Zwischen der spezifischen induzierten und der unspezifischen angeborenen Abwehr besitzt der Körper noch ein Bindeglied, das auch gegen hochpathogene Erreger einen natürlichen angeborenen Schutz vermittelt. Man nennt dies die natürliche Immunität. Die zentrale Rolle der natürlichen Immunität besteht in der Fähigkeit von Zellen des angeborenen Immunsystems, infektiöse Keime zu erkennen und von körpereigenem Gewebe und Eukaryonten zu unterscheiden. Makrophagen und Monozyten besitzen die für die Erkennung pathogener Mikroorganismen nötigen Rezeptoren.

Mikrobielle Strukturen, die durch das natürliche Immunsystem erkannt werden, haben ein generelles Molekülmuster, das keine Variabilität im Rahmen der Antigenvariabilität aufweist. Diese Strukturen bestehen überwiegend aus Kohlenhydraten, die essentiell für pathogene mikrobielle Zellfunktionen sind und sich absolut von den Kohlenhydraten in der Zellwand von Eukaryonten unterscheiden. Sie werden als pathogen assoziierte Molekularmuster (PAMPs - pathogen associated molecular patterns) bezeichnet und umfassen die Lipopolysaccharide gramnegativer Bakterien und Lipoteichonsäure grampositiver Keime oder die doppelsträngige RNA vieler RNA-Viren. Der infizierte Wirtsorganismus verfügt über Abwehrzellen, die eine Reihe von Rezeptormolekülen besitzen. Diese erkennen die PAMPs und leiten daraufhin eine rasche Abwehrreaktion des spezifischen Immunsystems ein. Die Erkennungsmoleküle weisen eine breite Spezifität auf, sind im Bronchialtrakt und Gastrointestinaltrakt positioniert und werden als Pattern recognition receptors (PRR) bezeichnet (Medzhitov).

Das Mannose-bindende Lectin (MBL) ist ein spezielles, besonders vielseitiges Molekül der natürlichen Abwehr. Es weist funktionelle Analogie zu IgM, IgG und C1q auf und wirkt als Art Universalantikörper, induziert als Opsonin die Phagozytose und stimuliert den klassischen Weg der Komplementaktivierung.

Das natürliche und angeborene Abwehrsystem ist zusammen mit den unspezifischen mechanischen Klärfunktionen sehr effizient und vernichtet wahrscheinlich die Mehr-heit der Infektionserreger an der Epitheloberfläche, bevor das spezifische Immunsystem auf den Plan gerufen wird.

Häufig wird eine intakte Flora als wesentlicher Bestandteil der körpereigenen Abwehr in ihrer Bedeutung unterschätzt. Keime, die an Oberflächen haften, sind in permanenter Kompetition um Nahrungsstoffe. Zahlreiche Bakterien sind auch imstande, Bakteriozine und Pyocine zu bilden, die das Wachstum anderer Keimspezies unterdrücken. Eine stabile Flora unterdrückt z.B. das Anwachsen potentiell pathogener Mikroorganismen. Bei Destabilisierung der Flora durch Antibiotika können fremde Keime leichter Schleimhäute kolonisieren.

Beispiel ist die Infektion/Besiedlung des Intestinaltraktes mit Salmonella enteritidis. Untersuchungen konnten zeigen, dass mehr als 106 Keime von Salmonella enteritidis nötig sind, um eine Infektion hervorzurufen. Wenn man unspezifisch die Intestinalflora z.B. durch parenterale Gabe eines Aminoglykosids stört, sind bereits 1.000 Keime für eine Infektion ausreichend.

Klinische Relevanz bei der unkritischen Gabe eines Antibiotikums bei der Behandlung eines Virusinfektes: Durch die Gabe eines Antibiotikums kann oft die bakterielle Superinfektion nicht verhindert werden. Die Infektion findet dann möglicherweise 1-2 Tage später mit einem auf das verabreichte Antibiotikum resistenten Keim statt. Die Gabe des Antibiotikums kann den klinischen Krankheitsverlauf verschleiern und evtl. zu einer chronisch schwelenden Infektion Anlass geben.

Ob die Verabreichung von Probiotika, d.h. apathogenen Bakterienkulturen, imstande ist, eine Besiedelung des Intestinaltraktes mit pathogenen Mikroorganismen zu verhindern, ist nicht zweifelsfrei belegt. Lactobacillus acidophilus zeigt eine langsame Proliferation über 48 Stunden, benötigt ein spezielles Nährmedium und proliferiert am besten bei Zimmertemperatur. Um die entsprechenden Plätze an der Darmschleimhaut zu besetzen, sind unphysiologisch große Mengen nötig. In eigenen Untersuchungen konnten wir feststellen, dass die Besiedelung des terminalen Ileums mit Lactobacillus acidophilus nicht imstande ist, die gleichzeitige oder nachfolgende Besiedelung mit EHEC, ETEC und Salmonella enteritidis zu verhindern (Abb. 9).

Abbildung 9: Adhärenz von Lactobacillus acidophilus und EHEC am Gefrierschnittmodell des terminalen Ileums vom Menschen. Eine Besiedelung des Gefrierschnittes mit Lactobacillen konnte die nachfolgende Adhärenz von EHEC und Besiedelung nicht verhindern. Lactobacillus acidophilus: feine rötliche fibrilläre Strukturen; EHEC: dunkelblaue, kurze Stäbchen, Färbung nach Giemsa

Störung der unspezifischen Abwehr
Virusinfektionen oder eine anatomische Fehlbildung lösen häufig funktionelle Störungen der unspezifischen körpereigenen Abwehr aus. Wenn z.B. der reguläre Aufbau der Schleimschicht in Sol- und Gelschicht mit eng definierter Viskosität sowie einer regulären, ostiumgerichteten Zilienfunktion durch virale Infektionen der Schleimhäute und durch die oft daraus resultierende bakterielle Superinfektion nachhaltig gestört wird, kommt es zu einer Störung der mechanischen Reinigungsfunktion von Epitheloberflächen.

Durch Viren (vor allem durch RS-Viren) infizierte Epithelzellen sind leichter bakteriell besiedelbar. Durch eine vermehrte Expression von Adhärenzstrukturen an der Oberfläche von Epithelzellen beobachten wir als weiteres Phänomen, dass diese Epithelzellen mit 50-100fach höheren Keimzahlen besiedelt werden als nicht virusinfizierte Epithelzellen. Die gesteigerte Besiedelbarkeit von Schleimhäuten normalisiert sich erst allmählich über 4-6 Wochen (Abb. 10).

Abbildung 10: Vermehrte Besiedelung einer RS-Virus-infizierten Nasenschleimhautepithelzelle durch bakterielle Erreger (H. influenzae)

Der Pathomechanismus von Virusinfekten führt über Mediatoren (Interleukine, LT, PAF, Thromboxan) zu einer Zunahme des arteriellen Zuflusses in die Submukosa und zum Verschluss des venösen Abflusses. Die Folge ist die Schwellung des submukösen Venenplexus. Das bekannte klinische Korrelat für diese pathophysiologischen Vorgänge ist die beim Schnupfen verstopfte Nase, der Verschluss des Eingangs in die Kieferhöhle/Siebbeinzelle, der Verschluss der Eustachischen Tube oder des Ductus lacrimalis. Sekret kann nicht abfließen – liegen gebliebenes Sekret bzw. ein Sekretstau wird bakteriell superinfiziert. Die mukoziliäre Clearance der Schleimhaut der Eustachischen Tube ist durch eine Virusinfek-tion für 10-14 Tage gestört.

Funktionelle Störungen der Zilienmotilität (immotiles Zilien-Syndrom) können angeboren sein. Die Bildung eines zähflüssigen Schleimes (z.B. bei Mukoviszidose), sowie die Störung der Belüftung der Nasen-Rachen-Schleimhaut (z.B. durch vergrößerte, obstruktive Rachenmandeln) führen zur gesteigerten bakteriellen Besiedelung der Schleimhäute des Respirationstraktes. Die Verlegung des nasalen Ausgangs des Ductus nasolacrimalis entweder durch eine hyperplastische Schleimhaut oder eine anatomische Fehlbildung, wie einem knöchernen Sporn, führt zu Abflussbehinderung der Tränen und einer Infektion des Tränensackes. Weitere anatomische Veränderungen im Respirationstrakt, wie eine Deviation der Nasenscheidewand oder ein zu langer Processus uncinatus, führen zur Abflussbehinderung des Sekretes aus der Kieferhöhle und den Siebbeinzellen. Dies alles sind Ursachen für chronische und/oder rezidivierende Infektionen.

Eine nicht restharnfreie Entleerung der Blase im Rahmen eines vesiko-ureteralen Refluxes, einer hinteren Harnröhrenklappe oder einer Detrusorschwäche führt zu rezidivierenden Harnwegsinfektionen.

Experimentelle Untersuchungen in der Klinik sprechen dafür, dass für rezidivierende Infekte auch eine angeborene Störung der Mukosaimmunität und/oder eine verzögerte, verminderte oder fehlende Bildung von lokalen antimikrobiellen Substanzen in Oberflächensekreten wie beta-Defensin verantwortlich ist. Patienten mit vollkommenem Fehlen der Mukosaimmunität, z.B. Fehlen der Bildung von beta-Defensin, wurden beobachtet und mit dem Auftreten z.B. rezidivierender Harnwegsinfektionen trotz normaler Abflussverhältnisse korreliert.

Ob eine zeitlich verzögerte Bildung von beta-Defensin zu einer verminderten Mukosaimmunität führt, wird gegenwärtig untersucht: Da beta-Defensin nur gegen ein kleines Inokulum wirkt, kann eine Proliferation von Keimen an Epithelzellen dieses sensible System überfordern.

Das häufig kranke Kind
Anamnese und klinische Symptome leiten in erster Linie die strategischen Überlegungen des praktizierenden Kinderarztes zur Abklärung des „häufig kranken Kindes“, keineswegs beruhen sie allein auf einer labordiagnostischen, immunologischen Abklärung.

