Sepsis – Neue Erkenntnisse
zur Pathogenese, Therapie und Prävention |
U. Kastner, S. Glasl, S. Lugauer,
J.P. Guggenbichler
Klinik mit Poliklinik für Kinder und Jugendliche der Friedrich Alexander
Universität Erlangen-Nürnberg
(Vorstand: Univ.-Prof. Dr. W. Rascher)
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Schlüsselwörter:
Sepsis, SIRS, Pathogenese, bakterielle Translokation,
Adhärenzblockierung, saure Oligosaccharide |
Zusammenfassung
Das Krankheitsbild der
Sepsis wird in Zukunft aufgrund von steigendem Alter, Multimorbidität,
Immuninkompetenz und hohem Invasivitätsgrad von diagnostischen und
therapeutischen Maßnahmen eine medizinische und sozioökonomische
Herausforderung darstellen. Sepsis wird heute als Summe jener pathophysiologischen
Veränderungen verstanden, die durch pathogene Keime und deren Produkte
verursacht werden und zu einer ungehemmten Freisetzung von Mediatoren
des Entzündungs-, Gerinnungs- und Komplementsystems führen. Ein
ähnlicher Symptomkomplex (SIRS) kann nach einem schweren Trauma
oder bei anhaltender Gewebshypoxie auch ohne infektiöses Agens entstehen.
Die Behandlung der Sepsis, die sich
neben kreislauferhaltenden Maßnahmen immer noch primär auf eine
kalkulierte antimikrobielle Chemotherapie stützt, wurde in den letzten
Jahren um zahlreiche neue Therapieansätze erweitert. Neben der Beeinflussung
des Entzündungssystems durch Hemmung spezifischer Mediatoren steht
neuerdings der Einsatz von aktiviertem Protein C zur Diskussion.
Ein innovativer Ansatz erfasst die Verhinderung der mikrobiellen
Translokation durch Blockierung der Adhärenz pathogener und fakultativ
pathogener Keime an die Darmschleimhaut. In der Blockierung dieses
initialen Schritts der Pathogenese haben sich in vitro und im Tierversuch
saure Oligosaccharide als wirksam erwiesen, die in Zukunft in der
Prävention und Therapie der Sepsis klinisch eingesetzt werden könnten.
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Key-words:
Sepsis, SIRS, pathogenesis, bacterial translocation,
blocking of adherence, acidic oligosaccharides |
Summary
A striking
increase in sepsis incidence can be expected in the next decade
due to factors related to increasing numbers of patients at high
risk and increased use of invasive therapeutic and diagnostic technologies.
Sepsis is defined as a spectrum of clinical symptoms caused by the
immune response of the host to the infective agent equal to the
systemic symptoms caused by severe trauma and hypoxy (SIRS). Inappropriate
activation of pro- and anti-inflammatory mediators and coagulation
factors result in a state of imbalance and finally in multi-organ
failure.
The therapy of sepsis
is based on the regulation of cardio-circulatory dysfunction and
on a calculated antimicrobial chemotherapy. Recently, antibodies
to inflammatory agents and activated protein C have been discussed
as new agents in the first line therapy of sepsis. Further efforts
are focused on the prevention of bacterial translocation by blocking
adherence of microbial pathogens to the intestinal mucosa. Acidic
oligosaccharides have proofed to function as selective inhibitors
of initial bacterial adherence and might present an innovative approach
in the prevention and therapy of sepsis in the future.
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Pathogenese und Epidemiologie
Sepsis und Multiorganversagen sind
weltweit die Letalitätsfaktoren Nummer eins und gehören zu den ungelösten
Problemen der Medizin. Nach vorsichtigen Schätzungen sterben derzeit
jährlich immer noch weltweit rund 500.000 Patienten an den Folgen
einer „Blutvergiftung“, das sind 1.400 pro Tag. In Österreich dürfte
die Zahl in der Größenordnung von 15.000 jährlich liegen. In Krankenhäusern
der Maximalversorgung beträgt die Inzidenz in Deutschland pro 1.000
stationären Patienten zwischen 8,1 und 15, wobei die Frequenz auf
Intensivstationen am höchsten ist und in Abhängigkeit von dem Patientengut
und den Kriterien zur Sepsis-Diagnose variiert. In den OECD-Mitgliedsstaaten
wurden 1995 1,5 Millionen Fälle an schwerer Sepsis gemeldet, in
den USA lag für den gleichen Zeitraum die Rate bei ca. 700.000 Patienten,
entsprechend einer Inzidenz von 3/1.000. Die jährliche Belastung
des Gesundheitsbudgets durch die Behandlung von Patienten mit schwerer
Sepsis wurde in den USA auf 17 Billionen Dollar geschätzt [1, 2]
(Abbildung 1).
Abbildung 1: Sepsis als
wachsende Herausforderung für das Gesundheitswesen
|
Der Begriff „Sepsis“ stammt aus
dem Griechischen (= Gärung, Fäulnis) und umschreibt ursprünglich
eine in der Regel letal verlaufende mikrobielle Erkrankung. In der
Vergangenheit wurden die Begriffe wie Sepsis, Septikämie und Sepsis-Syndrom
sehr unterschiedlich definiert, was zu unklaren epidemiologischen
Daten, widersprüchlichen Ergebnissen aus klinischen Studien und
folglich auch daraus resultierenden Therapie-Empfehlungen führte.
R.C. Bone, der bereits vor ca. 10 Jahren die unterschiedliche Nomenklatur
kritisierte, startete 1991 den Versuch, eine einheitliche Definition
des Krankheitsbildes zu schaffen, mit dem Ziel, Patienten frühzeitig
als septisch zu erkennen und Risikofaktoren für die Entwicklung
eines septischen Ereignisses bereits bei der Aufnahme des Patienten
zu evaluieren [3]. Dieser Denkansatz wurde von den Gesellschaften
des „American College of Chest Physicians“ und der „Society of Critical
Care Medicine“ aufgegriffen, die sich noch im selben Jahr zu einer
Consensus Conference zusammenfanden, um die Definition von Sepsis
und deren Folgen (wie z.B. das klinische Bild des septischen Schocks)
sowohl allgemein verbindlich zu definieren als auch klinische Richtlinien
zu geben, mit deren Hilfe Patienten als „septisch“ erkannt werden
können. Der früher gebräuchliche Ausdruck der „Septikämie“ sollte
demnach weder im klinischen Alltag noch bei der Konzeption von klinischen
Studien herangezogen werden. Heute versteht man unter Sepsis die
Summe lebensbedrohlicher Krankheitssymptome und pathophysiologischer
Veränderungen, verursacht durch pathogene Keime und ihre Produkte,
die aus einem Infektionsherd in die Blutstrombahn eindringen, durch
die Bildung von endogenen Mediatoren (Zytokinen) die Entzündungskaskade
aktivieren und zu einer nicht mehr kontrolliert ablaufenden systemischen
Entzündungsreaktion führen. Der mit dieser Entzündungsreaktion einhergehende
klinische Symptomkomplex wird als Systemic Inflammatory Response
Syndrome (SIRS) bezeichnet.
