Lyme-/Schildzecken-Borreliose
und andere Zecken-
vermittelte Infektionskrankheiten in Österreich |
G. Stanek
Klin. Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie,
Abt. Infektionsimmunologie, Medizinische Universität Wien
(Vorstand: Univ.-Prof. Dr. M. Rotter) |
|
Schlüsselwörter:
Ixodes ricinius, Lyme-/Schildzecken-Borreliose, FSME-Virus,
Anaplasmose, TIBOLA, Tularämie, Babesiose |
Zusammenfassung
Unter den
Schildzecken Europas ist Ixodes ricinus am weitesten
verbreitet und bei weitem die häufigste Zeckenart auf unserem
Kontinent. Die dreiwirtige Zecke benötigt in jedem Entwicklungsstadium
nur eine Blutmahlzeit. Ixodes ricinus hat ein sehr
weites Wirtsspektrum; mehr als 300 verschiedene Wirbeltierarten
dienen als Blutwirte. Gewöhnlich befallen die Zeckenlarven
kleine Säugetiere wie Mäuse und nehmen dabei verschiedenste
Mikroorganismen und Viren auf, unter denen sich gefährliche
Krankheitserreger des Menschen befinden. Diese bleiben während
der Verwandlung ins nächste Stadium in der Zecke, werden
also transstadial in das nächste Entwicklungsstadium, das
Nymphenstadium übertragen. Nymphen befallen den Menschen
sehr häufig. Sie können die Krankheitserreger von
Lyme-/Schildzecken-Borreliose, FSME, Rickettsiose, granulozytärer
Anaplasmose, gelegentlich auch von Hasenpest (Tularämie),
Q-Fieber und Babesiose auf den Menschen übertragen. Selten,
scheint es, rufen die von Ixodes ricinus übertragenen
Babesien eine manifeste Babesiose des Menschen hervor. Die Schildzecke
Dermacentor marginatus überträgt Rickettsia
slovaca, den Erreger einer TIBOLA genannten Lymphadenopathie.
Die Laboratoriums-Diagnose dieser Erkrankungen erfolgt entweder
durch den Nachweis spezifischer Antikörper in gepaarten
Serumproben oder durch den direkten Nachweis der Krankheitserreger
oder mit Hilfe beider Methoden. Verschiedene antimikrobielle
Chemotherapeutika dienen zur Behandlung der bakteriellen und
durch Babesien verursachten Infektionen. Der FSME kann nur durch
Schutzimpfung vorgebeugt werden.
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Key-words:
Ixodes ricinus, Lyme/hard tick borreliosis,
tick-borne encephalitis virus, Anaplasma phagocytophilum,
TIBOLA, Francisella tularensis, Babesia microti |
Summary
Among the
various species of hard ticks, Ixodes ricinus is the
most frequently found tick throughout Europe. As with other
ixodid ticks, its developmental cycle runs through three stages.
In each stage a blood meal is required in order to develop to
the next stage. Ixodes ricinus has been found to feed
on more than 300 different vertebrate species. Usually, larval
ticks feed on small mammals such as mice and become infected
with various microorganisms and viruses, of which some are substantial
pathogens to humans. The pathogens remain in the tick during
molting and are thus transstadially transmitted to the next
developmental stage. Pathogens transmitted to humans are the
agents of Lyme (hard tick) borreliosis, the tick-borne encephalitis
virus, Rickettsiae, Anaplasma phagocytophilum, and,
occasionally, Francisella tularensis, and the protozoa
Babesia divergens and Babesia microti which
may cause manifest infections in humans in central Europe. The
hard tick Dermacentor marginatus transmits Rickettsia
slovaca, the agent of tick-borne lymphadenopathia (TIBOLA).
Laboratory confirmation of the diseases which are caused by
these agents is either made by detection of specific antibodies
in blood samples of the acute and of the reconvalescent phase
of the disease or by direct detection of the agent or by both.
Certain antimicrobial chemotherapeutics are effective in the
treatment of the bacterial and protozoal infections. TBE can
only be prevented by active immunisation.
|
Einleitung
Borrelien
sind die häufigsten der von Schildzecken (Ixodidae)
übertragbaren Krankheitserreger in den gemäßigten
Klimazonen der nördlichen Hemisphäre. Die Erforschung
der Schildzecken-Lyme-Borreliose und ihrer Erreger lenkte die
Aufmerksamkeit verstärkt auch auf andere Erkrankungen,
deren Erreger von Zecken übertragen werden können.
In Österreich sind uns derzeit folgende in Tabelle 1 zusammengestellte
Erkrankungen bekannt.
Tabelle 1: Von Schildzecken übertragene
Krankheitserreger in Mitteleuropa
Zeckenart |
Krankheitserreger |
Erkrankung |
|
Ixodes ricinus |
Borrelia
burgdorferi sensu lato |
Schildzecken-
(Lyme-) Borreliose |
|
FSME-Virus |
Frühsommer-Meningoenzephalitis |
|
Anaplasma
phagocytophilum |
Humane
granulozytäre Anaplasmose (früher
HG-Ehrlichiose) |
|
Francisella
tularensis |
Hasenpest |
|
Babesia
divergens |
Babesiose
(Piroplasmose) |
|
Dermacentor
marginatus |
Rickettsia
spp., |
TIBOLA
(tick-borne lymphadenopathia) |
|
R.
slovaca |
und
Zeckenbissfieber |
|
|
Der Ausdruck
"Schildzecken-Borreliose" sollte anstelle des Begriffs
Lyme-Borreliose (oder Lyme-Krankheit) verwendet werden. Zwar
gaben insbesondere Kinder mit Gelenkserkrankungen aus den Ortschaften
Lyme, Old-Lyme und East Haddam in Connecticut Mitte der 1970er
Jahre Anlass zur Beschreibung einer neuen Arthritis-Form, die
Lyme-Arthritis (Steere et al. 1977) genannt wurde. Die nachfolgenden
Forschungsarbeiten zeigten aber, dass das initiale und führende
Krankheitssymptom, das Erythema (chronicum) migrans, in Europa
schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts bekannt war (Afzelius
1909, Lipschütz 1913). Andere Manifestationen der später
als Borrelieninfektion erkannten Erkrankungen, wie zum Beispiel
das Bannwarth-Syndrom, waren ebenfalls längst in sehr detaillierten
Beschreibungen und Studien aus Europa erfasst (Bannwarth 1941,
Schaltenbrand 1976). Selbst die bakterielle/Spirochäten-Ätiologie
wurde wiederholt geäußert (Hellerstrom 1951; Hollstrom
1951; Weber 1974). Dazu gab es schon früh die Gewissheit,
dass Zecken als Überträger fungieren müssen (Lipschütz
1923). Der spektakuläre Durchbruch kam mit der Entdeckung
und Anzüchtung von Spirochäten in Schildzecken aus
Long Island, New York, im Jahr 1981/82 durch W. Burgdorfer (Burgdorfer
et al 1982) und Alan Barbour (1984). Für den ätiologischen
Zusammenhang wesentlich waren die Berichte von der Anzüchtung
von Schildzecken-Borrelien aus Haut, Blut und Liquor von Patienten
(Burgdorfer et al 1983; Steere et al 1983; Benach et al 1983).
Die Anzüchtung von Borrelien aus Gelenksflüssigkeit
bei Patienten mit sogenannter Lyme-Arthritis bislang aus den
USA nicht berichtet. Von Patienten aus Europa wurden Borrelienstämme
aus Gelenkserguss oder Gewebe isoliert (Schmidli et al 1988,
Marlovits et al 2004). Schildzecken-Borreliose grenzt auch gegenüber
Lederzecken-Borreliose ab, die durch Rückfallfieber-Borrelien
verursacht wird, welche von Lederzecken der Gattung Ornithodorous
übertragen wird. Dieses endemische Rückfallfieber
ist dann nur noch vom epidemischen Rückfallfieber zu unterscheiden,
welches unter besonders schlechten hygienischen Bedingungen
in Not- und Kriegszeiten von Kleiderläusen vermittelt wird
und zu Massenerkrankungen führen kann. Schließlich
klingt „Lyme“ besonderes im Vereinigten Königreich
nicht gut. „Limeys“ war/ist ein Slang-/Spitzname
oder gar ein Schimpfwort für englische Seeleute. Auch in
Deutsch ist Lyme wenig erfreulich, erinnert an Kleister. Deshalb
spricht man in unseren Breiten fast schon ausschließlich
von „Borreliose“. Es wird dennoch schwer sein, den
Namen Lyme aus dem Krankheitsbegriff zu lösen.
|
Schildzecken
Zecken unterteilt
man in Lederzecken (Argasidae) und in Schildzecken
(Ixodidae). Sie unterscheiden sich in ihrer Morphologie,
ihren Lebensbereichen und in Einzelheiten ihres Lebenszyklus.
Zecken ernähren sich vom Blut von Wirbeltieren. Lederzecken
leben gewöhnlich in der nächsten Umgebung ihrer Wirte,
in Tierhöhlen oder Nestern und suchen ihren Wirt oder ihre
Wirte wiederholt auf, um Blut zu saugen. Dabei nehmen sie in
kurzer Zeit (Minuten bis Stunden) nur relativ kleine Blutmengen
auf. Bestimmte Arten der Lederzecken übertragen Erreger
gefährlicher Erkrankungen (z.B. endemisches Rückfallfieber),
aber im humanmedizinischen wie im veterinärmedizinischen
Bereich sind Schildzecken weitaus bedeutender.
Schildzecken
saugen nur einmal in jedem Entwicklungsstadium (Larve, Nymphe,
adulte männliche und weibliche Zecke) und nehmen dabei
im Lauf von Tagen eine relativ große Blutmenge von derselben
Körperstelle des Wirts auf. Neben Stechmücken gelten
Schildzecken weltweit als die wichtigsten Ektoparasiten, sowohl
für den Viehbestand als auch als Überträger gefährlicher
Krankheitserreger des Menschen. In Europa gibt es zahlreiche
Schildzeckenarten, allerdings überwiegt in Europa und so
auch in Österreich (Tabelle 2) die Schildzeckenart Ixodes
ricinus.
Tabelle 2: Arten, Wirte und Verbreitung von Schildzecken
(Ixodidae) in Österreich (Radda et al. 1986)
|
Ixodes ricinus |
Säuger,
Vögel, Reptilien |
+++ |
Ixodes
hexagonus |
Igel
und Karnivoren |
+ |
Ixodes
canisuga |
Fuchs
(selten) |
(+) |
Ixodes
apronophorus |
Wühlmäuse
(selten) |
(+) |
Ixodes
redikorzevi |
Erdhörnchen,
Hamster (selten) |
(+) |
Ixodes
laguri |
Erdhörnchen
(selten) |
(+) |
Ixodes
frontalis |
einige
Vogelarten (selten) |
(+) |
Ixodes
arboricola |
in
Baumhöhlen brütende Vogelarten |
+ |
Ixodes
lividus |
Uferschwalbe (selten) |
(+) |
Ixodes
vespertilionis |
Verschiedene
Fledermausarten |
+ |
Ixodes
trianguliceps |
Kleine
Säuger |
+ |
Haemaphysalis
concinna |
Säuger
und Vögel |
+ |
Haemaphysalis
punctata |
Säuger
und Vögel (selten) |
(+) |
Haemaphysalis
inermis |
Säuger
und Vögel (selten) |
(+) |
Dermacentor
reticulatus |
Säuger
und Vögel (selten, nur in umschriebenen
Epitopen) |
(+) |
Dermacentor
marginatus |
Säuger
und Vögel (selten) |
(+) |
|
|
Der Entwicklungszyklus
verschiedener Schildzeckenarten ist sehr ähnlich. Die europäische
Zecke Ixodes ricinus, der sogenannte Holzbock, sucht
in seinen verschiedenen Entwicklungsstufen (Larve, Nymphe und
adulte Tiere) in der bodennahen Vegetation vorbeikommende Blut-Wirte.