  • Monotope Infektionen in einem Organsystem bei gutem Gedeihen und gutem Allgemeinzustand müssen den Verdacht auf Störungen von Barrierefunktionen, anatomische Besonderheiten und Strukturanomalien richten.
  • Rekurrente, prolongierte, pyogene Infektionen in verschiedenen Organsystemen bei mangelndem Gedeihen mit dem Beginn nach dem ersten bis zweiten Trimenon weisen auf einen B-Zelldefekt und Antikörpermangelsyndrom (Bruton´sche Agammaglobulinämie) hin. Die Abklärung besteht in der Bestimmung der verschiedenen Immunglobulinklassen, der Bestimmung der B-Lymphozyten bzw. der Bestimmung von Impfantikörpern, Isohämagglutininen und des Sekretions-IgA im Speichel.
  • Ungewöhnlich häufige pyogene Pilz- oder Protozoeninfektionen bzw. persistierende Virusinfektionen, z.B. persistierende Adenovirusinfektionen der Lunge oder eine systemische Infektion mit Bacillus Calmette Guérin, weisen auf einen Defekt der T-Zellimmunität oder einen kombinierten B- und T- Zelldefekt (SCID) hin. Eine schwere therapierefraktäre Hypokalzämie im Neugeborenenalter sollte den Verdacht auf einen T-Zelldefekt (Di-George-Syndrom bei fehlender Anlage der Epithelkörperchen) erwecken. Niedrige Lymphozytenzahlen im peripheren Blut, ein fehlender Thymus im Thoraxröntgen, negative Ergebnisse bei Intrakutantesten geben einen weiteren diagnostischen Hinweis. Die Diagnose kann durch die Bestimmung der T-Lymphozyten in der Durchflusszytometrie und Differenzierung der verschiedenen Lymphozytenpopulationen mit dem Zytotoxizitäts-Assay gestellt werden.
  • Rekurrierende Staphylokokkeninfektionen der Haut, Impetigo, Furunkel oder kalte Abszesse der Lymphknoten weisen auf einen Defekt der Granulozytenfunktion hin. Die Abklärung umfasst die Bestimmung der Granulozytenzahl, der Granulozytenmorphologie und den NBT-Test. Die Bestimmung der Chemolumineszenz ist ein guter Screening-Test für Granulozytenadhärenz und Aggregation, Chemotaxis und Spontanmotilität sowie der Aktivierung des „Respiratory Burst“.
  • Rekurrierende Infekte mit kapseltragenden Bakterien, z.B. Pneumokokken, H. influenzae und Meningokokken, weisen auf einen Defekt der Komplementfaktoren hin. Die Diagnose wird durch die Bestimmung der einzelnen Komplementfaktoren gestellt.


Ursachen der Infektanfälligkeit
Pathogenetische Faktoren, die nicht auf einem Defekt der spezifischen körpereigenen Abwehr beruhen, überwiegen als Ursachen für rezidivierende Infekte:

  • Nicht effiziente Behandlung des initialen Infektes, z.B. durch eine falsche Wahl des Antibiotikums. Die Ursache kann auch die falsche Wahl der Tagesdosis, Fehler bei der Verabreichung (z.B. Gabe nach der Mahlzeit bei notwendiger Verabreichung auf nüchternem Magen), zu lange Dosierungsintervalle und zu kurze Behandlungsdauer sein
  • Anatomische und funktionelle Fehlbildungen, die z.B. bei Schleimhautschwellung keinen ausreichenden Sekretabfluss ermöglichen
  • Eine besondere epidemiologische Situation, wobei mehrere Mitglieder in einer Familie sich immer wieder erneut anstecken (Ping-pong-Infektionen in der Familie und im Kindergarten)
  • Milieuschäden, Mitrauchen, schlech-te, beengte Wohnverhältnisse sowie trockene Luft in der Wohnung
  • Allergische hyperergische Phänomene, die zu rezidivierenden Infektionen auf der Basis einer gestörten mukoziliären Clearance beitragen

Selten sind Störungen der spezifischen Abwehr, z.B. eine angeborene Agammaglobulinämie, eine transitorische Hypogammaglobulinämie, ein selektiver IgA-Mangel, die Ursache für akute oder rezidivierende Atemwegsinfektionen.

IgA-Proteasen, die von der Mehrzahl bakterieller Mikroorganismen auch in unseren Breiten gebildet werden, führen bei dieser hohen Besiedlungsrate zudem zur Ausschaltung der lokalen Immunität (IgA-Proteasen-Bildung durch H. influenzae 80%, Pneumokokken 100%, M. catarrhalis und Staphylokokken 30%).

Diagnostische Hinweise
Die empfohlene diagnostische Vorgangsweise besteht zusätzlich zur sorgfältigen Anamnese in der Untersuchung des Blutbildes: Bereits im Differentialblutbild kann man Hinweise auf einen spezifischen Abwehrdefekt wie eine abnorme Zahl von Granulozyten, Lymphozyten, eosinophilen Leukozyten, oder Strukturanomalien der Granulozyten erhalten.

Die Dokumentation der humoralen Immunität durch Bestimmung der Serum-Antikörper einschließlich der IgG-Subklassen, des Sekretions-IgA und des IgE-Spiegels ist auch dann indiziert, wenn klinisch bereits der Verdacht auf ein Antikörpermangelsyndrom erhärtet oder ausgeräumt werden kann.

Bei rezidivierenden Infektionen der oberen Luftwege (chronische Sinusitis, Otitis media) ergibt die Darstellung der Strukturen des Mittelgesichtes durch ein CT mit besonderer Signalgebung (Knochenfenster) wesentliche Hinweise z.B. auf eine Abflussbehinderung aus den Kieferhöhlen, eine Belüftungsstörung der Mastoidzellen oder des Vorliegen eines Cholesteatoms.

Therapeutische Hinweise
Die therapeutische Vorgangsweise bei rezidivierenden Infekten der oberen und unteren Luftwege beruht zuerst auf einer adäquaten antimikrobiellen Behandlung des persistierenden bakteriellen Infektes. Gleichzeitig muss in einer „konzertierten Aktion“ der Sekretabfluss durch abschwellende Nasentropfen gewährleistet werden, sowie eine Verbesserung der mukoziliären Clearance durch Sekretverflüssigung und Harmonisierung der Viskosität der Schleimschicht sowie durch Steigerung der Zilienschlagfrequenz erfolgen. beta-Sympathikomimetika oder ätherische Öle sind dabei wirksam.

Bei einer angeborenen Immundefizienz sowie bei einer transitorischen Hypogammaglobulinämie bzw. bei einem IgG-Subklassendefekt (IgG2- oder IgG4-Mangel), kann als passive Immunprophylaxe versuchsweise Immunglobulin 3- bis 4-wöchentlich über 6 Monate gegeben werden. Danach sollte ein Auslassversuch über wiederum 6 Monate mit Registrierung aller Infektionen vorgenommen werden. Das weitere Vorgehen ist dann von dem Ergebnis abhängig zu machen.

Gegen die meisten Atemwegsinfektionen gibt es keine Impfungen. Impfung schützt nur gegen eine Infektion mit Influenza-Viren der Typen A und B. Die Hib-Impfung verhindert die Epiglottitis. Für die Vermeidung von Komplikationen bei Atemwegsinfektionen ist die Hib-Impfung jedoch nur in einem kleinen Prozentsatz wirksam, da Infektionen der Luftwege meist durch nicht bekapselte Stämme von H. influenzae verursacht werden.

Die Verabreichung von Bakterienlysaten ist nach wie vor nicht allgemein akzeptiert. Der klinische Effekt der oralen Verabreichung von abgetöteten bakteriellen Mikroorganismen (Luivac, Broncho-Vaxom) als eine Art orale/lokale Immunisierung ist jedoch in klinischen Untersuchungen, die nach GCP-Standards durchgeführt wurden, bei mehreren 1.000 Patienten bewiesen. Es ist gegenüber einer Placebogabe bei mehr als 50% der Patienten ein statistisch signifikanter Rückgang der Zahl und Schwere von Infekten zu verzeichnen. Eigene Untersuchungen ergaben, dass durch die orale Verabreichung dieser Präparate Sekretions-IgA-Antikörper gegen Oberflächenstrukturen von Keimen im Speichel und im Nasensekret induziert werden, welche die Adhärenz von Keimen an Epithelzellen und die Besiedelbarkeit von Schleimhäuten blockieren.

Es gibt Hinweise darauf, dass die Verabreichung von Bakterienlysaten auch zur Verbesserung der Mukosaimmunität der Schleimhaut führt, indem die Bildung von beta-Defensin aus Epithelzellen induziert wird.

In den Bakterienlysaten sind auch Kohlenhydratstrukturen (PAMPs) aus der Zellwand bakterieller Mikroorganismen enthalten, die im Rahmen der natürlichen angeborenen Immunität die spezifische Abwehrfunktion stimulieren.

Die Wirkung weiterer Immunstimulanzien pflanzlicher Herkunft ist sowohl experimentell als auch durch klinische Studien nicht ausreichend geklärt.

Die Behandlung anatomischer Defekte erfolgt chirurgisch durch Korrektur des Defektes.

 

Fieber - Pathogenese und Behandlung

Fieber ist eine zentral ausgelöste Erhöhung der Körpertemperatur bzw. eine Temperaturregulationsstörung, die meist als Begleitsymptom einer Reihe von Infektionskrankheiten auftritt, aber auch durch mangelnde Flüssigkeitszufuhr als Durstfieber entstehen kann.

Beim Säugling und Kleinkind spricht man von Fieber, wenn die Temperatur anhaltend über 38,5°C, beim älteren Kind und Erwachsenen > 38°C liegt. Darunter liegende Werte werden jeweils als subfebrile Temperatur bezeichnet.

