Nur wenige hochwirksame
Medikamente haben wie das Penicillin V ihre Spitzenstellung ein
halbes Jahrhundert lang unverändert behaupten können.
Die orale Gabe wurde durch die Entdeckung des ersten säurefesten
Penicillins im Jahre 1952 durch ein Forscherteam der Biochemie ermöglicht.
Ausreichende Dosierung und nötige Dauer der Gabe haben bisher
Resistenzbildungen vermieden. Bei gezieltem Einsatz könnte
das Penicillin V auch weiterhin seine Vormachtstellung behaupten.
Nach dem zweiten
Weltkrieg war Penicillin in Österreich Mangelware. Ein Capitain
der französischen Besatzungsmacht kam auf die Idee, die Fermentationserfahrungen
der Tiroler Bierbrauer mit dem Geschick von österreichischen
Technikern zu kombinieren und so das wertvolle Penicillin zu erzeugen.
Vom Management der Brau AG wurden der Gärungschemiker Dr. E.
BRUNNER und der Mikrobiologe Dr. St. KROPASCY nach Kundl beordert.
Aus dem Nichts schufen sie eine Produktionsstätte für
Penicillin. Nur erzeugte jetzt nicht Hefe Bier, sondern der Pilz
Pencillium vorerst in kleinen Mengen das begehrte
Penicillin. In den Anfangszeiten der Biochemie Kundl
war nicht nur das Geld knapp, sondern auch viele der vorhandenen
Gerätschaften waren für eine ausgeweitete Produktion wenig
geeignet. Trotz aller Widrigkeiten siegte der Aufbauwille und im
Jahre 1948 verließen die ersten Penicillin-G-Ampullen das
Unternehmen.
Ein Nachteil bei diesem Produkt war jedoch, dass wie schon
länger bekannt war Penicillin G durch ein von vielen
Bakterien erzeugtes Ferment, die Penicillinase, hydrolisiert und
damit unwirksam gemacht wird. Der mittlerweile zum Team gestoßene
Biologe Dr. E. BRANDL stellte sich der Herausforderung ein Mittel
zu finden, das dem Nährmedium des Penicillin erzeugenden Pilzes
zugesetzt werden konnte, ohne einerseits das Wachstum zu hindern
und andererseits die Produktion des Antibiotikums Penicillin zu
stören. Hier kamen den Forschern wieder einmal die Erfahrungen
der Tiroler Braukunst zu Hilfe. Die bei der Bierherstellung als
cleaner in Verwendung stehende Phenoxyessigsäure
fügte eukaryotischen Pilzen wie Hefe oder Penicillium keinen
Schaden zu, war aber gegen akaryotische Bakterien wie beispielsweise
E. coli wirksam.
v.l.n.r.:
Dr. E. Brandl (), Dr. H. Margreiter ()
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Keine Beeinträchtigung
durch Säure
Bei den gemeinsam
mit dem Chemiker Dr. H. MARGREITER durchgeführten systematischen
Untersuchungen erwies sich Betaphenoxyaethanol als geeigneter Zusatz.
Zu ihrer Überraschung mussten die Forscher feststellen, dass
die Zugabe von Phenoxyessigsäure der Penicillinproduktion nicht
nur schadete, sondern das unter den neuen Bedingungen hergestellte
Penicillin sogar wirksamer gegen Bakterien machte. Der komplette
Ersatz von Phenylessigsäure durch Phenoxyessigsäure als
Precursorsubstanz bestätigte die höhere Aktivität
eines Penicillins, dem keine Phenylseitenkette, sondern eine Phenoxyseitenkette
angebaut worden war. Zu diesem Zeitpunkt schien es bereits wahrscheinlich,
dass es sich bei dieser Substanz um ein neues unbekanntes Penicillin
handeln musste.
