Durch Zecken übertragene Krankheitserreger
(Tick-Transmitted Diseases)

G. Stanek
Klinisches Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der Universität Wien
(Vorstand: Univ.-Prof. Dr. M. Rotter)




Einleitung

In den 1980er Jahren bestätigten sich die Vermutungen, dass heimische Zecken außer dem FSME-Virus noch andere bis dahin unbekannte oder bei uns weitgehend unbeachtete Krankheitserreger auf den Menschen übertragen können. Zu den neu entdeckten gehören die Erreger der Lyme-Borreliose, zu den wenig wahrgenommenen gehören bestimmte Rickettsienarten und Ehrlichien. Dazu kommen noch die selten auf diesem Weg auf den Menschen übertragenen Erreger der Hasenpest (Tularämie) und der Babesiose.
Diese Fülle an Möglichkeiten bringt dem behandelnden Arzt differentialdiagnostische Probleme, insbesondere dann, wenn sich der Patient mit Fieber nach Zeckenstich einfindet. Der vorliegende Band des ANTIBIOTIKA MONITOR bezieht sich auf Beiträge zum „Symposium on Tick-Transmitted Diseases“, welches die dritte gemeinsame Veranstaltung der Österreichischen Gesellschaft für Hygiene, Mikrobiologie und Präventivmedizin (ÖGHMP) und der Slovenian Society for Infectious Diseases war, die zuletzt diesmal im September 2001 im University Medical Centre in Ljubljana stattgefunden hat. Der Bericht gibt Einblick in die Eigenheiten des Vektors Ixodes ricinus, behandelt bestimmte Aspekte der Lyme-Borreliose, Früh-Sommer-Meningo-Enzephalitis (FSME), Ehrlichiose, Infektionen mit Rickettsia slovaca, Tularämie und Babesiose. Die therapeutischen Angaben stützen sich alle auf kontrollierte klinische Studien und gelten daher als Therapieempfehlungen im Sinn der „evidence based medicine“. Im Anhang findet sich ein Protokoll der Lyme-Borreliose, Ehrlichiose und FSME. Alle Literaturzitate aus dem Jahr 2002, die nur im Text und nicht in der Literaturliste angeführt sind, wurden zur Publikation eingereicht und befinden sich im Druck.

 


Introduction

In the 1980ies it became evident that Ixodes ricinus ticks in Europe are not only transmitting the TBE (tick-borne encephalitis) virus but also other hitherto unknown or not recognized human pathogens. The newly discovered pathogens were the agents of Lyme borreliosis, and the less recognized were certain species of the genus Rickettsia and Ehrlichia. Additionally, infections of humans with the agents of tularaemia and babesiosis were also observed in consequence of a tick-bite.
The possibility to become infected with various pathogens by a tick-bite focuses the physician on differential diagnoses, particularly in cases where the patient presents with fever after a tick-bite. The present volume of the ANTIBIOTIKA MONITOR refers to contributions to the „Symposium on Tick-Transmitted Diseases“ which was the third meeting of that type, co-organised by the Austrian Society for Hygiene, Microbiology and Preventive Medicine (ÖGHMP) and the Slovenian Society for Infectious Diseases. It took place at the University Medical Centre in Ljubljana in September 2001. The report offers information about the vector tick Ixodes ricinus, about certain aspects of Lyme borreliosis, tick-borne encephalitis (TBE), ehrlichiosis, infection with Rickettsia slovaca, tularaemia and babesiosis. The therapeutic schedules are all based on controlled clinical studies and should be considered as recommendations of evidence based medicine. The attachment contains protocols for Lyme borreliosis, ehrlichiosis, and TBE. All references indicating the year 2002 which are not listed in the list of references are in press and will be available in full during the year 2002.

 


Zecken

Lederzecken und Schildzecken
Zecken lassen sich in Lederzecken (Argasidae) und in Schildzecken (Ixodidae) unterteilen. Sie unterscheiden sich in ihrer Morphologie, ihren Lebensbereichen und in Einzelheiten ihres Lebenszyklus. Alle ernähren sich vom Blut von Wirbeltieren. Während aber die Leder- oder Argas-Zecken in kurzer Zeit (Minuten bis Stunden) wiederholt relativ kleine Blutmengen saugen, nehmen die Schildzecken nur einmal in jedem Entwicklungsstadium (Larve, Nymphe, adulte weibliche Zecke) über mehrere Tage eine große Blutmahlzeit von derselben Körperstelle des Wirts. Männliche Zecken können, wenn überhaupt, nur eine kleine Blutmahlzeit aufnehmen. Obwohl Zecken selbst direkt den Wirt schädigen können, besteht ihre Hauptbedeutung in der Übertragung von Krankheitserregern.
Lederzecken leben gewöhnlich in der nächsten Umgebung ihrer Wirte, in Tierhöhlen oder Nestern (sie sind endophil) und suchen ihren Wirt (oder ihre Wirte) wiederholt auf, um Blut zu saugen. Einige Lederzecken übertragen gefährliche Erkrankungen, wie das endemische Rückfallfieber, eine lebensgefährliche Infektionskrankheit des Menschen, und das Afrikanische Schweinefieber, aber ihre medizinische Bedeutung wird sowohl in der Humanmedizin als auch in der Veterinärmedizin bei weitem von den Schildzecken übertroffen.
Schildzecken gelten weltweit als die wichtigsten Ektoparasiten, sowohl für den Viehbestand als auch als Vektoren gefährlicher Erkrankungen des Menschen. Einige Schildzecken leben endophil, aber die Mehrzahl ist exophil, das heißt, wenn sie hungrig sind, klettern sie auf die Vegetation, von wo aus sie vorbeikommenden Wirten auflauern. Im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts wurde die Rolle bestimmter Ixodes-Arten als Überträger von Krankheitserregern sehr intensiv studiert.

Verbreitung und Entwicklungszyklus von Schildzecken
Schildzecken übertragen in den gemäßigten Zonen der nördlichen Hemisphäre die Erreger von Lyme-Borreliose, granulozytäre Ehrlichiose, Früh-Sommer-Meningo-Enzephalitis (FSME), Tularämie und andere. Die Verbreitung der Zecken deckt sich jedoch nicht vollständig mit dem Vorkommen der Erkrankungen. Zum Beispiel kommt Lyme-Borreliose, die am weitesten verbreitete von Zecken übertragene Erkrankung, weder in den südlichen Staaten der USA noch in Südeuropa vor. Andere Erkrankungen wie FSME und murine Babesiose sind in ihrer Verbreitung noch mehr begrenzt, was mit den Schwierigkeiten in der Übertragungsdynamik in den verschiedenen Gebieten zu erklären ist und/oder in Unterschieden der Pathogenität der Erreger selbst.
Der Lebenszyklus der vier wichtigen Schildzeckenarten (Ixodes ricinus, I. persulcatus, I. scapularis, I. pacificus) ist sehr ähnlich. Er lässt sich anhand der europäischen Zecke Ixodes ricinus darstellen. Jede der drei Entwicklungsstufen, Larve, Nymphe und Adulte, klettert auf die bodennahe Vegetation, um einen vorbeikommenden Wirt zu erreichen. Auf dem Wirt sucht die Zecke eine geeignete Hautstelle für die Blutmahlzeit, schlitzt die Haut mit den skalpellartigen Mundwerkzeugen (Chelicerae) auf, führt den gezahnten Rüssel (Hypostom) in die Wunde, welcher zusammen mit dem so genannten Zement, der von den Speicheldrüsen sezerniert wird, die Zecke fest an ihrem Platz verankert (Abb. 1). An diesem bleibt sie für einige Tage (Larven 2-3 Tage, Nymphen 4-5 Tage, adulte weibliche Zecken 7-9 Tage) haften, in denen sowohl der Darm als auch die Haut aktiv wächst, um die enormen Blutmengen zu bewältigen, welche in den letzten 24 Stunden der Blutmahlzeit aufgenommen werden. Die adulte männliche Zecke nimmt nur sehr selten eine Blutmahlzeit und kann sich niemals so auffüllen wie die Vorstadien und das adulte Weibchen.

