Dosierung von Antibiotika im Kindesalter - Schnittstelle zwischen Pharmakokinetik und Pharmakodynamik

J.P. Guggenbichler
Univ.-Klinik für Kinder und Jugendliche der Universität Erlangen/Nürnberg
(Vorstand: Univ.-Prof. Dr. W. Rascher)



Schlüsselwörter:
Pharmakokinetik, Pharmakodynamik, Resorptionseinbuße, subinhibitorische Konzentrationen


Zusammenfassung

Es bestehen erhebliche Unterschiede in der Resorption, Verteilung und im Metabolismus von Antibiotika in verschiedenen Lebensabschnitten. Durch eine beschleunigte Peristaltik im Säuglingsalter sowie bei verschiedenen Grundkrankheiten kommt es zu Resorptionseinbußen von 50%, gemessen an der Fläche unter der Resorptionskurve und der im Harn wiederentdeckten Wirkstoffmenge. Auch Resorptionseinbußen durch gleichzeitige Verabreichung von Nahrung sind zu berücksichtigen. Dadurch kann man nicht mit einer regulären Pharmakokinetik, wie sie bei Erwachsenen zur Definition von effektiven Tagesdosen und Dosierungsintervallen geführt hat, rechnen. Ein weiterer wichtiger Faktor bei der Infektionsbehandlung von Säuglingen und Kleinkindern besteht in der Beachtung der Pharmakodynamik von Antibiotika, d.h. Wirkstoffkonzentrationen auch über einen ausreichenden Zeitraum am Infektionsort aufrechtzuerhalten. Für das Kindesalter werden Wirkstoffkonzentrationen über dem MHK-Wert von 75-90% der Zeit bis zur nächsten Dosis empfohlen. Dies resultiert in einer raschen Keimelimination und klinischen Heilung sowie Verhinderung der Resistenzentwicklung. Im Gegensatz dazu sind subinhibitorische Konzentrationen von Antibiotika mit verzögerter klinischer Besserung, dem Übergang in eine chronisch schwelende Infektion und der Induktion/Selektion von resistenten Mikroorganismen verbunden. Die Beachtung der für Säuglinge und Kleinkinder relevanten Besonderheiten ermöglicht eine Verbesserung der Behandlungsergebnisse.


Key-words:
Pharmacokinetics, pharmacodynamics, impairment of absorption, subinhibitory concentrations


Summary

Substantial differences are seen in the absorption, distribution, metabolism and elimination of antimicrobial substances in infants and children. Due to a faster transit time in the intestinal tract in infants and due to acute and chronic diarrhea, frequently seen with infections of the respiratory tract, a reduction of absorption of 50%, determined by the area under the curve and the urinary recovery of the antimicrobial substance is observed. Also a significant impairment of absorption of antibiotics with concomitant administration of food has to be taken into consideration for various substances. Of critical importance in the selection and evaluation of any antiinfective drug regimen is also the conjoint consideration of the drug action i.e. the pharmacodynamics of the antibiotic. This means that adequate concentrations of an antimicrobial substance must be present at the site of the infection for a sufficient period of time. For children optimum eradication of microorganisms is achieved by surpassing the MIC for a minimum of 75 to 90% of the time until the next dose. This results in a rapid eradication of the infectious agent, fast improvement of the clinical condition and the prevention of emergence of resistant microorganisms. In contrast subinhibitory concentrations result in functional disturbances with chronic smolderig infections and selection of less sensitive or resistant microorganisms. The observation of this unique situation for infants and children has been largely neglected in the past for the determination of the total daily dose and dosage intervals in these age groups. Proper attention to the pharmacokinetic-pharmacodynamic interface unique to children results in an improved clinical outcome and prevention of therapeutic failures.



Einleitung

Infektionen spielen in der Kinderheilkunde eine wesentliche Rolle. Es ist selbstverständlich, dass die erfolgreiche Behandlung einer Infektion die Wahl eines wirksamen Antibiotikums voraussetzt. Sie erfolgt nach Isolierung des Keimes durch die Empfindlichkeitsprüfung mittels Hemmhofbestimmung oder MHK-Testung. Meist erfolgt die Wahl eines Antibiotikums jedoch nach klinischen Gesichtspunkten noch vor dem Vorliegen mikrobiologischer Ergebnisse als empirische oder kalkulierte Therapie. Dies ist jedoch in den letzten Jahren durch das Auftreten resistenter Mikroorganismen auch im ambulanten Bereich erheblich schwieriger geworden [1, 2].

Der therapeutische Erfolg der Behandlung einer Infektion, aber auch die Entwicklung resistenter Mikroorganismen werden entscheidend dadurch beeinflusst, dass antimikrobiell wirksame Konzentrationen im Gewebe, in Körperhöhlen, in Körperflüssigkeiten wie dem interstitiellen Flüssigkeitskompartment und in der die Mukosa bedeckenden Schleimschicht (Epithelial Lining Fluid, ELF), d.h. am Infektionsort für eine ausreichend lange Zeit aufrechterhalten werden. Durch das Überschreiten von Wirkstoffkonzentrationen, die über dem MHK-Wert liegen, ist eine schnelle und effiziente Elimination der pathogenen Mikroorganismen möglich, woraus ein rascher Rückgang der Entzündungsreaktion resultiert. Damit ist einerseits eine rasche klinische Heilung und die Vermeidung des Übergangs einer akuten Infektion in eine chronisch schwelende Infektion verbunden. Zusätzlich kann die Induktion und Selektion resistenter Mikroorganismen verhindert werden [3].

Eine wichtige Orientierungsgröße für die Wirksamkeit eines Antibiotikums ist die Pharmakokinetik, d.h. die Bioverfügbarkeit eines Medikamentes, die durch die Messung der Serum- und Gewebskonzentrationen und ihre Beeinflussung durch Resorptions-, Diffusions- und Exkretionsvorgänge bestimmt wird. Die Pharmakodynamik beschreibt einerseits die Wirkung eines Antibiotikums auf den Keim, vor allem aber den Zeitraum, während dem ausreichende Wirkstoffkonzentrationen am Ort der Infektion für eine erfolgreiche Keimelimination notwendig sind.

Dabei unterscheiden sich alle oben genannten Parameter bei Kindern erheblich von denen Erwachsener. Aber selbst im Kindesalter sind wesentliche Unterschiede in den einzelnen Lebensabschnitten – z.B. zwischen Früh- und Neugeborenen, Säuglingen, Kleinkindern zwischen 2 und 6 Jahren, Schulkindern und Adoleszenten – zu beobachten, bei denen sich die pharmakologischen und pharmakokinetischen Parameter dem Erwachsenenalter annähern. Zudem sind besondere Grundkrankheiten zu berücksichtigen, die die oben genannten Parameter zusätzlich überlagern [4].