Auf dem Wirt sucht die Zecke eine geeignete Hautstelle für
die Blutmahlzeit, schlitzt die Haut mit den skalpellartigen
Mundwerkzeugen (Chelizeren) auf, führt den gezahnten Rüssel
(Hypostom) in die Wunde, welcher zusammen mit dem sogenannten
Zement, der von den Speicheldrüsen sezerniert wird, die
Zecke fest an ihrem Platz verankert. Dort haftet die Zecke für
einige Tage fest; Larven 2-3 Tage, Nymphen 4-5 Tage und adulte
weibliche Zecken 7-9 Tage. In dieser Zeit wächst sowohl
der Darm als auch die Haut aktiv, um die enormen Blutmengen
zu bewältigen, welche in den letzten 24 Stunden der Blutmahlzeit
aufgenommen werden (Gray 2002). Die adulte männliche Zecke,
deren Rücken zur Gänze von einem Chitinschild bedeckt
ist, nimmt selbst nur sehr selten eine und dann eine sehr kleine
Blutmahlzeit, befruchtet das Weibchen gewöhnlich bei ihrer
Blutmahlzeit an einem großen Wirtstier und stirbt dann
ab (Abbildung 1).
Abbildung 1: Eine vollgesogenen weiblichen Zecke
in Konjunktion mit einer männliche Ixodes ricinus-Zecke.
Das Körpergewicht der weiblichen Zecke nimmt nach
der Blutmahlzeit, zu der gewöhnlich die Befruchtung
erfolgt, um das etwa 250-fache zu.
|
Zecken stechen
Blutgefäße nicht direkt an sondern bilden durch Sekretion
vasoaktiver Mediatoren und Immunmodulatoren einen "Ernährungs-Teich",
den sogenannten "feeding pool", in dem das Blut flüssig
bleibt und Gegenreaktionen des Wirts unterdrückt werden.
Die Blutmahlzeit wird durch Wasser-Extraktion konzentriert,
das Wasser durch die Speicheldrüsen der Zecke in den Wirt
zurück sezerniert. Mit dem Wasser werden auch die Krankheitserreger
in den Blutwirt transportiert.
Wenn die
Zecke vollgesogen ist, zieht sie das Hypostom zurück, fällt
vom Wirtstier ab und beginnt, die Blutmahlzeit zu verdauen und
sich ins nächste Stadium zu entwickeln. Die Verdauung erfolgt
durch Pinozytose (Mikrophagozytose) und Endozytose der Blutbestandteile
durch die Darmwandzellen. Danach folgt eine intrazelluläre
Verdauung anstelle einer intraluminalen Verdauung, wie sie bei
den meisten anderen hämatophagen Arthropoden üblich
ist. Die Verdauung und die anschließende Verwandlung in
ein neues Entwicklungsstadium gehen langsam vor sich. Die Entwicklung
kann in den gemäßigten Klimazonen einige Monate dauern.
Nach der Metamorphose folgt eine Ruhephase bis die ungesogene
Zecke schließlich auf die Vegetation klettert und einem
neuen Blutwirt auflauert. Bei Ixodes ricinus kann zwischen
den Blutmahlzeiten ein ganzes Jahr vergehen. Krankheitserreger
werden bei der Blutmahlzeit von verschiedenen Wirtstieren aufgenommen.
Das Überleben von aufgenommenen Mikroorganismen wird durch
den von Verdauungs-Enzymen freie Darm von Schildzecken begünstigt.
Das erklärt auch, warum Zecken eine größere
Vielfalt von Mikroorganismen beherbergen und übertragen
können als andere Arthropoden. Die meisten von Zecken übertragenen
Krankheitserreger durchdringen die Darmwand kurz nach ihrer
Aufnahme mit der Blutmahlzeit und befinden sich als Infektionserreger
in den Speicheldrüsen des nächsten Entwicklungsstadiums
der Zecke. Ausnahmen bilden die Schildzecken-Borrelien. Diese
Krankheitserreger bleiben im Darm und wandern erst bei der Blutmahlzeit
des nächsten Entwicklungsstadiums der Zecke in die Speicheldrüsen.
Sie benötigen eine bestimmte Zeit zur Aktivierung, welche
gewöhnlich durch Temperaturerhöhung bei der Blutmahlzeit
erreicht wird. Da jedes Zecken-Entwicklungsstadium nur einmal
eine Blutmahlzeit benötigt, werden die Infektionserreger
durch ein Entwicklungsstadium aufgenommen (Larve oder Nymphe)
und durch das nächste übertragen (Nymphe oder adulte
weibliche Zecke); man nennt dies die transstadiale Übertragung.
Manche Krankheitserreger
werden transovariell, nach Infektion der Ovarien, von einer
Zecken-Generation auf die nächste übertragen, womit
die aus den Eiern schlüpfenden Zecken-Larven bereits infektiös
sind, wie zum Beispiel bei Babesia divergens, ein Protozoon
das mehrere Generationen in Zecken bleiben kann.
Im Gegensatz
dazu kann die Rinder-pathogene Babesia bovis nicht
über das Larvenstadium hinaus existieren. Für die
meisten Zoonose-Erreger (z.B. Babesia microti, Borrelia
burgdorferi sensu lato, Ehrlichia spp. und FSME-Virus)
erfolgt die Übertragung transstadial. Gelegentlich wird
auch transovarielle Übertragung beobachtet, die eine Bedeutung
in der Ökologie der Erreger haben mag. Das Risiko einer
Übertragung von Krankheitserregern durch infizierte Zecken-Larven
ist allerdings sehr gering.
Die Aufnahme
von Krankheitserregern während der Blutmahlzeit der Zecke
setzt gewöhnliche eine permanente Blutinfektion des Wirtstieres
voraus. Einige Krankheitserreger können durch sogenanntes
"co-feeding" auf andere Vektoren übertragen werden
(Randolph et al. 1996). Unter "co-feeding" versteht
man die Aufnahme von Krankheitserregern durch nicht infizierte
Zecken, die auf einer Hautstelle eines Blutwirts gleichzeitig
oder kurz nach der Blutmahlzeit einer infizierten Zecke Blut
saugen. Durch die kurzzeitige lokale Hautinfektion gelangen
Krankheitserreger in den "feeding-pool" einer nicht-infizierten
Zecke. Dieser Mechanismus ist insbesondere für die Übertragung
von FSME-Viren von Bedeutung, da eine Virämie in Wirtstieren
nur kurze Zeit dauert, auch infolge der inhärenten immunologischen
Resistenz, die aber durch "co-feeding" dennoch als
Infektionsquelle dienen können. Die Übertragung von
Borrelia burgdorferi s.l durch "co-feeding"
wurde ebenfalls nachgewiesen. Allerdings ist sie hier von untergeordneter
Bedeutung, da sehr viele Tiere in typischen Lyme-Borreliose-Habitaten
dauernd und systemisch mit Borrelien infiziert sind.
Lebensbereiche,
Wirtsspezifität und saisonale Aktivität der Schildzecken
sind sehr gut studiert. Die freilebenden Stadien von Schildzecken
sind gegenüber Austrocknung sehr empfindlich. Sie können
in einem Milieu mit weniger als 80 % relativer Luftfeuchte nicht
überleben. Diese Lebensbedürfnisse zwingen die Zecken
in Bereiche (Habitate), in denen die relative Luftfeuchte in
der bodennahen Vegetation selbst im Hochsommer nicht unter 85
% abfällt.
Ungesogene
Zecken und solche, die kürzlich eine Blutmahlzeit beendet
haben, nehmen Wasser aus der feuchten Umgebungsluft durch hygroskopische
Substanzen auf, die von den Speicheldrüsen sezerniert werden.
So ausgestattet können ungesogene Zecken ihre Wirtssuche
auch in die obere Vegetation ausdehnen und ihren Blutwirten
über einige Tage auflauern, bevor sie zur Rehydrierung
wieder auf den Erdboden zurück müssen. Zecken können
in offenen Gebieten mit häufigen Regenfällen und dichter
Vegetation existieren. Dort sind die Haupt-Blutwirte für
alle Entwicklungsstadien der Zecken Schafe, Rinder und Wild.
Allerdings ist ein Habitat aus Laub- und Mischwäldern typischer,
weil es die Lebensbedingungen für alle Entwicklungsstufen
bietet und dazu noch eine Fülle von Wirtstieren für
Ixodes ricinus und für andere Schildzeckenarten
bereitstellt.
Die drei
Entwicklungsstadien der Schildzecken befallen in verschiedener
Verteilung verschiedene Wirte. Fast überall befallen Larven
gewöhnlich Nager, Nymphen Vögel und mittelgroße
Säugetiere, während adulte weibliche Zecken große
Wirtstiere wie Rehe und Rotwild zur Blutmahlzeit aufsuchen.
Larven bewegen sich bis zu 20 cm, Nymphen bis zu 40 cm und adulte
Zecken bis zu 80 cm über den Erdboden und das nur solange,
bis sie die Austrocknungsgefahr in Bereiche mit idealer Luftfeuchte
hinunter drängt. Doch selbst adulte Zecken klettern gewöhnlich
nie höher als einen halben Meter über den Boden. Die
unterschiedliche Verteilung auf der Vegetation erklärt
wahrscheinlich auch die relative Wirtsspezifität der Zecken.
Alle Stadien von Ixodes ricinus befallen auch den Menschen,
aber es ist mehrfach belegt, dass Nymphen den Menschen viel
öfter befallen als Larven oder Adulte.
Wirtssuchende Schildzecken
vermeiden trockene und kalte Perioden des Jahres. In den meisten
Habitaten ist die Wirtssuche im Frühling und Frühsommer
am intensivsten und im Sommer am geringsten. Bei uns beobachtet
man einen zweiten, etwas niedrigeren Aktivitätsgipfel der
Zecken im Herbst. Dieses Grundmuster variiert selbstverständlich
wegen der unterschiedlichen Wirte und dem Einfluss von Makro-
und Mikroklima.
Die Perioden der
Wirtssuche regulieren Zecken durch eine Ruhepause nach einer
Stadienwandlung, die sogenannte Diapause. Sie gilt für
Eier, vollgesogene Larven und Nymphen. Die Diapause schützt
Zecken davor, ihre Entwicklung im Frühwinter zu beginnen
und verzögert die Aktivität der ungesogenen, hungrigen
Zecken bis nach dem Hochsommer.