SIRS kann jedoch auch primär als
Folge nicht infektiöser Ursachen ausgelöst werden, dazu zählen Pankreatitis,
große operative Eingriffe, Operationen mit extrakorporaler Zirkulation,
Ischämie, Polytrauma, ausgedehnte Gewebsnekrosen, z.B. bei Verbrennungen,
hämorrhagischer Schock oder immunvermittelte Organschäden. SIRS
ist demgemäß ein Symptomkomplex, der durch ein schweres Ereignis
hervorgerufen wird; ist dafür eine mikrobielle Infektion verantwortlich,
spricht man von einer Sepsis. Die physiologischen Parameter, die
definitionsgemäß bei der Diagnose einer Sepsis erfüllt werden müssen,
sind in Tabelle 1 bzw. Abbildung 2 zusammengefasst. Dabei ist festzuhalten,
dass SIRS (d.h. keine nachgewiesene Infektion) und Sepsis (d.h.
nachgewiesene Infektion) offenbar ein identisches Erscheinungsbild
bieten können.
Tabelle 1: Definition
der SIRS-Kriterien und Sepsis-Kriterien
Terminologie |
Definition |
SIRS |
Systemische
Entzündungsantwort auf ein breites Spektrum
von schweren Ereignissen
(Infektion, Gewebeschädigung, Zirkulationsstörung
etc.)
SIRS ist durch das Vorliegen von 2 oder mehr der
folgenden Symptome charakterisiert: |
|
1. Körpertemperatur
> 38°C oder < 36°C
2. Herzfrequenz > 90/min
3. Atemfrequenz > 20/min oder PaCO2
< 32 mmHg
4. Leukozytenzahl > 12.000/µl, < 4000/µl
oder
> 10% Stabkernige im Differentialblutbild |
SIRS-Kriterien
in Anpassung für Kinder |
|
1.
Körpertemperatur > 38°C oder < 36°C |
|
2./3.
Vitalparameter
< 1 Monat
1-11 Monate
1-2 Jahre
3-5 Jahre
6-12 Jahre
13-15 Jahre
> 15 Jahre
|
Herzfrequenz
> 190/min
> 160/min
> 140/min
> 130/min
> 120/min
> 100/min
> 80/min
|
Atemfrequenz
> 60/min
> 45/min
> 40/min
> 35/min
> 30/min
> 25/min
> 20/min
|
|
4.
Leukozytenzahl > 12.000/µl, < 4000/µl
oder
> 10% Stabkernige im Differentialblutbild |
|
Sepsis |
Systemisch,
entzündliche Reaktion auf eine Infektion
= SIRS + Infektion (Erregernachweis) |
Schwere
Sepsis
(Septischer Schock) |
Symptome
der Sepsis mit Organfunktionsstörungen |
|
Hypotonie
(trotz ausreichender Volumensubstitution)
Perfusionsstörungen
Laktatazidose
Oligurie
Bewusstseinsstörung |
|
Multiorganversagen
(MOV) |
Vorliegen schwerer
Organfunktionsstörungen
Eine Homöostase kann ohne Interventionen nicht aufrechterhalten
werden. |
Definition
der Consensus Conference des American College of Chest
Physicians und der Society of Critical Care Medicine 1991
[4],
Anpassung für Kinder durch Hayden 1994 [5] |
|
Abbildung 2: Schematische
Zusammenfassung der Begriffe der "Consensus Conference
1991" (ACCP/SCCM 1991 [4])
|
Die Befunde und Symptome einer Sepsis
sind sehr variabel und einzeln betrachtet weder spezifisch noch
beweisend. Primäre Symptome können Hyper- oder Hypothermie, Schüttelfrost,
Tachykardie, Tachypnoe und/ oder Hautveränderungen (Petechien, Erythem,
Ecthyma gangraenosum) sein.
Eine Aggravierung dieser Symptome
wurde durch die Consensus Conference unter dem Begriff „schwere
Sepsis“ subsumiert. Bei dieser schweren Art der Sepsis zeigen die
Patienten zusätzlich Anzeichen der Organminderperfusion, weitere
geforderte Kriterien sind eine Laktatazidose und eine Oligurie.
Zusätzliche Anzeichen für eine Verschlechterung sind Veränderungen
des mentalen Zustandes, welche allerdings beim intubierten und beatmeten
Patienten kaum verifiziert werden können. Der Begriff „septischer
Schock“ impliziert das Vorliegen des Symptomkomplexes „Sepsis“ plus
einer relevanten anhaltenden Hypotension (RR systolisch < 90/min)
trotz ausreichender Flüssigkeitszufuhr.
Um ein infektiöses Geschehen nachzuweisen,
muss mehrfach Blut für mikrobiologische Untersuchungen abgenommen
werden. Ein positiver Erregernachweis beweist eine bakterielle oder
Pilz-assoziierte Sepsis. Die Wahrscheinlichkeit, einen Erregernachweis
bei einer „Septikämie“ zu führen, liegt zwischen 30 und 50%, die
Trefferquote steigt mit der Anzahl der Blutkulturen und fällt mit
dem Abstand zur ersten Fieberzacke. Mit zwei bis drei Blutkulturen
innerhalb von 24 Stunden wird bereits eine Sensitivität von 99%
erreicht. Allerdings finden sich in der Literatur Angaben über durchschnittlich
60% positive Blutkulturen bei Patienten mit suspizierter Sepsis,
die restlichen 40% werden einem SIRS mitschwerwiegender Gewebeschädigung
als kausaler Ursache zugeschrieben [6, 7].
Auslöser einer Sepsis oder eines
septischen Schocks können Bakterien, Viren, Pilze oder Parasiten
sein. Durch Freisetzung von mikrobiellen Strukturen (z.B. Endotoxine,
Exotoxine, Superantigene) wird die Ausschüttung von endogenen Mediatoren,
wie Interleukinen, Tumornekrosefaktoren, Histamin, Serotonin, Sauerstoffradikalen
und Proteasen, stimuliert. Diese führen durch Aktivierung von Leukozyten
und humoralen Abwehrsystemen zu den für den septischen Schock typischen
Veränderungen, die charakterisiert sind durch
- die Abnahme des peripheren Vaso-motorentonus,
- die Störung der Sauerstoffaufnahme
und der peripheren Sauerstoffutilisation,
- ein Capillary-leak-Syndrom (Zunahme
der Gefäßpermeabilität mit Flüssigkeitsabstrom in das Interstitium
durch Endothelschädigung).
