K.H. Spitzy –
Techniker, Mediziner und Philosoph – ist 85

 

 

Der international anerkannte Experte für Chemotherapie und Humanist Univ.-Prof. DDr. med. et phil. Karl Hermann Spitzy feierte am 10.11. 2000 seinen 85. Geburtstag. Er selbst bezeichnet sich als ein wenig taub, blind und lahm, doch fröhlich und guter Dinge. Mit 78 Jahren hat er zum Doktor der Philosophie promoviert und hält derzeit an der medizinischen Fakultät eine gut besuchte Vorlesung über Klinische Philosophie der Begegnung.

Als Absolvent des benediktinischen Schottengymnasiums 1933 in Wien war ihm von engagierten Lehrern eine umfassende humanistische Bildung vermittelt worden. Das "ora et labora", der Wahlspruch des heiligen Benedikt, blieb für sein Leben insofern bestimmend, als er bis in sein hohes Alter nicht aufhörte, den Sinn seiner vielfältigen Tätigkeiten ständig zu hinterfragen. Das zeigt sich schon in seinem Studienweg von der Technik zur Medizin und weiter zur Philosophie.

„Herr Doktor, haben Sie was zu essen?“ war 1933/34, in der Zeit der Wirtschaftskrise, eine oft gestellte Frage, und so entschloss sich Spitzy parallel zum Medizinstudium einen zweijährigen Werkmeisterkurs für Maschinenbau und Elektrotechnik zu absolvieren. Gleich darauf inskribierte er zusätzlich Philosophie, wo Erich Heintel und Ferdinand Wagner seine Lehrer wurden. Das Medizinstudium schloss er 1939 ab, arbeitete als Gastarzt in Fortsetzung seiner Hospitantentätigkeit mit bereits zwei Publikationen an der Ersten Medizinischen Klinik und kam im selben Jahr als Truppenarzt zur Waffen SS. Dann folgte bis Kriegsende ein Einsatz an der russischen Front als Bataillonsarzt, Regimentsarzt und im letzten Jahr als Internist im Korpslazarett. Anschließend wirkte er als Leitender Internist zwei Jahre am Krankenhaus Peine/Hannover und kehrte dann wieder nach Wien an die Erste Medizinische Klinik unter Ernst Lauda zurück. An der hämatologischen Abteilung unter Edwin Keibl tätig, waren seine frühen Arbeiten, in Zusammenarbeit mit Alfred Locker, Untersuchungen des Stoffwechsels von Leukämiezellen unter dem Einfluss von Cytostatika. 1955 hatte Spitzy so nebenbei sein Philosophiestudium mit dem Absolutorium abgeschlossen und im selben Jahr eine Forschungsstelle für Antibiotika an der Klinik gegründet.

Die Forschungsstelle für Antibiotika beschäftigte sich vorwiegend mit dem Problem der Möglichkeiten, Penicillin in Tabletten verabreichen zu können. Der Biologe Brandl und der Chemiker Magreiter hatten säurefeste Penicilline entdeckt, und es galt, das beste auszuwählen und pharmakokinetische, toxikologische und weitere klinische Daten zu erheben. Als Resultat ergab sich das so genannte Penicillin V, das heute noch weltweit als klassisches Oralpenicillin im Gebrauch ist. Spitzy erhielt für seine bahnbrechenden Arbeiten auf diesem Gebiet 1960 den Theodor-Körner-Preis und habilitierte 1962 zum Dozenten für Chemotherapie, gründete 1970 eine selbstständige Lehrkanzel für Chemotherapie, wurde 1970 außerordentlicher und 1973 ordentlicher Professor und verwandelte 1979 die Lehrkanzel in eine Universitätsklinik für Chemotherapie, in der Patienten mit Infektionen und Tumoren chemotherapeutisch behandelt wurden. Zahlreiche Forschungsarbeiten auf den Gebieten der Infektions- und Tumortherapie haben Spitzy und seine Mitarbeiter, vor allem K. Moser, G. Hitzenberger, H. Pichler, H. Rainer, St. Breyer, Ch. Dittrich, A. Georgopoulos, W. Graninger u.a. vorlegen können. Hervorzuheben sind dabei Arbeiten, vor allem mit Hitzenberger, über die Hochdosierung von Penicillin, die Spitzy den Namen „Millionenspitzy“ eintrugen.

Die österreichische Antibiotikaforschung hatte vor allem durch die Entwicklung der Oralpenicilline internationales Ansehen gewonnen, denn die säurefesten Penicilline waren nicht nur gegen den sauren Magensaft widerstandsfähig, sondern machten diese für chemische Synthesen und Halbsynthesen brauchbar. Eine Flut von neuen Beta-Lactam-Antibiotika, besonders von Penicillinen und Cephalosporinen, wurden in Halbsynthese entwickelt und überschwemmen bis heute den Markt.