Abbildung 1: Im Augenwinkel fixierte adulte weibliche Ixodes ricinus-Zecke (Foto: Univ.-Prof. Dr. M. Zehetmayer, Univ.-Augenklinik Wien)

Zecken stechen Blutgefäße nicht direkt an, sondern bilden durch Sekretion vasoaktiver Mediatoren und Immunmodulatoren einen Ernährungs-Teich, den so genannten „feeding pool“, in dem das Blut flüssig bleibt und Gegenreaktionen des Wirts unterdrückt werden. Die Blutmahlzeit wird durch Wasser-Extraktion konzentriert, das Wasser durch die Speicheldrüsen der Zecke in den Wirt zurück sezerniert. Wasser ist damit auch ein wichtiges Transportmittel für Krankheitserreger in den Blutwirt. Wenn die Zecke vollgesogen ist, zieht sie das Hypostom zurück, fällt auf den Boden, beginnt, die Blutmahlzeit zu verdauen und sich ins nächste Stadium zu entwickeln. Die Verdauung besteht aus Pinozytose (Mikrophagozytose) und Endozytose der Blutbestandteile durch die Darmwandzellen. Danach folgt eine intrazelluläre Verdauung anstelle einer intraluminalen Verdauung, wie sie bei den meisten anderen Arthropoden üblich ist, die sich von Blut ernähren. Die Verdauung und die anschließende Verwandlung in ein neues Entwicklungsstadium gehen langsam vor sich. Die Entwicklung kann in den gemäßigten Klimazonen, in denen diese Zecken leben, einige Monate dauern. Nach der Metamorphose verharrt die ungesogene Zecke für einige Zeit in Ruhe, klettert schließlich auf die Vegetation und lauert einem neuen Blutwirt auf. Bei Ixodes ricinus kann ein ganzes Jahr zwischen den Blutmahlzeiten vergehen.

Übertragung von Krankheitserregern
Im Darm von Zecken fehlen Verdauungs-Enzyme. Das ermöglicht ein Überleben von aufgenommenen Mikroorganismen und erklärt auch, warum Zecken eine größere Vielfalt von Mikroorganismen übertragen können als andere Arthropoden.
Die meisten von Zecken übertragenen Krankheitserreger durchdringen die Darmwand kurz nach ihrer Aufnahme mit der Blutmahlzeit und finden sich als Infektionserreger in den Speicheldrüsen des nächsten Entwicklungsstadiums der Zecke. Ausnahmen bilden Borrelien des Borrelia burgdorferi sensu lato (s.l.)-Komplexes. Diese Krankheitserreger bleiben im Darm und wandern erst bei der Blutmahlzeit des nächsten Entwicklungsstadiums der Zecke in ihre Speicheldrüsen. Selbst wenn die Krankheitserreger schon in der Speicheldrüse sind, benötigen sie eine bestimmte Zeit zur Aktivierung, welche gewöhnlich durch Temperaturerhöhung bei der Blutmahlzeit erreicht wird. Da jedes Zecken-Entwicklungsstadium nur einmal eine Blutmahlzeit nimmt, werden die Infektionserreger durch ein Entwicklungsstadium aufgenommen (Larve oder Nymphe) und durch das nächste übertragen (Nymphe bzw. adulte weibliche Zecke). Viele Krankheitserreger werden transovariell, nach Infektion der Ovarien, von einer Zecken-Generation auf die nächste übertragen, so dass die Zecken-Larven, die aus den Eiern schlüpfen, bereits infektiös sind, wie im Fall von Babesia divergens. Diese Babesie kann mehrere Generationen in Zecken bleiben, obwohl gewöhnlich für eine lange Persistenz eine Infektion über die Blutmahlzeit notwendig ist. Im Gegensatz dazu kann Babesia bovis, pathogen für Rinder, nicht über das Larvenstadium hinaus existieren. Für die meisten Zoonose-Erreger, z.B. Babesia microti, Borrelia burgdorferi s.l., Ehrlichia spp., FSME-Virus, erfolgt die Übertragung von Krankheitserregern transstadial, das heißt, die Krankheitserreger werden durch Larven oder Nymphen aufgenommen und von Nymphen oder Adulten übertragen. Gelegentlich wird auch transovarielle Übertragung beobachtet, die eine Bedeutung in der Ökologie der Erreger haben mag. Das Risiko einer Infektionsübertragung durch infizierte Zecken-Larven ist allerdings sehr gering.
Für lange Zeit hat man geglaubt, dass Wirbeltiere nur dann für Vektorzecken infektiös sind, wenn sie durch den Krankheitserreger systemisch infiziert sind, das heißt, wenn sie eine permanente Blutinfektion haben. Heute weiß man, dass zumindest einige Krankheitserreger durch so genanntes „co-feeding“ auf andere Vektoren übertragen werden [1]. Unter „co-feeding“ versteht man die Aufnahme von Krankheitserregern durch nicht infizierte Zecken, die auf einer Hautstelle eines Blutwirts gleichzeitig oder kurz nach der Blutmahlzeit einer infizierten Zecke Blut saugen. Durch die kurzzeitige lokalisierte Hautinfektion während und kurz nach der Blutmahlzeit der infizierten Zecke gelangen Krankheitserreger in den „feeding pool“ der nicht-infizierten Zecke. Dieser Mechanismus ist insbesondere für die Übertragung von FSME-Viren von Bedeutung, da eine Virämie in Wirtstieren nur kurze Zeit dauert, auch infolge der inhärenten immunologischen Resistenz. Durch „co-feeding“ können diese aber dennoch als Infektionsquelle dienen.
Die Übertragung von Borrelia burgdorferi s.l durch „co-feeding“ wurde ebenfalls nachgewiesen. Allerdings ist dieser Infektionsweg in der Öko-Epidemiologie der Lyme-Borreliose von untergeordneter Bedeutung, da sehr viele Tiere in typischen Lyme-Borreliose-Habitaten dauernd systemisch mit Borrelien infiziert sind.

Lebensraum
Die frei lebenden Stadien von Schildzecken sind gegenüber Austrocknung sehr empfindlich und können in einem Milieu mit weniger als 80% relativer Feuchte nicht überleben. Diese Lebensbedürfnisse zwingen die Zecken in Lebensbereiche (Habitate), in denen die relative Feuchte in der bodennahen Vegetation selbst im Hochsommer nicht unter 85% abfällt.
Ungesogene Zecken und solche, die kürzlich eine Blutmahlzeit beendet haben, beziehen Wasser aus der feuchten Umgebungsluft über Aufnahme durch hygroskopisches Material, das durch ihre Speicheldrüsen sezerniert wird. Mit dieser Eigenschaft ausgestattet, können ungesogene Zecken ihre Wirtssuche auch in die obere Vegetation ausdehnen und ihren Blutwirten über einige Tage auflauern, bevor sie zur Rehydrierung wieder auf den Erdboden zurück müssen. Zecken können in offenen Gebieten mit häufigen Regenfällen und dichter Vegetation existieren, wie z.B. in den rauhen Hügelländern von Großbritannien und Irland. Dort sind die Haupt-Blutwirte für alle Entwicklungsstadien der Zecken Schafe, Rinder und Wild. Allerdings ist ein Habitat aus Laub- und Mischwäldern typischer, welche generell die Lebensbedingungen für alle Entwicklungsstufen gewähren und dazu noch eine Fülle von Wirtstieren bereitstellen, sowohl für Ixodes ricinus als auch für andere Mitglieder des Ixodes-Komplexes.

Wirtsspezifität
Die drei Entwicklungsstadien der Zecken befallen in verschiedener Verteilung verschiedene Wirte. Fast überall befallen Larven gewöhnlich Nager, Nymphen Vögel und mittelgroße Säugetiere, und adulte weibliche Zecken große Wirtstiere, wie z.B. Wild. Die verschiedenen Entwicklungsstadien der Zecken lauern auf ihre Wirte wegen der unterschiedlichen Austrocknungsgefahr in unterschiedlicher Höhe auf der Vegetation. Larven bewegen sich bis zu 20 cm, Nymphen bis 40 cm und adulte Zecken bis zu 80 cm über den Erdboden und nur so lange, bis sie die Austrockungsgefahr hinuntertreibt in das Mikroklima mit der idealen relativen Luftfeuchte. Doch selbst adulte Zecken klettern gewöhnlich nie höher als einen halben Meter über dem Boden. Die stratifizierte Verteilung auf der Vegetation erklärt wahrscheinlich auch die relative Wirtsspezifität der Zecken.
Alle Stadien von Ixodes ricinus befallen auch den Menschen, aber es ist vielfach belegt, dass Nymphen den Menschen viel öfter befallen als Larven oder Adulte. Das Gleiche gilt auch für die Ixodes-Arten Ixodes scapularis und Ixodes pacificus.

Regulierung der saisonalen Aktivität
Um auf einen Wirt zu kommen, klettern Zecken auf günstige Stellen der Vegetation und sind in dieser Phase ihres Lebenszyklus besonders empfindlich gegenüber Austrocknung. Sie können, wie bereits gesagt, zurück zum feuchten Boden, um zu rehydrieren, aber das kostet Energie. Daher vermeiden wirtssuchende Zecken trockene und kalte Perioden des Jahres. In den meisten Habitaten ist die Wirtssuche im Frühling und Frühsommer am intensivsten und im Sommer am geringsten. In einigen Gebieten beobachtet man im Herbst einen zweiten, etwas niedrigeren Aktivitätsgipfel der Zecken. Dieses Grundmuster variiert selbstverständlich aufgrund der Wirtsvariabilität und des Einflusses von Makro- und Mikroklima.
Um die Perioden der Wirtssuche zu regulieren, bedienen sich die Zecken eines Mechanismus, der Diapause genannt wird. Diapause ist z.B. die Ruhepause nach einer Stadienwandlung, gilt für Eier, voll gesogene Larven und Nymphen. Die Diapause schützt Zecken davor, ihre Entwicklung im Frühwinter zu beginnen, und verzögert die Aktivität der ungesogenen, hungrigen Zecken bis nach dem Hochsommer.