Durch diese Veränderung
kommt es zu einem Perfusionsdefizit in verschiedenen Organen, das
bei Fortbestehen über mehrere Tage zur Entstehung eines SIRS mit
lokalen Ödemen und Zellschädigungen führt. Diese Phase wird bei
Beteiligung von mehr als 2 Organen als Multi-Organ-Dysfunktions-Syndrom
(MODS) bezeichnet. Hält das Perfusionsdefizit an, entsteht eine
Stase im Splanchnikusgebiet, wodurch es zu einer Schädigung der
gastrointestinalen Barriere mit konsekutiver Translokation von Bakterien
und Endotoxinen kommt. Das führt kaskadenartig zu einer Potenzierung
der klinischen Symptomatik und zum Vollbild der Sepsis. Aus der
Organdysfunktion wird ein Multiorganversagen (MOV) als Resultat
einer inadäquaten Antwort körpereigener Mediator- und Zellsysteme
auf einen infektiologischen Reiz oder eine exzessive Gewebeschädigung.
Frühe klinische Zeichen
einer Sepsis sind die sepsisbedingte Hypotension, die warme Rötung
der Haut – zunächst bis in die Akren – und die psychomotorische
Unruhe des Patienten. Typische Symptome für eine Generalisierung
der Infektion im Sinne einer Sepsis wie Fieber, Tachypnoe, Hypo-
und Hyperthermie, Schüttelfrost, Hyperventilation, Vigilanzstörung,
Leukozytose, Leukopenie oder Hautveränderungen können jedoch auch
bei systemischen, nicht infektiösen Entzündungsreaktionen auftreten.
Die sehr eng gefassten
Kriterien der „Consensus Conference“ finden nicht immer und allerorts
Zuspruch und Beachtung. Besonders in der angloamerikanischen Literatur
werden Forderungen nach Weiterentwicklung der Definitionen in Anlehnung
an die zunehmend neuen Erkenntnisse über die Pathogenese und Pathophysiologie
postuliert. Das MOV wird heute als Folge einer komplexen und generalisierten
Entzündungsreaktion interpretiert, die durch die Freisetzung von
Zytokinen induziert und in Gang gehalten wird. Bislang ist es nicht
gelungen, ein spezifisches Zytokin für den Beginn der Kaskade und
somit die Ursache von SIRS auf der Ebene der inflammatorischen Zytokine
zu definieren, nicht zuletzt auch deshalb, weil die Zytokinausschüttung
letztlich als gezielte und physiologische Antwort auf eine Gewebeschädigung
oder Infektion verstanden werden muss. Bekannterweise werden Zytokine
bei unterschiedlichen Krankheitsbildern freigesetzt, ohne zwingend
das Bild eines SIRS zu induzieren. Diese Tatsache führte zu der
Überlegung, dass die Freisetzung von Zytokinen und somit die Pathogenese
der Sepsis nicht nur ein Wechselspiel pro-inflammatorischer Mediatoren
darstellt, sondern auch je nach Abwehrlage ein entsprechendes anti-inflammatorisches
System zum Tragen kommt. Die Summe dieser Effekte, die der Körper
den akuten Entzündungsreaktionen entgegensetzt, wird als Compensatory
Anti-inflammatory Reaction Syndrome (CARS) bezeichnet und bestimmt
je nach Wiederherstel- lung oder Verlust der Homöostase die Schwere
der Erkrankung (Abbildung 3). Nach Bone et al. wird unter CARS im
engeren Sinn ein HLA-DR-Nachweis < 30% auf Monozyten mit einer verminderten
Fähigkeit zur Produktion von Entzündungs-Zytokinen (TNF-a, IL-1,
IL-6) definiert. Tabelle 2 zeigt die bislang in der Literatur akzeptierten
Mediatoren des komplexen Wechselspiels, die immer wieder als viel
versprechende Ansatzpunkte für die Entwicklung neuer Therapien postuliert
wurden. Mittlerweile muss allerdings festgestellt werden, dass der
Schlüssel zur Behandlung der Sepsis nicht in der Hemmung einzelner
Zielmediatoren liegt. Die Antagonisierung eines oder mehrerer Faktoren
der pro-inflammatorischen Entzündungskaskade hat sich zwar in vitro
und im Tiermodell teilweise als erfolgreich erwiesen, die Umsetzung
auf den Menschen jedoch brachte eher ernüchternde Ergebnisse, die
erneut die Komplexität und die großen interindividuellen Unterschiede
im Ablauf der systemischen Entzündungsreaktion widerspiegeln [8].
Abbildung 3: Neue Konzepte
in der Pathogenese der Sepsis, SIRS (Systemic Inflammatory
Response Syndrome), CARS (Compensatory Anti-inflammatory Reaction
Syndrome)
|
Tabelle 2: Übersicht
über pro- und anti-inflammatorische Moleküle
Pro-inflammatorische
Moleküle
|
Anti-inflammatorische
Moleküle
|
TNF-alpha |
IL-1beta |
IL-2 |
IL-6 |
IL-8 |
IL-15 |
Neutrophile Elastase |
IFN-gamma |
Proteinkinase |
MCP*-1, MCP-2 |
Leukemia inhibitory
factor |
|
Thromboxan |
Platelet activating
factor |
Lösliche Adhäsionsmoleküle |
Vasoaktive Neutropeptide |
Phospholipase A2 |
Tyrosinkinase |
Plasminogen activating
inhibitor-1 |
Freie Radikale |
Neopterin |
CD14 |
Prostacyclin, Prostaglandine |
|
IL-1ra |
IL-4 |
IL-10 |
IL-13 |
Typ II IL-1-Rezeptor |
Transforming Growth
Factor-beta |
Epinephrin |
Löslicher TNF-alpha-Rezeptor |
Leukotrien-B4-Rezeptor-Antagonist |
Lösliches rekombinantes
CD-14 |
LPS*-bindendes Protein |
|
*MCP = monocyte
chemoattractant protein, LPS = Lipopolysaccharid |
|
Hinzu kommt, dass im
Rahmen einer Sepsis auch das Gerinnungssystem erheblich gestört
ist. Durch die Interaktion von Granulozyten und Gefäßendothel werden
Faktoren der Gerinnungskaskade und der Fibrinolyse freigesetzt,
die im Falle einer Imbalance zu einer Verbrauchskoagulopathie, einer
disseminierten intravasalen Gerinnung (DIC) mit mikrovaskulären
Thrombosen und letztlich zum Organversagen führen. Neben den frühen
Zeichen der Koagulopathie (Anstieg der D-Dimere und des Thrombin-Antithrombin-Komplexes)
werden zunehmend auch weitere antifibrinolytische und fibrinolytische
Faktoren als diagnostische und prädiktive Zeichen herangezogen.