Ein zirkadianer Rhythmus kennzeichnet die Regeltemperatur, die üblicherweise in den frühen Abendstunden am höchsten ist. Bei Fieber ist der zirkadiane Rhythmus meist aufgehoben, er kann aber auch verstärkt sein, d.h. bei einer Fieberkontinua ist die Körpertemperatur am späten Nachmittag und frühen Abend am höchsten.

Das Thermoregulationszentrum im Hypothalamus spielt eine zentrale Rolle in der Temperaturregulation. Zellen des Immunsystems können Zytokine freisetzen, die zu einer Erhöhung der Regeltemperatur führen. Auch Pyrogene der Zellwand bakterieller Mikroorganismen wie Peptidoglykane führen zu einer plötzlichen Temperaturerhöhung. Muskelzittern, Schüttelfrost, Vasokonstriktion, Piloerektion sind mit dem Anstieg der Körpertemperatur verbunden.

Im Anschluss an Infektionen der Luftwege bzw. nach Abklingen einer Epstein-Barr-Virusinfektion wird die postinfektiöse Hyperthermie (+ 0,5°C Regeltemperatur) beobachtet. Sie besteht in einer monatelang andauernden Hyperthermie, die jedoch einen zirkadianen Rhythmus aufweist. Gegen infektiöses Fieber sprechen die fehlenden Akut-Phase-Proteine und die normale Blutsenkungsgeschwindigkeit.

Beim zerebralen Fieber, z.B. nach Hirnblutungen oder Encephalitis, ist die Ursache weniger eine vermehrte Wärmebildung als eine zentrale Fehlsteuerung und eine dadurch verminderte Wärmeabgabe. Auch das Durstfieber beruht auf einer verminderten Wärmeabgabe und ist dadurch gekennzeichnet, dass das Fiebermaximum in die frühen Morgenstunden fällt, wenn die letzte Wasserzufuhr lange Zeit zurückliegt.

Bei Früh- und Neugeborenen kann eine ungenügende Wärmegeneration durch Einschränkung der Kreislaufsituation im septischen Schock anstelle des Fiebers zu Hypothermie führen.

Früh- und Neugeborene mit Fieber oder Untertemperatur sind grundsätzlich stationär einzuweisen, da eine Temperaturerhöhung in diesem Lebensalter ein Alarmzeichen einer gravierenden Infektion ist. Bei fehlenden lokalen Entzündungszeichen ist an eine early oder late onset Sepsis, Meningitis oder Harnwegsinfektion zu denken.

Eine rektale/axilläre Temperaturdifferenz von > 1°C beobachtet man bei Entzündungsherden im Abdomen, die den Verdacht auf eine akute Appendizitis nahelegen.


Fiebertypen – Fieberverlaufsformen

  • Wenn der Patient, mit oder ohne zirkadianen Rhythmus, durchgehend Fieber über 39°C aufweist, spricht man von Kontinua. Die klassische Ursache für eine Kontinua ist der Typhus abdominalis, aber auch beim Kawasaki-Syndrom tritt eine Kontinua über mehrere Tage bis Wochen auf.
  • Wenn die Körpertemperatur während Stunden zurückgeht, aber nie normale Werte zeigt, spricht man von remittierendem Fieber. Diesen Fiebertyp sieht man z.B. bei rheumatischen Erkrankungen wie dem Morbus Still. Ein 2x/24 Stunden auftretendes remittierendes Fieber ist typisch für eine systemische Leishmaniose.
  • Beim intermittierenden Fieber (man nennt diesen Fiebertypus auch den septischen Fiebertyp) fällt die Temperatur im Intervall auf normale Werte. Diesen Fiebertyp beobachtet man bei Endokarditis, wenn es zur Ausschwemmung von Keimen aus endokardialen Vegetationen kommt. Im Fieberanstieg ist die Chance, eine positive Blutkultur zu erhalten, am größten, aber auch im Intervall sind Blutkulturen häufig positiv.
  • Das undulierende Fieber, d.h. der Temperaturverlauf entspricht einer Sinuskurve im 24-36 h-Abstand, beobachtet man bei verschiedenen Infektionen, z.B. der Brucellose, aber auch als Pel-Ebstein´schen-Fiebertyp beim M. Hodgkin.
  • Bei Fieberabfall kennt man die lytische Entfieberung, die typisch für Virusinfektionen ist, und unterscheidet davon den kritischen Fieberabfall, bei dem die Temperatur innerhalb weniger Stunden unter enormer Kreislaufbelastung auf normale Werte fällt. Dieser Fieberverlauf ist typisch für bakterielle Infekte z.B. die Pneumokokken-Pneumonie.

Positive Aspekte des Fiebers
Fieber hat einen günstigen Einfluss auf die Elimination bakterieller und viraler Mikroorganismen: Gonokokken und Spirochäten werden bei Temperaturen über 40°C abgetötet. Darauf beruhen auch die günstigen Erfolge bei Neurolues durch Fiebertherapie in der vorantibiotischen Ära. Auch das Wachstum von Pneumokokken und bestimmten Viren wird durch Fieber gehemmt. Pathogene Bakterien benötigen bei Fieber höhere Konzentrationen an Eisen. Gleichzeitig kommt es zu einer Abnahme des freien Serum-Eisenspiegels und einer Erhöhung des Ferritins. Der gleichzeitige Anstieg der Körpertemperatur und der verminderte Zugriff von Bakterien auf Eisenmoleküle wird als konzertierte Abwehrreaktion des Körpers gegen Infektionserreger gesehen.

Eine moderate Erhöhung der Körpertemperatur z.B. bis 39°C steigert die Phagozytose, Lymphozytentransformation und Interferonbildung. Im Tiermodell wird diese Erhöhung der Körpertemperatur mit einer besseren Überlebensrate assoziiert.

Negative Aspekte des Fiebers
Fieber über 39,5°C vermindert die körpereigene Abwehr, indem die Phagozytose von Staphylokokken substantiell eingeschränkt wird. Auch die Lebens- und Funktionsfähigkeit von Lymphozyten ist bei hohem Fieber eingeschränkt. Im Tierversuch haben Tiere eine höhere Letalität, wenn die Temperatur nicht gesenkt wird. Metabolische Untersuchungen legen eine günstige Wirkung einer Euthermie nahe. Fieber steigert den Grundumsatz, die Perspiratio insensibilis, den Sauerstoffbedarf und die CO2-Produktion um 10-12% pro °C Temperaturerhöhung. Klinisch beobachtet man Tachypnoe und Tachykardie.

Bei hohem Fieber kommt es zu weiteren neurologischen Manifestationen wie Irritabilität, Delirien und Halluzinationen. Hyperpyrexie über 42°C führt zu Hirnschädigung bzw. verstärkt eine bereits bestehende Schädigung des Gehirns, z.B. im Rahmen einer Meningitis.

Fieber – insbesondere der rasche Fieberanstieg – kann zu Fieberkrämpfen führen. 2-4% aller Kinder zwischen dem 9. Lebensmonat und dem 5. Lebensjahr erleiden mindestens eine Episode eines Fieberkrampfes.

Krampfanfälle, die länger als 20 Minuten dauern, fokal beginnen und sekundär generalisieren, mit postiktaler Bewusstseinstrübung oder Lähmung einhergehen, die bei Patienten jünger als 6 Monate oder älter als 3 1/2 Jahre sowie bei nicht wesentlich erhöhter Körpertemperatur auftreten, werden als komplizierte Fieberkrämpfe bezeichnet und bedürfen einer sorgfältigen Behandlung und weiteren Abklärung mit bildgebenden Verfahren. Bei pathologischem EEG-Befund spricht man von Krampfanfall (epileptischem Anfall), ausgelöst durch Fieber. Bei fokalen Anfällen ist an eine Herpesenzephalitis zu denken, und wenn diese nicht mit Sicherheit ausgeschlossen werden kann, ist eine Behandlung mit Acyclovir (45 mg/kg KG in 3 Dosen) einzuleiten. Bei Säuglingen und Kleinkindern unter 18 Monaten sollte auch ohne meningeale Reizerscheinungen eine Lumbalpunktion durchgeführt werden. Ein EEG ist in jedem Fall indiziert.

Fiebertherapie
Antipyretische Analgetika wirken auf zwei Ebenen: Hohe Dosen der sauren antipyretischen Analgetika wie Salizylsäure und Ibuprofen reduzieren die Prostaglandinsynthese im entzündeten Schleimhautgewebe. Daraus resultiert eine verminderte lokale Entzündungsreaktion, Schwellung und Durchblutung und eine verminderte Erregbarkeit der lokalen Nervenendigungen. Paracetamol wirkt nur im Zentralnervensystem, da die wenig polaren, nur gering an Eiweiß gebundenen Substanzen gut durch die Blut-Liquorschranke penetrieren. Antipyretische Analgetika sind in der Lage, die zentrale Bildung von Prostaglandinen zu vermindern. Ibuprofen ist von den antipyretischen Analgetika der stärkste Hemmer der zentralen Prostaglandinsynthese und reduziert bereits in geringsten Konzentrationen fieberinduzierende Zytokine.

Fieber als Manifestation schwerer bakterieller Infektionen
Fieber ist eine häufige Manifestation bakterieller oder viraler Infektionen. Bei Rhinitis, Otitis media oder Pharyngitis beim immunkompetenten Patienten ist die Erkrankung selbstlimitierend und spricht gut auf Antipyretika bzw. wenn bakterielle Mikroorganismen als Ursache in Frage kommen, auf Antibiotika an. Patienten verlieren bei Fieber über die Perspiratio insensibilis oder durch durchfällige Stühle Wasser und haben ein vermindertes Durstgefühl. Oft führt daher bereits eine adäquate Hydrierung zu einem Temperaturabfall von 1-2°C.

Schwere bakterielle Infektionen wie Sepsis, bakterielle Meningitis, Pyelonephritis, Pneumonie bzw. Osteomyelitis und septische Arthritis gehen mit septischen Temperaturen, einer Einschränkung der Kreislaufsituation, toxischem Ikterus, Verbrauchskoagulopathie und Hyperpyrexie einher und weisen insbesondere bei immunsupprimierten Patienten sowie Früh- und Neugeborenen eine signifikante Mortalität auf.