Eine Zunahme
der Zeckenpopulationen wurde in den letzten Jahren beobachtet.
In jedem Habitat hängt die Dichte der Zeckenpopulationen
von der Art der Vegetation, Klima und Wetter, sowie von der
Anwesenheit von Blutwirten in den parasitischen Lebensphasen
ab. Optimalen Habitate sind Laubwälder in gemäßigten
Klimazonen, welche gewöhnlich auch Lebensraum für
zahlreiche Blutwirte der Zecken sind. Die unreifen Entwicklungsstadien
haben daher praktisch ein unbegrenztes Angebot in ihren Nahrungsquellen.
Die adulten Zecken hingegen brauchen große Säugetiere,
um zu einer vollen Blutmahlzeit zu kommen. Nur dann kann die
nächste Zecken-Generation entstehen. Große Tiere
haben als Blutwirte daher den größten Einfluss auf
die Dichte der Zeckenpopulation. Falls das Habitat speziell
für die frei lebenden Entwicklungsphasen der Zecken geeignet
ist, genügt sogar eine relativ kleine Zahl von Wild, um
eine sehr große Zeckenpopulation zu erhalten. Das Verständnis
der Faktoren, die eine dichte Zeckenpopulation bedingen, haben
auch einen Voraussagewert für z.B. Klimaänderungen.
Dies belegt eine Studie aus Schweden, in der die Ausbreitung
von Ixodes ricinus in den Norden des Landes und die
damit verbundene Zunahme von FSME-Fällen in Schweden auf
die seit mehr als einem Jahrzehnt wärmeren Wintertemperaturen
zurückgeführt wird (Lindgren et al. 2000). Temperaturzunahme
kann die Zeckendichte und Zeckenverteilung auf verschiedene
Weise fördern. Es steht mehr Zeit für den Ablauf des
Entwicklungszyklus innerhalb einer Saison zur Verfügung,
die Zeckenhabitate können sich durch intensiver wachsende
Vegetation weiter ausdehnen, und geeignete Blutwirte stehen
wegen der besseren Winterbedingungen für Wildtiere auch
in Herbst und Winter zur Verfügung. |
Lyme-
/Schildzecken-Borreliose
Krankheitserreger
Die Krankheitserreger sind Borrelien, Bakterien aus der Familie
der Spirochätazeen (Abbildung 2). Wenigstens 3 Genospezies
aus dem Borrelia burgdorferi sensu lato (sl)-Komplex
gelten heute als Krankheitserreger des Menschen: Borrelia
afzelii, Borrelia burgdorferi sensu stricto und
Borrelia garinii. Hinweise auf humanpathogene Bedeutung
gibt es auch für Borrelia bissettii und Borrelia
lusitaniae (Picken et al 1996, Collares-Pereira et al 2004,
da Franca et al 2005). Die humanpathogenen Arten zeigen eine
spezielle geografische Verteilung. Alle 3 Genospezies, Borrelia
afzelii, Borrelia burgdorferi sensu stricto (ss)
und Borrelia garinii sind Krankheitserreger in Europa.
Borrelia afzelii und Borrelia garinii wurden
in Asien gefunden. In Nordamerika wurde bisher nur Borrelia
burgdorferi s.s. vom Menschen isoliert. Die Anzahl von
Genospezies nimmt stetig zu (Tabelle 3).
Abbildung 2: Borrelien-Kultur. Dunkelfeldmikroskopie
x 1200
|
Tabelle
3: Geographische Verbreitung von Borrelia
burgdorferi sensu lato-Genospezies und Schildzecken-Vektoren
(I. = Ixodes, H.= Hyalomma). Die schattierten
Felder markieren Krankheitserreger und ihre Überträger
(modifiziert nach Masuzawa 2004)
Spezies |
Europa
West-
Russland |
Ost-
Russland |
Nord-
Amerika |
China |
Nepal |
Japan |
B.
afzelii |
I.
ricinus |
I.
persulcatus |
. |
. |
. |
I.
persulcatus |
B.
burgdorferi
sensu stricto |
I.
ricinus |
. |
I.
scapularis
I. pacificus |
. |
. |
. |
B.
garinii
(eurasischer Typ) |
I.
ricinus |
I.
persulcatus |
. |
. |
. |
I.
persulcatus |
B.
garinii
(asiatischer Typ) |
. |
I.
persulcatus |
. |
. |
. |
I.
persulcatus |
a)
Isolat A14S |
I.
ricinus |
. |
. |
. |
. |
. |
B.
andersonii |
. |
. |
I.
dentatus |
. |
. |
. |
b)
B. bissettii |
I.
ricinus? |
. |
I.
spinipalpus
I. pacificus |
. |
. |
. |
B.
japonica |
. |
. |
. |
. |
. |
I.
ovatus |
c)
B. lusitaniae |
I.
ricinus |
. |
. |
. |
. |
I.
columnae |
B.
sinica |
. |
. |
. |
I.
ovatus |
. |
. |
B.
tanukii |
. |
. |
. |
. |
I.
tanuki |
I.
tanuki |
B.
turcica |
H.
aegyptium |
. |
. |
. |
. |
. |
B.
turdi |
. |
. |
. |
. |
. |
I.
turdus |
B.
valaisiana |
I.
ricinus |
. |
. |
. |
. |
. |
B.
valaisiana-related |
. |
. |
. |
I.
granulatus |
. |
I.
granulatus |
a)
neue Spezies, der Name B. spielmani vorgeschlagen
(Richter et al 2004)
b) vermutlich auch in Europa verbreitet (Picken
et al 1996)
c) vermutlich Krankheitserreger in Portugal und
Nordafrika (Collares-Pereira et al 2004) |
|
Reservoire
von Borrelia burgdorferi sl. Die Erhaltung und Verbreitung
von Borrelia burgdorferi s.l. in der Natur erfolgen
durch das Zusammenwirken von Überträger (Vektor) und
Wirt. In Europa wurden bisher die Borrelienarten Borrelia
burgdorferi s.s., Borrelia afzelii, Borrelia
garinii, Borrelia valaisiana und Borrelia
lusitania von Schildzecken isoliert. Der wichtigste Vektor
ist die Zecke Ixodes ricinus, die mehr als 300 Wirbeltierarten
als Blutwirte benützt. Nur ein kleiner Teil dieser Blutwirte
wurde bisher auf seine Reservoir-Kompetenz, also auf seine Eignung
zur Weitergabe von Borrelien überprüft. Am ausführlichsten
wurden bisher Nager studiert, die als die wichtigsten Reservoir-Wirte
von Borrelia burgdorferi s.l. gelten. Weiters stellen
Vögel ein bedeutendes Erregerreservoir dar, insbesondere
für Borrelia garinii (Gern & Humair 1998).
Der Kreislauf
der Borrelienverbreitung in der Natur wird dadurch kompliziert,
dass verschiedene Borrelienarten nicht gleicherweise zwischen
wirbellosen Tieren und Wirbeltieren übertragen werden können.
So besteht eine enge Beziehung zwischen Borrelia afzelii
und kleinen Säugetieren, Borrelia burgdorferi
sensu stricto, Borrelia afzelii und Eichkätzchen
und zwischen Borrelia garinii, Borrelia valaisiana
und Vögel (Gern & Humair 1998). Allerdings wurden auch
anderen Beziehungen je nach den lokalen Ökosystemen in
Europa beschrieben. Ein besseres Verständnis der Wechselwirkungen
zwischen Krankheitserregern, Vektoren und Wirten bleibt daher
noch zu erarbeiten.
In Europa
wurden zahlreiche Studien zur Ermittlung der Borrelien-Infektionsquote
in den verschiedenen Entwicklungsstadien von Ixodes ricinus
durchgeführt. Der durchschnittliche Wert, der auch für
Österreich ermittelt wurde, liegt bei 22 % (Radda et al.
1986). Die Möglichkeit der transovarielle Übertragung
von Borrelien durch Ixodes ricinus wurde im Experiment
gezeigt (Stanek et al. 1986). In der Natur variiert die Quote
der transovariellen Übertragung, welche in Gebieten mit
hoher Borrelien-Durchseuchung der Zeckenweibchen sogar Quoten
von über 20 % erreicht (Rijpkema et al. 1994).
Krankheitsbilder
und Diagnose
Schildzecken- (Lyme-) Borreliose ist die häufigste von
Zecken übertragene bakterielle Infektionskrankheit in der
nördlichen Hemisphäre. Erkrankungsfälle sind
aus ganz Europa bekannt. Es handelt sich um eine Multisystem-Erkrankung,
die Haut, Herz, Nervensystem. Muskel- und Skelettsystem und
seltener andere Organe wie Augen, Nieren und Leber befällt.
Die Krankheitserreger werden, nach dem Stand des Wissens, ausschließlich
durch Ixodes-Zecken übertagen. Nach einem Zeckenstich,
der nur etwa von der Hälfte der Betroffenen wahrgenommen
wird, erkranken rund 3 % mit klinischen Erscheinungen. Die Komplexität
der Krankheitsbilder wird durch die Unterscheidung von frühen
lokalisierten, frühen disseminierten und chronisch persistierenden
oder progredienten Infektionen leichter fasslich (Tabelle 4).
Eine Stadieneinteilung der Lyme-Borreliose, wie sie in den 1980er
Jahren in Analogie zur Syphilis vorgeschlagen wurde, ist nicht
zielführend. Dissemination und Organmanifestation sind
an Eigenschaften der jeweiligen Borrelienstämme sowie an
die Gast-Wirts-Beziehung gebunden, die heute nur in Ansätzen
verstanden werden.
Tabelle 4: Klinische Erscheinungen der Lyme-Borreliose
in Mitteleuropa
|
Frühe lokalisierte Borreliose |
|
|
Erythema
migrans |
>
85 % |
|
Solitäres
Borrelien-Lymphozytom |
<
1 % |
|
Frühe
disseminierte Borreliose |
|
|
Multiples
Erythema migrans (selten) |
|
|
Neuroborreliose
|
ca.
10 % |
|
(Vollbild:
Meningoradikuloneuritis Garin-Bujadoux-Bannwarth) |
|
|
Karditis
|
? |
|
Chronische Borreliose |
|
|
Acrodermatitis
chronica atrophicans (ACA) |
1
% |
|
Arthritis |
>
1 % ? |
|
Periphere
Neuropathien (späte Komplikation der ACA) |
? |
|
Enzephalomyelitis
(sehr selten) |
? |
|
|
Im Folgenden werden
klinische Manifestationen der Lyme-Borreliose sowie die wesentlichen
Elemente der Diagnostik entsprechend den klinischen Falldefinitionen
der European Union Concerted Action on Lyme borreliosis (EUCALB)
kurz dargestellt (Stanek et al. 1996).