Dabei nehmen die aktivierten Faktoren XII und VIII, das Protein-C-System,
Antithrombin III und das Endothelzell-protein tissue factor pathway
inhibitor (TFPI) eine zentrale Rolle im Wechselspiel zwischen
Endothelzellschädigung und Regulation von Entzündungs- und Gerinnungsfaktoren
ein, wobei vor allem dem aktivierten Protein C neben dem antithrombotischen
Effekt auch eine direkte anti-inflammatorische Wirkung (Hemmung
der Zytokinproduktion und Anlagerung von Leukozyten an das Endothel)
zugesprochen wird. Ein Abfall von Protein C und Fibrinogen in Kombination
mit dem Anstieg der D-Dimere und einer Verlängerung der aPTT sind
mit dem klinischen Bild einer schweren Sepsis vereinbar (Abbildung
4). Endogene Homöostasemodulatoren wie Protein C und AT-III werden
verbraucht, die Aktivierung von Protein C durch endotheliale Oberflächenproteine
wie z.B. Thrombomodulin oder dem endothelialen Protein-C-Rezeptor
(EPCR) ist durch die generelle Endothelschädigung vermindert. Die
Folge ist eine unkontrollierte Kettenreaktion aus Entzündung, Gerinnung
und Fibrinolyse, die zu einer Progredienz der systemischen Erkrankung
führt und in einer ausgedehnten Ischämie, Hypoxie, Organdysfunktion
und letztlich bei vielen Patienten mit dem Tod endet.
Abbildung 4: Pathophysiologie
der Sepsis - Zusammenspiel von Entzündungsmediatoren
und Faktoren des Gerinnungssystems
|
Die Diagnose einer
Sepsis muss primär nach klinischen Kriterien in Anlehnung an die
Empfehlungen der „Consensus Conference“ gestellt werden, unterstützt
durch laborchemische Veränderungen als Zeichen der systemischen
Entzündungsreaktion (e.g. Leukozytose mit Linksverschiebung oder
Leukopenie, evtl. auch Thrombopenie, Gerinnungsstörung, CRP-Anstieg).
Ein Anstieg des Procalcitonin
(PCT) auf über 2 ng/ml wird als Hinweis auf eine Infektion gewertet.
Werte über 3 ng/ml sichern die Diagnose einer Sepsis mit einer Sensitivität
von 82% und einer Spezifität von 48%. Serum-Laktat-Werte korrelieren
bei Patienten mit Sepsis signifikant, bei Werten von 5 mmol/l liegt
die Mortalität bei über 80%.
In letzter Zeit wurden
weitere biochemische Parameter auf den prädiktiven Charakter für
die Entwicklung eines MOV untersucht. Die Aktivierung polymorphkerniger
Leukozyten (PMN) und die Höhe des IL-6-Spiegels nach großen chirurgischen
Eingriffen korreliert mit dem Auftreten septischer Komplikationen.
IL-6 ist also ein relativ guter Sepsis-Marker [9].
In Kombination mit
den Plasmaspiegeln von sE-Selektin kann der Schweregrad der Sepsis
zusätzlich abgeschätzt werden; sE-Selektin ist ein spezifischer
Marker für Endothelschädigungen und damit auch für die Schwere einer
Sepsis. Auch ein anhaltender Abfall des Plasma-AT-III-Spiegels und
des aktivierten Protein C korreliert mit dem Beginn des MOV. D-Dimere
im Plasma weisen auf die Aktivierung des Gerinnungssystems hin,
Plasminogen-Aktivator Inhibitor-1 ist ein Marker für Verletzungen
von Endothel [10, 11].
Lipopolysaccharid-bindendes
Protein (LBP) ist ein weiterer viel versprechender Indikator in
der Sepsisdiagnostik. LBP wird in der Leber synthetisiert und dient
als Co-Faktor für Lipopolysaccharid (LPS), das als LBP/LPS-Komplex
gebunden dem CD14-Rezeptor auf immunkompetenten Zellen präsentiert
wird und zu einer Freisetzung von LPS-abbauenden Mediatoren führt.
Im Gegensatz zu den meisten Proteinen der Akutphase (TNF-a, IL-1b,
IL-6, IL-8) sind messbare Konzentrationen des LBP auch bei gesunden
Probanden zu finden (Normwerte Männer 2,5-11,2 µg/ml, Frauen 2,0-12,2
µg/ml), eine bakterielle Infektion bei Intensivpatienten wird durch
konstant hohe LBP-Spiegel angezeigt [12]. Ein erfolgreiches Routine-Monitoring
zur rechtzeitigen Diagnose von septischen Komplikationen kann durch
die stufenweise Bestimmung von IL-6 und LBP erfolgen. Bei IL-6-Werten
> 30-60 pg/ml wird die Bestimmung von LBP empfohlen, wobei erhöhte
Werte für LBP auf eine bakterielle Infektion hinweisen. Liegen die
IL-6-Werte > 100 pg/ml bis mehrere 1.000 pg/ml bei gleichzeitig
hohen LBP-Spiegeln, gilt eine bakterielle Sepsis laborchemisch als
bewiesen.
Um die Entstehung
einer Sepsis und ein Multiorganversagen frühzeitig erkennen zu können,
wurden zahlreiche Scores entwickelt, in klinischer Verwendung befinden
sich u.a. der Sepsis-Score (SS) von Elebute und Stoner [13], der
Septic Severity Score (SSS) nach Stevens [14] sowie der Multi Organ
Dysfunction (MOD) Score nach Marshall [15]. Zur Verlaufsbeurteilung
ist es jedoch eher ratsam, möglichst täglich Scores zur Bewertung
des Allgemeinzustandes und der aktuellen physiologischen Konstellation
in Abhängigkeit von Alter, Geschlecht und Grunderkrankung, wie den
APACHE II/III oder SAPS II (Simplified Acute Physiology Score),
zu erheben [16, 17]. Die klinische Relevanz der genannten Scoring
Systems wird kontroversiell diskutiert, sie sind für die Einschätzung
des aktuellen Zustandes des individuellen Patienten und seiner Risikofaktoren
möglicherweise weniger geeignet als für die indirekte Risikoabschätzung
einer Patientengruppe bzw. für die Auswertung von klinischen Studien
zur Beurteilung neuer therapeutischer Konzepte in der Behandlung
von Hochrisikopatienten.
|
Neue
Therapieansätze bei Sepsis
Die konventionelle Therapie der
Sepsis beruht auf den folgenden vier Grundsäulen:
- Herdsanierung
- Kreislaufstabilisierung
- Beherrschung der Infektion durch
antimikrobielle Chemotherapie
- Sicherung oder Ersatz der Organfunktionen
Bei begründetem Verdacht auf Vorliegen
eines septischen Geschehens ist die frühzeitige antibiotische, antimykotische,
antivirale und/oder antiparasitäre Chemotherapie entscheidend. Die
Auswahl eines Antibiotikums für die Initialtherapie richtet sich
dabei nach dem zu erwartenden Erregerspektrum, welches durch Alter,
Anamnese, Grundkrankheit, Immunstatus und vom Fokus der Infektion
diktiert wird. Außerdem spielen lokale Gegebenheiten hinsichtlich
des Erregerspektrums und der Resistenzlage eine wesentliche Rolle
[18-20]. Hierzu wurden von der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie
e.V. in den vergangenen Jahren zwei große Studien zur Epidemiologie
von Sepsis-Erregern durchgeführt, die als Grundlage der Therapieempfehlungen
herangezogen wurden [21, 22].
