Bakterien mit Seuchenpotential

F. Allerberger
Institut für Hygiene und Sozialmedizin der Universität Innsbruck
(Vorstand: o. Univ.-Prof. Dr. M.P. Dierich)

 


Schlüsselwörter:
Bakterien, Seuchen, Bioterrorismus, biologische Kriegsführung

Zusammenfassung
Bakterielle Infektionskrankheiten führen in industrialisierten Staaten zwar nicht mehr die Listen der Todesursachen an, dennoch assoziieren auch hierorts viele mit Wörtern wie „Pest“ oder „Cholera“ Angst und Schrecken. Wenngleich man über die tatsächliche Relevanz des Bedrohungspotentials durch bakterielle Seuchen, Bioterrorismus und biologischer Kriegsführung unterschiedlicher Meinung sein kann, sollte das öffentliche Gesundheitswesen auf die Erfordernisse schwerer Infektionskrankheiten vorbereitet sein. Etablierung von Surveillancesystemen, Kapazität für interventionsepidemiologische Untersuchungen, entsprechende diagnostische Laborkapazitäten im privaten und öffentlichen Bereich, sowie Vorbereitung von Kommunikationsstrukturen sind ein erfolgversprechender Ansatz zur Prävention und Minderung einer biologischen Bedrohung.


Key-words:
Bacteria, biological threat, bioterrorism, biological warfare

Summary
While bacterial diseases no longer are leading the mortality lists in industrialized countries, to most of us the word „plague“ still sends shudders down the spine. Whether the world is once again heading towards an era of plagues and epidemics, and whether the threats of bioterrorism and biological warfare are real, remains to be answered. From a public health perspective, we are well advised to focus attention on overall preparedness to address the challenges posed by serious infectious diseases. Timely surveillance, epidemiologic investigation capacity, laboratory diagnostic capacity in both clinical and public health laboratory settings, and the ability to rapidly communicate critical information at the local level to those who have need to know are the most promising ways to prevent and mitigate this biological threat.

Manche Bakterien haben unter bestimmten sozioökonomischen Bedingungen hohes Seuchenpotential. Yersinia pestis, der Erreger von Pest, ist seit alters gefürchtet. Die Pest, der schwarze Tod, war dafür verantwortlich, dass in der Zeit von 1347 (dem Eintreffen über die Seidenstraße am Schwarzen Meer in der Hafenstadt Kaffa) bis 1352 ein Viertel der Bevölkerung Europas verstarb. Pestausbrüche verbreiteten noch 1665/66 in London oder 1770 in Moskau Schrecken; ausgehend von Zentraleuropa verlor die Krankheit aber bereits damals viel von ihrem Seuchenpotential. Strittig ist, ob ein Virulenzverlust von Yersinia pestis, Auftreten von Kreuzimmunität bei Mensch und Ratte durch Yersinia pseudotuberculosis, oder die Verdrängung von Rattus rattus durch Rattus norvegicus dafür verantwortlich ist [1]. Trotz noch heute bestehender Wildpestherden auf allen Kontinenten und entsprechend sporadische Pestfälle bis hin zu kleinen Pestepidemien, hat die Pest heute ihren Schrecken verloren [2]. Die letzten großen bakteriellen Seuchen waren bei der Kolonialisierung Amerikas zu beobachten, als die seminomadisierenden Ureinwohner erstmals mit Keimen konfrontiert wurden, gegen welche Europäer schon seit Jahrtausenden Immunität selektioniert hatten. Ganze Völker wurden dabei durch Tuberkulose (einer möglicherweise von Rindern abstammenden Infektionskrankheit) und Keuchhusten (einer möglicherweise von Schweinen abstammenden Infektionskrankheit) eliminiert [3]. Im Unterschied zu Eurasien gab es am amerikanischen Kontinent weder domestizierte Rinder noch Schweine. Noch in den frühen 1880er Jahren – beim Bau der Canadian Pacific Railroad – verstarben die Indianer der Provinz Saskatchewan an Tuberkulose mit einer Mortalitätsrate von 9% (Prozent !!) pro Jahr [3].