 

Pharmakokinetik / Bioverfügbarkeit

Die Pharmakokinetik umfasst nach der klassischen Pharmakologie die Beschreibung der Absorption, der Verteilung (Distribution), des Metabolismus und der Elimination (ADME) von Medikamenten [5]. Bei der Verabreichung von Antibiotika ist dies jedoch in einem breiteren Sinn zu sehen, da zusätzliche „Variable“ wie der Mikroorganismus mit einer unterschiedlichen Empfindlichkeit, Inokulumgröße, die Entzündungsreaktion sowie die spezifische und unspezifische körpereigene Abwehr dazukommen. Zudem besteht in den verschiedenen Lebensabschnitten ein deutlicher Unterschied im Gesamtkörperwasser sowie in der Zusammensetzung der einzelnen Kompartments, was einen wesentlichen Einfluss auf die Wirkstoffkonzentration hat: Während bei Erwachsenen das Gesamtkörperwasser 60% und das extrazelluläre Flüssigkeitskompartment ca. 26% des Körpergewichtes ausmachen, beträgt dies bei Frühgeborenen < 1.500 g GG 80% und 45% respektive. Bei reifen Neugeborenen geht das extrazelluläre Flüssigkeitskompartment auf 40% zurück und pendelt sich im Laufe des ersten Lebensjahres auf 26-28% des Körpergewichts ein. Dementsprechend ist das Verteilungsvolumen von ß-Laktam-Antibiotika in diesen Lebensabschnitten um > 40% größer und es sind die erreichbaren maximalen Wirkstoffkonzentrationen bei äquimolarer Resorption um den entsprechenden Faktor niedriger [6].

Eine Vielzahl von pharmakokinetischen Parametern wie die Absorption und die Bestimmung der Invasionshalbwertszeit, die Fläche unter der Konzentrationskurve (AUC) sowie die Bestimmung der im Harn wiedergefundenen Wirkstoffmenge als Maß der Bioverfügbarkeit eines Medikamentes, die Eliminationshalbwertszeit, die Verteilung in verschiedenen Körper-Kompartmenten und das Verteilungsvolumen, der „First Pass Effect“ wie auch die Biotransformation von Prodrugs im Darmlumen sind für die Wahl der Tagesdosis und der Dosierungsintervalle zu beachten.

Alle diese Parameter bestimmen – abgesehen von unterschiedlichen Empfindlichkeiten von Mikroorganismen – die Wirksamkeit und Sicherheit von Antibiotika, die Wahl einer korrekten Tagesdosis und die Dosierungsintervalle.

 

Orale Therapie und Bioverfügbarkeit

Vor allem im ambulanten Bereich erhält die Mehrzahl der Patienten Antibiotika oral, wobei das Ausmaß von Resorption und Bioverfügbarkeit wesentlich zum therapeutischen Erfolg beiträgt. Untersuchungen der Bioverfügbarkeit erfolgten bisher im Rahmen der Zulassungsuntersuchungen von Antibiotika an gesunden, nüchternen Probanden. In der Praxis werden die Präparate an Säuglinge und Kleinkinder mit verschiedenen Grundkrankheiten ohne Rücksicht auf den Füllungszustand des Magens verabreicht.

Die Resorption hängt von
- dem Füllungszustand und der Entleerungszeit des Magens,
- dem pH-Wert im Magen,
- der intestinalen Oberfläche und Permeabilität,
- der Peristaltik des Dünndarms,
- der Durchblutung im Splanchnikusgebiet,
- der mikrobiellen Besiedelung
ab [7].

Bei der Erhebung pharmakokinetischer Daten von Säuglingen und Kleinkindern ergibt sich eine Reihe von Schwierigkeiten. Bei den wenigen bisher in der Literatur zur Verfügung stehenden Untersuchungen konnten erhebliche Unterschiede in den einzelnen Lebensabschnitten beobachtet werden, was die Notwendigkeit entsprechender klinischer und pharmakologischer Untersuchungen unterstreicht. Aus ethischen Gründen ist die Erhebung eines kompletten pharmakokinetischen Profils mit Bestimmung der Invasions- und Eliminationshalbwertszeit, des Verteilungsvolumens etc. oft nicht möglich, da dies Blutabnahmen von 2 ml in 1/2-stündlichen Intervallen bis zu 6 Stunden erfordern würde.

Als Ausweg aus diesem Dilemma bieten sich an:

a) Die Untersuchung erfolgt im Rahmen einer Therapieüberwachung als therapeutisch gerechtfertigtes Drugmonitoring. Die Konzentrationsbestimmung erfolgt aus Einzelproben von verschiedenen Patienten, die in bestimmten Zeitabständen entnommen werden. Einzelwerte von zahlreichen Patienten, die zu unterschiedlichen Zeiten gewonnen wurden, werden gepoolt und ergeben ein Gesamtbild der Bioverfügbarkeit eines Präparates. Diese Daten sind für die Beantwortung fast aller klinisch relevanter Fragestellungen ausreichend [8, 9].

b) Die Reduktion des Probenvolumens und die Bestimmung der Serumkonzentration aus einer für Kinder akzeptablen geringen Blutmenge. Bereits mit einem Probenvolumen von 50 µl konnte mit einer mikrobiologischen Methode in einem Doppeldiffusionsagar die Konzentrationsbestimmung mit Mehrfachbestimmungen durchgeführt werden, wobei die Nachweisgrenze für ß-Laktam-Antibiotika bei 0,1 µg/ml und einer Fehlerquote <10% lag. Diese Blutmenge wurde – gleichzeitig mit einer diagnostisch notwendigen Blutabnahme – aus einem Fingerprick abgenommen, wobei die Stichstelle mit Heparin Vaseline verschlossen wurde. Dies erlaubte Mehrfachentnahmen ohne erneuten Stich. Die Bestimmung der im Harn wiederentdeckten Wirkstoffmenge ist ohne wesentliche Belastung für den Patienten möglich. Die Gewinnung des Harnes und die genaue Bestimmung der Harnmenge über die entsprechenden Zeiträume bedürfen jedoch bei Säuglingen und Kleinkindern einer sorgfältigen Betreuung. Das Legen eines Dauerkatheters ist nicht zulässig, aber auch nicht nötig. Diese Methode ist nur bei Präparaten mit vorwiegend renaler Elimination bzw. bei bekannter renaler Eliminationsmenge bei Erwachsenen oder älteren Kindern zielführend (Abbildung 1) [10].