Für den Kinderarzt ist Fieber eines der häufigsten Symptome.


Fieber ohne fokale Entzündungszeichen
Fieber ohne lokale Infektionszeichen bereitet nicht selten Schwierigkeiten in der Beurteilung und im weiteren Vorgehen.

Alter < 3 Monate
Bei Säuglingen unter 3 Monaten ist Fieber immer ein Zeichen einer ernsten Erkrankung.

Bei Neugeborenen und Säuglingen < 1 Monat kann es sich um eine schwere lebensbedrohliche bakterielle oder virale Infektion handeln, aber auch eine „late onset“ Sepsis/Meningitis durch Streptokokken der Gruppe B. Eine E. coli-, Listerien- und Herpes simplex-Infektion führt in dieser Altersgruppe ebenso zu hohem Fieber. Differentialdiagnostisch kommen in diesem Alter bei Fieber ohne fokale Entzündungszeichen in Frage:

  • eine okkulte Sepsis
  • eine Meningitis
  • eine Urosepsis
  • eine septische Arthritis
  • eine bakterielle Gastroenteritis durch S. enteritidis oder EHEC

Alter > 3 Monate bis 2. Lebensjahr
Als Erreger einer okkulten Sepsis beim immunkompetenten Patienten zwischen 3 und 24 Monaten kommen in Frage:

  • bakterielle Mikroorganismen wie Pneumokokken, Meningokokken, Staphylokokken (Toxic Shock Syndrome)
  • virale Erreger wie Herpesviren, RS-Viren, Cytomegaloviren
  • nichtinfektiöse Ursachen wie Elektrolytentgleisungen, Diabetes insipidus, Organoazidurien, intrakranielle Blutungen oder selten ein Guillain-Barré-Syndrom

Auch verschiedene Intoxikationen, z.B. Botulismus, verlaufen mit dem Leitsymptom Fieber.

Alter > 2 Jahre
Nach dem 2. Lebensjahr sollte bei Hyperpyrexie mit toxischen Symptomen in erster Linie wieder an eine bakterielle Infektion gedacht werden. Bei Patienten ohne fokale Infektionszeichen ist eine Bakteriämie/Sepsis meist durch Pneumokokken oder Meningokokken möglich. Meningokokkeninfektionen manifestieren sich jedoch in > 50% der Fälle mit typischen Hautmanifestationen, die von einzelnen petechialen Blutungen bis zu großflächigen Sugillationen und Ekchymosen reichen können (Waterhouse-Friderichsen-Syndrom).

Fieber mit lokalen Infektionszeichen
Bei Vorliegen lokaler Infektionszeichen wie Pneumonie, Urosepsis, Meningitis, Osteomyelitis und Durchfallerkrankungen erhält man aus dem klinischen Bild Hinweise auf den Erreger. In Frage kommen Pneumokokken, Meningokokken, E. coli und andere Enterobacteriaceae, aber auch Salmonellen und EHEC, im ambulanten Bereich meist mit guter antimikrobieller Empfindlichkeit. Multiresistente Keime sind bei Infektionen, die im Krankenhaus erworben wurden, oder nach erfolgloser Vorbehandlung einer Infektion mit Breitspektrumantibiotika oder nach prophylaktischer Gabe von Breitspektrumantibiotika in Betracht zu ziehen.

Fieber bei immuninkompetenten Patienten
Bei immuninkompetenten Patienten kommen je nach der Art der Einschränkung der körpereigenen Abwehr unterschiedliche Erreger in Betracht:

Bei Asplenie bzw. nach Milzexstirpation sind Streptokokken und Pneumokokken für foudroyante Krankheitsbilder mit hoher Letalität verantwortlich. Bei Agammaglobulinämie sind zahlreiche verschiedene Keime, in erster Linie aber Pneumokokken, H. influenzae, Meningokokken, Staphylokokken, aber auch multiresistente Hospitalkeime und Pilze zu beobachten.

Bei Einschränkung der zellulären Abwehr kommen Pilzinfektionen, Infektionen mit Pneumocystis carinii, Bacillus Calmette Guérin oder persistierende Virusinfektionen (Adenoviren, CMV) in Frage.

Bei Patienten mit kongenitalen Herzfehlern ist das Risiko einer Endokarditis durch Staphylokokken, Streptococcus viridans und Enterokokken gegeben; Patienten mit liegendem Fremdkörper (zentralvenöse Katheter, liegende Ableitungssysteme) erleiden Infektionen durch Staphylokokken, seltener Enterokokken und kaum durch gramnegative Erreger oder Pilze.

Bei neutropenischen Patienten mit Leukämie oder unter antineoplastischer Behandlung sind Keime der Darmflora bzw. multiresistente nosokomiale Keime (Klebsiella pneumoniae, Enterobacter cloacae oder P. aeruginosa) zu isolieren.

Diagnostische und therapeutische Hinweise
Die Vorgangsweise bei hohem Fieber und schwerer Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes beinhaltet eine ausführliche Anamnese und sorgfältige physikalische Untersuchung, um evtl. einen Infektionsherd zu identifizieren. Ein rascher Fieberanstieg mit Schüttelfrost weist auf eine bakterielle Infektion hin. Ein Blutbild und Differentialblutbild, CRP sowie eine Harnanalyse sind sofort durchzuführen. Im Differentialblutbild findet man bei bakteriellen Infektionen eine Linksverschiebung mit Stabkernigen und Vorstufen (Myelozyten und Metamyelozyten), oft eine Thrombopenie und einen toxischen Ikterus mit Transaminasenanstieg. Bei einem toxischen schwer kranken Säugling ist eine Lumbalpunktion indiziert, da in diesem Alter meningeale Reizerscheinungen trotz Meningitis fehlen können.

Kulturen von Blut, Harn müssen vor Beginn einer antibiotischen Behandlung abgenommen werden. Die kalkulierte Antibiotikatherapie bei einem schwer kranken Patienten mit Hyperpyrexie bzw. bei Patienten mit eingeschränkter körpereigener Abwehr besteht aus einem Cephalosporin der 3. Generation (z.B. Cefotaxim) und einem Aminoglykosid. Anstelle dieser Kombinationstherapie kann man auch Imipenem/Cilastatin oder Meropenem als Monotherapie verabreichen. Patienten mit einer Gesamtleukozytenzahl über 25.000 oder unter 2.500 und einem CRP-Wert > 100 mg/l gehören bei schweren bakteriellen Infektionen zur höchsten Risikogruppe.

Fieber unklarer Genese (FUO)
Fieber unklarer Genese (FUO, Fever of unknown origin) besitzt eine Sonderstellung bezüglich Diagnose und therapeutischem Vorgehen.

  • Fieber unklarer Genese liegt vor bei einem fieberhaften Zustand von der Dauer
    > 1 Woche beim Säugling und Kleinkind
    > 2-3 Wochen beim Adoleszenten
  • Dokumentation eines kontinuierlichen Fiebers auch im Krankenhaus
  • unbefriedigender Diagnose nach intensiver Diagnostik (> 1 Woche) im Krankenhaus


Ursachen des FUO

  • autoimmunologische Ursachen (M. Still, Subsepsis allergica Wissler, Kollagenerkrankungen wie Lupus erythematodes, Dermatomyositis etc.), aber auch neoplastische Ursachen (M. Hodgkin, Leukämie, B-Zell-Lymphom und Ewing-Sarkom, DD: Osteomyelitis). Wenn der Patient bereits Antibiotika erhält, ist auch an ein Medikamentenfieber zu denken.
  • Infektiöse Ursachen des FUO sind die Tuberkulose, Salmonellose, Brucellose, Tularämie, Leptospirose oder ungewöhnliche Manifestationen häufiger Virusinfektionen wie infektiöse Mononukleose, Hepatitis und CMV bei immunsupprimierten Patienten


Kawasaki-Syndrom
Bei einer Reihe von protrahierten Fieberzuständen ist deren Ätiologie noch nicht geklärt. Eine Erkrankung unklarer Genese in diesem Alter ist das Kawasaki-Syndrom. Dies zeigt unbehandelt eine Kontinua über 2-3 Wochen. Nach der 2. Krankheitswoche nimmt – unbehandelt – das Risiko für Koronaraneurysmen sprunghaft zu.

Deshalb ist eine frühzeitige Diagnose so wichtig, die auf klinischen Verdachtsmomenten beruht und innerhalb von 3-4 Tagen die Diagnose nahe legt. Sie besteht – neben dem unklaren Fieber – in einer generalisierten Lymphadenopathie, wobei die Kieferwinkellymphknoten stärker betroffen sind. Weiterhin fallen besonders Lacklippen, eine Himbeerzunge und ein Enanthem ins Auge. Hautmanifestationen bestehen in einem scarlatiniformen Exanthem am Stamm und einem Palmarerythem. Das Blutbild zeigt eine Leukozytose mit Linksverschiebung, eine Thrombozytose, ein erhöhtes CRP und eine beschleunigte Senkungsgeschwindigkeit. Der Rachenabstrich auf Streptokokken ist negativ, der AST normal. Hautabschilferungen der Finger und Zehen treten erst nach 2-3 Wochen auf.

Auch die systemische Form der juvenilen rheumatoiden Arthritis (Morbus Still) manifestiert sich mit einer Kontinua oder remittierendem Fieber über Wochen ohne lokale Entzündungsreaktion.

Unter den hereditären Erkrankungen mit Fieber sind die anhidrotische ektodermale Dysplasie, die Dysautonomia Riley Day und der Diabetes insipidus, deren Gemeinsamkeit eine Schwierigkeit der Temperaturregulation durch Probleme der Flüssigkeitsbilanzierung ist, sowie das hereditäre Mittelmeerfieber zu nennen.

Entzündliche Darmerkrankungen wie der M. Crohn manifestieren sich mit protrahiertem Fieber, allerdings auch mit schweren lokalen Entzündungsreaktionen wie Bauchschmerzen und Durchfall mit blutigen Stühlen.