Erythema
(chronicum) migrans
Das Erythema migrans ist die häufigste Manifestation der
Lyme-Borreliose und ist bei über 85% der Patienten die
einzige klinische Erscheinung, die in Europa ganz überwiegend
von Borrelia afzelii hervorgerufen wird. Die Hautinfektion
entwickelt sich nach einer variablen Inkubationszeit von wenigen
Tagen bis über einen Monat nach dem Zeckenstich. Sie ist
durch einen sich zentrifugal um die Stichstelle ausbreitenden
roten Fleck charakterisiert (Abbildung 3, 4). Eine zentrale
Abblassung wird bei zunehmender Ausdehnung des Erythems häufig
beobachtet (Abbildung 5), die Kokardenform ist ebenfalls nicht
ungewöhnlich (Abbildung 6). Multiple Erythema migrans (MEM)
Läsionen entstehen infolge einer hämatogenen Verbreitung
der Borrelien vom ursprünglichen Erythem ausgehend. Sie
sind daher neben dem ersten Erythem unabhängig von der
Zeckenstichstelle auf verschiedenen Hautstellen lokalisiert.
MEMs werden in Europa viel seltener als in den USA beobachtet.
Bestätigt wird die Diagnose durch die Anzüchtung von
Borrelia burgdorferi s.l. und/oder den Nachweis von
Borrelien-Nukleinsäure-Abschnitten in Hautproben. Serologische
Untersuchungen zum Nachweis der aktuellen Infektion sind in
der Diagnose des Erythema migrans nicht zielführend (Stanek
et al. 1999).
Abbildung 3: Erythema (chronicum) migrans
in der Kniekehle
|
Abbildung 4: Erythema (chronicum) migrans auf
der Brust; Ausdehnung vier Wochen nach Zeckenstich
|
Abbildung 5: Erythema (chronicum) migrans auf
dem Unterschenkel; zentraler Abblassung einige Tage nach
Behandlungsbeginn
|
Abbildung 6: Kokardenförmiges Erythema (chronicum)
migrans
auf dem Rücken
|
Borrelien
Lymphozytom
Das Borrelien-Lymphozytom ist eine seltene Manifestation schmerzloser,
blauroter Knoten oder Plaques, die sich bei Kindern gewöhnlich
am Ohrläppchen, am Ohrrand oder am Skrotum, bei Erwachsenen
an der Brustwarze befinden (Abbildung 7a, 7b, 7c). Ein vorausgegangenes
oder vorhandenes Erythema migrans und der histologische Nachweis
eines B-Zell-Pseudolymphoms unterstützen die Diagnose.
Selten gelingt der Beweis der Borrelien-Infektion durch Anzüchtung
von Borrelia burgdorferi s.l. (Strle et al. 1992) oder
Borrelien-Nukleinsäure-Nachweis aus Hautbiopsien.
Abbildung 7a: Borrelien-Lymphozytom am Ohrläppchen.
Die blaurote Schwellung kann unbehandelt über Wochen
bestehen bleiben.
|
Abbildung 7b:
Borrelien-Lymphozytom am Ohrläppchen
|
Abbildung
7c: Borrelien-Lymphozytom an der Brustwarze
|
Acrodermatitis
chronica atrophicans (ACA)
Dabei handelt es sich um eine chronisch-progressive, fibrosierende
Hauterkrankung, die in Europa die häufigste Form einer
chronischen Lyme-Borreliose darstellt. Der Erreger ist ganz
überwiegend Borrelia afzelii. ACA tritt gewöhnlich
auf den Streckseiten der Extremitäten auf (Abbildung 8),
zuerst als teigige Haut-Schwellung oder blaurote Verfärbung,
später gefolgt von Atrophie, welche die Haut sehr zart
und durchscheinend macht, gefältet wie Zigarettenpapier
(Abbildung 9). Die Venen treten deutlich hervor, eine fleckige
Pigmentierung tritt auf. Über Knochenvorsprüngen sind
Verdickungen und Knotenbildungen möglich. Bei lange bestehender
ACA tritt bei einem Großteil der Fälle eine periphere
Neuropathie auf (Kristoferitsch et al. 1988), alles Folgen einer
kontinuierlich bestehenden Infektion. Borrelien wurden aus mehr
als 20 Jahre bestehenden ACA-Hautläsionen isoliert. Gewöhnlich
findet man bei ACA-Patienten hohe Serumkonzentrationen von IgG-Antikörpern
gegen Borrelia burgdorferi s.l. Das histologische Bild
einer intensiven lymphozytären Infiltration und die Anzüchtung
sowie der Nachweis von Borrelia burgdorferi s.l.-Nukleinsäure
in Hautproben bestätigen die klinische Diagnose.
Abbildung 8: Acrodermatitis chronica atrophicans
am Unterschenkel. Die Haut ist fleckig pigmentiert und
verdünnten, Venen treten hervor, infolge der Atrophie
aller Hautschichten durch die lange bestehende Borrelien-Infektion
ist die Haut leicht zu verletzen.
|
Abbildung 9: Acrodermatitis chronica atrophicans.
Atrophe, zigarettenpapierartig gefältelte Haut.
|
Neuroborreliose
Die frühe Neuroborreliose ist nach dem Erythema migrans
die häufigste Manifestation einer akuten Schildzecken-Borreliose
in Europa. Mit einer Inkubationzeit von durchschnittlich 4 (Kinder)
bis 7 (Erwachsene) Wochen manifestiert sie sich als milde aseptische
Meningitis, isolierte einseitige oder manchmal beidseitige Fazialisparese
oder als Neuritis anderer Hirnnerven beziehungsweise bei Erwachsenen
gewöhnlich als schmerzhafte Meningo-Radikuloneuritis (Garin-Bujadoux-Bannwarth
Syndrom) mit oder ohne Fazialis-Lähmung oder Lähmung
anderer Hirnnerven. Das diagnostische Spektrum umfasst Radikuloneuritis,
Meningoradikulitis, kraniale Hirnnervenneuritis, Meningitis,
Meningoenzephalitis, Radikulomyelitis, Enzephalitis und Enzephalomyelitis.
Die Radikulitis-Symptome
entwickeln sich durchschnittlich 6 Wochen nach dem Zeckenstich
oder nach einem Erythema migrans. Dabei treten zuerst Schmerzen
auf, die nachts stärker werden mit wechselnder Lokalisation.
Die Schmerzen werden als brennend, bohrend, beißend oder
reißend erlebt und sprechen nur wenig auf Analgetika an.
Bei drei von vier dieser Patienten entwickeln sich nach einer
bis vier Wochen neurologische Ausfälle, Lähmungen
häufiger als Sensibilitätsstörungen. Die Lähmungen
sind oft asymmetrisch verteilt, wobei die Extremität, von
der die Zecke entfernt oder an der das Erythema migrans lokalisiert
war, häufig deutlicher betroffen ist als die Gegenseite.
Da die Radikulitis im Gegensatz zu der seltenen Polyneuritis
prompt auf eine Behandlung mit Antibiotika anspricht, wird eine
primär durch die Erreger hervorgerufene Entzündungsreaktion
angenommen.
Bei Großteil
der Patienten mit Bannwarth-Syndrom kommt es zu Hirnnervenausfällen.
Es können alle Hirnnerven beteiligt sein, mit Ausnahme
des Riechnerven. Bei Hirnnervenbeteiligung ist ganz überwiegend
der Nervus facialis betroffen, wobei ein beidseitiger Befall
nicht selten ist. Unabhängig von der Schwere der Fazialisparese
ist die Prognose sehr gut. In den meisten Fällen kommt
es innerhalb von 1 - 2 Monaten zu einer vollständigen Rückbildung.
Defektheilungen werden bei etwa 5 % der Patienten beobachtet.
Eine Beteiligung
des zentralen Nervensystems wird im Rahmen einer Neuroborreliose
sehr selten festgestellt; sie verläuft meistens chronisch.
Die häufigste Manifestation ist eine Myelitis mit spastisch-ataktischem
Gang und Blasenstörung. Die Symptomatik kann sich über
Tage oder mehrere Monate entwickeln. Bei 2/3 der Patienten kommt
es zu einer schweren Tetra- oder Paraparese. Bei mehr als der
Hälfte der Patienten mit Myelitis finden sich zusätzliche
Zeichen einer Enzephalitis und bei etwa der Hälfte eine
Hirnnervenbeteiligung.
Eine periphere Neuropathie
wird bei europäischen Patienten meist in Verbindung mit
einer Acrodermatitis chronica atrophicans gesehen. Die Beschwerden
äußern sich in distal verteilten Parästhesien.
Die wenigen histologischen Untersuchungen zeigten Perivaskulitis
und thrombosierte epineurale Blutgefäße.
Im Liquor
cerebrospinalis findet sich eine lymphozytäre Pleozytose
(Abbildung 10). Intrathekal gebildete spezifische Antikörper
lassen sich bei Erwachsenen meist regelmäßig nachweisen.
Bei Kindern mit isolierter Fazialisparese sowie sehr früh
nach Krankheitsbeginn kann die Liquorpleozytose fehlen (Millner
et al. 1989, Stanek 1991). Früh nach Krankheitsbeginn und
bei geringer Liquor-Zellzahl gelingt auch die Anzüchtung
der Borrelien aus dem Liquor, der Erreger ist überwiegend
Borrelia garinii.
Abbildung 10: Lympho-plasmazelluläre Pleozytose
im Liquor cerebrospinalis. Dieses Liquorzellbild ist charakteristisch
für eine meist durch Borrelia garinii verursachte
Meningoradikuloneuritis Garin-Bujadoux-Bannwarth.
|
Lyme-Arthritis
Die Lyme-Arthritis wird in Europa viel seltener diagnostiziert
als in Nordamerika. Sie manifestiert sich typischerweise als
intermittiernde oder chronische Mono- oder Oligoarthritis der
großen Gelenke (Abbildung 11), die selten mit Erosionen
von Knorpel und Knochen verbunden sein kann. Das Knie ist am
häufigsten betroffen. Der Nachweis von Borrelien-DNA in
Synovialflüssigkeit und Synoviabiospien sowie der seltene
kulturelle Borrelien-Nachweis aus diesen Proben weisen auf eine
direkte Infektion des Gelenks hin. Die Gelenksentzündung(en)
schwinden nach einigen Jahren spontan. Bei manchen Patienten
mit einer sogenannten Behandlungs-resistenten Arthritis scheint
eine genetische Prädisposition zur Lyme-Arthritis zu bestehen,
denn sie findet sich viel häufiger bei Personen mit einem
HLA-DR2 oder DR4 Phenotyp, was auf einen Immunogenitäts-Faktor
in der Pathogenese hinweist.
Abbildung 11: Bild einer Lyme-Arthritis des linken
Kniegelenkes. Man erkennt auch eine Wadenschwellung infolge
einer Baker-Zyste (Die Abbildung wurde von Prof. Dr. Peter
Herzer, München, in dankenswerter Weise zur Verfügung
gestellt)
|
Bei amerikanischen
Patienten ist in etwa der Hälfte der Blutsenkungswert leicht
erhöht, bei Leukozytose und/oder einem erhöhten Serum-IgM.
Das CRP ist gewöhnlich im Normalbereich. Kryoglobuline
und zirkulierende Immunkomplexe können vorliegen. Die meisten
Patienten haben keine Rheumafaktoren, keine antinukleären
Antikörper. Polymorphkernige Leukozyten überwiegen
in der Synovialflüssigkeit, die Zellzahl bewegt sich zwischen
0,5 und 110 x 10
pro L.