Zunahme der Zeckenpopulationen
In jedem Habitat hängt die Dichte der Zeckenpopulationen sowohl von der Art der Vegetation, dem Klima und Wetter ab, welche Überleben und Entwicklung der frei lebenden Zecken-Stadien bedingen, als auch vom Erfolg der Zecken, in den parasitischen Lebensphasen Blutwirte zu finden. Die frei lebenden Zecken-Stadien sind sehr von einem ganzjährig bestehenden feuchten Mikroklima und entsprechenden Temperaturen für ihre Entwicklung abhängig. Die optimalen Habitate sind Laubwälder in gemäßigten Klimazonen, welche gewöhnlich auch Habitate für zahlreiche verschiedene Blutwirte der Zecken sind, so dass die unreifen Entwicklungsstadien praktisch unbegrenzt in ihren Nahrungsquellen sind. Die adulten Zecken hingegen brauchen große Säugetiere, wie z.B. Wild, um zu einer vollen Blutmahlzeit zu kommen und so die nächste Generation bereiten zu können. Die großen Tiere haben als Blutwirte daher den größten Einfluss auf die Zeckenpopulationsdichte. Falls das Habitat speziell für die frei lebenden Entwicklungsphasen der Zecken geeignet ist, genügt sogar eine relativ kleine Zahl von Wild, um eine sehr große Zeckenpopulation zu erhalten.
Das Verständnis der Faktoren, die eine dichte Zeckenpopulation bedingen, hat auch einen Voraussagewert für z.B. Klimaänderungen. Dies belegt eine Studie aus Schweden, in der die Ausbreitung von Ixodes ricinus in den Norden des Landes und die damit verbundene Zunahme von FSME-Fällen in Schweden auf die seit mehr als 1 Jahrzehnt wärmeren Wintertemperaturen zurückgeführt wird. Temperaturzunahme kann die Zeckendichte und Zecken-Verteilung auf verschiedene Weise fördern. Dazu gehören mehr Zeit für die Zeckenentwicklung innerhalb einer Saison, Ausdehnung der Zeckenhabitate durch intensiver wachsende Vegetation und wegen der besseren Winterbedingungen für Wildtiere mehr Möglichkeiten, geeignete Blutwirte auch im Herbst und Winter zu finden.

Tabelle 1: Von Zecken des Ixodes-Komplexes übertragene Krankheitserreger (modifiziert nach G. Gray, 2002)

Zeckenart Geographische Verbreitung Krankheitserreger
Ixodes ricinus Europa Borrelia burgdorferi sensu lato
(Coxiella burnetii)
FSME-Virus
Anaplasma (Ehrlichia)
phagocytophila
Francisella tularensis
Rhipicephalus sanguineus   Rickettsia conorii
Dermacentor marginatus   Rickettsia slovaca
I. persulcatus Russland, gemäßigte
Klimazonen in Asien
Borrelia burgdorferi sensu lato
FSME-Virus
I. pacificus Westliches Nordamerika Borrelia burgdorferi sensu lato
Anaplasma (Ehrlichia)?
I. scapularis Östliches Nordamerika Borrelia burgdorferi sensu lato
Anaplasma (Ehrlichia)
phagocytophila
Babesia microti

Powassan-Virus

 

Lyme-Borreliose

Reservoire der Erreger der Lyme-Borreliose
(B. burgdorferi s.l.-Komplex)
Das Überleben von B. burgdorferi s.l. in der Natur erfordert das Zusammenwirken von Krankheitserreger, Überträger (Vektor) und Wirt. In Europa wurden bisher die Borrelienarten B. burgdorferi sensu stricto, B. afzelii, B. garinii, B. valaisiana und B. lusitaniae von Schildzecken isoliert. Drei Zeckenarten der Gattung Ixodes wurden als Vektoren identifiziert. Der wichtigste Vektor ist die Zecke Ixodes ricinus, die mehr als 300 Wirbeltierarten als Blutwirte benützt. Nur ein kleiner Teil dieser Blutwirte wurde bisher auf seine Reservoir-Kompetenz, also auf seine Eignung, Krankheitserreger auf Zecken weiterzugeben, überprüft. Am ausführlichsten wurden bisher Nager studiert, die als die wichtigsten Reservoir-Wirte von B. burgdorferi s.l. gelten [2].
Die Rolle von Vögeln als Borrelien-Reservoir war lange Zeit umstritten. Jetzt ist klar, dass sie ein bedeutendes Erregerreservoir darstellen, insbesondere für B. garinii. Dazu weisen Studienergebnisse auf die Möglichkeit hin, dass Zugvögel B. burgdorferi s.l. auch über Hemisphären verbreiten können.
Der Kreislauf der Borrelienverbreitung in der Natur wird dadurch kompliziert, dass verschiedene Borrelienarten nicht gleicherweise zwischen wirbellosen Tieren und Wirbeltieren übertragen werden können. So besteht eine enge Beziehung zwischen B. afzelii und kleinen Säugetieren, B. burgdorferi s.s. und B. afzelii und Eichhörnchen und zwischen B. garinii, B. valaisiana und Vögeln. Allerdings wurden auch andere Beziehungen je nach den lokalen Ökosystemen in Europa beschrieben. Ein besseres Verständnis der Wechselwirkungen zwischen Krankheitserregern, Vektoren und Wirten muss – trotz der bisherigen Leistungen – weiterhin erarbeitet werden.

Übertragungsquote von B. burgdorferi s.l. nach Zeckenstich
Wenn man die Übertragungsquote von Borrelien auf den Menschen nach Zeckenstich studiert und die Borrelien-Infektion der Zecke mittels Immunfluoreszenz, Nukleinsäureamplifikationstests und/oder Kultur ermittelt, dann findet man, dass nach dem Stich durch eine Borrelien-infizierte Zecke 36% der betroffenen Personen infiziert werden und 75% mit klinischen Symptomen erkranken [2].
Wenn man die Infektion der Zecken nicht identifiziert, sondern ermittelt, wie viele Personen nach Zeckenstich erkranken, dann sind das nur 2% der Gestochenen. Wenn man nun weiß, dass in Mitteleuropa etwa 10% der Bevölkerung pro Jahr von Zecken gestochen werden, lässt sich auch die Inzidenz der Lyme-Borreliose in dieser Region abschätzen. Für Österreich (Gesamtbevölkerung etwa 8 Mio. Einwohner) errechnet sich eine Inzidenz der Lyme-Borreliose von 0,4%, das ist die Anzahl der neu aufgetretenen Erkrankungen pro Jahr, also ca. 16.000 Fälle pro Jahr.

Klinische Aspekte der Lyme-Borreliose
Erythema migrans (EM)

EM ist bei weitem die häufigste Manifestation der Lyme-Borreliose in Zentraleuropa (Abb. 2). Die Geschlechtsverteilung des EM zeigt eine geringfügige oder deutliche Überzahl von weiblichen Patienten. In einer Studie aus dem Jahr 2000 wurden 535 jugendliche und erwachsene Patienten mit einem typischen EM auf die verschiedensten Aspekte dieser frühen lokalisierten Manifestation der Lyme-Borreliose untersucht (Strle 2002). Das Verhältnis weiblicher und männlicher Patienten betrug 1,37, das Alter bewegte sich von 15 bis 80 Jahre (Median 47 Jahre). Ein Zeckenstich wurde von etwa 58% der Patienten wahrgenommen, und zwar im Median 14 Tage vor dem Auftreten des EM. Das EM bestand im Median 8,5 Tage bis zur klinischen Diagnose. Der mittlere Durchmesser aller EM betrug 12 cm (Variation zwischen 4 und 87 cm) und die durchschnittliche Fläche des betroffenen Hautareals war 75 cm². Multiple EM (2 bis 21) wurden bei 6,7% aller Patienten beobachtet.

Abbildung 2: Ausgedehntes Erythema migrans nach Zeckenstich in der linken Achsel

      

Folgende Begleiterscheinungen wurden beobachtet:

Lokale Symptome 52,2 %
Juckreiz
(45,2 %)
Brennen
(12,9 %)
Schmerzen
(7,1 %)
Systemische Symptome 35,7 %
Müdigkeit
(17,4 %)
Kopfschmerzen
(17,2 %)
Muskelschmerzen
(12,6 %)
Gelenksschmerzen
(11,2 %)
Schwindel
(3,6 %)
Fieber
(2,5 %)
Schüttelfrost
(1,5 %)

Multiples Erythema migrans (EM)
Unter multiplem EM versteht man das gleichzeitige Auftreten von EM an verschiedenen Hautstellen, wobei sich nur eines um die Zeckenstichstelle entwickelt. Die „akzessorischen“ EM sind durch hämatogene Ausbreitung der Borrelien entstanden, die sich in den betroffenen Hautstellen nachweisen lassen. Dabei stellt sich die Frage, ob durch die systemische Infektion auch das Zentralnervensystem infiziert wird.