Pulmonale Infektionen werden bei
47% als primärer Fokus angegeben, gefolgt von Infektionen des Gastrointestinaltraktes
(15%) und des Urogenitaltraktes (10%). Bei nahezu 30% der Patienten
bleibt die Suche nach dem Primärherd frustran. In einer repräsentativen
Multicenter-Studie wurde beobachtet, dass die Hälfte der Fälle von
Sepsis und septischem Schock nosokomial akquiriert wurden, 25% davon
nachweislich auf Intensivstationen. Als Risikofaktoren für nosokomiale
Infektionen gelten die erhöhte Disposition intensivgepflegter Patienten
aufgrund von Grunderkrankung, infektionsbegünstigender invasiver
diagnostischer und therapeutischer Maßnahmen. Ein wesentlicher Faktor
ist der hohe Pflegeaufwand und damit der enge Kontakt zwischen Patient
und Personal, der durch das insgesamt häufigere Auftreten von multiresistenten
Erregern zu einer ungleich höheren Exposition führt als in anderen
Krankenhausbereichen [19]. Werden notwendige Hygienemaßnahmen unterlassen
(Händedesinfektion, Kohorten-Isolierung etc.), ist eine klonale
Ausbreitung nahezu unaufhaltsam. Zusätzlich entstehen weitere Probleme
durch horizontalen Transfer genetischer Informationen durch Plasmide
von hochresistenten Klonen zu noch empfindlichen Bakterienstämmen,
die eine suffiziente Behandlung septischer Patienten zunehmend unmöglich
macht.
Die empirische Therapie bei bekanntem
Infektionsherd richtet sich nach der Empfindlichkeit der zu erwartenden
Erreger. Sofern der Sepsisherd einer chirurgischen Intervention
zugänglich ist, muss zusätzlich eine chirurgische Sanierung angestrebt
werden.
Bei zunächst unbekanntem Erreger
sollte die initiale „kalkulierte“ Antibiotika-Therapie so breit
als notwendig und so schmal als möglich gewählt werden, wobei das
gramnegative und grampositive Spektrum einschließlich der anaeroben
Erreger, atypischer und möglicherweise seltener Pathogene berücksichtigt
werden sollte. Bei Patienten mit schwerer Neutropenie, einer bekannten
pulmonalen oder urologischen Problematik sowie unter Langzeitbeatmung
muss die antibiotische Therapie den individuellen Surveillance-Kulturen
entsprechend dem endogenen Keimspektrum angepasst werden.
Prinzipiell kann nahezu jeder Erreger
bei entsprechender Abwehrlage des Patienten zu einer Sepsis führen.
In den letzten Jahren haben grampositive Erreger gegenüber gramnegativen
Bakterien zunehmend an Bedeutung gewonnen, insbesondere durch zusätzliche
Risikofaktoren wie zentralvenöse Katheter, langfristige Sondenernährung
und Langzeitbeatmung. Besonders im intensivmedizinischen Bereich
sind resistente Staphylokokken (v.a. MRSA und MRSE) und Enterokokken
eine zunehmende Herausforderung ebenso wie multiresistente Enterobacteriaceae
und Pseudomonaden, die meist endogenen Ursprungs sind und entweder
per continuitatem zu Infektionen der Atemwege führen oder durch
bakterielle Translokation vom Darmlumen in die Blutbahn des Patienten
gelangen [20].
Nach den Empfehlungen der Paul-Ehrlich-Gesellschaft
für Chemotherapie e.V. (siehe Tabelle 3, [23]) kommen zur initialen
Therapie bei Erwachsenen Cephalosporine der Gruppe 3, Piperacillin/Tazobactam,
Carbapenem oder ein hoch dosiertes Fluorochinolon der Gruppe 2 in
Betracht.
Tabelle 3: Empfehlungen
der Paul-Ehrlich-Gesellschaft für Chemotherapie e.V.
zur kalkulierten Antibiotika-Therapie bei septischen Patienten
[23]
Diagnose |
Bakterielle
Erreger |
Kalkulierte
Initialtherapie |
Therapiedauer
|
Sepsis
mit unbekannter
Infektionsursache |
Breites
Erregerspektrum |
Cephalosporin
Gruppe 3a/b
Acylaminopenicillin / BLI
Carbapenem
Fluorochinolon Gruppe 2
Ggf. += Aminoglycosid
+= Makrolid |
3
bis 5 Tage
nach Entfieberung |
Sepsis
mit vermutetem Organbefund |
Lunge
Aminopenicillin / BLI
Carbapenem
Clindamycin
Glykopeptid
|
Dickdarm
Cephalosporin Gruppe 3 +
Metronidazol
Fluorochinolon Gruppe 2 +
Metronidazol
Carbapenem
|
Gallenwege
Cephalosporin Gruppe 2/3
Fluorochinolon Gruppe 2
Carbapenem
|
Harnwege
Cephalosporin Gruppe 2/3
Acylaminopenicillin / BLI
|
Haut- und Weichteile
Aminopenicillin / BLI
Isoxazolylpenicillin
Clindamycin
Carbapenem
Glykopeptid
|
Intravenöse
Katheter
Clindamycin
Carbapenem |
|
Sepsis
mit vermutetem Organbefund |
Strep. pneumoniae
Staph. aureus
Carbapenem
Clindamycin
Glykopeptid
|
Aerobe/anaerobe
Mischinfektion
Metronidazol
Fluorochinolon Gruppe 2 +
Metronidazol
Carbapenem
|
Enterobakterien
Enterokokken
Fluorochinolon Gruppe 2
Carbapenem
|
Enterobakterien
Cephalosporin Gruppe 2/3
Acylaminopenicillin / BLI
|
Staph.
aureus
Hämolysierende Strep.
Isoxazolylpenicillin
Clindamycin
Carbapenem
Glykopeptid
|
Staph. aureus
Koagulaseneg. Staph. epi.