Wie alle neuen Medikamente, denen höchste Wirksamkeit bei guter Verträglichkeit zugesprochen werden kann, wurden die neuen Antibiotika missbräuchlich angewandt. Für rasch auftretende Resistenzen wurden immer wieder neue Substanzen eingesetzt und so ein Wettlauf mit der natürlichen Selektion unempfindlicher Varianten entfesselt. Da tat Aufklärung not, denn Antibiotika sollten gezielt eingesetzt werden und nicht zu Fiebermitteln verkommen. Spitzy setzte sich voll ein. Er reiste von einem Fortbildungsvortrag zum anderen, sprach im Rundfunk, im Fernsehen und verfasste an die 200 Fortbildungsfilme. Er karrte Ärzte auf Hochseeschiffen zu 12 Kreuzfahrten, bei denen die Teilnehmer nicht entkommen konnten, organisierte Hunderte von Kongressen, wie 1967 den Internationalen Kongress für Chemotherapie in Wien, dem er als Präsident vorstand, und der so erfolgreich war, dass Wien ihn 1983 ein zweites Mal ausrichten durfte. Waren das erste Mal etwa 3.500 Teilnehmer gekommen, fanden sich beim zweiten Mal 12.000 Autoren und Coautoren ein. Spitzy, als Ehrenpräsident, setzte eine Präpublikaton der Referate in 18 Bänden durch.

Spitzys organisatorische Fähigkeiten wurden von internationalen und nationalen Gesellschaften benützt. Er wurde von der Internationalen Paul-Ehrlich-Gesellschaft 1974 zum Präsidenten gewählt und leitete die traditionsreiche Gesellschaft der Ärzte in Wien neun Jahre lang ab 1982. Es häuften sich die Ehrungen wie Ehren-Obmann und -Mitgliedschaften, Billroth-Medaille, Wilhelm-Exner-Medaille, Vesalius-Medaille, höchste Orden der Stadt Wien und der Ärztekammer etc. All das konnte nicht dazu führen, dass Spitzy sich zurücklehnte; seine Rastlosigkeit und sein Optimismus blieben ungebrochen. Nach der Emeritierung mit 71 Jahren nahm er bald sein Philosophiestudium wieder auf, machte in Deutschland an der Gustav-Siewerth-Akademie in Bierbronnen unter der Leitung von Frau Univ.-Prof. Dr. Alma von Stockhausen seinen Magister artium mit Hauptfach Philosophie und promovierte mit seiner Dissertation „Dämon und Hoffnung“ bei Peter Kampits an der Wiener Universität. Seither liest er nun „Klinische Philosophie“ im Neuen AKH.

Seine Philosophie ist kein theoretisches Geplänkel, sondern zielt auf das praktische Arzt-Patient-Verhältnis, auf die Ethik in der Medizin und die unabschüttelbare Verantwortung des Arztes. Dabei geht es dem unverbesserlichen Humanisten nicht nur um die Verantwortung für den kranken Mitmenschen im Zeichen der paracelsischen und hildegartschen Liebe, sondern auch und vor allem um die Verantwortung „wovor“. Die Gesetze, die Gesellschaftsnormen, der unrückgebundene Humanismus, selbst das eigene Gewissen reichen nicht aus, um diese Verantwortung für einen Menschen übernehmen zu können. Da sind die österreichischen Philosophen Vorbilder: Martin Buber, Ferdinand Ebner und Hans Jonas vertreten im Gegensatz zu den Destruktionisten ein metaphysisch bezogenes Denken, das dem Expertentum langsam, aber sicher abzugehen beginnt. Das Ich und Du im dialogischen Denken steht nicht nur als Dyade da, sondern ist immer eine Triade, und wenn Gott auch nur, wie Buber sagt, „in das Zwischen einweht“.

So schließt Spitzy heute seinen Lebenskreis, nicht mit erhobenem Zeigefinger, nicht mit dem Gefühl „man kann eh nichts machen“, sondern predigt mit glühendem Optimismus von einer Symbiose von Technik, Medizin und Philosophie, die seinen Lebensweg begleitet haben.

Dass ihm dies noch viele Jahre vergönnt sei, ist unser aufrichtiger Wunsch.

A. Schifer

 

Univ.-Prof. DDr. A. Georgopoulos

 

Curriculum vitae

Karl Hermann Spitzy, geb. am 10.11.1915 als Sohn des Univ.-Prof. für Orthopädie Hans Spitzy in Wien