Die Diagnose
Lyme-Arthritis basiert auf der Anamnese, dem klinischen Erscheinungsbild,
dem Ausschluss anderer Arthritis-Ursachen und den Nachweis von
Serum-IgG-Antikörpern gegen Borrelien. Die Anzüchtung
von Borrelien aus der Synovialflüssigkeit gelingt nur sehr
selten (Marlovits et al. 2004). Hingegen ist der Nachweis von
Borrelien-DNA in der Synovialflüssigkeit oder in der Synovia
mittels PCR sehr sensitiv. Differentialdiagnostisch gleicht
die Lyme-Arthritis bei Kindern am ehesten einer oliogoartikulären
juvenilen Arthritis und bei Erwachsenen einer reaktiven Arthritis.
Lyme-Karditis
Infolge einer Infektion des Reizleitungssystems des Herzens
äußert sich die Lyme-Karditis in transienten Rhythmusstörungen
und Atrioventirkulärem Block zweiten und dritten Grades.
Eine chronische Lyme-Karditis ist bisher nur Spekulation, nachdem
aus Herzmuskelproben eines Patienten mit lange bestehender dilatativer
Kardiomyopathie Borrelien isoliert worden sind (Stanek et al.
1990). Für die Begründung eines ätiologischen
Zusammenhangs stehen bisher Ergebnisse kontrollierter Studien
noch aus. Insgesamt ist die spezifische Diagnose der Lyme-Karditis
durch den Mangel an Möglichkeiten für den direkten
Erregernachweis erschwert.
Unspezifische Symptome
Einige Patienten mit einer frühen oder späten Form
der Lyme-Borreliose berichten über unspezifische Beschwerden
wie Krankheitsgefühl, Müdigkeit, Unruhe, psychische
Veränderungen, Depression, Kopf-, Muskel- und Gelenksschmerzen.
B. burgdorferi sensu lato kann gelegentlich muskulo-skeletale,
neurokognitive oder Müdigkeits-Symptome auslösen,
aber diese Vorkommnisse sind ungewöhnlich und die Symptome
unterscheiden sich nicht von denen, die durch andere Infektionen
oder belastende physische oder emotionale Ereignisse ausgelöst
werden.
Laboratoriumsdiagnsotik
der Schildzecken-Borreliose
In Tabelle 5 sind die Indikationen für den direkten und
indirekten Nachweis der Krankheitserreger zusammen gestellt.
Tabelle 5: Indikationen für die Einsendung
von Untersuchungsmaterial zur Laboratoriumsdiagnose der
Schildzecken-Borreliose
Verdachtsdiagnose |
Serologie |
Gewebe
oder
Körperflüssigkeiten für
Kultur, PCR, oder beides
und Gewebe für Histologie |
|
Erythema
migrans |
Nicht
obligat
Null-Wert (Ergebnis ohne
diagnostische Bedeutung)
2. Blutprobe 6 - 8 Wochen später (Serokonversion
oder Titerbewegung bedeutet bloß Bestätigung
der klinischen Diagnose, keine weitere Konsequenz) |
bei
untypischem Erythema migrans und Ausschluss
anderer Ursachen:
Hautbiopsie, betroffene Hautstelle |
|
Borrelien-Lymphozytom |
Obligat
2 Proben wie oben |
Hautbiopsie,
betroffene Hautstelle
und Histologie |
|
Acrodermatitis
chronica atrophicans |
Obligat
spezifische IgG-Antikörper
(meist in hoher Konzentration) |
Hautbiopsie,
betroffene Hautstelle
und Histologie |
|
Frühe Neuroborreliose
(Meningopolyradikuloneuritis, Hirnnervenparesen,
u.a.) |
Obligat
Liquor- und Serum
zur Ermittlung intrathekal
gebildeter IgG-Antikörper |
Liquor
cerebrospinalis |
|
Chronische
Neuroborreliose
(sehr selten) |
Obligat
Liquor- und Serum
zur Ermittlung intrathekal
gebildeter IgG-Antikörper |
Liquor
cerebrospinalis |
|
Lyme-Arthritis |
Obligat
IgG-Antikörper
(gewöhnlich in hoher Konzentration) |
Gelenkserguss
oder
Synovia |
|
Lyme-Karditis |
Obligat
IgG Antikörper |
|
|
|
Bemerkungen
zur Laboratoriumdiagnostik der Lyme-Borreliose
Serologie
Die Suche nach Serumantikörpern bei dem klinischen Verdacht
einer disseminierten oder chronischen Lyme-Borreliose dient
der weiteren Bestätigung der klinischen Diagnose. Bei klinischem
Verdacht einer frühen Lyme-Borreliose ist der Wert eines
serologischen Befundes sehr gering. Wenn der Antikörpernachweis
in diesem Fall angestrebt wird, dann werden zumindest 2 Serumproben
benötigt, die im Abstand von 6 bis 8 Wochen gewonnen werden
sollen. Zahlreiche kommerziell erhältliche Testsysteme
stehen zur Verfügung . Damit erzielte Ergebnisse müssen
nicht notwendigerweise übereinstimmen, weder quantitativ
noch qualitativ. Das heißt, mit verschiedenen Testsystemen
erzielte Ergebnisse aus verschiedenen Laboratorien dürfen
nicht miteinander verglichen werden. Es gilt die Regel: Korrekt
kann eine Änderung der Antikörperkonzentration in
Körperflüssigkeiten (Blut-, Liquorproben) nur erfasst
werden, wenn die zu verschiedenen Zeitpunkten gewonnenen Proben
mit demselben Testsystem gleichzeitig untersucht werden (selbe
Methode und Fehlerbreite unter denselben Bedingungen).
In den
1990er Jahren hat sich ein "Zwei-Test-Prinzip" durchgesetzt,
um mögliche falsch positive Ergebnisse mit Immunfluoreszenz-Tests,
Hämagglutinations-Tests und mit Sonikat-ELISA (enzyme immuno-sorbent
assays) zu erkennen. Als zweiter, sogenannter Bestätigungstest
dient ein Borrelien-Immunoblot. Dieser Test zeigt, mit welchen
Antigenen von elektrophoretisch aufgetrennten Borrelien-Proteinen
die im Serum (Plasma) enthaltenen Antikörper reagieren.
Aufgrund des Reaktionsmusters lässt sich entscheiden, ob
der erste Test eine spezifische Immunantwort angezeigt hat.
Heute werden in der „Borrelien-Serologie“ als Testantigene
immer häufiger rekombinante Antigene dem Sonikat zugemischt
oder Kombinationen spezifischer rekombinanter Borrelien-Antigene
oder überhaupt nur noch ein rekombinantes Antigen im ELISA
eingesetzt. Sollten sich rekombinante ELISA-Testverfahren durchsetzten
wird die Nützlichkeit des "Zwei-Test-Prinzips"
künftig in Frage gestellt.
Für
die Interpretation serologischer Ergebnisse der Borrelien-Serologie
gilt der Grundsatz: Nie ohne Kenntnis des Patienten und seiner
Erkrankung. Im Unterschied zur Virologie können serologische
Ergebnisse der Bakteriologie nicht unmittelbar als Indikatoren
gesicherter Infektion bezeichnet werden. Das heißt, positive
serologische Ergebnisse allein sind keine Indikation für
eine antibiotische Behandlung!
Serumantikörper
gegen Borrelien (IgM und IgG positiv) ohne Klinik sind
keine Indikation für eine Behandlung;
ein Kontrolltest soll in 1 - 2 Monaten erfolgen.
Keine
Serumantikörper (IgM und IgG negativ) ist ein häufiges
Ergebnis bei Patienten mit Erythema migrans.
Die Behandlung ist notwendig, auch wenn keine humorale Immunreaktion
auf die klinisch eindeutige Infektion angezeigt wird. Spätere
Serumuntersuchungen können ebenfalls negativ ausfallen
oder positiv werden. Letzteres Ergebnis zeigt jedoch keinen
Therapieversager an (Klinik!).
IgM-Antikörper
allein (IgM positiv, IgG negativ) sind ohne Klinik
ebenfalls keine Indikation für eine Behandlung.
Eine Kontrolle sollte in 1 - 2 Monaten erfolgen. Bei gleichbleibendem
Ergebnis kann es sich entweder um ein Problem der IgM-Sensitivität
des verwendeten Testsystems handeln (Kontrolle im Referenzlaboratorium)
oder um eine andere zugrundeliegende Erkrankung (Facharzt beizuziehen).
IgG-Antikörper
allein (IgM negativ, IgG positiv) ohne Klinik zeigen
eine früher durchgemachte Infektion an;
es besteht eventuell Teil-Immunität. Eine Kontrolluntersuchung
in 3 - 4 Monaten wird empfohlen.
Kultur
= Anzüchtung von Borrelien
Die Anzüchtung von Borrelien gelingt am besten aus Hautbiopsien
früher Manifestationen. Mit weitaus geringerem Erfolg lassen
sich Borrelien aus Liquor cerebrospinalis, Blut, Gelenkspunktat
und Synovia-Biopsien sowie Muskel- und Herzmuskelbiopsie anzüchten.
Das Untersuchungsmaterial muss vor Beginn der Antibiotikabehandlung
gewonnen werden. Obwohl Kulturmedium (BSK II) kommerziell erhältlich
sind, ist es empfehlenswert, die Anzüchtung und Identifizierung
von Borrelien erfahrenen Referenz-Laboratorien zu überlassen.
Nukleinsäure-Amplifikationstechniken
Borrelien-Nukleinsäure kann auch kurz nach Beginn der Behandlung
mit Antibiotika aus Untersuchungsmaterial nachgewiesen werden.
Meist wird hiezu die Polymerase-Kettenreaktion (PCR) eingesetzt.
Empfohlen wird die Untersuchung von Biopsien der Haut und Synovia
sowie von Gelenkspunktat. PCR mit Liquor und Blut ist nur bei
bestimmten Fragestellungen angezeigt; das gleiche gilt für
Muskel- und Herzbiopsien. Die Durchführung und Interpretation
von PCR-Ergebnissen soll erfahrenen Referenz-Laboratorien vorbehalten
bleiben.
Ein wichtiger
Grundsatz für die Interpretation eines negativen Ergebnisses
nach dem Versuch, Borrelien anzuzüchten oder mittels PCR
nachzuweisen ist, dass es die Infektion mit dem vermuteten Erreger
nicht ausschließt.
Therapie
der Schildzecken-Borreliose
Alle klinischen Manifestationen der Lyme-Borreliose sollen mit
Antibiotika behandelt werden. Nur solche Antibiotika dürfen
verwendet werden, die sich in vitro und in klinischen
Studien als wirksam erwiesen haben. Die Ergebnisse einer Behandlung
hängen nicht nur von Lokalisation, Ausdehnung und Dauer
der klinischen Manifestationen ab, sondern auch vom ausgewählten
Antibiotikum, Dosis, Behandlungsdauer, mögliche Nebenwirkungen
und Komplikationen. Patienten mit Neuroborreliose erhalten Antibiotika
primär intravenös, bei den meisten anderen Manifestationen
werden Antibiotika oral verabreicht.
