Die Geschichte des
ersten säurestabilen Oralpenicillins (Penicillin V) |
em.o. Univ.-Prof. DDr.
K. H. Spitzy
ehem. Vorstand der Univ. Klinik für Chemotherapie, Wien |
Univ.-Prof. DDr. K. H. Spitzy
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Im schönen Land Tirol steht mitten im
Dorf Kundl seit 1490 das malerische Schloß Hochholtingen. Die Herrschaft des Schlosses
richtete im Jahre 1685 eine eigene Bierbrauerei ein. Die Güte des Kundler Biers war auf
das reichlich vorhandene geeignete Wasser und die jahrhundertalte Tradition der Erzeuger
zurückzuführen. Dies veranlaßte die mächtige Linzer Brau AG im Jahr 1927, die kleine,
vorbildlich arbeitende Kundler Brauerei ihrem Imperium einzuverleiben.
Die Bierprodukion basiert auf einem
Fermentationsprozeß lebendiger Hefe, durch den Malz zu Alkohol vergoren wird. Zur
Reinigung der Fässer muß ein Stoff verwendet werden, der antibakteriell wirksam ist, die
Hefe aber in ihrer Funktion als Fermenterzeuger möglichst wenig angreift. Als besonders
geeignet erwiesen hatte sich dazu seit langer Zeit Phenoxyessigsäure. Sie störte in
geringeren Konzentrationen das Wachstum der Hefe nicht und half, das Anwachsen von
unerwünschten Mikroorganismen zu verhindern - ein "antibiotischer Effekt selektiver
Toxizität", würden wir heute sagen, denn dieses Phänomen ist Grundlage jedes
chemotherapeutisch und damit auch jedes antibiotisch wirksamen Medikaments, so auch des
Penicillins. Diese "Chemoprophylaxe" als Schutz der Hefe und ihres Malzmediums,
eines idealen Nährbodens für Mikroorganismen, vor unerwünschter bakterieller Infektion
sollte der Hintergrund für eine spätere epochale Entdeckung werden. |
So weit war es
aber lange noch nicht. Das Ende des Zweiten Weltkrieges hinterließ ein Chaos. Das
Bierbrauen in Kundl mußte aus Mangel an Rohstoffen eingestellt werden, überall lagen aus
der Kriegsproduktion von Waffen Materialien wie Rohre, Kessel, Container etc. als
Bestandteile von alten Pipelines, U-Booten, Panzern und Kanonen herum. Das einzig übrig
gebliebene Potential war ein geistiges: ein unbändiger Wille zum Wiederaufbau. Auch
Vertreter der Besatzungsmächte machten sich Gedanken, wie man die Lebensbedingungen in
diesem Chaos verbessern könnte. In Kundl waren die Franzosen Besatzungsmacht, und ein
findiger Captain namens Rambaud kam auf die Idee, die Fermentationserfahrungen der
Bierbrauer und das Geschick von Tiroler Mechanikern zu kombinieren und zu versuchen, statt
Bier einen viel wertvolleren Stoff zu erzeugen, nämlich Penicillin, das in Österreich
als extreme Mangelware praktisch nur am Schwarzmarkt (vom "dritten Mann")
erhältlich war.
Das Management der Brau AG nahm den Gedanken
begeistert auf und beorderte sofort den Gärungschemiker Dr. E. Brunner und den
Mikrobiologen Dr. St. Kropacsy nach Kundl. Sie krempelten die Ärmel auf und schufen aus
dem Nichts eine Produktionsstätte für Penicillin. |
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Ehemaliges Firmengelände der Biochemie Kundl
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Statt daß Hefe Bier erzeugte, war es nun der
Pilz Pencillium, der Penicillin, vorerst in kleinen Mengen, zu erzeugen hatte. Das Geld
war knapp, manches Material für die Einrichtung wenig geeignet, Erfahrungen mußten erst
gesammelt werden, aber der Wille zum Aufbau besiegte alle Schwierigkeiten, alle
Mitarbeiter der "Biochemie Kundl" setzten sich ein - vom Auswaschen der eigenen
Glasware bis zur vollen Produktion. 1948 verließen die ersten Penicillin G-Ampullen die
Firma. Unterdessen stieß der Biologe Dr. E. Brandl
zum Team. Für Brandl stellte sich vor allem das Problem einer verminderten Ausbeute von
Penicillin G durch immer wieder vorkommende Infektionen. Seit der Publikation von E. P.
Abraham und E. Chain. (1940) war bekannt, daß Penicillin G durch ein von vielen Bakterien
erzeugtes Ferment (Penicillinase) hydrolysiert und damit unwirksam gemacht wird. Es galt
für Brandl ein Mittel zu finden, das dem Nährmedium des Penicillin-erzeugenden Pilzes
zugesetzt werden konnte, ohne den Pilz am Wachstum zu hindern und ohne dadurch die
Produktion des Antibiotikums Penicillin zu stören. Es bot sich dazu, wie oben erwähnt,
die in der Bierherstellung als "cleaner" bereits in Verwendung stehende
Phenoxyessigsaure an. Sie fügte den eukariotischen Pilzen (Hefe und Penicillium) keinen
Schaden zu und war gegen die akariotischen Bakterien (z. B. E. coli) wirksam.