 

Praktisches Vorgehen bei FUO

  • Sorgfältige Anamnese sowie das Alter des Patienten können wesentliche Hinweise geben. Die Ursache des FUO bei Kindern < 6 Jahren sind vorwiegend Infektionen des Respirationstraktes und des Harntraktes. Bei älteren Kindern und Jugendlichen sind es eher autoimmunologische Erkrankungen, entzündliche Darmerkrankungen, Neoplasien, evtl. Tuberkulose.
  • Expositionsanamnese, wie z.B. Kontakt zu Wildtieren, Reisen in tropische Länder oder Endemiegebiete von Malaria, die oft erst nach Rückkehr in das Heimatland auftritt. Erfragt werden sollte außerdem die Impfanamnese, die Einnahme von Medikamenten, besonderen Nahrungsmitteln sowie der ethnische Hintergrund des Patienten.
  • Körperliche Untersuchung ergibt weitere Hinweise auf
    - Dehydratation weist auf ein Durstfieber hin, evtl. auch auf eine Temperaturregulationsstörung
    - Exantheme mit typischer Morphe können einen Hinweis auf bestimmte Erreger geben
    - Fieberblasen als Zeichen einer gestörten körpereigenen Abwehr treten häufig bei Pneumokokken-, Streptokokken- und Meningokokkeninfektionen, aber auch bei Salmonellose auf
    - Konjunktivitis, Himbeerzunge, Lacklippen und geschwollene Kieferwinkellymphknoten sind typisch für das Kawasaki-Syndrom
    - Subkonjunktivale und subunguale Blutungen sowie die Osler´schen Knötchen findet man bei Endocarditis lenta
    - Ein Klopfschmerz über den Nasennebenhöhlen weist auf eine chronische Sinusitis hin und muss entweder röntgenologisch oder durch ein CT mit Knochenfenster dokumentiert werden
    - Eine Hepatosplenomegalie und eine generalisierte Lymphadenopathie sind häufige Begleitsymptome und treten bei infektiösen, parainfektiösen Prozessen und Neoplasien auf
    - Hyperaktive Sehnenreflexe und Fieber können als Zeichen einer Thyreotoxikose auftreten, fehlende Sehnenreflexe bestehen bei Botulismus-Infektion

Die laborchemische Abklärung muss sorgfältig geplant werden. Ein ungezielter serologischer Rundumschlag ist, wie auch eine längere stationäre Aufnahme, teuer, und die Möglichkeit einer spezifischen Diagnose ist gering. Wertvolle Hinweise kann aber bereits das Blutbild mit Differentialblutbild und die BKS liefern:

  • Häufig ist eine Infektanämie nachweisbar
  • Toxische Granulationen der Leukozyten weisen auf eine bakterielle Infektion hin
  • Auch die Siegelringzellen bei Malaria und Trypanosomen beim Kala Azar findet man im Blutausstrich

Blutkulturen (aerobe und anaerobe) müssen mehrfach angelegt werden, um eine Endokarditis oder einen tief sitzenden Abszess zu diagnostizieren. Je nach Anamnese und Verdachtsdiagnose ist auch eine Isolierung auf Spezialnährmedien notwendig. Anlegen von Harnkulturen, Aspirationsmaterial aus der Lunge durch broncho-alveoläre Lavage bringt repräsentative Proben, die mit entsprechenden Färbungen (Gram, Ziehl-Nielsen) rasch beurteilt werden können.

Tuberkulin-Hauttestung (nach Mendel-Mantoux) in einer Verdünnung von 1:10 muss routinemäßig durchgeführt werden. Um eine Anergie auszuschließen, kann die Tuberkulintestung auch in Form des Multitest Mérieux mit 5 weiteren Antigenen einschließlich Candida albicans durchgeführt werden.

Serologische Tests werden entsprechend einer Verdachtsdiagnose, die sich aus der Anamnese, der physikalischen Untersuchung und dem Verlauf ergibt, durchgeführt.

Röntgenuntersuchungen der Lunge in 2 Ebenen und der Nasennebenhöhlen sind indiziert. Mit szintigraphischen Untersuchungen mit Gallium, das Leukozyten markiert, oder Technetiumphosphat, das Osteoklasten markiert, kann man einen okkulten Infektionsherd sichtbar machen. Mit der Sonographie können Abszesse im Bauchraum (Douglas, subphrenisch) nachgewiesen werden.

Die Diagnostik des FUO ist schwierig und bedarf der gründlichen, meist stationären Abklärung. Vermieden werden sollte vor allem eine zu schnelle empirische Antibiotikabehandlung, da diese einen Infektionsherd verschleiern kann und den Zeitraum bis zur Stellung einer spezifischen Diagnose verzögert.

Die Behandlung erfolgt entsprechend der spezifischen ätiologischen Diagnose.

 

Probleme der mikrobiologischen Diagnostik

Eine Reihe von Bedingungen sind zu erfüllen, um aussagekräftige Befunde bei einer mikrobiologischen Untersuchung zu erhalten. Diese sind in bestimmten Lebensabschnitten im Kindesalter jedoch schwerer als bei Erwachsenen zu erreichen.

Möglichst gezielt mit einem Schmalspektrum-Antibiotikum zu behandeln lautet einer der Grundsätze einer antimikrobiellen Therapie. Voraussetzung dafür ist ein Keimnachweis und das Ergebnis der Resistenzprüfung.

Probleme bei der Gewinnung von Proben
Abstriche
Die Probengewinnung bei Otitis media ist nur durch Parazentese, die Probengewinnung bei Sinusitis durch Punktion der Kieferhöhlen möglich. Diese Maßnahmen sind belastend und nur bei rezidivierenden, therapierefraktären Otitiden oder schweren rezidivierenden Sinusitiden gerechtfertigt. Ein Abstrich von der Epiglottis ist, wie auch ein Bronchialsekret bzw. eine bronchoalveoläre Lavage, nur in Narkose zu gewinnen.

Sputum
Patienten bis zum Alter von ca. 6 Jahren verschlucken das Sputum; dadurch ist kein ausreichendes Probenmaterial zu gewinnen. Patienten
mit Pneumonien durch Mykoplasma/Chlamydia pneumoniae oder Legionellen haben meist einen trockenen Reizhusten und produzieren kaum Sputum. Die Probengewinnung durch Pleurapunktion bei Pleuritis exsudativa ist hingegen gut möglich. Im Pleurapunktat können die Keime gut gezüchtet werden. Auch nach Antibiotikagabe ist ein Keimnachweis, allerdings keine Resistenzprüfung, entweder durch Gramfärbung (evtl. nach Zytozentrifugation) oder durch Counterimmunelektrophorese oder Latexagglutination möglich. Die bronchoalveoläre Lavage (BAL) ist auf Problemfälle (nosokomiale Pneumonie bei immunsupprimierten Patienten, Therapieresistenz) beschränkt. Die transtracheale Bronchialaspiration bzw. die transthorakale Lungenaspiration ist abzulehnen.

Gelenksflüssigkeit
Kniegelenkspunktionen, Hüftgelenkspunktionen sind unter absolut sterilen Kautelen mit Sonographielenkung durchzuführen.

Probenvolumina
Bei der Entnahme von Blutkulturen ist es z.B. im Früh- oder Neugeborenenalter, bei schwer kranken Patienten im septischen Schock oft nicht möglich, größere Blutmengen aseptisch zu entnehmen, da eine Venenpunktion wegen des Kreislaufzustands des Patienten schwierig ist. Der optimale Zeitpunkt für die Entnahme der Blutkultur ist im frühen Stadium eines Fieberanstiegs, noch vor Beginn der Antibiotikatherapie. Bei Endokarditis herrscht jedoch eine kontinuierliche Bakteriämie, und daher ist der Entnahmezeitpunkt unwichtig.

Bei älteren Kindern und Jugendlichen ist die Ausbeute u.U. mit 10-20% positiven Befunden gering. Untersuchungen haben gezeigt, dass sogar bei Früh- und Neugeborenen, bei denen die Keimzahlen höher sind als im Erwachsenenalter, trotz optimaler Bedingungen bei Probengewinnung und Kultur nur bei 25% der Patienten mit Verdacht auf Sepsis ein Keim isoliert werden kann. Es ist daher notwendig, bei dringendem Verdacht mehrere Kulturen im Abstand von 20 Minuten zu entnehmen.

Die Blutmenge beträgt bei Neugeborenen 0,5-1 ml, bei älteren Kindern bis 5 ml. Meist wird routinemäßig je eine Blutkulturflasche für Aerobier und eine für Anaerobier beimpft. Bei intraabdominalen Infektionsherden und Verdacht auf Endokarditis muss auf jeden Fall eine aerobe und anaerobe Blutkultur angelegt werden. Es ist wichtig, dass Blutkulturflaschen nicht gekühlt werden dürfen, sondern – notfalls bei Zimmertemperatur – bebrütet werden, da vor allem Pneumokokken, Meningokokken und H. influenzae rasch absterben. Wichtig ist bei bestimmten Indikationen z.B. Kathetersepsis eine quantitative Blutkultur und der Vergleich der Keimzahlen zwischen der durch den kontaminierten Katheter abgenommenen Kultur und einer aus einer peripheren Vene abgenommenen Kultur. Eine Verbesserung der Ergebnisse der Blutkulturen ist mit der Methode der Signalflasche (aufgesetzte Agarplatte) möglich. Die Ausbeute an positiven Befunden ist höher, das Ergebnis liegt 6-8 h früher vor.