1933 Reifeprüfung am Schottengymnasium in Wien
1933 Studienbeginn Medizin an der Universität Wien
1933 Studienbeginn Philosophie an der Universität Wien
1935 Techn. Werkmeisterprüfung am Arsenal, Wien
1939 Promotion zum Dr. med. an der Universität Wien
1939 - 1945 Arzt an der Front in Russland
1945/46 Chefarzt für Innere Medizin im Krankenhaus Peine/Hannover
1946 Eintritt in die I. Med. Univ.-Klinik in Wien
1955 Absolutorium in Philosophie an der Universität Wien
1955 Leiter der Forschungsstelle für Antibiotika
1960 Verleihung Theodor-Körner-Preis
1962 Habilitierung zum Dozenten für Chemotherapie
1967 Präsident des Int. Kongresses für Chemotherapie
1970 Ernennung zum a.o. Univ.-Prof.
1973 Ernennung zum o. Univ.-Prof.
1974 - 1976 Präsident der Paul-Ehrlich-Gesellschaft
1979 Vorstand der Univ.-Klinik für Chemotherapie
1982 - 1991 Präsident der Gesellschaft der Ärzte in Wien
1987 Emeritierung an der Universität Wien
1988 Erstmalige Vergabe des Karl-Hermann-Spitzy-Preises
1991 Wiederaufnahme des Philosophiestudiums
1992 Sponsion zum Magister artium an der Gustav-Siewerth-Akademie in Bierbronnen/Deutschland, Hauptfach: Philosophie
1992 Verleihung der Wilhelm-Exner-Medaille
1993 Verleihung der Billroth-Medaille
1994 Promotion zum Dr. phil. an der Universität Wien
1994 Kulturpreis der Stadt Baden
1995 Goldene Medaille der Ärztekammer
1996 Goldene Medaille der Stadt Wien
1998 Ehrenpräsident der Wiener Medizinischen Akademie

 

Publikationen

Insgesamt über 400, darunter:

1955 „Die perorale Penicillintherapie“ (Entwicklung des ersten Oralpenicillins)
1962 „Penicillin in hohen Dosen“ (Entwicklung der Hochdosierung)
1970 „Repräsentativer Einzelfall und Doppeltblindversuch“ (Kritik der klinischen Statistik)
1971 Mitherausgeber der „Klinischen Pharmakologie und Pharmakotherapie“ 1.-3. Aufl. Urban & Schwarzenberg,
ab 4. Aufl. (1983) „Klinische Pharmakologie“, Ecomed „Das Placebophänomen“ (Kritik der Arzneimitteltherapie)
1973 „Einordnungsmöglichkeiten der homöopathischen Therapie und ihre Kontrolle“
1982 „Van Swietens Erbe, Die Wiener Medizinische Schule in Selbstdarstellungen“, Verlag Maudrich, Wien
1984 „Der Versuch am Menschen“
1989 „Kann eine Metamedizin zwischen der Paramedizin und der sogenannten Schulmedizin eine Brücke schlagen?“
(Dialogik als Lösungsvorschlag)
1991 „Ich und Du in der Medizin“
1992 „Schmerz und Placebo“
1993 „Dämon und Hoffnung. Dialogik in der Medizin“, Verlag Hasel, Wien
1994 „Klinische Philosophie I. Ärztliche Dialogik“, Verlag Maudrich, Wien
1995 „Klinische Philosophie II. Ärztliche Ethik“, Verlag Maudrich, Wien
1993 “Ethik und Arzneimittelforschung“, in „Klinische Pharmakologie“, Ecomed II-1.4.1
1994 „Ärztliche Ethik im Spannungsfeld ökonomischer Anforderungen“, in Theurl H. (Hrsg.)
„Tödliche Grenzen. Rationalisierung im Gesundheitswesen“, Alfred Meran, S. 33
1995 „Klinisch-philosophische Betrachtungen über den Einfluss großer Seuchen auf das Kulturbewusstsein“,
in „Klinische Pharmakologie“, Ecomed
1997 „Ethische Aspekte der Chemotherapie“, Angermühler Kreis
1997 „Archäologie des ärztlichen Blicks“, Spektrum der Augenheilkunde 11/5, 209
1997
Probleme der Antibiotik“, Die Waage, Grünenthal, im Druck
1997
Die Arzt-Patient-Beziehung und das Placebophänomen“, Imago hominis IV/1 Wien
1997
„Arzt, Patient und Versicherung“, in Versicherungsgesch. Österr.“ Bd. 5, S. 505
1998
Das verblichene Du“, in Stefenelli (Hrg.) Körper ohne Leben“, S. 899
1998
Klinische Philosophie III. Ärztliche Wissenschaft“, Verlag Maudrich, Wien
1998
Von der Dialogik zum Konstruktivismus in der Medizin“, Symposium der Gesellschaft für organismischsystemische Forschung
1999
Kritik der Chemotherapie im Rahmen einer konstruktiv-dialogischen Medizintheorie“ 5. Wiener Dialog
Ganzheitliche Krebstherapie“ der Ges. für Ganzheitsmed. Zusammenf.

1999
Der Dialog der Friedensstifter“, Wiener Blätter zur Friedensforschung, Manz S. 42
2000
Versorgung mit innovativen Arzneimittel“, Manage Med. 4/2000, S. 25
2000
Klinische Philosophie IV. Ärztliche Hodegetik“, Verlag Maudrich, Wien

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