Carbapenem |
|
Sepsis
mit vermutetem Organbefund |
Cephalosporin Gruppe
2/3
Aminopenicillin / BLI
Carbapenem
Clindamycin
Glykopeptid
|
Acylaminopenicillin
/ BLI
Cephalosporin Gruppe 3 +
Metronidazol
Fluorochinolon Gruppe 2 +
Metronidazol
Carbapenem
|
Acylaminopenicillin
/ BLI
Cephalosporin Gruppe 2/3
Fluorochinolon Gruppe 2
Carbapenem
|
Fluorochinolon
Cephalosporin Gruppe 2/3
Acylaminopenicillin / BLI
|
Cephalosporin
Gruppe 2
Aminopenicillin / BLI
Isoxazolylpenicillin
Clindamycin
Carbapenem
Glykopeptid
|
Glykopeptid
Clindamycin
Carbapenem |
|
Sepsis
mit vermutetem Organbefund |
3 bis 5 Tage
nach Entfieberung,
je nach klinischem
Schweregrad
Kombinationstherapie |
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BLI = beta-Lactamase-Inhibitor |
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Ob initial eine Kombination mit
einem Aminoglykosid indiziert ist, wird derzeit kontroversiell diskutiert.
Bei klinisch schwerem Verlauf wird sie in den ersten 3 Tagen bis
zum Vorliegen des mikrobiologischen Befundes in Kombination mit
einem b-Lactam-Antibiotikum empfohlen. Eine Kombination ist jedenfalls
indiziert beim Nachweis von Pseudomonaden und Enterobacter. Bei
Verdacht auf Katheter-assoziierte Infektionen sollte neben der Sanierung
desselben jedenfalls ein Erregernachweis mit Antibiogramm angestrebt
werden, um gezielt therapeutisch vorzugehen. Lang andauernde Immunsuppression
zeigt nicht selten eine Pilz-assoziierte Infektion als Komplikation
und fordert den frühzeitigen Einsatz von Amphotericin B und / oder
Fluconazol.
Aufgrund der zunehmenden Problematik
im Bereich der Resistenzentwicklung und der beschränkten Möglichkeiten
der konventionellen Behandlung septischer Patienten wurden in den
letzten Jahren zahlreiche Anstrengungen unternommen, neue Therapieansätze,
basierend auf einem gezielten Eingriff in Teilkomplexe der Pathogenese,
zu finden und einer entsprechenden klinischen Testung zu unterziehen.
Rationale therapeutische Ansätze
sind der Einsatz von Anti-Endotoxinen (Endotoxin-Neutralisierung
beschränkt auf gramnegative Erreger, rBPI21,
Polymyxin B, E5531, rHDL, Antiendotoxin-Vakzine, Mab HA-1A, E5),
Immunmodulatoren (z.B. anti-TNF-AK, löslicher TNF-Rezeptor, Antibradykinin,
PAF-Acetylhydrolase, IL-10, IL-1-Rezeptorantagonist, Interferon-g,
G-/GM-CSF), Prostaglandinhemmer (z.B. Ibuprofen) und der Einsatz
von Gerinnungsinhibitoren (AT-III, aktiviertes Protein C, TFPI).
Die meisten dieser Therapiekonzepte befinden sich noch in klinischer
Prüfung (Phase-II- und Phase-III-Studien) und haben nur zum Teil
den erhofften Erfolg gebracht [24]. Hingegen lässt der Einsatz von
rekombinantem humanem aktiviertem Protein C erstmals Hoffnung auf
eine neue wirksame Option für Patienten mit schwerer Sepsis aufkommen.
Protein C ist einer der Hauptregulatoren der Gerinnung, der zusammen
mit dem Kofaktor Protein S als „endogenes Antikoagulans“ die Koagulationsfaktoren
Va und VIIIa inaktiviert und damit die beiden geschwindigkeitsbestimmenden
Faktoren der Gerinnungskaskade. Zusätzlich entfaltet aktiviertes
Protein C profibrinolytische Eigenschaften, da eine Komplexinaktivierung
des Plasminogen-Aktivator-Inhibitors (PAI-1) erfolgt, der dadurch
nur noch in vermindertem Maß zur Inaktivierung von Plasminogenaktivatoren
zur Verfügung steht. Aktiviertes Protein C vermag somit nicht nur
die Bildung intravasaler Gerinnsel zu verhindern, sondern fördert
zudem die Thrombolyse durch Stimulation der reaktiven Fibrinolyse
und damit die Rekanalisation eines thrombotisch verschlossenen Gefäßes.
Weiterhin kann aktiviertes Protein C die Adhäsion von Leukozyten
am Endothel und die Freisetzung von IL-1 und TNF-a durch Monozyten
blockieren, wodurch die systemische Ausbreitung von einer primär
lokalisierten Entzündung gebremst werden soll.
In einer multizentrischen Placebo-kontrollierten,
randomisierten Studie an fast 1.700 Patienten zeigte sich eine Verringerung
der Sterblichkeit unter schwerer Sepsis von 30,8% auf 24,7%, die
relative Risikoreduktion betrug 19,4% [PROWESS (Protein
C Worldwide Evaluation in Severe Sepsis)-Studie,
30th SCCM, San Francisco, 2001]. Damit überlebte von fünf Erkrankten
ein Patient mehr, was als außergewöhnlich gutes Ergebnis interpretiert
werden muss. Eine Zulassung auf dem amerikanischen und europäischen
Markt ist demnächst zu erwarten, sodass das Medikament schon sehr
bald auch in Österreich zur Verfügung stehen wird.
Nichtsdestotrotz wird in Zukunft
vor allem die Prävention septischer Komplikationen im Vordergrund
stehen müssen, nicht zuletzt auch aus gesundheitspolitischen und
ökonomischen Überlegungen. Die Überalterung der Bevölkerung und
zunehmende Multimorbidität in Kombination mit risikoreichen chirurgischen
und therapeutischen Interventionen lässt eine Zunahme von Patienten
mit einem hohen Risiko zur Entwicklung einer Sepsis erwarten. Hygienische
Maßnahmen und entsprechende Schulung des Personals werden auch in
Zukunft einen Eckpfeiler in der Prävention von nosokomialen Infektionen
einnehmen.
Eine breite „präventive“ antibiotische
Abschirmung von Hochrisikopatienten mit zusätzlicher selektiver
Darmdekontamination ist derzeit vielerorts verbreitet, sollte aber
nicht generell erfolgen, da die Induktion von multiresistenten Keimen
in der endogenen Flora des Patienten gefördert und dadurch die therapeutischen
Optionen im Falle einer endogenen Sepsis deutlich reduziert werden.
Eine zentrale Rolle spielt dabei die intestinale Flora, die sich
nach entsprechender antibiotischer Vorbehandlung innerhalb kürzester
Zeit drastisch verändert und in der Regel durch multiresistente
Enterokokken, Enterobacteriaceae und Pseudomonaden dominiert wird.