Kontamination der Proben mit Standortflora
Die korrekte Interpretation eines mikrobiologischen Befundes ist besonders wichtig, da die gleichen Keime einmal als Besiedler von Schleimhäuten ohne pathogenetische Bedeutung, anderseits auch als Erreger schwerer Infektionen, Abszesse, Phlegmone oder als Ursache einer Bakteriämie/Sepsis auftreten können. Bei Entnahme von mikrobiologischen Proben bei Infektionen der oberen und unteren Luftwege ist (mit Ausnahme der BAL) eine Kontamination mit Standortflora nicht zu vermeiden. Deshalb ist vom mikrobiologischen Labor auch eine Quantifizierung der Keime und die Beurteilung, ob ein fakultativ pathogener Keim als Monoflora oder als Teil einer Mischflora vorliegt, zu fordern.

Besondere Schwierigkeiten treten bei der Gewinnung von Harnproben auf. Die Gewinnung eines Mittelstrahlharns ist meist erst nach dem 3. Lebensjahr möglich. Der Beutelurin ist immer mit einer gewissen Keimmenge kontaminiert und muss sofort bearbeitet werden, um repräsentative Ergebnisse zu erbringen. Ein Versand eines Beutelurins ist nicht möglich, da sich die Kontaminationskeime bis zur quantitativen Keimzahlbestimmung um das 100-1.000fache vermehrt haben und so einen falsch positiven Befund vortäuschen können. Die Gewinnung des Harns durch Katheterisierung ist wegen des Risikos der Keimverschleppung, die suprapubische Blasenpunktion wegen der Belastung des Patienten nur in Ausnahmen durchzuführen. Wenn in einer Harnprobe mehrere verschiedene Keime isoliert werden, weist dies, mit Ausnahme beim Patienten mit einer neurogenen Blasenentleerungsstörung, auf eine Kontamination hin und ist nicht verwertbar. Ein Ausweg aus diesem Dilemma bietet der Uricult. Dieser kann sofort angelegt werden und gibt einen verlässlichen Hinweis auf die Keimzahl. Nach 8-12 Stunden Bebrütung kann der Uricult zur Identifizierung des Leitkeims und zur Empfindlichkeitsprüfung in ein mikrobiologisches Labor übersandt werden.

Kontakt des Probenmaterials (z.B. Blutkulturen) mit Antibiotika oder Desinfektionsmitteln
Der Zeitpunkt der Abnahme muss so gewählt werden, dass er vor dem Beginn einer antimikrobiellen Behandlung liegt. Viele Patienten erhalten jedoch bereits ein Antibiotikum, das die Anzüchtung von Keimen enorm kompliziert.

Zeitspanne bis zur Bearbeitung der Proben
Mikrobiologische Proben können im Transportmedium oder nach Befeuchtung der Tupfer bis zu 24 Stunden gelagert oder verschickt werden. Bei „trockenen“ Rachenabstrichen können innerhalb von 24 Stunden bei 30% der Proben Streptokokken nicht mehr überleben und werden fälschlich als negative Ergebnisse übermittelt. Die Übersendung von Proben zur Untersuchung auf bestimmte Erreger (B. pertussis) bedarf spezieller Transportmedien (Scholte-Stainer-Medium). Das rasche Anlegen von Proben ist auch nötig, um die Überwucherung durch Kontaminationskeime so gering wie möglich zu halten. Ein Versand über größere Entfernungen mittels Kuriersystem ist nur bei den selten notwendigen Spezialuntersuchungen gerechtfertigt und bedarf des engen Kontaktes zwischen mikrobiologischem Labor und Arzt.

Interpretation der Ergebnisse
Ein Problem der Interpretation der Ergebnisse der Blutkulturen ergibt sich durch Kontamination der Proben durch Hautflora. So ist der Nachweis von Staphylococcus epidermidis meist das Ergebnis einer Kontamination durch eine nicht korrekt entnommene Probe. Bei Früh- und Neugeborenen bzw. Patienten unter immunsuppressiver Therapie oder bei liegendem Fremdkörper z.B. eines zentralvenösen Katheters ist jedoch das Ergebnis als pathologisch zu bewerten und eine entsprechende Behandlung einzuleiten.

Das Gleiche gilt auch für die Interpretation von Liquorkulturen. Der Nachweis von S. aureus, S. epidermidis oder Enterokokken ist nur bei Vorliegen eines Ventrikel-Ableitungssystems als relevant zu bewerten. Dann aber ist dieser Befund auch ohne deutliche Pleozytose als pathologisch zu bewerten.

Schwierig gestaltet sich die Interpretation von Tracheal-Absaugsekreten bei intubierten Patienten. Der Nachweis von Pseudomonas aeruginosa beweist keineswegs das Vorliegen einer Infektion. Es ist möglich, dass auch Frühgeborene unter künstlicher Beatmung mit eingeschränkter körpereigener Abwehr durch P. aeruginosa nur besiedelt sind und zu diesem Zeitpunkt keiner spezifischen Behandlung bedürfen. Die Indikation für eine Behandlung hängt dabei vom klinischen Bild, dem Blutbild, der Blutgasanalyse, dem Röntgenbild bzw. einer Synopsis dieser Befunde ab.

Auch bei Patienten mit Mukoviszidose hängt die Interpretation des Sputumbefundes und die Entscheidung für eine antimikrobielle Behandlung von der Klinik ab. Bei diesem Krankheitsbild ist es nötig, quantitative Sputumkulturen anzulegen. Nur dadurch kann man einen evtl. Behandlungserfolg durch einen Rückgang der Keimzahlen im Sputum feststellen. Bei Sputumkulturen besteht noch eine Besonderheit. Während bei bakteriellen Infektionen üblicherweise ein Keim als Ursache in Frage kommt, sind es bei der Mukoviszidose mehrere Keime. So können 3-4 verschiedene Arten von P. aeruginosa mit unterschiedlichen API-Identifizierungen und unterschiedlicher antimikrobieller Empfindlichkeit vorhanden sein. Wenn die Resistenzprüfung auf P. aeruginosa nur mit Testung einer Kolonie durchgeführt wird, kann die Wahl des Antibiotikums nur für einen Teil der Keime relevant sein.

Zeitdauer bis zum Vorliegen der Ergebnisse
Ein weiteres großes Problem der mikrobiologischen Diagnostik ist die Zeitdauer bis zur Übermittlung der Kulturergebnisse und Resistenzprüfung. Bei einem Rachenabstrich mit Streptokokkennachweis dauert dies 8-12 Stunden, Harnkulturen, Nasenabstriche, Kulturen von Abszessen dauern mit Resistenzprüfung 24-36 Stunden. Kulturen zum Nachweis von B. pertussis und B. parapertussis müssen mindestens 5 Tage bebrütet werden. Mycoplasma pneumoniae und Chlamydia pneumoniae bedürfen einer Inkubationszeit von 7 Tagen, dabei ist keine routinemäßige Resistenzprüfung möglich.

Neue Methoden zur beschleunigten Resistenzprüfung (Vitek-System u.a.) können nach Isolierung des Keimes die Resistenzprüfung auf 4 Stunden verkürzen, werden jedoch bisher noch nicht zur Routine eingesetzt. Alle diese Systeme bedürfen jedoch einer Reinkultur, die 8-24 Stunden benö-tigt. Die Zeitersparnis ist somit nicht gravierend.

Schnelltests für eine limitierte Zahl bakterieller und viraler Mikroorganismen stehen seit Jahren zur Verfügung. Der Beginn der Schnelldiagnostik erfolgte durch Nachweis bakterieller Oberflächenantigene gegen Meningokokken, Pneumokokken, H. influenzae und der Streptokokken der Gruppe B mittels Counterimmunelektrophorese aus dem Liquor. Die Sensitivität und Spezifität ist hoch, es bedarf jedoch einer besonderen apparativen Ausstattung. Eine Vereinfachung dieser Methode erfolgte durch die Entwicklung von Latextests, wobei die spezifischen Antikörper auf Latexkügelchen aufgebracht wurden, die bei Vorliegen entsprechender bakterieller Antigene verklumpen und eine Trübung der Lösung bedingen.

Ein weiterer wertvoller Schnelltest zur Diagnose einer Tonsillitis ist der Streptokokken-A-Schnelltest, der innerhalb von 5 Minuten ein Ergebnis mit einer Sensitivität und Spezifität von 95% erbringt.

Schnelltests zur Virusdiagnostik sind der Rotavirus-Schnelltest und der RS-Schnelltest, die ebenso verlässliche Ergebnisse bringen und die Entscheidung für eine antimikrobielle Therapie zumindest erleichtern.

Identifizierung von Keimen durch PCR ist noch zu teuer und bringt keinen wesentlichen Zeitvorsprung, zumal auch keine Empfindlichkeitsprüfung erfolgt.

Wenn sich die Entscheidung für eine antimikrobielle Behandlung nicht auf ein Ergebnis der mikrobiologischen Testung und Resistenzprüfung stützen kann, muss man eine kalkulierte, empirische Behandlung beginnen.

 

Resistenzentwicklung

Einleitung
Es ist eine Tatsache, dass die Entwicklung der Antibiotika in den letzten 50 Jahren wahrscheinlich zum größten Fortschritt der Medizin in diesem Jahrhundert beigetragen hat. Dabei ist aber bemerkenswert, dass die Todesrate an Infektionen in diesem Zeitraum nicht abgenommen, sondern eine Verschiebung der Todesfälle in spätere Lebensabschnitte durch unterschiedliche Keime stattgefunden hat. Diese alarmierenden Fakten müssen als Folge der Entwicklung multipel antibiotikaresistenter Mikroorganismen gesehen werden, die in verschiedenen Ländern dramatische Ausmaße annehmen. Die Resistenzproblematik ist im Krankenhaus insbe-sondere auf Intensivstationen besonders gravierend.

Dazu einige Beispiele:

  • Methicillin-resistente Staphylokokken (Australien 35%)
  • Vancomycin-resistente Enterokokken (USA 10%)
  • Multidrug-resistente Enterobacteriaceae (P. aeruginosa, Enterobacter cloacae, Serratia marcescens: weltweit bis zu 25%)
  • resistente M. tuberculosis (GUS Staaten > 10%)
  • Chloroquin-resistente P. falciparum verbreitet

Noch immer besteht in Deutschland und in den skandinavischen Ländern ein wesentlicher Unterschied zwischen der Resistenzentwicklung im Krankenhaus und der im ambulanten Bereich.