Für diese systematischen Untersuchungen zog Brandl über Anraten von Brunner den Chemiker
Dr. H. Margreiter bei. Betaphenoxyaethanol erwies sich als geeigneter Zusatz, und da kam
es zur ersten Überraschung. |
Um dem Penicilliumpilz genügend Substrat für
die Erzeugung von Penicillin G (Benzylpenicillin mit einer Phenyl-Seitenkette) zu geben,
war die Zugabe von Phenylessigsaure üblich. Nun stellte sich heraus, daß die Zugabe von
Phenoxyessigsaure der Penicillinproduktion nicht nur nicht schadete, sondern das erzeugte
Penicillin sogar wirksamer gegen Bakterien machte. Der komplette Ersatz von
Phenylessigsäure durch Phenoxyessigsäure als Precursorsubstanz bestätigte die höhere
Aktivitat eines Penicillins, dem keine Phenylseitenkette, sondern eine Phenoxyseitenkette
angebaut worden war. Damit war die Wahrscheinlichkeit gegeben, daß es sich um ein neues,
bisher unbekanntes Penicillin handeln mußte. Brandl und Margreiter gingen nun daran zu
versuchen, das vermutete neue, biologisch aktivere Penicillin mit Diisopropylaether zu
extrahieren, und da kam es zur zweiten Überraschung. Die
beiden Forscher arbeiteten bis spät am Abend und ließen die Teströhrchen über Nacht
stehen. Am nächsten Morgen machte sich Margreiter daran die Röhrchen zu reinigen, denn
Hilfspersonal gab es keines und Einmalröhrchen waren zu teuer. Bei der Reinigung fiel
Margreiter ein Niederschlag auf, der überraschend stabil gegen Säure war. Er
überprüfte dessen mikrobiologische Aktivität. Wahrend Penicillin G unweigerlich
zerstört worden wäre, war dieses neue Penicillin auch unter dem Einfluß von Säure
hochaktiv. Die folgende chemische Analyse ergab erwartungsgemäß ein
Phenoxymethyl-Penicillin, das sich entgegen aller Erwartung als säurefest erwies. |
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Herstellung steriler Cephalosporine
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Mikroskop-Aufnahme von Schimmelpilz-Hyphen
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Das Team Brunner, Kropaczy,
Brandl und Margreiter erkannte die große Bedeutung der Entdeckung und gab die am 7.
Januar 1952 gemachten Erkenntnisse unter strengster Geheimhaltung (unter der Bezeichnung
"vertraulich", gekennzeichnet durch ein großes V) an das Firmenmanagement der
Firma Biochemie weiter. Dadurch erhielt das neue Penicillin den Namen "Penicillin
V". Es war außerdem das fünfte nach den "natürlichen" vom Pilz
erzeugten, durchwegs säureinstabilen Penicillinen F, G, K und X. Der Pharmakologe Dr. M.
Giovannini testete die Verträglichkeit, Absorbilität und Ausscheidung und gab die
Substanz für erste klinische Versuche frei.
Der "Zufall", der zu dieser
Entdeckung eines neuen säurefesten Penicillins führte, erinnert deutlich an jenen
"fortunate accident", den A. Fleming 1928 beschrieb, als er die Wirkung einer
zugeflogenen Pilzspore auf eine Staphylokokkenkultur beobachtete. Um die sich entwickelnde
Pilzpopulation herum hatte sich ein bakterienfreier Hof gebildet. Fleming erkannte die
Bedeutung des überraschenden Phänomens und nannte den im Nährmedium des
Penicilliumpilzes gebildeten antibakteriellen Stoff Penicillin. Es sollte dann noch über
10 Jahre dauern, bis der Chemiker E.B. Chain, der Arzt H.W Florey und die Mitarbeiter des
Oxforder Kreises therapeutisch brauchbares Penicillin herstellen konnten.
Zum "Zufall" gehört immer ein
"Einfall", der die "Notwendigkeit" erkennt, die einer epochemachenden
Entdeckung zukommt. |
Beim Penicillin V ging alles
viel schneller, auch viel schneller, als es heute aufgrund der extrem hemmenden
Vorschriften für die Einführung neuer Arzneimittel gehen könnte. Schon 1954 waren die
vorklinischen Untersuchungen so weit, daß der Autor dieses Beitrages beauftragt werden
konnte, die ersten klinischen Untersuchungen zu beginnen. Dieser beschäftigte sich als
Universitätsassistent an der 1. Medizinischen Klinik in Wien mit Hämatologie und
speziell mit Untersuchungen des Stoffwechsels menschlicher, vor allem leukämischer
Blutzellen unter dem Einfluß von Zytostatika. Er stand damit der Chemotherapie nahe, die
später sein Fach werden sollte, und hatte einige Erfahrung im Bereich der Mikrobiologie.