Bakterien mit Seuchenpotential boten sich schon früh für einen militärischen Einsatz an. Die Erfahrung hat jedoch gezeigt, dass sich Bakterien nur beschränkt für biologische Kriegsführung eignen. Das Problem einer gezielten Dispersion scheint für chemische Kampfstoffe leichter bewältigbar. Konventionelle Metallbomben zerstören bei der Explosion einen Großteil der Mikroben. Von den Japanern sollen zwischen 1932 und 1942 in der Mandschurei Porzellan-Bomben (mit Bacillus anthracis oder Yersinia pestis infizierten Flöhen gefüllt) entwickelt und während der Chekiang-Offensive 1942 eingesetzt worden sein [4].

 

Abbildung 1: Wachstum von Clostridium botulinum auf Clostridium botulinum isolation (CBI)-Agar und Blutagar

  Die Anzahl der eigenen Verluste nach Betreten der kontaminierten Gebiete soll mehrere 10.000 Tote betragen haben [4]. Die U.S. Army hatte 1941 ein Programm für „biological warfare“ begonnen, welches erst 1969 unter Präsident Nixon eingestellt wurde [5]. Einsatzbereite Waffensysteme gab es damals in den USA für Anthrax, Pest, Tularämie, Brucellose und Q-Fieber [4]. Das Botulinum Toxin von Clostridium botulinum, ein ubiquitär vorkommenden Anaerobier, gilt zwar als die giftigste aller bekannten Substanzen (Abb. 1), ein „Nachteil“ dieses Toxins besteht jedoch in seiner Labilität gegenüber Umwelteinflüssen, was Lagerung und Transport erschwert und die militärische Verwendbarkeit einschränkt (gerade diese Kurzlebigkeit würde andererseits aber das Vordringen von eigenen militärischen Kräften in kurz zuvor noch betroffenes Territorium gestatten). Obwohl 1972 mit Unterzeichnung der „Biological and Toxin Weapons Convention“ durch 118 Staaten Arbeiten für biologische Kriegsführung untersagt wurden, kam es noch 1979 zu einem Milzbrand-Ausbruch in Sverdlovsk mit angeblich 1.000 Toten (Im Jahr 1992 bestätigte Boris Jelzin den Zusammenhang mit einem Unfall in einer militärischen Einrichtung.) [4].

Abbildung 2: Wachstum von Bacillus anthracis auf Blutagar mit diagnostischem Phagen (unbewachsene Auftropfstelle)

  Der einzige dokumentierte Einsatz biologischer Waffen fand bislang im 2. Weltkrieg statt, als das britische „Microbiological Research Establishment at Porton“ (Salisbury) einen Feldtest mit Bacillus anthracis auf der schottischen Insel Gruinard durchführte („unerwarteterweise“ mußte die Insel sodann für ein halbes Jahrhundert als Milzbrand-kontaminiert gesperrt bleiben) (Abb. 2, 3). Bioterrorismus-Drohungen mit bakteriellen Infektionserregern hat es in den letzten Jahren wiederholt gegeben, auch in Österreich [6]. Anthrax (Milzbrand), Pest, Tularämie, Botulismus, Brucellose, Q-Fieber, Staphylokokken-Enterotoxikosen, Cholera, Salmonellosen und Shigellosen wird diesbezüglich Seuchenpotential zugesprochen (Abb. 4, 5, 6) [7]. Die Anforderung von Yersinia pestis während des Golf-Krieges bei der American Type Culture Collection durch eine unautorisierte Privatperson führte in den USA zu umfangreichen legislativen Maßnahmen: so wurden den Centers for Disease Control and Prevention (CDC) für das Fiskaljahr 1999 121,8 Millionen US$ für Zwecke der Vorsorge gegen Bioterrorismus zuerkannt (51 davon für Pocken-Impfstoff) [7]. Die CDC sahen sich 1999 aufgrund gehäufter Anthrax-Drohungen (bislang jedoch ohne tatsächlichem Einsatz von Bacillus anthracis) veranlaßt, Leitlinien für den Umgang mit Anthrax-Drohungen zu veröffentlichen [8].  

