Die Frühsommer- Meningoenzephalitis |
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H. Hofmann
Klinisches Institut fiir Virologie der Universität Wien
(Vorstand: Univ.-Prof. Dr. H. Hofmann) |
Einleitung Die
Frühsommer-Meningoenzephalitis, kurz FSME, ist eine durch Zecken übertragene
Virusinfektion, die in Mittel- und Osteuropa sowie in weiten (nördlichen) Teilen Asiens
beobachtet wird. Das Vorkommen des Virus ist an sogenannte Naturherde gebunden, in denen
das Virus zwischen Kleinsäugern (Mäusen, Igeln, Spitzmäusen etc.) einerseits und Zecken
(Larven, Nymphen und Adulten) andererseits hin und her übertragen wird. Der Mensch
gelangt gewissermaßen nur zufällig in diesen Kreislauf und stellt für die Ökologie
eine Sackgasse dar, weil bei ihm der Zyklus abbricht. Durch Einführung der FSME-Impfung
sind - zumindest in Österreich - die Erkrankungszahlen drastisch zurückgegangen. |
Das Virus Der Erreger der FSME ist ein ca. 45 nm großes, umhülltes RNA-Virus, das
zusammen mit dem Gelbfieber, Dengue und vielen anderen Viren in das Genus Flavivirus der
Familie Flaviviridae eingeordnet wird. Andere Genara der Flaviviridae sind die Hepaci-
(Hepatitis C) und Pesti-Viren (Tierseuchen).
Wichtig ist die Lipid-hältige Hülle, die das Viruscore umgibt. In
sie sind zwei wichtige Proteine, das E- ("Envelope") und das
M-("Membran") Protein eingelagert. Das E-Protein überwiegt bei weitem und ist
für die Anlagerung des Erregers an die zu infizierende Zelle verantwortlich. Um vor der
Infektion geschützt zu sein, muß man daher Antikörper gegen das E-Protein haben.
Folgerichtig induziert der FSME-Impfstoff vorwiegend Antikörper gegen das E-Protein. Auch
stand das E-Protein im Zentrum intensiver Untersuchungen. So kennt man etwa jene
Mutationen, die die Virulenz entscheidend beeinflussen. |
Die Erkrankung Der typische Krankheitsverlauf der FSME ist biphasisch. Nach dem Zeckenstich
vergehen ca. 1-3 Wochen, dann kommt es zur ersten Erkrankungsphase. Diese imponiert wie
ein grippaler Infekt ("Sommergrippe"); zu dieser Zeit hat der Patient auch eine
Virämie, und das Virus könnte aus dem Blut isoliert werden. Die erste Phase dauert
i.d.R. nur 2-5 Tage, danach kommt es zu einem fieberfreien Intervall von 1-4 Tagen, danach
setzt das Fieber erneut ein und Symptome einer Meningitis, Enzephalitis oder gar Meningo-
Enzephalomyelitis treten auf. Die zweite Phase dauert meist 3 Wochen und i.d.R. bilden
sich alle Symptome (wie z.B. auch Paresen) wieder zurück. Sehr selten kommt es ca. 3
Wochen nach Abfieberung zu einer (autoimmunen) Polyneuritis ("Spätlähmungen").
Von diesem typischen Verlauf gibt es viele Abweichungen. Zunächst
verlaufen rund zwei Drittel aller Infektionen symptomlos bzw. mit ganz leichtem Fieber.
Beim Rest findet sich ein schwerer grippaler Infekt mit hoher Temperatur mit oder ohne der
neurologischen Syptomatik. Die Letalität beträgt rund 1 %, wobei die Erkrankung der
Tendenz nach mit zunehmendem Lebensalter schwerer verläuft. Eine spezifische antivirale
Therapie existiert nicht. (Die Gabe von Antiserum in der 2. Phase ist zumindest sinnlos -
hat der Patient zu diesem Zeitpunkt ja bereits schon selbst regelmäßig Antikörper in
großen Mengen gebildet.) Freilich hat die unterstützende, symptomatische Therapie große
Bedeutung. So kann z.B. bei Atemlähmung die Respiratortherapie die (relativ kurze) Zeit
überbrücken, bis die körpereigene Abwehr die Virusinfektion beherrscht hat. Allerdings
sind auch einige sehr wenige, aber umso spektakulärere Fälle bekannt geworden, bei denen
sich die Lähmungen nicht mehr zurückgebildet haben und der Respirator nie mehr abgesetzt
werden konnte. |
Diagnostik Die Routine-Diagnostik der FSME besteht im Nachweis von IgM- und
IgG-Antikörpern im Serum. Der Virusnachweis bzw. Virusgenomnachweis mittels PCR aus Blut
(1. Erkrankungsphase) bzw. aus Liquor hat in der Praxis nur untergeordnete Bedeutung. Auch
im Liquor können mittels ELISA IgM- und IgG-Antikörper nachgewiesen werden. Dies hat vor
allem dann Bedeutung, wenn die Serum-IgM-Antikörper auch durch eine vor kurzem
durchgeführte (erste bzw. zweite) FSME-Impfung bedingt sein könnten. |
Prophylaxe Zur Prophylaxe stehen prinzipiell FSME-Immunglobulin sowie die FSME- Impfung
zur Verfügung, die sicher nicht als Alternativen anzusehen sind - der Impfung ist
eindeutig der Vorteil zu geben.