Seine Persönlichkeit garantierte überdies die geforderte strenge Geheimhaltung. Die ging
damals übrigens so weit, daß man dem Kliniker nicht einmal die chemischen Formeln der
übersandten, als Penicilline deklarierten Substanzen bekannt gab. |
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Verschiedene, von Giovannini pharmakologisch-toxikologisch überprüfte Penicilline wurden
also dem Kliniker übersandt und auf ihre Eignung zur oralen Penicillintherapie geprüft.
Vor dem Beginn klinischer Voruntersuchungen mußte die bestehende Literatur über
Penicilline gesammelt werden und wurde, wie es sich gehört, sorgfältig im Original
studiert. Dabei stellte sich heraus, daß bereits 1948 etwa 50 Penicilline mit Hilfe von
Zusätzen von Precursorsubstanzen hergestellt, die Resultate publiziert und auch
patentiert worden waren. Diese zum Unterschied von den "natürlichen
Penicillinen" als "biosynthetische Penicilline" bezeichneten Antibiotika
wurden von Behrends u. Ma. in der Firma Eli Lilly in Indianapolis, USA, aus den Medien der
bearbeiteten Pilzkultur extrahiert, die chemische Formel eruiert und die mikrobiologische
Aktivität gemessen. Unter den so überprüften Substanzen befand sich auch das
Phenoxymethylpenicillin mit seiner deutlich höheren biologischen Aktivität. Die
Säurefestigkeit fiel nicht weiter auf; wohl, weil Einmalgefäße verwendet wurden und
damit der stabile Niederschlag unbeachtet blieb. In einer weiteren Publikation fanden sich
einige spektrophotometrischen Absorptionskurven, die in einem (aus dem Marshalplan
stammenden) UV Spektrographen an der Klinik unschwer nachvollzogen werden konnten. So war
- zur Überraschung des Managements der Firma Biochemie - das Geheimnis rasch gelüftet,
aber auch erkannt, daß das neue Penicillin leider nicht mehr neu und damit nicht
patentfähig sein konnte. Intensive Verhandlungen zwischen den beiden Firmen führten dann
allerdings zu einem Gentlemen's Agreement und das Management der Firma Lilly stimmte,
gegen den Rat ihres Anwalts, einer Marktteilung zu. Lilly honorierte damit in
außerordentlich fairer Weise die ihr entgangene österreichische Entdeckung der
Säurefestigkeit und damit der Eignung des Penicillin V zu einer oralen Therapie. |
Das Zusammengehen der finanzschwachen Biochemie mit der reichen Weltfirma Lilly trug aber
einiges zur raschen weltweiten Verbreitung des neuen Antibiotikums bei. Schon am III.
Internationalen Symposium für Antibiotika im Jahr 1955 in Washington wurden die
österreichischen und schon einige amerikanische klinische Studien präsentiert und das
erste oral zu verabreichende Penicillin weltweit bekannt gemacht. |
Schon bald interessierten sich andere potente Firmen für die Substanz und starteten eine
intensive Suche nach weiteren säurefesten Oralpenicillinen. J.C. Sheehan und D.R. Hoff
gelang 1957 die chemische Vollsynthese von Penicillin V und die bald folgenden
Möglichkeiten der Semisynthese machten den Austausch von Seitenketten des
Penicillinnukleus (6-APA) zur Routine. Für den Aufbau von zahllosen neuen
"semisynthetischen" Penicillinen, Cephalosporinen und anderen
Betalactam-Antibiotika war die Erkenntnis der Säurefestigkeit bestimmt strukturierter
Penicilline von entscheidender Bedeutung. Sie kann so als "Meilenstein der
Penicillinforschung" gelten.
Das Phenoxymethylpenicillin muß nicht wie
andere Penicilline als Salz vorliegen, es ist im Gegensatz zu Penicillin G auch als
Penicillin V- Säure stabil. Bei Hochdosierung spielt daher eine zusätzliche Natrium-
oder Kaliumbelastung keine einschränkende Rolle. Im Ospen® der Firma
Biochemie Kundl liegt Penicillin V als freie Säure vor und kann fast bedenkenlos hoch
dosiert werden. Das ist extrem wichtig für die Therapie gegen Streptokokken, die heute
wieder als "Killerbakterien" Schlagzeilen machen: Zu ihnen gehören auch die
Pneumokokken, deren Resistenz im Ansteigen ist. Hier wie dort ist ausreichende Dosierung
angezeigt. Wir haben (bisher?) in Österreich diese Sorgen nicht, und das liegt nicht
zuletzt am Vertrauensvorschuß durch die Penicillin-Forschungstradition dieses Landes.
Fast über 50 Jahre hinweg hat sich das Penicillin V als orales Standardmedikament
gehalten und trotz zahlreicher Konkurrenzpräparate nichts von seiner Bedeutung verloren. |
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Biochemie GmbH, Werk Kundl
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Anschrift des
Verfassers:
Univ.-Prof. DDr. K. H. Spitzy
A-2500 Baden, Hochstraße 2 |
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