In den
letzten Jahren aufgekommene Trends zu längeren Behandlungszeiten
lassen sich durch Ergebnisse kontrollierter klinischer Studien
überhaupt nicht begründen. Im Gegenteil; es wurde
schon früher (Neumann et al. 1987) und erst kürzlich
wieder gezeigt, dass bei der frühen Lyme-Borreliose eine
10-tägige Behandlung des solitären Erythema migrans
ebenso wirksam ist wie eine über 20 Tage.
Durch zahlreiche
klinische Studien wurde der therapeutische Nutzen der antibiotischen
Behandlung jeder klinischen Manifestation der Lyme-Borreliose
bestätigt (Strle 1999). Geeignete Antibiotika für
die Behandlung lokalisierter Manifestationen sind Azithromycin,
Amoxicillin, Cefuroxim, Doxycyclin und Phenoxymethylpenizillin,
die oral verabreicht werden. Neuroborreliose wird mit Ceftriaxon
oder Penicillin G behandelt, welche intravenös gegeben
werden (Stanek & Strle 2003). Zur Behandlung chronischer
Manifestationen werden dieselben Substanzen verwendet, die Behandlungszeit
in der Regel aber verdoppelt (Tabelle 6).
Tabelle 6: Antibiotika für die Behandlung
der Schildzecken-Borreliose
Behandlung |
Antibiotikum |
Gabe |
Dosierung
Erwachsene |
Dosierung
Kinder |
Dauer |
|
ERYTHEMA
MIGRANS & BORRELIEN-LYMPHOZYTOM |
Penicillin
V
Phenoxylmethyl-Penicillin |
oral |
2
- 3 x 1 - 1,5 Mio |
0,1
- 0,15 Mio/kg |
14
Tage
(10 - 21 Tage) |
Doxycyclin
* |
oral |
2
x 100 mg |
|
14
Tage
(10 - 21 Tage) |
Amoxicillin |
oral |
3
x 500 - 1000 mg |
20
- 50 mg/kg |
14
Tage
(10 - 21 Tage) |
Azithromycin
** a,b,c |
oral |
2
x 500 mg
1 x 500 mg |
20
mg/kg
10 mg/kg |
1.
Tag
nächste 4 Tage |
Cefuroxim
axetil *** |
oral |
2
x 500 - 1000 mg |
30
- 40 mg |
14
Tage
(10 - 21 Tage) |
|
NEUROBORRELIOSE |
Ceftriaxon |
i.v. |
2
g |
50
- 100 mg/kg |
14
Tage
(10 - 30 Tage) |
Penicillin
G |
i.v. |
20
Mio |
0,25
- 0,5 Mio/kg |
14
Tage
(10 - 30 Tage) |
Doxycyclin
* 1 |
oral |
2
- 3 x 100 mg |
|
21
Tage
(14 - 30 Tage) |
Amoxicillin
2 |
oral |
3
x 500 - 1000 mg |
20
- 50 mg/kg |
21
Tage
(14 - 30 Tage) |
Ausnahmefälle:
|
1
Penicillinallergie
1 und 2 Isolierte
Fazialisparese und negativer Liquorbefund (keine
Pleozytose, keine intrathekalen Antikörper) |
|
ACRODERMATITIS
CHRONICA ATROPHICANS
LYME-ARTHRITIS (intermittierend, chronisch),
LYME-KARDITIS |
Doxycyclin
* |
oral |
2
x 100 mg |
|
21
Tage
(14 - 30 Tage) |
Amoxicillin |
oral |
3
x 500 - 1000 mg |
20
- 50 mg/kg |
21
Tage
(14 - 30 Tage) |
Ceftriaxon |
i.v. |
2
g |
50
- 100 mg/kg |
21
Tage
(14 - 30 Tage) |
|
* |
NICHT
für Kinder, Schwangere, Stillende |
** |
a
NICHT in der Schwangerschaft
b Nach Studienergebnissen aus
Slowenien und Kroatien zur Behandlung des Erythema
migrans wurde Azithromycin etwa gleichwertig
wie Penicillin V und Doxycyclin befunden (Arnez
et al 2002, Strle et al 1996, Barsic et al 2000),
eine Studie aus den USA berichtet jedoch, dass
die Substanz deutlich weniger wirksam war als
Amoxicillin (Luft et al 1996)
c Für die Indikation Lyme-Borreliose
in Österreich keine Zulassung |
*** |
In den USA schon lange zur Behandlung der Lyme-Borreliose
in Verwendung, liegen aus Europe noch keine
Ergebnisse klinischer Studien über die
Wirksamkeit bei Erwachsenen vor. Bei Kindern
wurde die Wirksamkeit gleich der von Penicillin
V befunden, allerdings waren Nebenwirkungen
mit Cefuroxim axetil viel häufiger zu beobachten
(Arnez et al 1999) |
|
|
Patienten mit solitärem
Erythema migrans und Borrelien Lymphozytom werden mit oralen
Antibiotika behandelt. Bei der Therapie mit oralen Penicillinen
wird allgemein empfohlen, die Tagesdosis auf zwei bis drei Einzelgaben
aufzuteilen. Eine Tagesdosis von 25.000 I.E. Phenoxymethylpenicillin
pro kg Körpergewicht sollte bei Kindern und Erwachsenen
nicht unterschritten werden. Dosierungen bis 6.0 Mega I.E. Phenoxymethylpenicillin
pro Tag werden von Erwachsenen komplikationslos vertragen.
Bei multiplem Erythema
migrans und bei Schwangeren sowie immundefizienten Patienten
mit Erythema migrans erscheint eine parenterale Behandlung günstiger.
Es liegen aber zu wenige Untersuchungsergebnisse vor, um dieses
Vorgehen zu bestätigen.
Patienten mit Neuroborreliose
und schwerer Lyme-Karditis werden mit Ceftriaxon oder mit Penicillin
G intravenös für 2-3 Wochen und nur ausnahmsweise
oral mit Doxycyclin behandelt. Für die Behandlung von Acrodermatitis
chronica atrophicans und Arthritis werden Doxycyclin, Amoxicillin
oder Ceftriaxon empfohlen.
Bei Personen mit
Antikörpern gegen Borrelien aber ohne klinische Zeichen
einer Erkrankung wird empfohlen zu warten und zu beobachten,
denn es gibt keine verlässlichen Daten über den Nutzen
einer Antibiotika-Behandlung bei seropositiven Personen.
Einige
Patienten, die nach den Empfehlungen behandelt worden sind,
genesen nur unvollständig und können an lang anhaltende
Symptome wie hartnäckige Müdigkeit, Myalgien, Arthralgien,
Paraesthesien oder Dysaesthesien oder Beinträchtigung der
Gedächtnisleistung und Stimmungsschwankungen leiden. Dieses
Syndrom wird "post-treatment chronic Lyme borreliosis"
genannt. Viele solcher Patienten wurden wiederholt mit Antibiotika
über Wochen oder gar Monate und Jahre behandelt. Ergebnisse
von Studien aus den USA zeigten, dass die Symptome solcher Patienten
durch langdauernde Antibiotika-Behandlung (i.v. Ceftriaxon für
30 Tage, gefolgt von oralem Doxycyclin für 60 Tage) nicht
stärker beeinflusst wurden als durch Plazebo.
Mischinfektionen
und daraus folgende Doppel-Erkrankungen durch Borrelien und
Anaplasma phagocytophilum, Erreger der humanen granulozytären
Anaplasmose, kommen bei uns praktisch nicht vor. Somit gibt
es keinen Grund, beta-Lactam-Antibiotika für die Behandlung
der frühen Hautmanifestationen der Lyme-Borreliose aufzugeben.
Therapieversager
Wenn Symptome nach einer den Empfehlungen entsprechenden Behandlung
anhalten, darf man diese nicht ohne weiteres mit einer Persistenz
der Organismen gleichsetzen. Nur extrem selten gelingt der mikrobiologische
Beweis eines Behandlungsfehlers nach einer entsprechenden Therapie.
Allerdings scheinen Borrelien postinfektiöse Syndrome bahnen
zu können, wie Fibromyalgie, wobei die Symptome in Abwesenheit
lebender Borrelien bestehen bleiben und daher auch nicht auf
Antibiotika reagieren. Manchmal ist ein Therapieversagen auf
eine irreversible Gewebsschädigung durch die Borrelien-Infektion
zurückzuführen. Aber wahrscheinlich viel häufiger
ist eine falsche Diagnose Ursache für Therapieversagen.
Daher ist die Behandlung von seropositiven Patienten mit - zum
Beispiel - Arthralgien und Myalgien viel eher eine Behandlung
von serologischen Ergebnissen und nicht von Lyme-Borreliose.
Prophylaxe
Antibiotikaprophylaxe
Kann die Einnahme von Antibiotika nach einem Zeckenstich den
Ausbruch der Lyme-Borreliose verhindern? Ergebnisse einer prospektiven
Studie aus den USA sprechen dafür, dass eine Einzeldosis
von 200 mg Doxycyclin die Entwicklung von Lyme-Borreliose verhindern
kann, falls sie innerhalb von 72 Stunden nach dem Stich durch
eine Ixodes scapularis-Zecke (dominante Ixodes-Zecke
an der Ostküste der USA) verabreicht wird (Nadelman et
al. 2001). Ob dies auch für Europa gilt, kann erst nach
der Durchführung und Auswertung der Ergebnisse prospektiver
Studien in Europa beantwortet werden. Derzeit wird daher eine
derartige Prophyalxe für Erkrankungsfälle in Europa
nicht empfohlen.
Immunprophylaxe
Eine aktive Immunisierung mit einem rekombinanten OspA-Serotyp-1-Impfstoff
(OspA Serotyp 1 ist ein dominantes immunogenes Oberflächenprotein
von Borrelia burgdorferi s.s.) war in den USA über
3 Jahre im Handel, wurde aber am Beginn des Jahres 2002 vom
Markt genommen. Die Impfung erzielte eine Schutzrate von etwa
80 %, die Frequenz der Auffrischungsimpfungen war noch nicht
definiert. Wegen der unterschiedlichen Genospezies und der grossen
Zahl von Serotypen in Europa sind hier bei der Entwicklung eines
Lyme-Borreliose-Impfstoffes zahlreiche Probleme zu bewältigen.
|
Früh-Sommer-Meningo-Enzephalitis
(FSME)
Das FSME-Virus ist
das bedeutendste durch Zecken übertragene Flavivirus. Das
FSME-Virus-Genom ist sehr stabil, seine Oberflächenantigene
bleiben praktisch unverändert. Man kennt 3 Subtypen des
FSME-Virus, den europäischen, zentral-sibirischen und den
fernöstlichen. Das Virus zirkuliert in Naturherden zwischen
kleinen Säugetieren, Weidetieren und Schildzecken. Menschen
werden gewöhnlich durch Zeckenstich in einem Naturherd
infiziert. Es besteht aber auch die seltene Möglichkeit,
die FSME-Viren durch Genuß nicht pasteurisierter Milch
von infizierten Milchtieren aufzunehmen. Die Erkrankung wurde
früher deshalb auch biphasisches Milchfieber genannt.