Abbildung 1: Unterschiede in der Bioverfügbarkeit zwischen den einzelnen Lebensabschnitten bei einer Dosierung des Kaliumsalzes von Phenoxymethylpenicillin von 12.500 IE pro Kilogramm Körpergewicht [11]

Schulkinder im Alter von ca. 6 Jahren resorbieren Oralpenicillin sehr gut, die maximale Serumkonzentration wird bereits nach 30 Minuten erreicht, die Halbwertszeit beträgt ca. 50 Minuten. Die Bioverfügbarkeit bei Schulkindern entspricht weitgehend der Bioverfügbarkeit von Adoleszenten und Erwachsenen. Neugeborene haben zwar wegen des größeren Verteilungsvolumens niedrigere Spitzenkonzentrationen, wenn man jedoch die im Harn ausgeschiedene Wirkstoffmenge als Maß der Bioverfügbarkeit heranzieht, resorbieren Neugeborene sogar um ca. 40% mehr als Schulkinder. Dies beruht möglicherweise auf einer erhöhten Membranpermeabilität des Intestinaltraktes bei Früh- und Neugeborenen mit besserer Penetration des Wirkstoffes im Darm. Als weitere Möglichkeit kommen auch eine verzögerte Magenentleerung und eine verminderte intestinale Motilität im Neugeborenenalter in Betracht. Auch die Fläche unter der Kurve ist bei Neugeborenen größer. Dies hängt nicht zuletzt mit einer durch die Unreife der Nierenfunktion bedingten verzögerten renalen Elimination zusammen. Bisweilen ist aber die Darmmotilität unvorhersagbar, wodurch eine exakte Vorausberechnung der Resorption nicht möglich ist [12].

Die Bioverfügbarkeit hängt neben der Membranpermeabilität wesentlich von der Größe der resorptiven Oberfläche und der Peristaltik ab. Oralpenicilline und Aminopenicilline werden im Magen, im Duodenum und in den obersten 25-30 cm Jejunum resorbiert. Da bei Säuglingen zwischen dem 2. und dem 15. Lebensmonat eine um das 2- bis 3fach beschleunigte Passagezeit besteht, kommt es zu einer substanziellen Verminderung der Resorptionsmenge [13].

Auch bei Azlozillin, Amoxicillin + Clavulansäure sowie bei Sulbactam Ampicillin konnte eine ähnliche Resorptionsminderung in diesem Lebensabschnitt festgestellt werden (Tabelle 1).

Tabelle 1: Mittelwert aus 12 Patienten, 2 Stunden nach Gabe von jeweils 17,5 mg/kg KG des Antibiotikums

Antibiotikum
Alter
 
3 - 15 Monate
6 Jahre
Amoxicillin + Clavulansäure
2,20 µg/ml
6,5 µg/ml
Sulbactam Ampicillin
1,36 µg/ml*
5,0 µg/ml
* Bei 3 von 12 Patienten < 12 Monate lag die Wirkstoffkonzentration unter der Nachweisgrenze von 0,20 µg/ml [14].

Cefalexin, Cefaclor, Cefadroxil und Loracarbef werden im gesamten Intestinaltrakt resorbiert. Dabei besteht keine Resorptionsminderung im Säuglingsalter. Für oral verabreichte Cephalosporine der III. Generation wie Cefixim, Ceftibuten, Cefpodoxim-Proxetil werden unterschiedliche Resorptionsraten beschrieben. Nach Gabe von Cefixim und Ceftibuten werden nur ca. 50% der verabreichten Dosis, von Cefetamet-Pivotil und Cefpodoxim-Proxetil werden 75% der verabreichten Menge resorbiert [15]. In der Literatur wird über eine verminderte Bioverfügbarkeit von Prodrugs = veresterten Substanzen auf Grund der im frühen Säuglingsalter verminderten Ausstattung mit intestinalen Hydrolasen berichtet. Dies konnte von uns in Einzeluntersuchungen in Form eines Drug-Monitorings bei Säuglingen zwischen 3 und 6 Monaten für Cefpodoxim-Proxetil nicht bestätigt werden [16].

Makrolid-Antibiotika, vor allem die neueren Makrolide wie Roxithromycin, Clarithromycin und Josamycin, zeigen eine gute Bioverfügbarkeit in Form von bakterizid wirksamen Serumkonzentrationen. Im Gegensatz zu ß-Laktam-Antibiotika, die sehr rasch über die Blutbahn in das interstitielle Kompartment verteilt werden, füllen Makrolid-Antibiotika nach der Resorption zuerst das interstitielle und intrazelluläre Flüssigkeitskompartment auf, und erst der nicht gewebegebundene „Überlauf“ ist im Blut nachweisbar. Daher sind Gewebskonzentrationen um das 100fache, Konzentrationen in der ELF um das 10fache höher als die Serumkonzentrationen. Roxithromycin zeichnet sich durch die höchsten Serumkonzentrationen (10 µg/ml Spitzenkonzentration), Clarithromycin durch die höchsten ELF- (50 µg/ml) und Gewebskonzentrationen (500 µg/g alveoläre Makrophagen) aus [17]. Azithromycin hingegen wird sowohl als Kapsel als auch in Saftform schlecht resorbiert und resultiert in Serumkonzentrationen von ca 0,1-0,25 µg/ml und ELF-Konzentrationen um 1-2 µg/ml. Die intrazellulären Wirkstoffmengen z.B. in alveolären Makrophagen betragen 40 µg/g alv. Makrophagen und überschreiten die MHK-Werte für Infektionen der Atemwege durch intrazelluläre Mikroorganismen. Trimethoprim und Trimethoprim-Sulfonamid-Kombinationen besitzen eine nahezu 100%ige Bioverfügbarkeit [18].

 

Resorptionsbeeinflussung durch Nahrungsmittel

Gleichzeitige Nahrungsaufnahme – insbesondere von Milch mit einem hohen Kalziumgehalt – führt zu substanziellen Resorptionseinbußen von ß-Laktam-Antibiotika. Dies ist gerade im Säuglingsalter mit den üblichen 5 Milchmahlzeiten von besonderer Relevanz.

Abbildung 2 zeigt die Resorptionseinbußen von Penicillin VK bei Schulkindern nüchtern und nach einer Milchmahlzeit.

Abbildung 2: Resorptionseinbußen von Penicillin VK bei Schulkindern nüchtern und nach einer Milchmahlzeit

Penicillin VK liegt als Salz vor, dissoziiert aber im Magen zu Phenoxymethylpenicillin und Kalzium. Wenn gleichzeitig Milch mit dem Antibiotikum verabreicht wird, rekombiniert sich das Phenoxymethylpenicillin mit dem im Überschuss in der Milch vorhandenen Kalzium, und es entwickelt sich ein schwer lösliches Kalziumsalz, das schlecht resorbiert wird. Auch Cefaclor wird in der Bioverfügbarkeit – individuell unterschiedlich zwischen 10% und >50% – durch die Nahrung beeinträchtigt. Es werden jedoch bei weitem nicht alle Antibiotika in ihrer Bioverfügbarkeit verändert. Das Benzathinsalz des Penicillin V wird, da weniger gut wasserlöslich, unabhängig vom Füllungszustand des Magens resorbiert; Cefalexin und Loracarbef werden in ihrer Bioverfügbarkeit nicht beeinflusst. Auch die Resorption von Cefpodoxim-Proxetil wird durch gleichzeitige Verabreichung von Nahrungsmitteln nicht beeinflusst. Makrolid-Antibiotika zeigen mit Ausnahme von Azithromycin bei gleichzeitiger Verabreichung mit Milch sogar höhere Wirkstoffkonzentrationen [19, 20].