Bei den Versuchen, diese neue Substanz zu extrahieren, erlebten
die Wissenschafter Brandl und Margreiter eine weitere Überraschung:
Bei der Überprüfung der mikrobiologischen Aktivität
stellte sich heraus, dass dieses neue Penicillin auch unter dem
Einfluss von Säure hochaktiv war. Diese am 7. Jänner 1952
gemachten Erkenntnisse wurden an die Firmenleitung der Biochemie
mit dem Vermerk V für Vertraulich weitergeleitet.
Dadurch erhielt das neue Penicillin den Namen Penicillin V.
Nach der Testung durch den Pharmakologen Dr. M. GIOVANNINI auf Verträglichkeit,
Absorbilität und Ausscheidung wurde die Substanz für erste
klinische Versuche freigegeben. Dabei wurden mehrere säurefeste
Analoge an die 1. Medizinische Universitätsklinik in Wien an
Dr. Karl H. SPITZY zur Auswahl übersandt. Vor Beginn klinischer
Voruntersuchungen wurde von Ihm die bestehende Literatur durchforstet
und sorgfältig studiert. Dabei stellte sich heraus, dass bereits
1948 etwa 50 Penicilline mit Hilfe von Zusätzen von Precursorsubstanzen
hergestellt, die Resultate publiziert und auch patentiert worden
waren. Die als biosynthetische Penicilline bezeichneten Antibiotika
von Eli Lilly in den USA wurden aus den Medien der bearbeiteten
Pilzkulturen extrahiert, die chemische Formel eruiert und die mikrobiologische
Aktivität gemessen. Unter den so überprüften Substanzen
befand sich auch das Phenoxymethylpenicillin mit seiner deutlich
höheren biologischen Aktivität. Allerdings fiel den amerikanischen
Forschern die Säurestabilität dieser Substanz nicht weiter
auf. So musste die Biochemie Kundl leider feststellen, dass die
entdeckte Substanz nicht mehr neu war und somit auch nicht patentfähig
sein konnte.
Petrischale
mit dem Penicillin produzierenden Schimmelpilz (Penicillium
sp).
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Mikroskop-Aufnahme
von Schimmelpilz-Hyphen
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Gentlemens
Agreement teilte Markt
Intensive Verhandlungen
zwischen den beiden Unternehmen führten zu einem Gentlemens
Agreement und das Management der Firma Lilly stimmte einer Marktteilung
zu. Lilly honorierte damit in fairer Weise die ihr entgangene österreichische
Entdeckung der Säurefestigkeit und damit der Eignung von Penicillin
V zu einer oralen Therapie.
Die Zusammenarbeit der Biochemie mit einem finanzstarken Unternehmen
wie Lilly trug einiges zur raschen weltweiten Verbreitung des neuen
Antibiotikums bei. Im Jahre 1955 konnten bereits am III. Internationalen
Symposium für Antibiotika die österreichischen und auch
einige amerikanische klinische Studien präsentiert werden.
Damit wurde das erste oral zu verabreichende Penicillin weltweit
bekannt gemacht.
Für die Erforschung weiterer säurefester Oralpenicilline
wie Cephalosporine und andere Betalactam-Antibiotika war die Erkenntnis
der Säurefestigkeit von entscheidender Bedeutung. Sie kann
somit als Meilenstein der Penicillinforschung angesehen werden.
Das Phenoxymethylpenicillin muss nicht wie andere Penicilline als
Salz vorliegen. Es ist im Gegensatz zu Penicillin G auch als Penicillin-V-Säure
stabil. Eine zusätzliche Natrium- oder Kaliumbelastung spielt
daher auch bei Hochdosierung keine Rolle. Im Ospen® von der
Biochemie Kundl liegt Penicillin V als freie Säure vor und
kann fast bedenkenlos hoch dosiert werden. Dies ist gerade heutzutage
wieder von wachsender Bedeutung, da Resistenzen beispielsweise
gegen Pneumokokken im Ansteigen begriffen sind.
Die Redaktion
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