FSME-Immunglobulin
Dieses Präparat stammt noch aus der Vorimpfära und wurde damals noch ungeimpften
Personen nach Zeckenstich aus verseuchtem Gebiet gegeben. Dabei zeigte sich bald, daß
durch FSME-Immunglobulin nur rund 60- 70% der Infektionen verhindert werden können.
Daneben gibt es aber auch eine nicht zu übersehende Zahl von Einzelbeobachtungen, daß
bei Personen, die trotz FSME-Immunglobulin eine FSME bekamen, die Infektion besonders
schwer verlief. Man hatte den Eindruck, daß in diesen Fällen das Immunglobulin nicht nur
die Erkrankung nicht verhinderte, sondern sogar einen besonders schweren Verlauf
provozierte. Dies führte schließlich auch zur Empfehlung des Österreichischen
Gesundheitsministeriums, bei ungeimpften Kindern nach Zeckenstich im verseuchten Gebiet
auf das FSME-Immunglobulin gänzlich zu verzichten. Jedenfalls sollte man darauf drängen,
daß gefährdete Personen rechtzeitig geimpft werden. |
FSME-Impfung
Der FSME- Impfstoff ist ein sogenannter Totimpfstoff, d.h. er enthält ganze, mit Formalin
inaktivierte Viruspartikel. Die zwei am Markt befindlichen Impfstoffe sind als ungefähr
gleichwertig zu betrachten. Es wird zunächst 2mal im Abstand von ca. 1 Monat geimpft,
wobei bei Zeitknappheit auf 14 Tage verkürzt werden kann. Falls versäumt, kann eine
Zweitimpfung bis zu einem Jahr nachgeholt werden. Sechs bis zwölf Monate nach der zweiten
Impfung erfolgt die dritte. Danach sollten laut Beipacktext alle 3 Jahre
Auffrischungsimpfungen durchgeführt werden. Hat ein Impfling bereits einige
Auffrischungen bekommen, hat er eine solide, langanhaltende Immunität, sodaß die
Intervalle verlängert werden könnten. Aus haftungsrechtlichen Gründen ist es aber
problematisch, vom Beipacktext eigenmächtig abzuweichen. In letzter Zeit wird immer
häufiger die Impfantwort durch serologische Tests kontrolliert; solange Antikörper
nachweisbar sind, besteht Immunität.Untersuchungen am
Klinischen Institut für Virologie haben gezeigt, daß eine versäumte
Auffrischungsimpfung auch noch nach langer Zeit problemlos nachgeholt werden kann. Ein
Intervall bis zu 8 Jahren kann toleriert werden. Sollte es noch länger sein, sollte nach
einmaliger Auffrischung eine Antikörperkontrolle durchgeführt werden, ob durch die
verspätete Auffrischung eine befriedigende Immunantwort erreicht wurde. In wenigen
Fällen wird eine sofortige, weitere Impfung notwendig sein.
Die FSME-Impfung wird generell sehr gut vertragen. Gelegentlich
kommt es an der Impfstelle zu Schwellung, Rötung und Druckschmerzhaftigkeit. Manchmal
werden auch Allgemeinsymptome wie Müdigkeit, Abgeschlagenheit, Kopf-, Glieder- und
Muskelschmerzen beobachtet, sehr selten eine leichte Temperaturerhöhung. Alle diese
Erscheinungen verschwinden nach einigen Stunden bis wenigen Tagen wieder völlig.
In Österreich wurden seit Einführung der Impfung im Jahre 1974 ca.