Auch die Art der Nahrung hat einen Einfluss auf die Resorption: Klare Flüssigkeit und Fruchtsäfte steigern die Resorption von ß-Laktam-Antibiotika, Fett und Eiweiß beeinträchtigen die Resorption stärker als Kohlenhydrate.

 

Resorptionsbeeinflussung bei verschiedenen Grundkrankheiten

Wie bereits beschrieben, wird die Resorption oral verabreichter Antibiotika durch verschiedene Grundkrankheiten wesentlich beeinflusst. So hat die Durchblutung des Splanchnikusgebiets für die Resorption einen entscheidenden Einfluss. Bei Fieber über 39,5°C wird Blut in die Peripherie zur Wärmeabstrahlung umgeleitet und es resultiert eine Minderdurchblutung im Intestinaltrakt mit einer Resorptionseinbuße von bis zu 40%.

Auch eine Änderung der Peristaltik zeigt einen erheblichen Einfluss auf die Resorption: Akute und chronische Durchfallerkrankungen, oft Begleiterscheinungen von Infektionen der oberen und unteren Luftwege oder von Harnwegsinfektionen, führen zu einer erratischen Resorption, insgesamt jedoch zur deutlichen Einschränkung der Bioverfügbarkeit, wobei die Spitzenkonzentrationen um 50%, die Fläche unter der Kurve um bis zu 25% reduziert ist [21].

Bei chronischen Durchfallerkrankungen, wie z.B. bei Zottenatrophie durch Zöliakie, beobachtet man ebenfalls eine Verminderung der Resorption um 50% insgesamt, durch Änderung der Magenentleerung können aber noch nach Stunden unerwartet Resorptionsspitzen auftreten [22].

Bei Mukoviszidose wurde als Ursache für niedrigere Serumspitzenspiegel eine Resorptionsminderung durch das zähflüssige Intestinalsekret vermutet. Weitere Untersuchungen konnten jedoch die beobachteten niedrigen Serumkonzentrationen auf eine beschleunigte renale Elimination für Isoxazolylpenicilline und Aminopenicillin zurückführen. Cephalosporine werden zwar langsamer resorbiert und resultieren in niedrigeren Serum-Spitzenkonzentrationen, die Fläche unter der Kurve und die im Harn wiederentdeckte Menge entsprechen jedoch denen der Kontrollpatienten [23].

Es ist von großer Bedeutung, bei der Wahl der Tagesdosis und der Dosierungsintervalle diese resorptionsmindernden Faktoren zu berücksichtigen. Bei oraler Verabreichung von Antibiotika fehlt einerseits die nicht resorbierte Wirkstoffmenge am Infektionsort, andererseits führt sie im Intestinaltrakt zur Störung der normalen Flora und zu osmotischer Diarrhoe. Damit ergibt sich ein „Circulus vitiosus“ aus verminderter Resorption, gesteigerter Peristaltik und damit wieder verminderter Resorption.

 

Halbwertszeit

Durch die im frühen Säuglingsalter bestehende Unreife der Leber kommt es bei verschiedenen Präparaten zu einer verzögerten Glukuronierung und Ausscheidung und damit zu einer verlängerten biologischen Halbwertszeit. Die Unreife der Nierenfunktion bei Früh- und Neugeborenen bzw. eine Dehydratation durch Erbrechen im Rahmen eines Infektes oder einer begleitenden Durchfallerkrankung führt zu einer verzögerten renalen Clearance und einer Verlängerung der Halbwertszeit.

Präparate mit einer unerwartet langen Halbwertszeit, wie z.B. Azithromycin mit einer Halbwertszeit von 4 Tagen, resultieren in subinhibitorischen Wirkstoffkonzentrationen in der ELF für ca. 5-6 Wochen. Dies hat einen bemerkenswerten Einfluss auf die
Stabilität der normalen Rachenflora und bedingt eine Selektion/Induktion Makrolid-resistenter Mikroorganismen (Abbildung 3) [24].

Abbildung 3: Subinhibitorische Wirkstoffkonzentrationen führen im selektiven Fenster einerseits zu einer verminderten Virulenz und einer besseren Phagozytierbarkeit von Mikroorganismen, andererseits zu einer erheblichen Steigerung der Resistenz

 

Metabolismus

Die Metabolisierung eines Medikamentes ist vielfach notwendig, damit ein Präparat renal oder über die Galle besser ausgeschieden werden kann. Dies bedeutet eine Veränderung des Moleküls, meist eine Steigerung der Hydrophilie. Durch Veränderungen des Moleküls, z.B. Phosphorylierung von Acyclovir, kommt es zu einer Aktivierung des initial inerten Wirkstoffes [25]. Bisweilen bleibt die antimikrobielle Wirksamkeit auch bei Metaboliten (Josamycin und Clarithromycin) oft mit synergistischer Wirksamkeit erhalten. Meist kommt es jedoch zur Abnahme – Cefotaxim wird zum weniger aktiven Desacetylcefotaxim – oder zur Aufhebung der Wirksamkeit [26].

Wenig ist über klinische Konsequenzen aus einem veränderten Metabolismus antimikrobieller Substanzen im frühen Säuglings- und Kleinkindesalter im Vergleich zu älteren Kindern bekannt. Bei Neugeborenen ist eine verminderte Eiweißbindung von antimikrobiellen Substanzen beschrieben, die zu Verdrängungsmechanismen bei Bilirubin führt. Bei intravenöser Verabreichung von Ceftriaxon mit einer Eiweißbindung von 98% kann dies möglicherweise zu einem Kernikterus beitragen, bei oral verabreichten Präparaten spielt dies jedoch nur eine untergeordnete Rolle. Viele Medikamente, einschließlich Antibiotika, werden durch Cytochrom P-450 metabolisiert. Da dieses Enzym induzierbar ist, bestehen neben einer großen intraindividuellen Variabilität auch erhebliche Unterschiede in den einzelnen Lebensabschnitten und Wechselwirkungen mit anderen Medikamenten [27]. Die verminderte Glukuronierung von oral verabreichten Präparaten in der Leber im Neugeborenenalter ist klinisch nicht relevant. Zu beachten ist eine höhere Toxizität von Trimethoprim im ersten Trimenon, was die Verabreichung dieses Präparates in diesem Lebensalter ausschließt. Bei Chloramphenicol wurde als schweres toxisches Erscheinungsbild das Gray-Syndrom beschrieben. Da das Präparat gegenwärtig nur noch bei besonderen Indikationen verabreicht wird, spielt diese Nebenwirkung heute praktisch keine Rolle mehr.