Multiple EM bei Kindern
In einer prospektiven Langzeitstudie von 5 Jahren wurden 214 Kinder (Patienten unter 15 Jahren) aus Slowenien mit multiplem EM diagnostiziert und von allen Liquorproben genommen (Arnez 2002). Der Liquor wies bei 55 von 214 (25,7%) Kindern eine Pleozytose auf (Zellzahlen 5 x 10/l), die in 94,5% lymphozytär war. Die Zellzahlen bewegten sich von 5 bis 320 x 10/l (im Mittel 10 x 10/l). Im Vergleich zu den Patienten mit einem normalen Liquor hatten die Patienten mit Pleozytose viel häufiger früher schon Lyme-Borreliose, eine längere Inkubationszeit (25,5 gegenüber 14 Tagen), häufiger Allgemeinsymptome (45,5% gegenüber 21,4%), positive meningeale Zeichen in 10,9% gegenüber 1,9%, und öfter eine positive Liquor-Kultur von B. burgdorferi s.l., nämlich in 7 von 52 gegenüber einem von 147 Patienten.

Multiple EM und Liquorbefunde bei Erwachsenen
Über einen Zeitraum von 9 Jahren wurden 332 Patienten mit multiplem EM diagnostiziert und 200 in die prospektive Studie rekrutiert (mittleres Alter 46 Jahre, Altersbereich 15-80 Jahre; Maraspin et al. 2002). Durchschnittlich wurden 3 multiple Hautläsionen beobachtet, die Anzahl bewegte sich von 2 bis 60 Läsionen. Allgemeinsymptome fanden sich bei der Hälfte der Patienten. Bei 62 Patienten (31%) wurden abnorme Liquorbefunde erhoben, wie lymphozytäre Pleozytose (8%) und erhöhte Liquorproteine (22%). Es stellte sich also heraus, dass abnorme Liquorbefunde bei Patienten mit multiplen Erythemen nicht selten sind, wobei diese mit oder ohne klinische Zeichen eines Befalls des Zentralnervensystems bestehen können.

Begleiterscheinungen bei Acrodermatitis chronica atrophicans (ACA)
Wie schon aus Untersuchungen anderer Autoren lange vor und kurz nach der Entdeckung der Erreger der Lyme-Borreliose bekannt wurde, befällt die ACA meist die Haut der unteren Extremitäten, dann die oberen Extremitäten und seltener auch den Abdominal- und Rumpfbereich [3, 4]. In einer prospektiven Langzeitstudie über 9 Jahre (Logar et al. 2002) wurden 123 Patienten mit ACA rekrutiert, mit einem medianen Alter von 61 Jahren (20 bis 80 Jahre) und einem überwiegenden Anteil von Frauen (65%). Bei mehr als der Hälfte der Patienten (54%) waren zwei Extremitäten und/oder auch der Rumpf mit Läsionen betroffen. Myalgien und Arthralgien bestanden in 42% bzw. 27%, Parästhesien und Kopfschmerz bei 18% und 27% der Patienten.

Multiple Sklerose und Lyme-Borreliose
Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-progressive Erkrankung mit höchstwahrscheinlich autoimmuner Grundlage, welche hauptsächlich oder ausschließlich das Zentral-Nerven-System (ZNS) betrifft und zur Demyelinisierung und Remyelinisierung führt. Zahlreiche Krankheitserreger wurden als direkte Verursacher oder Auslöser eines Autoimmunprozesses innerhalb des ZNS angeschuldigt. Schon kurz nach der Entdeckung des Erregers der Lyme-Borreliose wurde auch B. burgdorferi s.l. als Verursacher in Betracht gezogen. Obwohl es bis heute weder biologische noch biochemische oder molekularbiologische Beweise für einen derartigen Zusammenhang gibt, lassen einige Autoren nicht locker, eine Kausalität zwischen Lyme-Borreliose und MS wiederholt zu behaupten. Nun wurden die beiden Erkrankungen MS und chronisch progressive Neuroborreliose mittels einer deduktiven Methodik gegenübergestellt (Schmutzhard 2002). Zur Differenzierung wurden die vielfältigen klinischen Erscheinungsformen, Seroepidemiologie, Neuroimaging, Liquor-Befunde, Liquor-Serologie, spezifische Proteine im Liquor, Antikörper gegenüber neuronalen Strukturen, Kynurenine und Matrix Metalloproteinasen im Liquor, molekulare Mimikry sowie die jüngsten Erkenntnisse über verschiedene dendritische Zellen im Liquor herangezogen.
Der Autor kommt nach sorgfältiger Analyse zum Schluss, dass es sich bei MS und akuter Neuroborreliose zweifelsfrei um völlig verschiedene Erkrankungen handelt. Ähnlichkeiten gibt es allerdings mit der progressiven Borrelien-Enzephalomyelitis, die sich MS-artig präsentieren kann. Aber auch hier kann MS klar von der chronischen Form der Neuroborreliose abgegrenzt werden. Da die Behandlungsmöglichkeiten und die Prognose für MS und chronische Neuroborreliose ganz verschieden sind, ist es allerdings notwendig, die Differenzierung so früh wie möglich durchzuführen.

Morphea (zirkumskripte Sklerodermie) und Lyme-Borreliose
Eine ursächliche Rolle von B. burgdorferi s.l. bei der Entstehung der Morphea wird seit der erstmaligen Anzüchtung dieser Spirochäten aus Hautproben von betroffenen Hautbezirken bei Morphea-Patienten diskutiert [5], und zwar kontroversiell, weil einerseits bloß bezweifelt, andererseits, weil andere Untersucher mit ihren Methoden nicht erfolgreich waren [6]. Nun ist die wiederholte Anzüchtung von B. burgdorferi s.l. nicht nur bei Fällen von Morphea, sondern auch aus betroffenen Hautbezirken bei Patienten mit Lichen sclerosus et atrophicus [7, 8] zweifellos ein stärkerer Hinweis auf einen ursächlichen Zusammenhang, aber dennoch kein Beweis. Wieso nicht? Um den Krankheitserreger zu definieren, sind weder die erweiterten Koch´schen Postulate erfüllt, noch kontrollierte klinische Studien durchgeführt worden, deren Ergebnisse den Zusammenhang statistisch sichern könnten. So bleibt es zunächst bei der Beschreibung von Einzelfällen, bei denen B. afzelii aus betroffenen Hautbezirken isoliert worden ist und eine antibiotische Behandlung zumindest teilweise erfolgreich war.

Laboratoriumsdiagnose
Die klinische Diagnose Lyme-Borreliose verlangt eine Bestätigung durch mikrobiologische Verfahren. Mit diesen kann man den Krankheitserreger im jeweils geeigneten Untersuchungsmaterial entweder direkt nachweisen oder die Reaktion des Organismus auf die Infektion erfassen, was in der Regel durch den Nachweis spezifischer Serum-Antikörper erfolgt.

Anzüchtung von Borrelia burgdorferi s.l. (Abb. 3)
Welche Borrelienarten werden von Patienten aus Europa am häufigsten isoliert? Dieser Frage gingen Kollegen aus Slowenien (Ruzic-Sabljic et al. 2002) nach, indem sie eigene Anzüchtungen von 642 B. burgdorferi s.l.-Stämmen identifizierten, die von Patienten mit solitärem Erythema migrans (n = 470), multiplem Erythema migrans (n = 35), der Neuroborreliose vorausgehendem Erythema migrans (n = 24), unspezifischen Hautläsionen (n = 3), Lymphozytom (n = 7), Acrodermatitis chronica atrophicans (n = 65) und dem Liquor von klinisch diagnostizierter Neuroborreliose (n = 38) stammten. Die Ergebnisse zeigen (Tabelle 2), dass wohl B. afzelii am häufigsten aus der Haut, B. garinii überwiegend aus dem Liquor und B. burgdorferi s.s. nur sehr selten isoliert worden ist. Aber es kommt dabei auch klar heraus, dass die Pathogenität nicht von der Genospezies allein abhängt, sondern auch auf anderen Faktoren beruhen muss, die noch nicht klar erkannt worden sind.