Dieses Reservoir an Mikroorganismen darf nicht als unbedeutender
Faktor in der Pathogenese negiert werden, sondern sollte vor allem
bei Konzepten in der Prävention zunehmend in Betracht gezogen werden.
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Bakterielle
Translokation - Bedeutung in der Pathogenese der Sepsis und Ansätze
zur Prävention
Der Begriff der „bakteriellen Translokation“
bezeichnet den Durchtritt von lebenden Bakterien und Endotoxinen
durch die Darmwand in die Pfortader sowie in die mesenterialen Lymphknoten,
was eine Bakteriämie mit möglicher Absiedelung in weitere Organe,
wie Leber und Lunge, zur Folge haben kann. Eine fehlende enterale
Substratzufuhr zusammen mit einem massiven Stressereignis (z.B.
Folge chirurgischer Eingriffe, Traumen, Immunsuppression, Verbrennungen,
hypovolämischer Schock, intestinale Hypoxie) fördert die Translokation
und Aufnahme von Bakterien und Endotoxinen in die ortsständigen
Makrophagen und die Ausschüttung von Entzündungsmediatoren, die
die Kaskade in der Pathogenese von SIRS starten und aufrechterhalten
können. Insbesondere die Kupffer-Zellen der Leber sowie die Alveolarmakrophagen
scheinen dabei eine wichtige Rolle zu spielen (Abbildung 5). Weitere
Faktoren sind die Alkalisierung des Magen-pH-Wertes und die intestinale
Motilitätsstörung. Dieses pathophysiologische Konzept unterstreicht
die Bedeutung des Darmes als Schlüsselorgan im Rahmen eines MOV
und die Notwendigkeit einer frühen und gezielten enteralen Ernährung
in der Prävention von schweren Komplikationen [25].
Abbildung 5: Bakterielle
Translokation und auslösende Faktoren
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Neben der lokalen unspezifischen
und spezifischen Abwehr wurde neuerdings auch der Begriff der „angeborenen
Abwehr“ (innate immunity) geprägt. Er umschreibt eine vermutlich
angeborene oder in der frühen Entwicklung erworbene Immunität, die
durch so genannte toll-like-receptors (TLRs) an der Oberfläche
von Makrophagen vermittelt wird, welche gegen Oberflächenstrukturen
von pathogenen Keimen (pathogen associated molecular patterns, PAMPs)
gerichtet sind. Die Aktivierung dieser Rezeptoren führt zur Transkription
von Genabschnitten, die nicht nur in die Aktivierung des Immunsystems
(Freisetzung von Zytokinen und Mediatoren) involviert sind, sondern
auch zur Bildung von Substanzen mit direkter antimikrobieller Wirkung
führen. Die Komplexität dieses „toll-like-receptor“-Systems, welches
eine zentrale Rolle in der Erkennung von Oberflächenstrukturen pathogener
Erreger spielt, ist derzeit Gegenstand intensiver Forschung und
wird wahrscheinlich in Zukunft ein wesentlicher Baustein im Verständnis
der Interaktion zwischen Mikroorganismen und Wirt darstellen [26].
Die im Rahmen einer Sepsis freigesetzten
Entzündungsmediatoren haben spezifische Wirkung im Intermediärstoffwechsel.
TNF-a führt zu einem deutlichen Ansteigen der Plasma-Triglycerid-Konzentrationen
sowie zur Steigerung der Proteolyse zugunsten der Synthese von Akutphase-Proteinen
und Glukose; Stresshormone und Zytokine sind wichtige Katalysatoren
kataboler Stoffwechselvorgänge mit konsekutiver Erhöhung des Ruheumsatzes.
Mangelernährung und fehlende enterale Ernährung wirken sich begünstigend
auf die bakterielle Translokation aus. Weitere translokationsfördernde
Effekte sind intestinale Fehlbesiedelung von primär sterilen Darmabschnitten
(Dünndarm, Duodenum) mit einer Laktose-Intoleranz, Fettmalabsorption
durch Dekonjugation von Gallensäuren, Entstehung von biogenen Aminen
und Toxinen, Entwicklung eines intestinalen Ödems als Folge fehlender
trophischer Substanzen, ein Perfusionsdefizit mit intermittierender
Stase im Splanchnikusbereich und eine generelle Hypoalbuminämie.
Die Bedeutung von immunmodulierenden
und trophischen Substanzen als Zusatz zur frühen enteralen Ernährung
wird bei der Betreuung von Risikopatienten zunehmend anerkannt und
klinisch umgesetzt. Die bakterielle Translokationsrate konnte durch
Glutamin in einem Enterokolitis-Modell signifikant reduziert werden.
Bilanzuntersuchungen während kataboler Zustände zeigten, dass es
zu einer Umverteilung von Glutamin aus der Muskulatur in den Intestinalbereich
kommt, um den gesteigerten Bedarf in Stresszuständen zu sichern.
Glutamin ist aufgrund der mangelnden Stabilität in den üblichen
parenteralen Aminosäurelösungen nicht enthalten. Gleiches gilt für
Arginin, welches neben seiner Funktion als Proteinbaustein immunmodulatorische
Eigenschaften wie eine Steigerung der Lymphozyten-Blastogenese nach
Antigenkontakt mit Concanavalin A und Phytohämagglutinin, besitzt
[27].
Kurzkettige Fettsäuren stellen als
bakterielle Abbauprodukte von Ballaststoffen wichtige oxidative
Substrate des Kolons dar und haben außerdem einen trophischen Effekt
auf die Mukosa des Dünn- und Dickdarms. Durch Omega-3-Fettsäuren
wird die Zytokinproduktion beeinflusst und in vitro die durch Endotoxin
induzierte Produktion von TNF und IL-1 aus Monozyten gehemmt [28,
29].
Somit ist es möglich, durch Zusatz
der genannten Verbindungen zu enteralen Ernährungslösungen Einfluss
auf metabolische und immunologische Parameter auszuüben. Eine wesentliche
Voraussetzung für den Einsatz dieser Methode beim kritisch kranken
Patienten ist jedoch eine adäquate intestinale Perfusion, die nicht
zwingend gegeben sein muss.
Ein weiterer Ansatzpunkt in der
Prävention von bakterieller Translokation ist die Erhaltung bzw.
die Wiederherstellung des ökologischen Gleichgewichtes in der Darmflora.