25 Mio. Impfungen durchgeführt. Bei dieser hohen Zahl ist es selbstverständlich, daß es
gelegentlich zum zeitlichen Zusammentreffen der Impfung mit verschiedensten akuten
Erkrankungen kommen mußte, bei denen verständlicherweise an die Möglichkeit einer
Impfkomplikation gedacht wurde, speziell dann, wenn bei den aufgetretenen Erkrankungen
eine andere erkennbare Ursache nicht feststellbar war. Freilich treten auch bei
Ungeimpften die gleichen Erkrankungen ohne erkennbare Ursache - gewissermaßen aus
heiterem Himmel - auf. Im Einzelfall ist aber dann i.d.R. nicht zu entscheiden, ob ein
Kausalzusammenhang mit der Impfung besteht. Eine genaue Durchsicht aller als mögliche
Impfkomplikationen angeschuldigten Fälle erbrachte jedenfalls, daß die meisten
Erkrankungen bei Impflingen nicht häufiger als bei Ungeimpften beobachtet wurden. Auch
die Häufung einer bestimmten Erkrankung nach Impfung wurde nicht gefunden. Lediglich das
Auftreten einer Neuritis etwa in der Häufigkeit von 1 auf 1 Mio. Impflingen wurde für
möglich erachtet. |
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Veränderung der FSME-Epidemiologie durch die Impfung in Österreich In der Vorimpfära wurden in manchen Jahren an die 600 Fälle gemeldet, wobei
die tatsächliche Zahl wahrscheinlich um die 1.000 gelegen ist, weil nur bei den schweren
Fällen diagnostische Maßnahmen gesetzt wurden. Durch die Impfung sind die registrierten
Erkrankungszahlen stetig heruntergegangen und haben 1998 mit 62 hospitalisierten Fällen
ein absolutes Minimum erreicht. Dieser Trend gilt nicht für unsere Nachbarländer (in
denen nicht im gleichen Ausmaß geimpft wird). In Tschechien etwa wurden im Jahr 1998
mindestens 422 Fälle beobachtet - die endgültige Zahl liegt noch nicht vor.
Wie in den vergangenen Jahren wurden die meisten Hospitalisierungen
(fast 50%) aus der Steiermark gemeldet. Der Großteil aller Infektionen stammt zwar aus
den altbekannten Endemiegebieten, es wurden aber auch neue Gebiete gemeldet. Je einmal
wurde der Gstatterboden westlich der Hungerburg im Nahbereich von Innsbruck sowie das
Obere Ennstal bei Gröbming als Infektionsort angegeben. Interessant sind zwei Infektionen
bei einem Ehepaar aus Niederösterreich (nördlich von Scheibbs), das eine kleine
Landwirtschaft mit Ziegen betreibt. Aufgrund der Gleichzeitigkeit und auch Informationen
des Hausarztes tauchte die Vermutung auf, daß die Infektion durch den Genuß von roher
Ziegenmilch erfolgt sein könnte. Infizierte Ziegen scheiden nämlich das Virus im Stadium
der Virämie mit der Milch aus.
Lag in der Vorimpfära der Häufigkeitsgipfel der FSME-Fälle bei
den 20-40jährigen, so betrafen 1998 70% aller Erkrankungen Personen über 50 Jahre. Dies
ist zweifellos auf in den Schulen durchgeführte Impfaktionen zurückzuführen. Kein
einziger Fall wurde 1998 bei den 0-20jährigen registriert, wo die Durchimpfungsrate bei
90% liegt, während sie bei den älteren Jahrgängen nur etwa 65% beträgt. Auf dieses
Bevölkerungssegment sollten sich Anstrengungen vermehrt konzentrieren, auch deswegen,
weil mit hohem Alter der Schweregrad der Erkrankung zunimmt. Weiters soll nicht vergessen
werden, daß die FSME nicht nur in Österreich vorkommt.
So beobachteten wir eine Frau, die sich in Lettland infiziert hatte und erst in
Österreich hospitalisiert wurde. In diesem Zusammenhang ist wichtig, daß die bei uns
verwendeten Impfstoffe gegen die in allen FSME- Gebieten (Mitteleuropa, Asien)
zirkulierenden Virusstämme schützt, weil der Erreger nur eine geringe Heterogenität
besitzt und in seinen Naturherden äußerst stabil ist. |
Anschrift des Verfassers:
Univ.-Prof. Dr. Hanns Hofmann
Klinisches Institut für Virologie der Universität Wien
A-1095 Wien, Kinderspitalgasse 15 |
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