 

Abbildung 3: B. afzelii in BSK-Medium; Dunkelfeldmikroskopie

 

Tabelle 2: Charakterisierung von 642 B. burgdorferi s.l.-Stämmen, die von Patienten aus Slowenien isoliert wurden

Erkrankung
Anzahl
Genospezies
B. afzelii
B. burgdorferi s.s.
B. garinii
Erythema migrans
529
450
4
75
unspezifische Hautläsionen
3
3
Lymphozytom
7
6
1
ACA
65
58
3
4
Neuroborreliose
38
10
1
27
Gesamt
642
527
8
107
(%)
(100)
(82)
(1,3)
(16,7)

Serologie
Direkte Nachweisverfahren sind an Speziallabore gebunden, die Erfahrung in der Anzüchtung von Borrelien sowie im Nachweis von Nukleinsäureabschnitten der verschiedenen Borrelien haben. Die Borrelienserologie allerdings soll bestimmten Regeln folgen, welche in einer Schriftenreihe der Deutschen Gesellschaft für Hygiene und Mikrobiologie erstmals vor 2 Jahren dargelegt wurden [9]. Die „MIQ 12 Lyme-Borreliose“ (Mikrobiologische Infektiologische Qualitätsstandards) empfiehlt den Nachweis von Antikörpern gegen Borrelien in 2 Schritten. Im ersten Schritt werden Antikörper gegen Borrelien gesucht. Im positiven Fall muss im zweiten Schritt die Spezifität dieser Antikörper bestätigt werden. Als Suchtests sollen Enzym-Immuno-Assays (EIA, ELISA) eingesetzt werden, zur Bestätigung eines positiven Ergebnisses dient ein standardisiertes Immunoblot (Western-Blot-)-Verfahren. Falls dafür Ganzzell-Lysate verwendet werden, muss das Vorliegen diagnostischer Banden zuerst durch monoklonale Antikörper identifiziert werden. Bei rekombinanten Blots mit ausgewählten relevanten Antigenen ist dies naturgemäß viel einfacher. Der Nachweis von Serumantikörpern allein reicht für die Laboratoriums-Diagnose Neuroborreliose nicht aus. In diesem Fall muss der Liquor/Serum-Index der spezifischen Antikörper bestimmt werden.
Über die Qualität der Lyme-Borreliose-Serologie in Routinelaboratorien wurden die Ergebnisse eines Ringversuch-Programms aus Deutschland/Österreich vorgestellt (Hunfeld et al. 2002). Das Prinzip dieses Ringversuchs ist, 2 Serumproben zuerst in 5 Sollwertlaboratorien zu testen und anschließend an die Teilnehmer des Ringversuchs zu versenden. Die Anzahl der teilnehmenden Laboratorien bewegte sich zwischen 229 und 337 in den Jahren 1999 bzw. 2001. In diesen Ringversuchen wurden für IgG „korrekte“ Ergebnisse für ELISA in durchschnittlich 90,5% und für IgG Immunoblot in 81,3% erzielt; für IgM waren die ELISA-Ergebnisse im Mittel bei 83,9% und die Immunoblot-Ergebnisse bei 79,5%. Die Autoren sehen darin einen dringenden Bedarf für Standardisierung der Methoden zur serologischen Diagnostik der Lyme-Borreliose (Abb. 4).

Abbildung 4: SDS-PAGE von Borrelien; Haut- und Liquorisolate

Eine andere Frage ist, ob nach einer Behandlung des Erythema migrans überhaupt eine spezifische Immunreaktion zu erwarten ist. Diese Frage wurde im Rahmen einer vergleichenden Therapiestudie behandelt (Arnez et al. 2002). Zum Zeitpunkt der ersten Untersuchung hatten in jeder Behandlungsgruppe 4 der 42 Patienten Antikörper gegen B. burgdorferi s.l., ebenso 6 Wochen sowie 12 Monate nach Behandlungsbeginn. Diese Ergebnisse zeigen, dass eine serologische Therapiekontrolle nicht möglich ist, da offensichtlich eine humorale Immunantwort nach erfolgreicher Behandlung nicht erfolgt.

Nukleinsäure-Amplifikationstechnik (NAT)
Die MIQ nimmt zu Nukleinsäure-Amplifikationstechniken Stellung, welche nur in den Referenzlaboratorien und nur mit geeignetem Untersuchungsmaterial durchgeführt werden sollen. Dieses ist in erster Linie Haut (Hautbiospien), auch Liquor, der insbesondere am An-fang der Erkrankung und bei Kindern, die noch keine ausgeprägte Pleozytose in der Liquorzytologie zeigen, mit NAT untersucht werden soll. Zurückhaltend äußert sich die MIQ über den Nachweis von Borrelien-DNA aus dem Urin. Dieser gelingt offensichtlich nur in wenigen Laboratorien und wurde bisher noch keiner kritischen Vergleichsstudie unterzogen.

Therapie der Lyme-Borreliose
Die Behandlung der Lyme-Borreliose mit Antibiotika wird zwar allgemein akzeptiert, die Meinungen über die geeigneten antimikrobiellen Chemotherapeutika und die Dauer ihrer Verabreichung gehen aber weit auseinander. Die Gründe für die Vielfalt der Meinungen könnten Gegenstand eigener Forschungsarbeit werden, sicher ist jedenfalls, dass über 3 Wochen hinausgehende Behandlungszeiten durch keine kontrollierte Studie begründet sind. Vorschläge für die Langzeitbehandlung (monatelang) der Lyme-Borreliose stammen vor allem von einzelnen Mitgliedern privater Vereine aus den USA, die darüber hinaus auch Symptomenlisten in ihre Websites stellen, in denen alle möglichen Symptome als Ausdruck der Lyme-Borreliose aufgelistet sind. Für klinisch tätige und niedergelassene Kolleginnen und Kollegen zählen aber nur Informationen über geeignete Behandlungsverfahren, die auf den Ergebnissen von kontrollierten klinischen Studien aus
Europa beruhen.

Antibiotika-Prophylaxe der Lyme-Borreliose?
Kann die Einnahme von Antibiotika nach einem Zeckenstich den Ausbruch der Lyme-Borreliose verhindern? Das ist eine oft gestellte Frage. In Europa war die Antwort bisher „nein“, weil es Beispiele gibt, wo sich kein Erfolg eingestellt hat. Kollegen des Medical Centre der Universität Laibach (Maraspin et. al. 2002) arbeiteten die Krankengeschichten von 5.056 Patienten (Zeitraum 1994 bis 2001) mit klinisch typischem Erythema migrans durch und fanden, dass 7 davon, also 0,14%, innerhalb von 72 Stunden nach einem Zeckenstich systemisch mit Antibiotika behandelt worden sind und dennoch ein Erythema migrans entwickelt haben. Die Autoren schließen aus den Ergebnissen ihrer retrospektiven Studie allerdings, dass sie weder die Häufigkeit des Versagens noch die Wirksamkeit der individuellen Antibiotika-Prophylaxe abschätzen können. Einzig gesichert ist, dass die Antibiotika-Prophylaxe der Lyme-Borreliose keinen vollständigen Schutz vor der Krankheit gewährleistet. Es ist daher nötig, in Europa prospektive Studien zur Feststellung der Wirksamkeit, Sicherheit und des Kosten-Nutzen-Effekts der antibiotischen Behandlung eines Ixodes ricinus-Zeckenstichs zur Vermeidung der Lyme-Borreliose durchzuführen.

Die Ergebnisse einer prospektiven Studie zu dieser Fragestellung wurde von Kollegen aus dem New York Medical Center im Sommer 2001 veröffentlicht [10]. Diese Arbeitsgruppe führte eine randomisierte, doppelblinde, Plazebo-kontrollierte Studie mit einer einzigen Dosis von 200 mg Doxycyclin bei 482 Personen durch, die eine anhaftende Ixodes scapularis-Zecke innerhalb von 72 Stunden vor Behandlungsbeginn aus ihrer Haut entfernt hatten. Die Ergebnisse waren folgende: Erythema migrans entwickelte sich bei einem signifikant kleineren Anteil von Personen mit Doxycyclin-Behandlung als in der Plazebo-Gruppe, nämlich bei einer von 235 (0,4%) gegenüber acht von 247 Personen (3,2%). Die Autoren schließen daraus, dass eine Einzeldosis von 200 mg Doxycyclin die Entwicklung von Lyme-Borreliose verhindern kann, falls sie innerhalb von 72 Stunden nach dem Stich durch eine Ixodes scapularis-Zecke verabreicht wird.
Die Kritik an dieser Studie blieb nicht aus. Der Beobachtungszeitraum nach Behandlungsbeginn betrug nur 6 Wochen; Komplikationen könnten noch auftreten. Mehr als 95% der „Zeckenstich-Opfer“ würden unnötigerweise mit Antibiotika behandelt. Eine gezielte Behandlung des Erythema migrans würde genauso gut Spätkomplikationen verhindern. Kurz, die Frage nach der Nützlichkeit der antibiotischen Behandlung eines Zeckenstichs kann nicht klar beantwortet werden und erfordert in Europa in der Tat prospektive Studien mit langer Beobachtungszeit.