Die sehr häufig durch antibiotische Therapie oder Polychemotherapie
vorgeschädigte Darmflora von kritisch kranken Patienten führt zu
einer verminderten lokalen Abwehrlage und erhöht das Risiko einer
endogenen Infektion. Präbiotika und Probiotika werden in der letzten
Zeit sehr proklamiert [30], sind allerdings bei immunsupprimierten
Patienten nicht bedenkenlos einsetzbar, da Einzelfälle über septische
Geschehen mit Erregernachweis von Lactobacillus acidophilus,
Bifidobakterien und Saccharomyces Boulardi berichtet werden
[z.B. 31].
Ein völlig neues und viel versprechendes
Konzept stellt die Blockierung der Adhärenz von pathogenen und fakultativ
pathogenen Keimen an der Darmschleimhaut dar. Dabei wird ein seit
langem bestehendes therapeutisches Konzept aufgegriffen, welches
sich bereits in der Behandlung von Durchfallerkrankungen bewährt
hat. Darmpathogene Keime haften über bestimmte Kohlenhydratstrukturen
an der Oberfläche von Enterozyten [32] und entziehen sich dadurch
der mechanischen Clearance (Abbildung 6). Durch diese initiale Adhärenz
kommt es zu einer komplexen Interaktion zwischen Bakterien und Zelle,
die zu ultrastrukturellen Veränderungen auf beiden Seiten führen
kann. Die Folge ist eine feste Bindung zwischen Bakterien und Mucosazelle
als Vorstufe zur Translokation und Invasivität und wird als bedeutender
Virulenzfaktor äquivalent zur Toxin-Produktion beschrieben.
Abbildung 6: Adhärenz
von pathogenen Escherichia coli an der Darmschleimhaut
(elektronenmikroskopische Aufnahme)
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Eigene Untersuchungen haben gezeigt,
dass durch spezifische Oligosaccharide aus natürlichen Quellen (z.B.
Apfelpektine, Karottenpektine, Orangenpektine) die initiale Haftung
von pathogenen Darmbakterien an Oberflächenstrukturen von intestinalen
Epithelzellen blockiert werden kann [33] (Abbildung 7, Abbildung
8). Die an Gefrierschnitten von humanen Darmabschnitten (terminales
Ileum, Jejunum, Colon u.a.) durchgeführten Untersuchungen umfassten
ein breites Spektrum von darmpathogenen Keimen wie enterohämorrhagische
E. coli (EHEC), enteropathogene E. coli (EPEC), enterotoxische
E. coli (ETEC), Salmonella typhi, Salmonella enteritidis,
Klebsiella oxytoca und Enterobacter cloacae. Die klinischen
Isolate zeigten ein jeweils typisches Adhärenzmuster an den Epithelzellen
der Enterozyten und konnten durch saure Oligosaccharide mit Galakturonsäure
als zentrales Zuckermole- kül und einer Kettenlänge von 3-5 Zuckern
in einer Konzentration von 0,5-1% (w/v) zum Teil vollständig blockiert
werden. Diese Oligosaccharide wurden in Zusammenarbeit mit dem Institut
für Pharmakognosie der Universität Wien isoliert und strukturell
aufgeklärt [34]. Das Wirkprinzip beruht sehr wahrscheinlich auf
der Absättigung bakterieller Oberflächenstrukturen durch Rezeptoranaloga
in Form der Oligosaccharid-Liganden. Dabei scheint die Stereokonfiguration
der Zuckerstrukturen an der Oberfläche der Zelle eine wesentliche
Rolle für Spezifität und Selektivität der Bindung einzunehmen. Die
Unterschiede in den adhärenzblockierenden Eigenschaften der getesteten
biogenen Zucker könnte demnach eher an der räumlichen Anordnung
als an den monomeren Untereinheiten liegen. Da die Stereochemie
durch die pflanzliche Biosynthese vorgegeben ist, bietet die Nutzung
herkömmlicher Pektin-Quellen einen interessanten Ansatzpunkt in
der Entwicklung neuer dietätischer Mittel, die nicht zuletzt therapeutisch
und präventiv bei Patienten mit einem hohen Risiko, an den Folgen
einer bakteriellen Fehlbesiedelung und Translokation zu erkranken,
eingesetzt werden können.
Abbildung 7: Adhärenz
von Enterobacter cloacae an den Mucosazellen von humanem
terminalem Ileum (7a) und Blockierung der Adhärenz
durch eine 0,5%ige Lösung von sauren Oligosacchariden
(7b) (Gefrierschnitt eines terminalen Ileums, Färbung
nach May-Grünwald)
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Abbildung 8: Adhärenz
von enterohämorrhagischen Klebsiella oxytoca an
humanem terminalem Ileum (8a) und Blockierung der Adhärenz
durch eine 0,5%ige Lösung von sauren Oligosacchariden
(8b) (Gefrierschnitt eines terminalem Ileums, Färbung
nach May-Grünwald)
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Im Tierversuch konnte bereits bewiesen
werden, dass ähnliche Verbindungen zur Prävention von Spezies-spezifischen
Infektionen in der Aufzucht von Ferkeln und Hühnern geeignet und
den meisten Antibiotika in der Tiermast sogar überlegen sind [35,
36]. Weiters konnte in ersten Versuchen an IL-6-knock-out-Mäusen
ein präventiver Effekt von sauren Oligosacchariden bei der Verhinderung
der Translokation von enteropathogenen Keimen in die mesenterialen
Lymphknoten verzeichnet werden.
Inwieweit diese Beobachtungen auch
auf den Menschen übertragbar sind, soll nun in einer ersten klinischen
Studie an intensivgepflegten erwachsenen Patienten geprüft werden.
Die Möglichkeit, in einen ganz initialen und wesentlichen Schritt
der Pathogenese bakterieller Translokation einzugreifen, bietet
für die Zukunft eine große Chance, im Bereich der Prävention mikrobieller
Infektionen und ihrer Komplikationen voranzukommen. Dieses therapeutische
Konzept könnte einen wesentlichen Beitrag zur Prävention und Behandlung
der Sepsis leisten und auch weitere innovative Optionen in der Therapie
gastrointestinaler Infekte eröffnen. Ähnliche, bereits in der Muttermilch
vorliegende, allerdings nicht saure Oligosaccharide spielen in der
Entwicklung der lokalen Immunität des Säuglings eine wesentliche
Rolle. Obwohl bislang noch viele Fragen bezüglich der Vorgänge bakterieller
Adhärenz und ultrastruktureller Wechselwirkungen zwischen menschlicher
Schleimhaut und mikrobieller Besiedelung offen bleiben, hat uns
die Natur möglicherweise den richtigen Weg vorgegeben, den es in
Zukunft weiter zu beleuchten und verfolgen gilt.
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Anschrift des Verfassers:
Univ.-Prof. Dr. J. Peter Guggenbichler
Klinik mit Poliklinik der Universität Erlangen-Nürnberg
D-91054 Erlangen, Loschgestraße 15
E-Mail: prof.guggenbichler@iname.com |
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