Zu beachten ist außerdem die Interaktion von Antibiotika mit gleichzeitig verabreichten anderen Präparaten. Die Verabreichung von Erythromycin z.B. gleichzeitig mit Theophyllin kann zu toxischen Theophyllinkonzentrationen mit Erbrechen und Krampfanfällen führen. Für neuere Makrolid-Antibiotika wie Clarithromycin oder Roxithromycin gilt diese Interaktion jedoch in einem erheblich geringeren Maße und ist bei der üblichen niedrigeren Dosierung von 10 mg/kg KG nicht mehr zu erwarten. Verschiedene Makrolid-Antibiotika reduzieren jedoch die Wirksamkeit von Antiepileptika [28, 29].

Die Annahme, dass veresterte Präparate wie Cefuroxim-Axetil oder Cefpodoxim-Proxetil – sog. Prodrugs – wegen der verminderten intestinalen Enzymausstattung im ersten Trimenon weniger gut resorbiert werden, hat sich in eigenen Untersuchungen im Rahmen eines therapeutischen Drug-Monitorings nicht bestätigt.

Die Unreife der Niere im Neugeborenenalter bis ins erste Trimenon hinein in Verbindung mit einem Flüssigkeitsverlust kann zu einer verzögerten renalen Clearance und dadurch zu einer Verlängerung der Halbwertszeit führen.

 

Gewebsverteilung

Nach der Resorption eines Antibiotikums aus dem Intestinaltrakt verteilt sich das Antibiotikum in verschiedenen Körper-Kompartmenten. Es ist von Bedeutung, dass ausreichend hohe aktive Wirkstoffkonzentrationen am Infektionsort erreicht werden. Dabei ist jedoch entscheidend, in
welchem Kompartment sich die Infektionserreger befinden. Für intrazellulär gelegene Mikroorganismen wie Mykoplasmen und Chlamydien, Legionellen, aber auch Listerien, Borrelien, Leptospiren und Rickettsien, sind intrazelluläre Wirkstoffkonzentrationen von entscheidender Bedeutung. Zur Eradikation von Mikroorganismen, die im interstitiellen Flüssigkeitskompartment oder in Körperhöhlen zu Infektionen führen (Staphylokokken, Pneumokokken, H. influenzae, Streptokokken), sind besonders interstitielle Wirkstoffkonzentrationen wichtig. Hohe, überwiegend intrazelluläre Wirkstoffkonzentrationen sind dabei sogar hinderlich. Zur Eradikation von Mikroorganismen an Epitheloberflächen muss die Wirkstoffkonzentration im Epithelial-Lining-Fluid ausreichend groß sein.

Bei der Bestimmung von Gewebskonzentrationen muss man berücksichtigen, dass in einer Gewebsprobe die gesamte Wirkstoffkonzentration gemessen wird. Sie besteht aus 5% Wirkstoff im Blutkompartment, 35% im interstitiellen Flüssigkeitskompartment und 60% im intrazellulären Kompartment. Konzentrationen im interstitiellen Flüssigkeitskompartment werden am besten in der Hautblasenflüssigkeit gemessen. Die verschiedenen Antibiotikagruppen verteilen sich jedoch nicht gleichmäßig im Gewebe. Lipid-unlösliche Substanzen, wie alle ß-Laktam-Antibiotika, verteilen sich weitgehend im interstitiellen Flüssigkeitskompartment, in Körperhöhlen und Exsudaten. Lipidlösliche Substanzen wie Makrolide, Chinolone und Rifampin erreichen hohe Wirkstoffkonzentrationen intrazellulär. Außer der Lipid-Löslichkeit wird die Gewebsgängigkeit eines Präparates auch von der Eiweißbindung, von aktiven Transportmechanismen und der unterschiedlichen Fensterung des Kapillarbettes in bestimmten Organen gesteuert. Während ß-Laktam-Antibiotika gut ins Mittelohrsekret penetrieren – es werden ca 30% der gleichzeitig gemessenen Serumkonzentrationen auch im Mittelohrsekret gefunden –, besteht für die Meningen im Rahmen der Blut-Liquor-Schranke eine besonders geringe Durchlässigkeit. Die sog. „tight junctions“ sind jedoch bei akuten Entzündungsprozessen weit geöffnet und erlauben eine Penetration von Antibiotika in den Liquorraum im akuten Stadium (erster Behandlungstag) einer Meningitis von 40% gleichzeitig gemessener Serumkonzentrationen. Chloramphenicol ist das einzige Antibiotikum, das auch zu Wirkstoffkonzentrationen im Gehirn führt.

Granulozyten und alveoläre Makrophagen tragen aktiv Wirkstoffe in den Infektionsort. Dies ist jedoch mengenmäßig eher zu vernachlässigen.
Wesentlich bei der Betrachtung der Verteilung und Gewebspenetration von Antibiotika ist auch eine „balanzierte“ Kinetik, d.h. eine ausreichende Wirkstoffkonzentration in allen Kompartmenten.

 

Pharmakodynamik

Es ist bemerkenswert, dass man gerade in der pädiatrischen klinischen Praxis Situationen beobachtet, bei denen ein in der traditionellen Wirksamkeitsprüfung als empfindlich getesteter Mikroorganismus nicht eliminiert werden kann oder bei gleicher antimikrobieller Wirksamkeit von 2 Präparaten ein deutlich besseres Behandlungsergebnis mit dem einen Antibiotikum im Vergleich zu einem zweiten Präparat zu beobachten ist, ohne dass sich dieses durch die traditionelle antimikrobielle Wirksamkeitsprüfung mittels MHK-Wert erklären ließe [30]. Die Bestimmung der minimalen Hemmkonzentration (MHK) gibt einen wesentlichen Anhaltspunkt für die Wirksamkeit eines Antibiotikums. Von großem Interesse ist jedoch auch, für welchen Zeitraum Wirkstoffkonzentrationen über dem MHK-Wert am Infektionsort aufrechterhalten werden müssen. Dies wird als Pharmakodynamik bezeichnet und besteht in einer Kompilation von Pharmakokinetik und MHK-Wert. Sie erfasst die Wirkstoffmenge, die über eine bestimmte Zeitspanne am Infektionsort nötig ist, um eine effiziente Eradikation der Bakterien zu gewährleisten. Diese Daten sind zwar auch für die Auswahl eines Antibiotikums, in einem viel höheren Maße jedoch für die Wahl der Tagesdosis und der Dosierungsintervalle von Bedeutung [31, 32].