Abbildung 12: Verbreitung der FSME in Europa
|
Die FSME ist in
umschriebenen geografischen Gebieten Europas endemisch (Abbildung
12). Immer wieder werden neue Verbreitungsgebiete entdeckt,
wie zum Beispiel in Baden-Württemberg (Schwarzwald), wo
zahlreiche schwere FSME-Fällen aufgetreten sind (Kaiser
1999). Typischerweise verläuft die FSME in zwei Phasen.
Die erste Ekrankungsphase tritt 4 bis 14 Tage nach dem Zeckenstich
auf und dauert nur wenige Tage. Sie ist durch Fieber, Kopf-
und Gliederschmerzen, eventuell katarrhalische Symptome des
Respirationstrakts und gelegentlich durch Beschwerden seitens
des Magen-Darmtraktes gekennzeichnet. Diese unspezifischen Symptome
werden nicht unzutreffend als Sommergrippe bezeichnet. Nach
einem Intervall von wenigen Tagen beginnt die zweite Erkrankungsphase,
sofern das Virus die Blut-Hirn-Schranke durchsetzt und das Gehirn
und die Hirnhäute infiziert hat. Das Fieber ist jetzt höher,
begleitet von heftigen Kopfsschmerzen und Erbrechen. Die zweite
Phase kann als Meningitis, Meningoenzephalitis oder als Meningoenzephalomyelitis
verlaufen. Auch periphere Nerven können betroffen sein.
Selbst schwerste Formen der FSME heilen meist folgenlos aus;
nur selten bleiben Lähmungen zurück. Wegen des uncharakteristischen
Krankheitsbildes erfolgt die spezifische Diagnose gewöhnlich
durch Nachweis spezifischer IgM- und IgG-Serum-Antikörper
(Holzmann et al. 1996). Beim Ausbruch der Erkrankung des Zentralnervensystems
lassen sich nur in 50 % spezifische Liquor-Antikörper nachweisen,
ab dem 10. Krankheitstag finden sie sich bei allen Patienten
(Hofmann et al. 1983).
Seitdem die Anaplasmose
in Mitteleuropa nachgewiesen worden ist, stellt sie eine weitere
Differentialdiagnose bei fieberhaften Erkrankungen nach Zeckenstich
dar. Unterschiede gegenüber FSME bestehen in erster Linie
in den klinischen Erscheinungen Schüttelfrost, Myalgien
und Arthralgien sowie der Nachweis von erhöhter Laktatdehyrogenase
und C-reaktivem Protein im peripheren Blut (Lotric-Furlan et
al 2002).
Eine spezifische
Behandlung gibt es nicht, bei ausgebrochener Erkrankung kann
nur symptomatisch behandelt werden.
Für
die spezifische Prophylaxe stehen Impfstoffe zur intramuskulären
Verabreichung zur Verfügung. An Carrier-Vakzinen zur Verabreichung
als Nasensprays wird gearbeitet (Goncharova et al 2002). Die
österreichische Bevölkerung hat die Empfehlungen zur
Schutzimpfung gegen FSME eindrucksvoll bejaht. Mehr als 80 %
der Gesamtbevölkerung sind geimpft (Kunz et al. 1991).
Erst diese umfassende Immunisierung, nicht aber die gezielte
Immunsierung von exponierten Personen allein, hat zu einer signifikanten
Reduktion der FSME in Österreich geführt (Abbildung
13). Die aktive Immunisierung erfolgt mit einer inaktivierten
FSME-Ganzvirus-Vakzine (Baxter, Chiron Behring), 0,5 ml in den
Musculus deltoideus (Oberarm-Schultermuskel), bei Säuglingen
in den Musculus vastus lateralis (seitlicher Oberschenkelmuskel).
Für die Vollimmunisierung sind drei Impfungen erforderlich
nach dem Zeitschema 0 - 1 -12 Monate. Auffrischungs-Impfungen
erfolgen nach den Empfehlungen im jeweiligen Impfplan. Diese
werden jährlich vom Impfausschuss des Obersten Sanitätsrates
erstellt. Vor einer Auffrischungsimpfung kann die Konzentration
spezifischer Serum-Antikörper festgestellt werden, um den
Grad der bestehenden Immunität zu ermitteln. Die Serokonversionsrate
bei FSME-Impfung liegt zwischen 98 und 99 %, die Schutzrate
über 98 %.
Abbildung 13: Deutliche Abnahme der jährlichen
FSME Erkrankungen bei steigender Durchimpfungsrate (87
% im Jahr 2004)
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Eine passive Immunisierung
wird wegen der geringen oder fraglichen Schutzwirkung und der
möglichen Komplikationen bei verspäteter Gabe heute
abgelehnt. Wenn sie trotzdem gewünscht wird, dann wird
sie nur Personen über 14 Jahren und nur innerhalb von 48
Stunden nach dem Zeckenstich gegeben.
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Humane
Granulozytäre Anaplasmose (HGA)
Die tierpathogenen
Arten Ehrlichia equi und Ehrlichia phagocytophila
sowie das HGE-Agens wurden aufgrund genetischer Analysen eine
einzige Spezies, Anaplasma phagocytophilum, neu klassifiziert
(Dumler et al. 2001). Weltweit kennt man derzeit drei humanpathogene
"Ehrlichien"-Arten: den Erreger der HGE, Anaplasma
phagocytophilum, den Erreger der humanen monozytären
Ehrlichiose (HME) Ehrlichia chaffeensis, und Ehrlichia
ewingii. Erkrankungen des Menschen durch die beiden letztgenannten
Arten traten bisher nur in Nordamerika auf (Bakken &. Dumler
2000; Dumler & Walker 2001).
Anaplasma
phagocytophilum ist ein kleines (0,5 - 2 µm), pleomorphes,
obligat intrazelluläres, gramnegatives Bakterium (Abbildung
14). Es bildet in den neutrophilen Granulozyten, den Zielzellen
des Bakteriums, intrazytoplasmatische Mikrokolonien aus, sogenannte
Morulae, aus denen sie durch Zytolyse freigesetzt werden und
weitere neutrophile Granulozyten befallen können. Anaplasma
phagocytophilum befällt die primären Effektorzellen
der antibakteriellen Abwehr und verfügt über Mechanismen
gegen die intrazelluläre Abtötung. Einerseits unterbleibt
die Verschmelzung von Morulae mit Lysosomen, andererseits wird
der sogenannte "respiratory burst" gehemmt, die NADPH
abhängige Sauerstoffradikalbildung, welche eine Voraussetzung
für die intrazelluläre Abtötung von Mikroorganismen
ist. Die Hemmung des "respiratory burst" durch Anaplasma
phagocytophila erfolgt durch "down regulation"
eines Schlüsselproteins im NADPH-Oxidase-Komplex, wodurch
die Sauerstoffradikal-Bildung in neutrophilen Granulozyten deutlich
herabgesetzt wird. Die Folge ist eine Schwächung der unspezifischen
zellulären Abwehr (Kager et al. 2002).
Abbildung 14: Mikrokolonien von Anaplasma phagocytophilum
in HL-60-Zellen
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Anaplasma
phagocytophilum wurde erstmals in Europa aus dem Blut eines
Patienten in Slowenien kultiviert (Petrovec et al. 1997). Ixodes
ricinus fungiert als Vektor von Anaplasma phagocytophilum
in Europa. Woher die humanpathogenen Anaplasmen allerdings stammen
bleibt noch zu erforschen, denn der Genomvergleiche von mit
Anaplasmen hochverseuchtem Reh- und Rotwild (über 80 %)
zeigte keine Übereinstimmung mit den vom Menschen isolierten
Anaplasmen (Petrovec et al. 2002).
Die Prävalenz
von Anaplasma phagocytophilum in Ixodes ricinus-Zecken
aus Mitteldeutschland wurde mithilfe molekularbiologischer Methoden
mit 1,2 % und 6,5 % für Nymphen und Adulte ermittelt (Hildebrandt
et al. 2002).
Anaplasma
phagocytophilum verursacht eine akute, fieberhafte Erkrankung
des Menschen. Sie ist klinisch den durch Zecken übertragenen
Rickettsiosen ähnlich, allerdings fehlt bei den meisten
Patienten der Ausschlag. Während in verschiedenen Teilen
der USA von inzwischen mehreren hundert Krankheitsfällen
berichtet worden ist, gab es in Europa bis vor kurzem nur den
Hinweis auf das Vorkommen von HGE durch die Ermittlung der Seroprävalenz,
also des Anteils seropositiver Personen in der gesunden Bevölkerung.
In Gebieten mit dichter Zeckenbesiedelung (Südwest-Deutschland,
Schweiz, Österreich, Slowenien etc.) wurden bei klinisch
Gesunden Seroprävalenzraten um 15 % nachgewiesen, die belegen,
dass Anaplasma-Infektionen vorkommen, aber selten zur
Erkrankung führen (Cizman et al. 2000). Der erste durch
eine positive Blutkultur gesicherte Fall einer HGE stammt aus
Slowenien (Petrovec et al. 1997).
Die Erkrankung
beginnt etwa 1 Woche nach Zeckenstich akut mit unspezifischen
"Grippe-ähnlichen" Symptomen (Leitsymptomen)
wie hohes Fieber (> 39° C), Schüttelfrost, Krankheitsgefühl,
Kopf- und Muskelschmerzen und zusätzlichen Beschwerden
wie Schwindel, Erbrechen, Arthralgien und trockener Reizhusten.
Die Symptome halten gewöhnlich nur einige Tage an, allerdings
sind auch Verläufe von mehr als 2 Monaten bekannt. Nach
Beginn einer adäquaten antibiotischen Therapie entfiebern
die Patienten typischerweise prompt.
Differentialdiagnostisch
ist die HGA vor allem gegenüber Virusinfektionen, in erster
Linie gegenüber der FSME abzugrenzen. FSME-Patienten haben
ähnliche Laborbefunde, nämlich häufig Thrombozytopenie,
Leukopenie und gelegentlich Transaminasen-Erhöhung. Aber
im Unterschied zur HGE findet sich fast immer Meningismus (Lotric-Furlan
& Strle 1995).
Die Diagnose erfolgt durch hämatologische
und mikrobiologische Untersuchungen. Veränderungen im Blutbild
sind Thrombozytopenie, Leukozytopenie, Erhöhung von Transaminasen
und C-reaktivem Protein. Für die mikrobiologische Diagnose
werden EDTA-Blut (Nukleinsäure-Amplifikationstests und
Nachweis von Morulae in neutrophilen Granulozyten) und Serum
für den Nachweis spezifischer Antikörper benötigt.
Die Behandlung
erfolgt bei Kindern und Erwachsenen mit Doxycyclin für
7 Tage.
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Rickettsiose
TIBOLA (tick-borne lymphadenopathy)
Rickettsien
sind gramnegative kokkobazilläre Bakterien, die sich obligat
intrazellulär vermehren. Sie befallen Gefäßendothelien.
In Mitteleuropa wird Rickettsia slovaca von der Schildzecke
Dermacentor marginatus übertragen. Isoliert wurde
Rickettsia slovaca allerdings auch aus Ixodes ricinus
und Dermacentor reticulatus (Rehacek & Tarasevich
1988; Rehacek et al. 1997). Rickettsien gelangen in alle Organe
der Zecke und vermehren sich im Zytoplasma ihrer Zellen. Die
Übertragung erfolgt über den Zeckenspeichel (Abbildung
15).