Abbildung 3: Auf der schottischen Insel Gruinard fanden 1942 die ersten (dokumentierten) militärischen Erprobungen von Anthrax-Bomben statt

Abbildung 4: Inspektoren der Vereinten Nationen prüften im Irak Fermentationsanlagen auf deren Potential zur Herstellung von Anthrax für biologische Waffensysteme

 

Abbildung 5: Die Verpflichtung aller Angehörigen der amerikanischen Streitkräfte, sich einer Anthrax-Schutzimpfung zu unterziehen, wird im amerikanischen Senat derzeit kritisch hinterfragt

 

Abbildung 6: Bioterrorismus gilt spätestens seit dem Giftgasanschlag vom 20. März 1995 in Tokio als realistisches Szenario. Die Aum Shinri Kyo Sekte soll versucht haben, mit Ebola-Viren und Botulismustoxin Waffen herzustellen

Haushaltsbleiche (z.B. Danclor®) gelangt hierbei gezielt zum Einsatz. Im Zusammenhang mit Bioterrorismus lassen sich Todesfälle bislang nicht belegen.

Milzbrand und Tularämie sind auch im Jahr 2000 in Österreich noch endemische Zoonosen; der Import von Pest ist im Zeitalter des Ferntourismus als realistisches Szenario zu bedenken [9]. Der klinische Mikrobiologe muß mit der Diagnostik dieser seltenen Krankheiten vertraut sein; dem klinisch tätigen Arzt obliegt es gegebenenfalls, die Verdachtsdiagnose zu stellen und den Sanitätsbehörden, entsprechende Seuchenalarmpläne auszuarbeiten. Eine Gefahr durch bakterielle Infektionserreger mit Seuchenpotential scheint bei den derzeit in Österreich gegebenen sozioökonomischen Verhältnissen jedoch nicht real. Bei Vorliegen entsprechender sozioökonomischer Umstände kommt aber vielen Bakterien unverändert Seuchenpotential zu. Als ein Beispiel sei Rickettsia prowazekii, der Erreger von epidemischem Fleckfieber (engl. „typhus“) genauer angeführt. Das Vorkommen des epidemischen Fleckfiebers ist an das Vorkommen der Kleiderlaus (Pediculus humanus corporis) gebunden. Reservoir für Rickettsia prowazekii ist der Mensch (die Laus stirbt 1-3 Wochen nach Infektion). Im menschlichen Körper persistierende Rickettsien können 10-30 Jahre nach der ursprünglichen Infektion (abnehmende Immunität!) erneut zu einer generalisierten Infektion führen (Brill-Zinsser´sche Krankheit). Enges Zusammenleben unter ungünstigen Bedingungen ist Vorraussetzung für die Verbreitung, da die Laus den fiebernden oder toten Körper verläßt, aber sich nicht weit fortbewegen kann. Epidemisches Fleckfieber führte 1813 vor Moskau zur Vernichtung der Armee Napoleons [10] und bewirkte 1915, dass die serbische Armee für 6 Monate alle Kampfhandlungen einstellen mußte [11]. Heute ist epidemisches Fleckfieber noch in Lateinamerika, Afrika, Afghanistan und dem Himalaja endemisch; Armut und das Fehlen von adäquater Trinkwasserversorgung gelten dafür als hauptverantwortlich. Das daraus resultierende „crowding“ und seltenes Baden sowie seltenes Waschen von Leib- und Bettwäsche begünstigen den Vektor Kleiderlaus. Unterernährung und Fehlen von Antibiotikatherapie verschlimmern die Situation: Aus Osteuropa eingeschleppte Fleckfieberepidemien brachten in deutschen Konzentrationslagern Letalitätsraten von über 50% mit sich. Äthiopien berichtete hingegen 1984 bei 3.759 Fällen nur von einer Letalität von 3,8% [12], Burundi im Jänner 1996 von lediglich 2,6% [13]. Dass epidemisches Fleckfieber in den Ländern des ehemaligen Jugoslawien trotz Krieg und Armut auf wenige sporadische Fälle beschränkt blieb, unterstreicht die Bedeutung von internationalen Hilfsprogrammen zur Aufrechterhaltung hygienischer Minimalerfordernisse und damit der Beherrschbarkeit von Seuchen [14]. Die Ausbreitung von bakteriellen Seuchen macht nicht vor Staatsgrenzen halt, sehr wohl aber vor intakten sozioökonomischen Verhältnissen.