 

Unterscheidung in zeitabhängige und konzentrationsabhängige Wirksamkeit von Präparaten

Bezüglich ihrer Wirksamkeit unterscheidet man zwischen Präparaten, deren Wirksamkeit durch die Fläche unter der Serum- oder Gewebskonzentrationskurve (zeitabhängige Wirksamkeit, T >MIC), und anderen Präparaten, deren Wirksamkeit von ihrer Spitzenkonzentration (konzentrationsabhängige Wirksamkeit) bestimmt wird [33]. Bei zeitabhängiger Wirksamkeit wird eine maximale Absterbegeschwindigkeit bereits bei Konzentrationen wenig über dem MHK-Wert beobachtet, die jedoch durch eine höhere Dosis nicht mehr steigerbar ist [34]. Als wesentliches Merkmal ergibt sich, dass diese Konzentrationen für eine ausreichende Zeit über dem MHK-Wert aufrechterhalten werden müssen. Je kürzer die Zeitspanne über dem MHK-Wert liegt, umso eher kommt es zum Wiederanwachsen der Mikroorganismen [35]. Inwieweit ein postantibiotischer Effekt eine Rolle spielt, ist für die Klinik noch nicht abschließend geklärt. Es ist jedoch nicht auszuschließen, dass der postantibiotische Effekt nicht zuletzt der Aktivität der körpereigenen Abwehr zuzuschreiben ist.

Typische Beispiele von Präparaten, bei denen die Fläche unter der Kurve ausschlaggebend ist, sind ß-Laktam-Antibiotika und Glykopeptide.

Bei den konzentrationsabhängigen Präparaten (Cmax/MIC), die vor allem von Aminoglykosiden und Fluorochinolonen repräsentiert werden, ist die Dosissteigerung direkt proportional mit einer schnelleren Keimelimination. Auch Metronidazol gehört zu dieser Gruppe von Antibiotika. Während man bei zeitabhängigen Präparaten durch eine Verkürzung der Dosierungsintervalle bis hin zur Dauerinfusion eine Verbesserung der antimikrobiellen Wirksamkeit erzielt, ist bei den konzentrationsabhängigen Präparaten durch eine Steigerung der Initialdosis vor allem zu Beginn der Behandlung eine bessere Wirksamkeit zu erzielen. Dadurch ist eine Verlängerung der Dosierungsintervalle möglich [36]. Bei subinhibitorischen Konzentrationen dieser Präparate kommt es jedoch zu einer Steigerung der adaptiven Resistenz.

Makrolid-Antibiotika liegen zwischen zeit- und konzentrationsabhängigen Präparaten. Es ist einerseits eine Wirkstoffkonzentration über dem MHK-Wert über einen ähnlichen Zeitraum wie bei der Verabreichung von ß-Laktam-Antibiotika aufrechtzuerhalten, anderseits kann man durch Dosissteigerung eine raschere Keimeradikation bzw. eine bakterizide Wirkung erzielen.

 

In vitro-Untersuchung der Absterbegeschwindigkeit unter dem Einfluss von in vivo beobachteten Wirkstoffkonzentrationen

In einem noch an der Kinderklinik Innsbruck entwickelten kinetischen Modell wurden In vitro-Wirkstoffkonzentrationen, die in vivo erreicht werden, mit einer künstlichen Niere nachgeahmt und stündlich Keimzahlbestimmungen durchgeführt. Je nach Durchflussgeschwindigkeit in den Kompartmenten konnte man Konzentrationsverläufe nachahmen, die in vivo z.B. im Serum, im interstitiellen Flüssigkeitskompartment oder im Mittelohrsekret beobachtet wurden. Die Keimelimination wurde unter dem Einfluss zahlreicher Antibiotika aus verschiedenen Wirkstoffgruppen unter dem Einfluss verschiedener Konzentrationsverläufe bestimmt [38, 39].

Abbildung 4a zeigt die stündliche Messung der Keimzahlen (CFU) von Staphylococcus aureus (MHK-Wert 0,25 µg/ml) unter 2,5 µg/ml, 25 µg/ml, 250 µg/ml Cefamandol. Die obere Kurve zeigt die Absterbegeschwindigkeit unter fixen Konzentrationen, die untere Kurve die Absterbegeschwindigkeit und das Wiederanwachsverhalten bei einer Eliminations-Halbwertszeit von 1 Stunde. Es zeigt sich, dass auch bei 10-, 100- und 1.000facher Überschreitung der MHK-Werte gleich schnelle Absterbegeschwindigkeiten von S. aureus zu beobachten sind. Sobald der MHK-Wert im Kulturmedium jedoch unterschritten wird, kommt es zum Wiederanwachsen der Keime, bei niedrigeren Konzentrationen früher als bei höheren Konzentrationen.

Abbildung 4b zeigt die Absterbegeschwindigkeit von S. aureus unter dem Einfluss verschiedener Konzentrationen von Gentamicin. Bei fixen Konzentrationen ist durch eine Verdoppelung der Wirkstoffkonzentration eine erheblich beschleunigte Absterbegeschwindigkeit zu beobachten. Bei abnehmenden Konzentrationen kann man ein Wiederanwachsen nach Unterschreiten des MHK-Wertes beobachten. Bei einer 10 x höheren Dosis ist jedoch eine komplette Keimelimination zu sehen.

Abbildung 4a:
Stündliche Messung der Keimzahlen (CFU) von Staphylococcus aureus /MHK-Wert 0,25 µg/ml) unter 2,5 µg/ml, 25 µg/ml, 250 µg/ml Cefamandol

Abbildung 4b:
Absterbegeschwindigkeit von S. aureus unter fixen Konzentrationen von Gentamicin (oben) und fallenden Konzentrationen (unten), Halbwertszeit 1 Stunde

Gleichzeitig wurde auch eine Beobachtung der Veränderung der Morphologie eines Mikroorganismus unter dem Einfluss von Antibiotika durchgeführt.

Ein Antibiotikum wird der Nährlösung (Isosensitest Bouillon + Faktor X + NADH + Supplement B) mit 10 CFU/ml H. influenzae (MHK-Wert 0,25 µg/ml) zugegeben. Im vorliegenden Experiment wurde initial eine Konzentration von 25 µg/ml Amoxicillin gewählt, das mit einer Halbwertszeit von 1 Stunde mittels einer künstlichen Niere eluiert wurde. Stündlich wurden Wirkstoffkonzentrationen von Amoxicillin, die Keimzahlen und die morphologischen Veränderungen bestimmt (Abbildung 5).

Abbildung 5: Absterbekinetik von H. influenzae unter fluktuierenden Konzentrationen von Amoxicillin in einem kinetischen Modell

Die Betrachtung der Mikroorganismen im Phasenkontrastmikroskop ergab, dass der erste Effekt eines ß-Laktam-Antibiotikums in einer Hemmung der Zellteilung an der vorgesehenen Teilungsstelle besteht. Somit bildet sich ein sog. Filament, das die vielfache Länge des ursprünglichen Mikroorganismus aufweist (Abbildung 5a).