Abbildung
15: Nach dem Stich von Zecken der Art Dermacentor
marginatus hat sich auf der Kopfhaut ein Geschwür
(Eschar) gebildet. Deutlich ist der Haarausfall rund um
das Geschwür zu erkennen. (Die Abbildungen wurden
freundlicherweise von Dr. Andras Lakos, Budapest, zur
Verfügung gestellt.)
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Seroprävalenz-Studien
belegen eine weite Streuung der Infektionsmöglichkeiten
mit Rickettsia slovaca in Mitteleuropa. Die Prävalenz
von Antikörpern in der exponierten Bevölkerung (Forstarbeiter,
Jäger, Landwirte) erreicht etwa 7 %. Ein charakteristisches
Krankheitsbild wurde erstmals 1996 in Ungarn beobachtet und
führte zur Beschreibung des Syndroms "tick-borne lymphadenopathy,
TIBOLA" (Lakos 2002). Krankheitserscheinungen bestehen
in vergrösserten, zum Teil schmerzhaften regionalen Lymphknoten
und/oder vesikulären ulzerativen Hautreaktionen (Eschar)
an der Zeckenstichstelle. Kinder sind davon ganz überwiegend
betroffen. Der Zeckenstich durch Dermacentor marginatus
befindet sich bei 96 % der Patienten auf der behaarten Kopfhaut.
Die Inkubationszeit erstreckt sich von wenigen Tagen bis zu
2 Monaten. Geringradiges Fieber, Müdigkeit, Benommenheit,
Kopfschmerzen, Myalgien, Gelenksschmerzen und Appetitverlust
bilden die Begleitsymptome. Die Diagnose erfolgt idealerweise
durch den molekularbiologischen Nachweis von Rickettsia
slovaca aus Lymphknoten-Biopsien. Doxycyclin ist das Antibiotikum
der Wahl (Raoult et al. 2002, Lakos 2002).
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Tularämie
(Hasenpest)
Francisella
tularensis ist ein gramnegatives Bakterium, das in bestimmten
geografischen Gebieten Europas wie zum Beispiel in den österreichisch-slowakischen
Grenzlandschaften entlang der March endemisch ist. Verschiedene
Kleinsäuger wie Nager und Hasen fungieren als Reservoire.
In Mäusen aus diesen Gebieten lassen sich Mischinfektionen
mit verschiedenen Borrelienarten und mit Francisella tularensis
von August bis Dezember nachweisen, während Borrelien
durchgehend von Mai bis Jänner gefunden werden (Vyrosteková
et al. 2002). Francisella tularensis findet sich nicht
nur in Dermacentor-Zecken sondern auch in Ixodes
ricinus. Der Übertragungsweg durch Zeckenstich ist
ungewöhnlich, da der direkte Kontakt mit verendeten Tieren
oder mit dem Blut beim "Abziehen" von Hasen oder nach
Genuß von unzureichend erhitztem Fleisch sowie auch von
nicht pasteurisierter Milch von infizierten Tieren ausreicht,
um die Krankheitserreger zu übertragen.
Bei der
Übertragung durch Zeckenstich entsteht um die Stichstelle
ein ausgestanztes Geschwür. Danach kommt es zur Schwellung
der regionalen Lymphknoten und gelegentlich zu Fieber (ulzeroglanduläre
Form). Von den in der West-Slowakei in den Jahren 1985 bis 1998
beobachteten 418 Tularämie-Fällen wurden 45 (11 %)
durch Zeckenstich übertragen (Gurycova et al. 2001). Bei
der aerogenen Übertragung kann eine hochfieberhaften Lungenentzündung
entstehen. Massenerkrankungen durch Francisella tularensis
bei Arbeitern einer Zuckerfabrik im Marchfeld wurden auf das
Einatmen von Wassertröpfchen bei der Reinigung von Zuckerrüben
zurückgeführt. Die Tröpfchen enthielten Partikel
von Mäusekadavern, in denen sich vitale Francisellen befanden
(Hayek & Flamm 1967).
Die Laboratoriums-Diagnose
ist insbesondere wegen der Abgrenzung gegenüber Rickettsiosen
und der Durchführung einer geeigneten Therapie notwendig.
Es besteht sowohl die Möglichkeit, Francisella tularensis
auf künstlichen Kulturmedien anzuzüchten als auch
die Infektion indirekte durch den Nachweis spezifischer Antikörper
in gepaarten Serumproben mittels Agglutinationstest nachzuweisen.
Die Behandlung erfolgt mit Antibiotika; Substanzen der Wahl
sind Doxycyclin und Gyrasehemmer.
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Babesiose
Babesien
sind kleine Sporozoen, die in den Erythrozyten verschiedenster
Säugetieren und selten auch des Menschen parasitieren.
Babesien werden von verschiedenen Schildzecken-Arten übertragen,
in denen sie ihren sexuellen Vermehrungszyklus vollziehen. Zecken
fungieren durch transovarielle Übertragung auch als Babesien-Reservoir.
Nach Übertragung durch Zeckenstich befallen die infektiösen
Babesien Erythrozyten, in denen sie den asexuellen Teil ihres
Infektionszyklus vollziehen. In den Erythrozyten sind sie als
pleomorphe, ringförmige Strukturen nachzuweisen. Sie ähneln
dabei den frühen (trophozoiten) Ring-Formen des Malariaerregers
Plasmodium falciparum. Die Erythrozyten werden durch
den Babesien Befall allerdings nicht verändert; sie zeigen
weder Tüpfelung noch Pigment. Reife Babesien bilden in
den Erythrozyten gelegentlich Tetraden-Formen.
Über
100 Babesienarten werden beschrieben; auch in Mitteleuropa existieren
zahlreiche Arten wie Babesia bovis, Babesia divergens,
Babesia canis, Babesia ovis und Babesia
major. Die Erreger der Rinderbabesiose, das sogenannte
Weiderot (Hämoglobinurie), werden durch Ixodes ricinus
übertragen, Erreger der Hunde- und Schafe-Babesiose durch
Rhipicephalus- und Dermacentor-Zecken. Die
Aufklärung der Übertragung und Ursache des Rinder-Texas-Fieber
durch Theobald Smith und Frederick Kilbourne in den Jahren 1889
bis 1893 brachte erstmals die Erkenntnis, dass Zecken nicht
nur Ektoparasiten sondern bedeutende Vektoren verschiedenster
Krankheitserreger sind (Assadian & Stanek 2002). Nur wenige
Babesienarten können Infektionen des Menschen verursachen;
zu diesen gehören Babesia microti und Babesia
divergens.
Von Infektionen
mit Babesia microti aus dem Nordosten der USA ist bekannt, dass
die Erkrankung bei nicht-splenektomierten Personen 10 bis 24
Tage nach dem Zeckenstich ausbricht und unbehandelt über
einige Wochen bestehen bleibt. Sie verläuft uncharakteristisch
und beginnt mit Krankheitsgefühl, Fieber, Schüttelfrost,
Schweißausbruch, Gelenks- und Muskelschmerzen, Kopfschmerzen,
Müdigkeit und Schwäche. Nicht selten findet sich eine
Lebervergrösserung und erhöhte Bilirubin- und Transaminase-Werte
infolge der hämolytischen Anämie. Seit der ersten
Fall-Beobachtung aus dem Nordosten der USA (Western et al. 1970)
gibt es nun Berichte über jährlich mehrere hundert
Fälle aus dieser Region (Kjemtrup und Conrad 2000).
Manifeste
Babesien-Infektionen des Menschen in Mitteleuropa sind anscheinend
auf Einzelfälle beschränkt (Skrabalo & Deanovic
1957) und erfolgen offensichtlich nur durch Babesia divergens.
Hier betrifft die Infektion in erster Linie splenektomierte
oder immunsupprimierte Personen. Die hämolytische Erkrankung
beginnt bei dieser Personengruppe schlagartig hochfieberhaft.
Infektionsexperimente
mit Nagern, Ixodes ricinus und Babesia microti-Stämmen
aus Nordamerika und Europa haben allerdings gezeigt, dass Ixodes
ricinus mit Babesia microti-Stämmen aus beiden
Erdteilen infiziert werden und eine durch Ixodes ricinus
übertragene Babesia microti-Infektion durchaus
auch in Europa erfolgen kann (Gray et al. 2002).
Dazu zeigen Ergebnisse seroepidemiologischer
Studien, dass eine relativ hohe Seroprävalenz gegen Babesien
bei Personen aus Endemiegebieten der Lyme-Borreliose in Europa
vorliegt. Das lässt den Schluss zu, dass inapparente Babesien-Infektionen
des Menschen offensichtlich regelmäßig vorkommen
(Hunfeld et al. 1998).
Die Diagnose kann durch den Nachweis
von Babesien in Giemsa gefärbten Blutausstrichen und Dickem
Tropfen erfolgen. Allerdings kann die morphologische Diagnose
der Babesiose durch die gewöhnlich niedrige Parasitämie
falsch negativ ausfallen. Daher werden auch serologische Methoden
zur Diagnostik verwendet. Aber der Wert der serologischen Diagnostik
(Immun-Fluoreszenz) ist wiederum gemindert durch mögliche
Kreuzreaktionen mit Malaria-Erregern. Aufgrund dieser Probleme
gehört heute in jedem Fall der hoch sensitive Nachweis
von spezifischen Nukleinsäuresequenzen mittels geeigneter
Nukleinsäure-Amplifikations-Techniken zum diagnostischen
Vorgehen.
Zur antimikrobiellen
Chemotherapie wird die kombinierte Gabe von Clindamycin, Quinin
und Azithromyzin empfohlen. Malariamittel sind gegenüber
Babesien unwirksam.
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Entfernung
von Zecken
Eine anhaftende Zecke
sollte so bald wie möglich aus der Haut entfernt werden,
und zwar mithilfe einer geeigneten Pinzette, mit der die Zecke
so nah an der Haut wie möglich gefasst und sorgfältig
herausgezogen wird. Die Stichstelle sollte dann desinfiziert
werden. Ärztliche Hilfe zur Entfernung der Zecke wird nur
dann nötig, wenn die Zecke an einer Hautstelle haftet,
die nur schwer zugänglich oder sehr empfindlich ist (Abbildung
16). Das Aufbringen von Öl, Cremen und so fort auf die
anhaftende Zecke, oder drehen und drücken der Zecke, erhöhen
das Infektionsrisiko nicht, sofern sie nachher gleich aus der
Haut entfernt wird.
Abbildung
16: Im Augenwinkel fixierte adulte weibliche
Ixodes ricinus-Zecke (Foto: Univ.-Prof. Dr. M. Zehetmayer,
Univ.-Augenklinik Wien)
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Anschrift
des Verfassers:
Univ. Prof. Dr. med. Gerold Stanek
Klinisches Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie
Abteilung Infektionsimmunologie, Medizinische Universität
Wien
A-1095 Wien, Kinderspitalgasse 15
Email gerold.stanek@meduniwien.ac.at
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