 

Literatur:

1. McEvedy C.: „The Bubonic Plague.“ In: „Microorganisms: From Smallpox to Lyme Disease.“ Readings from Scientific American Magazine. T.D. Brock (Ed.) Freeman and Company, New York (1990) 3-12.
2. Heesemann J., Rakin A.: „Epidemiologie, Klinik und mikrobiologische Diagnostik der Pest.“ Antibiotika Monitor XIV (1998) 42-47.
3. Diamond J.: „Guns, Germs, and Steel: The Fates of Human Societies.“ Norton & Company, New York, London (1999) 202.
4. Brookesmith P.: „Future plagues: Biohazard, Disease and pestilence. Mankind´s battle for survival.“ Brown Packaging Books Ltd., London (1997).
5. Bernstein B.J.: „The Birth of the U.S. Biological-Warfare Program.“ In: „Microorganisms: From Smallpox to Lyme Disease.“ Readings from Scientific American Magazine. T.D. Brock (Ed.) Freeman and Company, New York (1990) 150-159.
6. APA-OnlineManager, APA 189 1995-09-08/11:28.
7. LeDuc J. W., Ostroff S.M., McDade J.E., Lillibridge S., Hughes J.M.: " The Role and the Public Health Community in Detecting and Responding to Domestic Terrorism Involving Infectious Agents." In: "Emerging Infections 3." Edited by WM. ScheId, W.A. Craig, J.M. Hughes, ASM Press, Washington, D.C., (1999) 219-230.
8. Centers for Disease Control and Prevention. Bioterrorism alleging use of anthrax and interim guidelines for managemant - United States, 1998. JAMA 281 (1999) 787-789.
9. Allerberger F. Vorwort: "Pest, Milzbrand, Tularämie." Antibiotika Monitor XIV ( 1998) 41.
10. Prinzing F.: "Epidemics Resulting from Wars." The Clarendon Press, Oxford, United Kingdom (1916).
11. Strong R.P., Shattuck G.C., Sellards A. W., Zinsser H., Hopkins J.G.: "Typhus Fever with Particular Reference to the Serbian Epidemic." American Red Cross, Cambridge, Mass (1920).
12. World Health Organization. Louse-borne typhus. 1983-1984. Weekly Epidemiol. Rec. 57 (1984)45-46.
13. Bise G., Coninx R.: "Epidemic typhus in a prison in Burundi." Trans. R. Soc. Trop. Med. Hyg. 91 (1997) 133-134.
14. Olson J.G.: "Epidemic Typhus: a Forgotten but Lingering Threat." In: "Emerging Infections" 3. Edited by W.M. ScheId, W.A. Craig, J.M. Hughes, ASM Press, Washington, D.C., (1999) 67-72.

 

Anschrift des Verfassers:
Univ.-Prof. Dr. F. Allerberger
Institut für Hygiene und Sozialmedizin der Universität Innsbruck
A-6020 Innsbruck, Fritz Pregl-Strasse 3

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