Die nächste Wirkung des ß-Laktam-Antibiotikums besteht im Eingriff in den bakteriellen Stoffwechsel: Es kommt zur Blockade der Transpeptidase, welche die festen Zellwandbausteine aus Muraminsäure verschweißt. Dadurch entstehen Schwachstellen in der Zellwand, und bei fortgesetztem Bakterienwachstum entstehen in dieser Risse. Die Bakterienzelle wird an dieser Stelle nur noch durch die elastische Zellmembran zusammengehalten. Die Ausbuchtungen der Zelloberfläche werden als Sphäroplast bezeichnet. In der Folge platzt auch die Zellmembran (Abbildung 5d), was den Tod des Keimes zur Folge hat. Wenn die antimikrobielle Wirkstoffkonzentration schon frühzeitig einen kritisch niedrigen Spiegel – weitgehend identisch mit dem MHK-Wert – unterschreitet, kommt es zur Aufhebung der ersten Wirkung eines Antibiotikums, der Hemmung der Zellteilung und dadurch zur Abtrennung der Enden eines Bakteriums.

Die aus dem absterbenden Keim unter dem Einfluss von Antibiotika entstehenden neuen Tochterkeime zeichnen sich durch eine geringere Menge von Lipopolysacchariden und Lipooligosacchariden in der Zellwand aus. Dadurch wird das Bakterium etwas weniger virulent, da diese Zellwandbestandteile für die Entzündungsreaktion verantwortlich sind. Gleichzeitig haben Untersuchungen ergeben, dass diese Mikroorganismen wegen einer geringeren Elektronegativität der Oberfläche leichter durch Phagozyten aufgenommen werden können [40]. Ausreichende Wirkstoffkonzentrationen am Ort der Infektion über einen entsprechenden Zeitraum können dieses Phänomen verhindern.

Für welchen Zeitraum der MHK-Wert für eine effiziente Keimelimination überschritten werden muss, hängt von der erreichbaren Wirkstoffkonzentration am Infektionsort, vom MHK-Wert des Mikroorganismus und von der Funktionstüchtigkeit der körpereigenen Abwehr ab. Über den notwendigen Zeitraum gibt es aber nur Spekulationen und einzelne klinische Studien bzw. Untersuchungen im Tiermodell, die einen Hinweis erlauben. Daten aus der Literatur weisen darauf hin, dass der MHK-Wert am Infektionsort für ß-Laktam-Antibiotika für mindestens 50% der Zeit bis zur nächsten Dosis aufrechterhalten werden muss [41, 42]. Dies stimmt vor allem für erwachsene Patienten mit intakter körpereigener Abwehr, die imstande sind, einen durch das Antibiotikum geschädigten Mikroorganismus zu eliminieren. Bei eingeschränkter spezifischer, aber auch unspezifischer körpereigener Abwehr sind für eine effiziente Keimelimination aber erheblich längere Wirkstoffkonzentrationen >MHK-Wert am Infektionsort aufrechtzuhalten.

Wir können heute annehmen, dass bei intakter körpereigener Abwehr bei einem Erwachsenen oder älteren Kindern und Adoleszenten mit einer „community acquired infection“ Wirkstoffkonzentrationen, die den MHK-Wert für 50-60% bis zur nächsten Dosis überschreiten, genügen. Bei Patienten, bei denen man sich auf eine intakte körpereigene Abwehr nicht verlassen kann, z.B. bei neutropenischen Patienten, Patienten unter Zytostatikatherapie und bei Früh- und Neugeborenen, ist die Überschreitung des MHK-Wertes für die gesamte Zeit bis zur nächsten Dosis erforderlich. Bei verminderter körpereigener Abwehr oder schweren Infektionen mit einem hohen Inokulum, die im Säuglings- und Kleinkindesalter häufig vorliegen, ist ebenfalls eine längere Dauer als bei Schulkindern und Adoleszenen, d.h. ein Zeitraum von 75%-90% Überschreitung des MHK-Wertes bis zur nächsten Dosis erforderlich.

 

Klinische Beobachtung

Zwangsläufig ergibt sich die Frage, ob eine effektive Keimelimination in vitro mit besseren klinischen Ergebnissen korreliert. So ist von Interesse, ob bei längerer Aufrechterhaltung bakterizider Wirkstoffmengen in der Paukenhöhle, was mit einer rascheren Keimelimination einhergeht, bei einem geringeren Prozentsatz von Patienten mit einem persistierenden Tuben-Paukenhöhlenkatarrh zu rechnen ist [43].

Ein persistierender Tuben-Paukenhöhlenkatarrh ist ein multifaktorielles Geschehen: Obstruktion der Tubenmündung durch vergrößerte Adenoide, eine Tubenfunktionsstörung bei anatomischen Fehlbildungen (Gaumenspalte, abnormer Ansatz des M. tensor veli palatini, Knorpelschwäche) und einer spezifischen und unspezifischen Abwehrschwäche einschließlich einer verminderten Mukosa-Immunität spielen eine wichtige Rolle. Noch größere Bedeutung kommt aber einer ungenügenden antimikrobiellen Wirksamkeit sowie einer zu langsamen Eradikation von Mikroorganismen zu [44].

Die Untersuchungen von Gehanno bei akuter Otitis media geben dafür einen klinisch relevanten Hinweis: Bemerkenswert an dieser Studie war, dass alle Mikroorganismen sowohl auf Amoxicillin/Clavulansäure als auch auf Cefpodoxim empfindlich waren und der unmittelbare Behandlungserfolg am Therapieende mit 96% bei beiden Behandlungsregimen gleich gut war. Trotzdem belegt diese Studie nach Gabe von Cefpodoxim Proxetil einen erheblich niedrigeren Prozentsatz an Patienten mit persistierendem Tuben-Paukenhöhlenkatarrh, was auch mit einem niedrigeren Prozentsatz an Rezidiven korreliert [45] (Tabelle 2).

Tabelle 2 : Cefpodoxim bei akuter Otitis media, Vergleich mit Amoxicillin und Clavulansäure, Studie 2 (6) [Gehanno et al. 1992]

Befunde*
Cefpodoxim
Amoxicillin u.
Clavulansäure
Unterschied
Normaler oto-
skopischer Befund
81,1 % (90/111)
63,8 % (60/94)
signifikant
Normales
Tympanogramm
78,0 % (90/111)
61,4 % (60/94)
signifikant
Seröse Otitis
14,4 % (90/111)
28,7 % (60/94)
signifikant
* Befunde bei Nachuntersuchung (10-20 Tage nach Behandlungsende)

Diese Ergebnisse scheinen im Moment nach bisherigen Gesichtspunkten nicht erklärbar. Vergleicht man jedoch die Interaktion Pharmakokinetik und Pharmakodynamik bei Amoxicillin und Cefpodoxim Proxetil, kann man feststellen, dass nach Gabe von 50 mg/kg KG Amoxicillin, aufgeteilt auf 3 Tagesdosen, der MHK-Wert für H. influenzae nur für 50% der Zeit bis zur nächsten Dosis im Mittelohrsekret überschritten wird, vorausgesetzt, dass das Präparat in 8-stündlichen Intervallen verabreicht wird. Nach Gabe von Cefpodoxim Proxetil in einer Tagesdosis von 12-15 mg/kg KG, aufgeteilt auf 2 Dosen, beobachtet man über dem MHK-Wert liegende Wirkstoffkonzentrationen für Moraxella catarrhalis für 90% der Zeit bis zur 2. Dosis, bei H. influenzae, Streptococcus pyogenes und Pneumokokken für 100% der Zeit [46].