In Zentraleuropa spielen gegenwärtig beta-Laktamase-bildende, Amoxicillin-unempfindliche H. influenzae und Penicillin-resistente Pneumokokken zum Glück eine untergeordnete Rolle.

Streptokokken sind immer, Pneumokokken und H. influenzae in mehr als 95% auf Penicillin bzw. Aminopenicilline empfindlich.

Makrolidantibiotika haben im Spektrum gegenwärtig weitgehend die Leitkeime von Infektionen der oberen und unteren Luftwege. Makrolid-resistente Streptococcus pneumoniae und Streptococcus pyogenes nehmen jedoch deutlich zu. In den USA, Südamerika, Südafrika, Südostasien, aber auch in Spanien und Frankreich sind resistente Mikroorganismen, z.B. Leitkeime für Infekte der Luftwege, bereits in den ambulanten Bereich vorgedrungen und sind Ursache für zahlreiche Therapieversager. Bei Patienten, die aus dem Urlaub aus diesen Ländern zurückkommen, ist das zu berücksichtigen.

Keime, die bei primären Harnwegsinfektionen isoliert werden, sind weitgehend auf TMP, aber auch auf Aminopenicilline empfindlich.

In der anhaltenden Bedrohung durch Infektionskrankheiten ist daher Antibiotikaresistenz ein Schlüsselelement. Die Resistenzentwicklung wird als Konsequenz einer breiten Anwendung jeder Substanzklasse gesehen und unterminiert deren therapeutischen Wert. Weitere Faktoren, die zur Resistenzentwicklung beitragen, sind inadäquate Hygienemaßnahmen bei der Infektionskontrolle im Krankenhaus. Sie begünstigen die Verbreitung dieser multiresistenten Keime. Auch soziologische und bevölkerungskinetische Phänomene wie Urbanisierung und Überbevölkerung begünstigen die Resistenzentwicklung.

Der breite Gebrauch und die unkritische Verschreibung von Antibiotika ist Hauptursache für die Entwicklung neuer Resistenzen und macht dadurch die Entwicklung immer neuer Antibiotika notwendig.

Diese Spirale dreht sich immer schneller, und es ist in der nahen Zukunft zu erwarten, dass alle bisher zur Verfügung stehenden Präparate wie beta-Laktamantibiotika, Makrolide, Azole und Chinolone in gleichem Maße vulnerabel für die Entwicklung von Resistenzen sind. Das Gleiche gilt auch für antivirale Substanzen, z.B. gegen HIV.

Um der rasanten Entwicklung der Resistenz von Mikroorganismen entgegenzutreten, müssen zunächst Ursprung und Mechanismen der Resistenzentwicklung aufgeklärt werden. Weltweit stellt diese Fragestellung eine wissenschaftliche Herausforderung dar, der durch Anstrengungen im Bereich der Epidemiologie, Mikrobiologie, Molekularbiologie und Biochemie begegnet wird.

Resistenzmechanismen
Bakterielle Mikroorganismen können sich der Wirksamkeit von Antibiotika durch eine Reihe von Mechanismen entziehen. In der Folge einige der bisher bekannten:

  • Bildung inaktivierender Enzyme:
    Am häufigsten werden beta-Laktamasen beobachtet, die den beta-Laktamring sprengen und somit das Antibiotikum zerstören. Es wurden zahlreiche beta-Laktamasen mit erweitertem Spektrum sowie Cephalosporinasen beschrieben. Die beta-Laktamasen befinden sich bei Stäbchen (H. influenzae, E. coli, Bacteroides spp.) zwischen Zellwand und Zellmembran, von Kokken (Staphylokokken) werden diese jedoch in die Umgebung sezerniert. beta-Laktamasen können durch beta-Laktamaseinhibitoren (Clavulansäure, Sulbactam), die selber keine wesentliche antimikrobielle Wirksamkeit besitzen, blockiert werden. Isoxazolylpenicilline aber auch Aminoglykoside blockieren ebenfalls die Bildung von b-Laktamasen. Auch Aminoglykosid-modifizierende Enzyme und makrolidspal-tende Enzyme werden beschrieben.
  • Veränderung der Membranpermeabilität durch Änderung der Porine:
    In diesem Fall ist ein Keim imstande, Poren in der Zellwand so zu modifizieren, dass ein Antibiotikum nicht mehr penetrieren kann. Beispiele sind die chromosomale Resistenz gegen beta-Laktamantibiotika sowie die Resistenz gegen Aminoglykoside.
  • Änderung der intrazellulären Bindungsstelle, sodass ein Antibiotikum sein Ziel nicht mehr findet:
    Als Beispiele gelten die Aminoglykosidresistenz, die Resistenz von Makroliden und Lincosaminen.
  • Entwicklung von Efflux-Pumpen:
    Ein Mechanismus, der vor allem für Makrolidresistenz verantwortlich ist. Dabei wird das Antibiotikum aktiv aus der Zelle gepumpt, wodurch keine antimikrobiell wirksamen Konzentrationen aufgebaut werden können. Die Entwicklung von Efflux-Pumpen wird durch langdauernde (14 Tage und mehr) subinhibitorische Konzentrationen von Makrolidantibiotika gefördert.

Ursprung multipel resistenter Keime
In jüngster Zeit konzentrieren sich die Untersuchungen auf einen Bereich, der bisher zu wenig beachtetet wurde: die körpereigene Flora. Sie stellt ein Reservoir von apathogenen, jedoch vor Einflüssen von Antibiotika nicht geschützten Mikroorganismen dar.

Antibiotika wirken nicht nur auf die ätiologisch bedeutsamen Erreger, zu deren Bekämpfung sie eingesetzt werden, sondern auch auf Keime der physiologischen Flora wie Stuhlflora, Flora der Mundhöhle, des Nasen-Rachenraums und der Haut. Daraus resultieren die sog. biologischen Nebenwirkungen wie Selektionsdruck, Erregerwechsel und Wiederbesiedlung von Körperoberflächen mit resistenten Keimen und in letzter Konsequenz die Selektion multipel resistenter Hospitalkeime. Erst in den letzten Jahren wurde deutlich erkannt, dass schwere nosokomiale Infektionen, z.B. beim immunsupprimierten Patienten, als vorwiegend endogene Infektionen aus dem Reservoir der patienteneigenen Flora hervorgehen. Die dabei isolierten Erreger zeichnen sich oft durch ausgeprägte Antibiotikaresistenzen aus, insbesondere wenn Patienten mit mehreren Breitspektrum-Antibiotika vorbehandelt wurden. Aktuelle Untersuchungen haben gezeigt, dass diese apathogenen, aber multiresistenten Keime Resistenzmechanismen auf potentiell pathogene Keime übertragen können. So kann z.B. ein makrolidresistenter Streptococcus mitis/sanguis in Gegenwart von subinhibitorischen Konzentrationen verschiedener Antibiotika die Resistenzmechanismen auf Streptococcus pyogenes übertragen.

Obwohl die körpereigene Flora, z.B. die Stuhlflora, mit über 100 Keimarten und Keimzahlen von 109 bis 1012 Keimen/g Faeces, das größte Keimreservoir des Körpers darstellt, wurden die Veränderungen der Darmflora durch Chemotherapie erst spät Gegenstand kontrollierter wissenschaftlicher Untersuchungen. Der dominante Keim der Stuhlflora wird oft als Erreger von Re- bzw. Superinfektionen bei immunsupprimierten Patienten oder bei Patienten mit rezidivierenden Harnwegsinfektionen unter prophylaktischer Gabe von Antibiotika beobachtet.

Die Verabreichung von Antibiotika, die zu hohen intraluminalen Wirkstoffkonzentrationen im Darm führen, verursachen eine massive Selektionierung multiresistenter Hospitalkeime. Bei intravenös verabreichten Breitspektrum-Antibiotika ist die hohe biliäre Ausscheidung und beta-Laktamasestabilität (z.B. Ceftriaxon), bei auch oral verabreichten Antibiotika die unvollständige Resorption und Bioverfügbarkeit (z.B. Cefixim und Cefaclor) verantwortlich.

Einfluss von Antibiotika auf die körpereigene Flora
Quantitative Untersuchungen der Stuhlflora wurden bei mehreren 100 Patienten unter dem Einfluss verschiedener Antibiotika durchgeführt.

Die folgenden Abbildungen zeigen die qualitative und quantitative Veränderung der Stuhlflora unter dem Einfluss der verschiedenen Antibiotika.

Cefixim, ein Cephalosporin der 3. Generation mit breitem Wirkspektrum insbesondere gegen gramnegative Enterobakterien, wird nur zu 50% absorbiert, 50% der verabreichten Wirkstoffmenge bleiben unabsorbiert im Darm liegen. Bei einer Dosierung von 8-10 mg/kg KG resultieren Konzentrationen von ca. 100 µg/g Stuhl. Die Coliflora wird innerhalb von 2 Tagen vollständig eradiziert. Die Lücke wird durch Überwucherung mit Enterokokken in Konzentrationen von 10 Keimen/g Stuhl und Candida albicans in Konzentrationen von 10/g Stuhl geschlossen. Ab dem 3.-4. Behandlungstag kommt es zur Besiedlung mit multiresistenten Enterobakterien wie Klebsiella spp., Enterobacter spp. sowie P. aeruginosa, P. cepacia und Strenotrophomonas maltophilia (Abb. 11).

Abbildung 11: Änderung der Stuhlflora nach Gabe von Cefixim 9 mg/kg KG an 25 Säuglingen und Kleinkindern

Ca. 7 Tage nach Absetzen des Antibiotikums kommt es zum Wiederauftreten der Coliflora und über 2-6 Wochen zur Verdrängung der Enterokokken, Candida albicans und auch der multiresistenten Enterobakterien.