Welches Antibiotikum zur Behandlung des Erythema migrans?
Erythema migrans wird bei etwa 90% der Patienten als objektives Zeichen einer Borrelien-Infektion beobachtet. Die Behandlung der Lyme-Borreliose mit Antibiotika ist besonders am Beginn der Infektionskrankheit wirksam und auch bei allen anderen Manifestationen zweckmäßig. Die Antibiotika-Behandlung verkürzt die Dauer der Erkrankung und verhindert sehr wirksam spätere Manifestationen der Lyme-Borreliose.
Es gibt zahlreiche Vergleichsstudien aus früheren Jahren, und es gibt ganz aktuelle, randomisierte, prospektive Vergleichsstudien mit Erwachsenen, die zeigen, dass die Wirksamkeit von Penicillin V, Ampicillin, Doxycyclin und Azithromycin in der Behandlung des Erythema migrans praktisch nicht verschieden ist. Unsicherheit gibt es bei der Antwort auf die Frage, ob die Behandlung des Erythema migrans bei Kindern mit Azithromycin ebenfalls durchgeführt werden kann.

In einer Studie zum Vergleich der Wirksamkeit und Nebenwirkungen von Azithromycin und Phenoxymethylpenicillin wurden Kinder unter 15 Jahren mit einem zunächst unbehandelten typischen solitären Erythema migrans in die prospektive Studie einbezogen. Die Wirksamkeit der Behandlung der akuten Erkrankung, das Auftreten von größeren oder kleineren Spätmanifestationen der Lyme-Borreliose und von Nebenwirkungen der Behandlung wurden in Folgeuntersuchungen während eines Jahres festgestellt. 42 Patienten erhielten Azithromycin
(20 mg/kg/Tag am ersten Tag, gefolgt von 10 mg/kg/Tag für weitere 4 Tage) und 42 erhielten Phenoxymethylpenicillin (Penicillin V: 100.000 IU/kg/Tag für 14 Tage). In den demographischen und klinischen Daten vor Behandlung gab es zwischen den Gruppen keinen Unterschied. Ein Jahr nach der antibiotischen Behandlung waren alle Patienten frei von Beschwerden, und Azithromycin und Phenoxymethylpenicillin erwiesen sich gleichermaßen wirksam in der Behandlung des solitären Erythema migrans bei Kindern.

 


Früh-Sommer-Meningo-Enzephalitis
(Infektionen durch das FSME-Virus)
Die Früh-Sommer-Meningo-Enzephalitis (FSME) ist in umschriebenen geographischen Gebieten Europas endemisch. Immer wieder werden neue Verbreitungsgebiete entdeckt, wie das Auftreten von zahlreichen schweren FSME-Fällen im südöstlichen Baden-Württemberg (Schwarzwald) zeigen [11]. Das FSME-Virus ist das bedeutendste von Zecken übertragene Flavivirus. Das Virus ist sehr homogen. Man kennt bisher nur 3 FSME-Virus-Subtypen, nämlich den europäischen, zentralsibirischen und den fernöstlichen Subtyp. Das Virus zirkuliert in Naturherden zwischen kleinen Säugetieren und Schildzecken. Menschen werden gewöhnlich durch Zeckenstich in einem Naturherd infiziert. Es besteht aber auch die seltene Möglichkeit, die FSME-Viren durch Genuss nicht pasteurisierter Milch von infizierten Milchtieren aufzunehmen. Wegen des uncharakteristischen Krankheitsbildes erfolgt die Diagnose im virologischen Laboratorium, welche gewöhnlich durch Nachweis spezifischer IgM- und IgG-Serum-Antikörper gestellt wird. Beim Ausbruch der Erkrankung des Zentralnervensystems lassen sich im Liquor cerebrospinalis nur in 50%, erst ab dem 10. Krankheitstag bei allen Patienten spezifische Antikörper nachweisen. Für die spezifische Prophylaxe stehen Impfstoffe zur intramuskulären Verabreichung zur Verfügung, die aus hochgereinigten, inaktivierten Viren hergestellt werden. Experimente mit Carrier-Vakzinen zur Verabreichung als Nasenspray wurden von Kollegen aus dem Forschungszentrum für Virologie und Biotechnologie in Nowosibirsk berichtet (Goncharova et al. 2002) (Abb. 5).

Die österreichische Bevölkerung hat die Empfehlungen zur Schutzimpfung gegen FSME eindrucksvoll bejaht. Mehr als 80% der Gesamtbevölkerung sind geimpft. Erst diese umfassende Immunisierung, nicht aber die gezielte Immunisierung von exponierten Personen allein, hat zu einer signifikanten Reduktion der FSME in Österreich geführt (Abb. 6).

Abbildung 5: Verbreitung der FSME in Europa

Abbildung 6: FSME-Fälle in Österreich

Schwere Verläufe der FSME werden von Ländern berichtet, in denen keine generelle Impfempfehlung besteht. In Slowenien mussten in den Jahren 1996 bis 2000 30 Patienten mit schwerer FSME wegen Bewusstseinsstörungen und neurologischer Ausfälle einer intensivmedizinischen Behandlung zugeführt werden (Jereb et al. 2002). Der Verlauf war bei 16 Patienten monophasisch, bei den verbleibenden 14 biphasisch. Zwei Patienten verstarben.
Seitdem die Verbreitung der Ehrlichiose in Mitteleuropa und insbesondere in Slowenien nachgewiesen worden ist, stellt die Ehrlichiose eine Differentialdiagnose bei fieberhaften Erkrankungen nach Zeckenstich dar. Die Unterscheidung gegenüber FSME erfolgt durch die klinischen Angaben von Schüttelfrost, Myalgien und Arthralgien sowie folgende Laboratoriumsbefunde: erhöhte Laktatdehyrogenase und erhöhte Werte von C-reaktivem Protein (Lotric-Furlan et al. 2002).

 


Humane Granulozytäre Ehrlichiose (HGE)

(Infektionen durch Anaplasma phagocytophila, früher HGE-Agens).
Ehrlichien sind obligat intrazelluläre Bakterien, die sich in Vakuolen im Zytoplasma von eukaryontischen Zellen vermehren. Taxonomisch wurden sie den Rickettsien zugeordnet. Sie unterscheiden sich von diesen insbesondere durch den Befall von zirkulierenden Leukozyten. Ehrlichia canis verursacht eine Panzytopenie bei Hunden, wobei bestimmte Hundearten schwere Infektionen entwickeln, die durch Fieber, Anorexie mit dramatischem Gewichtsverlust, ausgeprägte Panzytopenie, Anämie, periphere Ödeme und Haemorrhagien gekennzeichnet sind. Ehrlichia risticii verursacht schwere Diarrhoen bei Pferden. Andere Ehrlichien spielen ebenfalls in der Veterinärmedizin eine Rolle. Den tierpathogenen Ehrlichien verwandte Arten verursachen akute, fieberhafte Erkrankungen des Menschen. Als Krankheitserreger des Menschen wurden E. canis und verwandte Arten erstmals in den USA diskutiert [12] und kurz darauf in verschiedenen Teilen Nordamerikas [13] und auch in Europa identifiziert. Überträger von Ehrlichien sind verschiedene Ixodes-Zecken.

Während in verschiedenen Teilen der USA von inzwischen mehreren hundert Krankheitsfällen humaner Ehrlichiose berichtet worden ist, gab es in Europa bis vor kurzem nur den Hinweis auf das Vorkommen von HGE durch den Nachweis von spezifischen Antikörpern in gesunden Personen.

Über die natürlichen Wirte der Krankheitserreger ist noch wenig bekannt, da bisher Ehrlichien nur von kranken Wild- und Haustieren isoliert worden sind.

Aufgrund genetischer Analysen der tierpathogenen Spezies E. equi und E. phagocytophila sowie des HGE-Agens wurden diese 3 Arten wegen zu geringer Unterscheidungsmerkmale als Anaplasma phagocytophila neu klassifiziert [14]. Weltweit kennt man derzeit 3 humanpathogene Arten: Anaplasma phagocytophila, Erreger der humanen granulozytären Ehrlichiose (HGE), Ehrlichia chaffeensis, Erreger der humanen monozytären Ehrlichiose (HME) und Ehrlichia ewingii. Erkrankungen des Menschen durch die beiden letztgenannten Arten
traten bisher nur in Nordamerika auf. Anaplasma phagocytophila ist ein kleines (0,5-2 µm), pleomorphes, obligat intrazelluläres, gramnegatives Bakterium. Es bildet in den Zielzellen, den neutrophilen Granulozyten, in Einschlusskörpern intrazytoplasmatische Mikrokolonien aus, so genannte Morulae, aus denen sie durch Zytolyse freigesetzt werden und weitere neutrophile Granulozyten befallen können.
A. phagocytophila befällt also die neutrophilen Granulozyten, die primären Effektorzellen der antibakteriellen Abwehr und verfügt über Mechanismen gegen die intrazelluläre Abtötung. Einerseits unterbleibt die Verschmelzung von Morulae mit Lysosomen, andererseits wird der so genannte „respiratory burst“ gehemmt, die NADPH-abhängige Sauerstoffradikalbildung, welche eine Voraussetzung für die intrazelluläre Abtötung von Mikroorganismen ist. Die Hemmung des „respiratory burst“ durch A. phagocytophila wird durch „down-regulation“ eines Schlüsselproteins (gp91phox) im NADPH-Oxidase-Komplex bewerkstelligt, was, wie in Experimenten gezeigt werden konnte, die Sauerstoffradikalbildung in neutrophilen Granulozyten deutlich herabsetzt. Die Folge ist eine Schwächung der unspezifischen zellulären Abwehr [15].