Abbildung 6 zeigt den Konzentrationsverlauf von Amoxicillin im Mittelohrsekret nach Gabe von 20 mg/kg KG 8-stündlich (schwarze Linie) und mit dem sog. „Zweitschlag“, wobei eine zusätzliche Dosis nach 4 Stunden verabreicht wird (rote Linie). Bei einer 8-stündlichen Verabreichung wird der MHK-Wert für H. influenzae nur für 50% der Zeit überschritten, beim „Zweitschlag“ über 100% der Zeit in den ersten 24 bzw. 32 Stunden.

Dieses Phänomen wurde in einer randomisierten, prospektiven klinischen Studie an 100 Patienten untersucht: Nach Gabe von 60 mg/kg KG Amoxicillin, auf 2 bzw. 3 Tagesdosen aufgeteilt, wurde bei 25% und 26,5% der Patienten resp. 18-24 Tage nach Therapieende ein persistierender Paukenhöhlenkatarrh beobachtet. Im Gegensatz dazu persistierte beim sog. „Zweitschlag“ mit Verabreichung einer zusätzlichen Dosis von 20 mg/kg KG 4 Stunden nach der ersten Gabe (80 mg/kg KG Tagesdosis am ersten Tag) nur bei 8% der Patienten ein Tuben-Paukenhöhlenkatarrh. Eine Verdoppelung der Erstdosis kann hingegen zu einer Überschreitung des Resorptionsmaximums führen und hat keine wesentlich höheren Wirkstoffkonzentrationen in Serum und Paukenhöhlensekret zur Folge (Abbildung 7) [47].

Abbildung 6: Konzentrationsverlauf von Amoxicillin im Mittelohrsekret nach Gabe von 20 mg/kg KG 8-stündlich (schwarze Linie) und mit dem sog. Zweitschlag, wobei eine zusätzliche Dosis nach 4 Stunden verabreicht wird (rote Linie)

Abbildung 7: Behandlungsergebnisse bei akuter Otitis media: Paukenhöhlenkatarrh 3 Wochen nach Therapieende, a) 3x tägliche Gabe, b) "Zweitschlag" 4x20 mg/kg KG

Bei Verabreichung von Makrolid-Antibiotika, z.B. von Clarithromycin, wird diese Dosierungsstrategie bereits durch die Gabe von Klacid pro® (Verdoppelung der Dosis am ersten Tag) erfolgreich praktiziert. Allerdings besteht für Clarithromycin kein Transportmaximum im therapeutischen Dosierungsbereich.

 

Rationelle Wahl der Tagesdosis und Dosierungsintervalle unter besonderen klinischen Bedingungen

 

Leberfunktionsstörungen

Eine antimikrobielle Therapie kann einerseits eine bestehende Leberfunktionsstörung verstärken, andererseits durch die verminderte Glukuronierung und Ausscheidung der Substanz bei bestehender Leberfunktionsstörung zu Kumulation führen. Nachdem bisher keine Parameter beschrieben wurden, anhand derer eine Dosisanpassung bei eingeschränkter Leberfunktion möglich wäre, sind Antibiotika und Chemotherapeutika, die in der Leber metabolisiert werden, zu vermeiden. Zu diesen Substanzen gehören in erster Linie Makrolid-Antibiotika und Lincosamine, Rifampicin und praktisch alle Tuberkulostatika, Tetrazykline und Metronidazol. Bei Leberfunktionsstörungen sind meist auch die Wirkstoffkonzentrationen in der Galle vermindert, woraus eine eingeschränkte antimikrobielle Wirksamkeit bei Infektionen der Gallenwege resultiert.

 

Nierenfunktionsstörungen

Nierenfunktionsstörungen resultieren in einer verminderten Elimination der Wirksubstanz. Dadurch kommt es zu Kumulation und Toxizität, die wiederum die Nierenfunktionsstörung verstärkt. So kann es bei eingeschränkter Nierenfunktion bereits durch therapeutische Dosen von Aminoglykosiden zu Innenohrschwerhörigkeit und neurologischen Reaktionen mit muskulärer Hypotonie, bei Verabreichung von Imipenem-Cilastatin zu Krampfanfällen, und nach Gabe von Penicillin zu neuromuskulärer Hyperexzitabilität kommen. Eine Nierenfunktionsstörung steigert die Nephrotoxizität von Amingoglykosiden und Glykopeptiden. Die toxische Wirkung von Aminoglykosiden kann durch Interaktion mit anderen Medikamenten, z.B. Furosemid, durch Kompetition in der Elimination verstärkt werden. Die gleichzeitige Gabe von Fosfomycin reduziert die Nephrotoxizität dieser Präparate. Eine Dosisanpassung erfolgt bei den meisten Medikamenten anhand der Kreatinin-Clearance durch Anpassung der Tagesdosis. Die Dosisanpassung kann aber auch dadurch erfolgen, dass als erste Dosis die Regeldosis verabreicht wird und entsprechend der Kreatinin-Clearance die Dosierungsintervalle verlängert werden. Die Feinabstimmung erfolgt durch die Bestimmung der Talspiegel. Aminoglykoside, Glykopeptide und Cephalosporine der I. Generation bedürfen im Fall einer Nierenfunktionsstörung unbedingt einer Dosisanpassung.

 

Schlussfolgerung

Es bestehen erhebliche Unterschiede in der Resorption, Verteilung und im Metabolismus von Antibiotika in verschiedenen Lebensabschnitten. Dadurch kann man nicht mit einer regulären Pharmakodynamik, wie sie bei Erwachsenen zur Definition von effektiven Tagesdosen und Dosierungsintervallen geführt hat, rechnen. Dies führt nicht selten zu subinhibitorischen Konzentrationen von Antibiotika mit verzögerter klinischer Besserung, Übergang in eine chronisch schwelende Infektion und Induktion/Selektion von resistenten Mikroorganismen. Die Beachtung der für Säuglinge und Kleinkinder relevanten Änderungen ermöglicht eine Verbesserung der Behandlungsergebnisse.

 

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Anschrift des Verfassers:
Univ.-Prof. Dr. J. Peter Guggenbichler
Klinik mit Poliklinik der Universität Erlangen-Nürnberg
D-91054 Erlangen, Loschgestraße 15
E-Mail: prof.guggenbichler@gmx.de


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