Eine ähnliche Veränderung der Stuhlflora wurde auch nach Gabe von Cefaclor beobachtet, das zu 85% enteral resorbiert wird. Die nicht absorbierten 15% der Wirksubstanz führen zu einer profunden Veränderung der Stuhlflora (Abb. 12).

Abbildung 12: Änderung der Zusammensetzung der Stuhlflora unter dem Einfluss von Cefaclor 50 mg/kg KG. Untersuchungen an 25 Säuglingen und Kleinkindern über einen Zeitraum von 3 Wochen

Cefpodoximproxetil besitzt als Prodrug im Intestinaltrakt keine antimikrobielle Wirksamkeit, sondern wird erst nach Durchtritt durch die Darmwand aktiviert. Da dieses Präparat auch zu mehr als 90% renal ausgeschieden wird, sind keine antimikrobiellen Wirkstoffkonzentrationen im Stuhl nachzuweisen. Dies ist die Erklärung für die bemerkenswert geringe Veränderung der Intestinalflora nach Gabe dieses Präparates.

Cefalexin wird vollständig im Dünndarm resorbiert und hat deshalb keine Änderung der Intestinalflora zur Folge (Abb. 13).

Abbildung 13: Quantitative Untersuchung der Stuhlflora nach Gabe von Cefalexin über einen Zeitraum von 3 Wochen

Auch nach Gabe von Cefadroxil wurde keine Beeinflussung der Stuhlflora beobachtet, da auch dieses Präparat vollständig aus dem Intestinaltrakt resorbiert wird.

Durch Penicillin wird die Coliflora nicht verändert, deshalb erfolgt auch keine Überwucherung der Intestinalflora mit Enterokokken, Candida albicans oder multiresistenten Enterobakterien (Abb. 14).

Abbildung 14: Quantitative Untersuchung der Stuhlflora nach Gabe von Phenoxymethylpenicillin K über einen Zeitraum von 3 Wochen

Auch Makrolidantibiotika besitzen keine Wirksamkeit auf E. coli, und damit ist keine Änderung der Zusammensetzung und des Resistenzmusters der Darmflora zu beobachten (Abb. 15).

Abbildung 15: Quantitative Untersuchung der Stuhlflora nach Gabe von Erythromycin über einen Zeitraum von 3 Wochen

Klinische Konsequenzen aus diesen Untersuchungen resultieren in Reinfektionen mit einem entsprechend der verabreichten Substanz selektierten teil- oder multiresistenten Stamm. Ein Rezidiv eines Harnwegsinfektes, z.B. nach Gabe von Cefixim, erfolgt regelmäßig durch einen multiresistenten Enterobacter cloacae, der nur auf Carbapeneme empfindlich ist.

Einfluss der Pharmakokinetik auf die Entwicklung resistenter Mikroorganismen
Um den Ansprüchen der modernen Pharmakologie und Compliance gerecht zu werden, kommen zunehmend Makrolidantibiotika zum Einsatz, die sich einerseits durch hohe Gewebskonzentrationen am Wirkort, anderseits durch eine extrem lange Eliminationshalbwertszeit auszeichnen. Dies gilt in besonderem Maße für Azithromycin mit einer Halbwertszeit von 68-72 Stunden. Ein Vorteil ist das anwenderfreundliche Dosierungsschema, kritisch zu betrachten ist jedoch das Auftreten von subinhibitorischen Konzentrationen im Gewebe, der „epithelial lining fluid“ (ELF) und Körperflüssigkeiten über mehrere Wochen. Die Induktion von Resistenzmechanismen unter subinhibitorischen Konzentrationen ist für Makrolidantibiotika mehrfach in der Literatur beschrieben. Eigene Untersuchungen haben gezeigt, dass unter dem Einfluss von subinhibitorischen Konzentrationen von allen Makrolidantibiotika primär empfindliche klinische Isolate von S. pneumoniae, aber auch von H. influenzae innerhalb von 2 Wochen in vitro eine gegen alle Makrolidantibiotika mit einem 14- oder 15-gliedrigen Laktonring gerichtete Resistenz entwickeln. Diese zunächst noch reversible Resistenz kann unter erneuter Exposition mit subinhibitorischen Konzentrationen innerhalb von 4 Tagen induziert werden. Der Resistenzmechanismus besteht in der Induktion einer Makrolid-Efflux-Pumpe, die den Wirkstoff aktiv eliminiert, so dass keine antimikrobiell wirksamen Konzentrationen im Keim erreicht werden.

Baquero kreierte für dieses Phänomen den Begriff des „Selektiven Fensters“ und beschreibt damit den Zeitraum, in dem die Konzentration eines Antibiotikums zwischen MHK und MAK liegt. Wenn dieser Konzentrationsbereich, in dem die bakterizide/bakteriostatische Wirksamkeit nicht mehr ausreicht, der Wirkstoff jedoch trotzdem einen Einfluss auf den Stoffwechsel des Mikroorganismus hat, groß genug ist, haben Antibiotika die Fähigkeit, Resistenzen zu induzieren (Abb. 16).

Abbildung 16: Selektives Fenster

In weiteren Untersuchungen konnte auch die Übertragung dieses Resistenzmechanismus von apathogenen Streptokokken (Streptococcus salivarius, Streptococcus mitis) auf Streptococcus pyogenes unter subinhibitorischen Konzentrationen beobachtet werden.

Der Einfluss der Pharmakokinetik auf Veränderungen der körpereigenen Rachenflora wurde durch den Vergleich von Makrolidantibiotika mit unterschiedlicher Eliminationshalbwertszeit mittels E-Teststreifen bei 180 Patienten untersucht.

Ergebnisse der Untersuchungen der Rachenflora
Nach Verabreichung von Makrolidantibiotika mit unterschiedlichen pharmakokinetischen Eigenschaften (Erythromycin, Clarithromycin, Roxithromycin, Josamycin und Azithromycin) zeigte sich zunächst in allen Gruppen nach einer Woche eine Veränderung der Rachenflora mit Auftreten von makrolidresistenten Stämmen (43% der Patienten bei Erythromycin (N=12), 52% bei Clarithromycin (N=60), 65% bei Roxithromycin (N=12), 15% bei Josamycin (N=12) und 70% bei Azithromycin (N=50)). In den darauf folgenden Wochen fiel der Prozentsatz an Patienten, die mit makrolidresistenten Keimen besiedelt waren, mit Ausnahme von Azithromycin kontinuierlich ab: Nach 6 Wochen konnten bei 17% der Patienten nach Gabe von Clarithromycin resistente Stämme in der Rachenflora nachgewiesen werden, im Gegensatz zur Therapie mit Azithromycin, bei 86% der Kinder mit makrolidresistenten Stämmen besiedelt waren. Aus den Rachenabstrichen ließen sich Strep. salivarius, Strep. viridans, Strep. pneumoniae, Staph. aureus, Staph. epidermidis isolieren, die gegen sämtliche 14- und 15-gliedrige Makrolidantibiotika unempfindlich waren. 30% dieser Patienten wiesen eine gänzlich veränderte Rachenflora auf, dominiert durch multiresistente gramnegative Keime (Pseudomonas aeruginosa, Serratia marcescens, Enterobacter cloacae, Klebsellia species u.a.). Bei 10% der Patienten kam es zu einer massiven Überwucherung mit C. albicans.

7 der 60 mit Azithromycin behandelten Patienten erlitten innerhalb der Beobachtungsphase eine Reinfektion, wobei neben viralen Infektionen auch bakterielle Infektionen mit makrolidresistenten Keimen (Strep. pneumoniae, Strep. pyogenes, Pseudomonas aeruginosa) gesehen wurden.

Tabelle 1: Patienten mit Reinfektionen 2-7 Wochen nach Behandlung

Patienten mit Reinfektionen 2-7 Wochen
nach Behandlung mit Azithromycin
B.F.
F.M.
M.E.
S.J.
L.Ch.
Z.Y.
K.C.
S.K.
3 a
4 a
3 a
8 a
5 a
2 a
2 a
1 a
Otitis media, Mastoiditis
Otitis media, Mastoiditis
Pharyngitis
Sinusitis, Bronchitis
Otitis media perf.
Pharyngitis, Sinusitis
Pneumonie
purulente Rhinitis
S. aureus
P. aeruginosa
H. influenzae
S. pneumoniae
S. aureus
S. pneumoniae
S. pyogenes
Enterobacter cloacae
Patienten mit Reinfektionen 2-7 Wochen
nach Behandlung mit Clarithromycin
S.M.
3 a
Sinusitis
S. aureus

 

Die Beobachtung der ausgeprägten Veränderung der Zusammensetzung und des Resistenzverhaltens der Rachenflora bei Patienten nach Behandlung mit Azithromycin lässt sich durch die extrem lange Gewebeelimination und durch das Auftreten von subinhibitorischen Konzentrationen über mehrere Wochen erklären.

Unter diesem Einfluss erklärt sich auch die nachhaltige Störung der Rachenflora und die Besiedelung des Rachenraums durch gramnegative Enterobacteriaceae. Darüber hinaus bietet eine gestörte Rachenflora nicht mehr den notwendigen Schutz gegen das Eindringen von pathogenen Keimen, sodass auch die hohe Reinfektionsrate in der Azithromycin-Gruppe auf diesen Effekt zurückgeführt werden muss. Bei Gabe der anderen Makrolidantibiotika wurde dieses Phänomen nicht beobachtet. Bei 60 Patienten, die Clarithromycin erhielten, wurde nur bei einem Patienten ein Rezidiv einer Sinusitis mit einem makrolidresistenten S. aureus, bei 36 Patienten unter Erythromycin-, Josamycin- oder Roxithromycintherapie wurde bei keinem Patienten ein Rezidiv beobachet.

 

Literatur beim Verfasser

 

Anschrift des Verfassers:
Univ.-Prof. Dr. J. Peter Guggenbichler
Klinik mit Poliklinik der Universität Erlangen-Nürnberg
D-91054 Erlangen, Loschgestraße 15
E-Mail: prof.guggenbichler@iname.com

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