Klinische Symptome beginnen relativ kurz nach Zecken-Exposition. Die Anamnese ergibt, dass der Patient etwa 1 Woche zuvor eine Zecke aus der Haut entfernt hat, oder dass er bei Freizeitaktivitäten oder beruflich Zecken-exponiert war.

Die Erkrankung beginnt akut mit unspezifischen „Grippe-ähnlichen“ Symptomen (Leitsymptomen) wie hohes Fieber (> 39°C), Schüttelfrost, allgemeines Krankheitsgefühl, Kopf- und Muskelschmerzen und zusätzlichen Beschwerden wie Schwindelgefühl, Erbrechen, Gelenksschmerzen, trockener Reizhusten. Im Rahmen der physikalischen Untersuchung finden sich meist keine Auffälligkeiten. Die Erkrankung dauert gewöhnlich nur einige Tage, allerdings wurden auch Verläufe von mehr als 2 Monaten beschrieben. Nach Beginn einer geeigneten antibiotischen Therapie entfiebern die Patienten typischerweise prompt. Etwa 50% der Patienten werden wegen der klinischen Situation hospitalisiert. Die Erkrankung scheint bei älteren Patienten und solchen mit Abwehrschwäche einen schwereren Verlauf zu nehmen [16].
Bisher sind aus den USA und Europa über 600 HGE-Fälle beschrieben worden. Der erste durch positive Blutkultur gesicherte Fall von HGE stammt aus Slowenien [17]. Von Kindern liegen bisher nur einige Berichte über Krankheitsfälle vor, jedoch fand man bei gesunden Kindern in Slowenien IgG-Antikörper gegen A. phagocytophila in 15% [18]. In Gebieten Europas mit dichter Zeckenbesiedelung (Südwestdeutschland, Schweiz, Norwegen, Spanien, Slowenien etc.) wurden bei klinisch Gesunden ebenfalls Seroprävalenzen um 15% nachgewiesen, die belegen, dass Anaplasma-Infektionen vorkommen, aber selten zur Erkrankung führen. Die meisten Erkrankungen treten zur Zeit der höchsten Aktivität der Zecken-Nymphen im Frühsommer auf (Mai, Juni, Juli) und etwas seltener im Herbst, wenn die adulten weiblichen Zecken aktiver sind.

Die Diagnose erfolgt sowohl durch hämatologische als auch durch mikrobiologische Untersuchungen. Veränderungen im Blutbild sind Thrombozytopenie, Leukozytopenie, Erhöhung von Transaminasen und C-reaktivem Protein. Die spezifische Diagnose wird nach den in Tabelle 1 angegebenen Kriterien gestellt. Für die mikrobiologische Diagnose werden benötigt: EDTA-Blut für Nukleinsäure-Amplifikationstests und für den Ausstrich zum Nachweis der Morulae in neutrophilen Granulozyten, Serum (Nativblut) für den Nachweis spezifischer Antikörper.

Differentialdiagnostisch ist die HGE vor allem gegenüber Virusinfektionen, in erster Linie gegenüber der Früh-Sommer-Meningo-Enzephalitis (FSME) abzugrenzen. FSME-Patienten haben ähnliche Laborbefunde, nämlich häufig Thrombozytopenie, Leukopenie und gelegentlich Transaminasen-Erhöhung. Aber im Unterschied zur HGE findet sich fast immer Meningismus [19, Rakar et al. 2002]. Die Behandlung erfolgt
bei Kindern und Erwachsenen mit Doxycyclin (4 mg/kg/Tag auf 2 Dosen für 7 Tage bzw. 200 mg/Tag) für 7 Tage.

Reservoire von A. phagocytophila
Die neu aufgetauchte, von Zecken übertragene („emerging tick-borne disease“) HGE ist selbstverständlich weder in der Erreger-Ökologie noch in ihrem epidemiologischen Hintergrund vollständig aufgeklärt. Durch die erstmalige Isolierung von A. phagocytophila aus dem Blut eines Patienten in Slowenien [17] gelang in Europa ein Durchbruch zu humanen Stämmen, die denen aus dem Tierreich gegenübergestellt werden können. Da Ixodes ricinus als der Vektor von A. phagocytophila in Europa identifiziert worden ist, stellt sich die Frage, welche Rolle die bedeutenden Blutwirte dieser Zecken, nämlich Reh- und Rotwild, im Infektionszyklus der Anaplasmen spielen. In einer prospektiven Studie wurden Blutproben und Gewebeteile dieser Wildtiere serologisch und molekularbiologisch untersucht. Es stellte sich heraus, dass Reh- und Rotwild nach den Ergebnissen der serologischen und molekularbiologischen Untersuchungen in einem sehr hohen Prozentsatz (über 80%) mit A. phagocytophila infiziert sind. Die Vergleiche von spezifischen Genomsequenzen zeigten allerdings keine Übereinstimmung mit den vom Menschen isolierten Anaplasmen (Petrovec et al. 2002).

Prävalenz von Antikörpern gegen A. phagocytophila
Slowenien weist in Europa die höchste Inzidenz an FSME und Lyme-Borreliose auf. Da in Slowenien – so wie in anderen Teilen Europas auch – jedes Jahr in den Sommermonaten zahlreiche Personen nach einem Zeckenstich mit hohem Fieber erkranken, das aber nicht durch FSME-Viren oder Borrelien verursacht ist, wurde die mikrobiologische Diagnostik auf andere durch Zecken übertragbare Infektionskrankheiten einschließlich HGE ausgedehnt. Während eines Zeitraumes von fünf Jahren (1996-2000) wurden Seren von 846 Patienten getestet und 94 (11%) positiv befunden. Nach den Kriterien der Consensus Approach for Ehrlichiosis (CAFE) Society waren 17 dieser Fälle gesichert, 64 wahrscheinlich und die verbleibenden 13 mögliche Infektionen mit A. phagocytophila (Avsic-Zupanc T., Vortrag beim „Symposium on Tick-Transmitted Diseases“, Ljubljana, September 2001). Aufgrund der hohen Prävalenz gehören Verfahren zum serologischen sowie direkten (NAT) Nachweis von A. phagocytophila-Infektionen zum Routineprogramm von mikrobiologisch-immunologischen Referenzlaboratorien.

Eine seroepidemiologische Untersuchung unter Jägern in Südost-Österreich, also einer kontinuierlich Zecken-exponierten Personengruppe, zeigte eine sehr hohe Prävalenz von Antikörpern gegen B. burgdorferi sensu lato (42%) und gegen A. phagocytophila (15%) (Stünzner D., Präsentation beim „Symposium on Tick-Transmitted Diseases“, Ljubljana, September 2001). Ergebnisse ähnlicher Untersuchungen liegen aus Bayern vor. Beruflich Zecken-exponierte Personen wiesen Antikörper gegen A. phagocytophila in 14% auf, während die Prävalenz bei der durchschnittlichen gesunden Bevölkerung nur bei 1,9% liegt (Fingerle et al., Präsentation beim „Symposium on Tick-Transmitted Diseases“, Ljubljana, September 2001). Eine noch höhere Prävalenz von Antikörpern gegen A. phagocytophila zeigt sich bei einer Untersuchung von Patienten mit Dermatoborreliose in der Steiermark. 19% der Patienten mit klinisch diagnostiziertem Erythema migrans oder mit Acrodermatitis chronica atrophicans waren seropositiv (Müllegger et al., Präsentation beim „Symposium on Tick-Transmitted Diseases“, Ljubljana, September 2001). Ähnlich sind die Ergebnisse einer Studie aus Tirol, wo bei Personen mit Antikörpern gegen B. burgdorferi sensu lato in 18% Antikörper gegen A. phagocytophila gefunden wurden und nur in 8,7% bei Blutspendern (Walder et al., Präsentation beim „Symposium on Tick-Transmitted Diseases“, Ljubljana, September 2001).

Die Prävalenz von Antikörpern gegen A. phagocytophila bei Kindern (USA: < 1 bis 19 Jahre) war Gegenstand der Untersuchung in einem Endemiegebiet der Lyme-Borreliose und HGE im Nordosten der USA. Bei einer durchschnittlichen Seroprävalenz von 5,3% wurde der
höchste Anteil positiver Ergebnisse in der Altersgruppe von 5 bis 9 Jahren gefunden. Da HGE im Gegensatz zu Lyme-Borreliose bei Kindern in den USA nur selten als akute Erkrankung diagnostiziert wird, bleiben Bedeutung und Ursache der Seroprävalenz bei Kin-dern zunächst unklar (Wormser G.P., Vortrag beim „Symposium on Tick-Transmitted Diseases“, Ljubljana, September 2001).
Ein ungewöhnlicher Fall einer HGE bei einem Jugendlichen wurde in Wien beobachtet. Der Patient kam mit Bauchschmerzen und Fieber zur Aufnahme und zeigte in der computergesteuerten Abdominal-Tomographie einen Leberabszess. Antikörper-Titer gegen A. phagocytophila zeigten einen signifikanten Anstieg im Vergleich der Serum-Proben aus der akuten und aus der rekonvaleszenten Krankheitsphase. Der Patient wurde mit Doxycyclin behandelt und war nach 1 1/2 Monaten vollständig genesen (Kager et al., Präsentation beim „Symposium on Tick-Transmitted Diseases“, Ljubljana, September 2001).

 


TIBOLA (tick-borne lymphadenopathy)

Seit 1996 durchgeführte Beobachtungen aus Ungarn führten zur Beschreibung eines neuen Syndroms. Es wurden Daten von Patienten gesammelt, die nach einem Zeckenstich mit bislang nicht beobachteten Erscheinungen in das „Centre for Tick-borne Diseases“ in Budapest kamen. Die Krankheitserscheinungen bestanden in vergrößerten regionalen Lymphknoten und/oder vesikulären ulzerativen Hautveränderungen an der Zeckenstichstelle. Für den Antikörpernachweis und für molekularbiologische Untersuchungen wurden Serumproben und Feinnadelbiopsien genommen. Als Überträger wurde die Schildzecke Dermacentor marginatus identifiziert. Der Zeckenstich war bei 96% der Patienten auf der behaarten Kopfhaut lokalsiert. Die Zeit vom Zeckenstich bis zum Ausbruch der Symptome betrug im Mittel 9 Tage (von 1 bis 55 Tagen). Eine charakteristische Lokalreaktion (Eschar) fand sich bei 82%. Der Eschar war bei 21% der Patienten von einem Erythema umgeben. Das andere Leitsymptom bestand in vergrößerten und manchmal schmerzhaften Lymphknoten im Bereich des Zeckenstichs, überwiegend im Hinterkopfbereich oder hinter dem Musculus sternocleidomastoideus. Allgemeinsymptome waren geringgradig erhöhte Körpertemperatur, Müdigkeit, Benommenheit, Kopfschmerzen, Schwitzen, Myalgien, Arthralgien und Appetitverlust. Ohne Behandlung bestanden die Symptome bis zu 18 Monate. Die demographische Auswertung ergab, dass Kinder ganz überwiegend von diesem Syndrom betroffen sind (mittleres Alter: 13 Jahre, Altersbereich: 2 bis 57 Jahre; über 60% weniger als 10 Jahre alt) und weibliche Patienten häufiger als männliche. Die Behandlung mit Doxycyclin verkürzte die Krankheitsdauer der offenbar gewöhnlich gutartig verlaufenden Erkrankung signifikant. Mittels molekularbiologischer Untersuchungen der Lymphknoten-Biopsien wurde in 77% Rickettsia slovaca nachgewiesen (Lakos 2002).

 


Tularämie (Infektionen durch Francisella tularensis)

Zu beiden Seiten der March ist die Landschaft mit zahlreichen Tierarten und einer gewaltigen Zahl von Zecken besiedelt. Die österreichisch-slowakische Grenzlandschaft ist auch ein Endemiegebiet der Tularämie. In verschiedenen Kleinsäugerarten wurden Mischinfektionen mit verschiedenen Borrelienarten und mit Francisella tularensis nachgewiesen. Während Borrelien durchgehend von Mai bis Jänner in Reservoirtieren nachgewiesen werden konnten, gelang dies für Francisella tularensis nur von August bis Dezember (Vyrostekova, 2002).

 


Babesiose

Die Erkenntnis, dass Zecken als Überträger von Krankheitserregern fungieren, geht auf wirtschaftliche Probleme zurück. Was geschah da? Im Jahr 1868 wurden mehr als 70.000 Rinder („Texas Longhorns“) von Texas nach Kansas getrieben und von dort mit der Eisenbahn in den Mittelwesten und den Osten Nordamerikas verfrachtet. Einen Monat nach ihrer Ankunft begannen die bodenständigen Nordrinder an einer mysteriösen Krankheit zu sterben, die als „Texas fever“ bezeichnet wurde. Viele Herden gingen verloren und andere wurden stark dezimiert. Die Ursache dieser Erkrankung blieb lange unbekannt. In den Jahren 1889 bis 1893 gelang es Theobald Smith, in einem eleganten Experiment zu zeigen, dass die Erkrankung von den gesunden Rindern aus dem Süden auf die Rinder im Norden übertragen worden war. Er konnte auch zeigen, dass die Erkrankung von einem Protozoon, damals Pyrosoma bigeminum benannt, verursacht wird. Heute nennen wir die Erreger des „Texas fever“ Babesia bigemina und Babesia bovis.

Was ging da damals vor? Die einzigen Schildzecken, die in Nordamerika das „Texas fever“ übertragen, sind Boophilus annulatus und Boophilus microplus. Diese einwirtigen Zecken vollziehen gewöhnlich ihren gesamten Entwicklungszyklus auf ein und demselben Rind. Die vollgesogene weibliche Zecke fällt zur Eiablage zu Boden. Der Krankheitserreger Babesia bigemina wird transovariell übertragen. Die aus den Eiern schlüpfenden Larven sind bereits mit Babesien infiziert und übertragen die Babesien auf das nächste Rind, das sie für die Blutmahlzeit befallen.

Theobald Smiths origineller Beitrag war, dass er erstmals zeigte, dass Zecken Krankheitserreger übertragen. Er schuf dadurch die Grundlage für weitere Studien über den Zusammenhang zwischen infizierten tierischen Wirten und Zecken als Überträger (Assadian 2002).

Babesiose der Tiere wird durch die Schildzecken-Gattungen Boophilus, Dermacentor und Rhipicephalus übertragen. Eine Übertragung auf den Menschen kann durch Ixodes-Arten erfolgen. Der erste Fall einer von Zecken übertragenen Babesiose wurde in Strmec nahe Zagreb beobachtet und 1957 von Skarbalo und Deanovic beschrieben. Allerdings scheint die menschliche Babesiose in Europa eine Rarität zu sein. Von Ixodes ricinus wird Babesia divergens gewöhnlich auf Rinder übertragen, die am so genannten Weiderot (Hämoglobinurie) erkranken. Unbehandelt verläuft diese Weidekrankheit tödlich. Tödliche Verläufe von menschlicher Babesiose durch Babesia microti wurden aus dem Osten der USA berichtet.

 

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Anschrift des Verfassers:
Univ.-Prof. Dr. Gerold Stanek
Klinisches Institut für Hygiene und Medizinische Mikrobiologie der Universität Wien
1095 Wien, Kinderspitalgasse 15
E-Mail: gerold.stanek@univie.ac.at

 

Lyme-Borreliose

Krankheitserreger

Borrelien, Bakterien aus der Familie Spirochäten
B. burgdorferi sensu lato (s.l.), 10 Arten (sog. Genospezies), 3 Borrelien-Arten gelten derzeit als human pathogen: B. afzelii, B. burgdorferi sensu stricto (s.s.) und B. garinii

Endemiegebiete

Nördliche Hemisphäre
(Nord-, Zentral- und Ost-Europa, Russland, China, Japan, Nordamerika)
Geographische Verteilung der Borrelien-Arten

Europa: B. afzelii, B. garinii, B. burgdorferi s.s.,
Asien: B. afzelii, B. garinii
USA: B. burgdorferi s.s.


Übertragung

Durch Stich (umgangssprachlich fälschlich Zeckenbiss) von Schildzecken der Gattung Ixodes:

I. ricinus (Europa)
I. persulcatus (europäisches Russland und Asien)
I. scapularis (USA Ost und Zentralnord)
I. pacificus (USA West)

In den Endemiegebieten sind 2 bis 50% der Zecken infiziert.

Klinik

Inkubationszeit
3-40 Tage (frühe lokale Infektion), 4 bis 16 Wochen (frühe disseminierte Infektion)
Nur etwa 60% der Patienten erinnern sich an den Zeckenstich.
Verlauf
~ 20% inapparent
Lokalinfektion: Erythema (chronicum) migrans (bei ca. 60% einzige Manifestation), Borrelien-Lymphozytom (seltene Manifestation), unspezifische Allgemeinsymptome (seltene Begleiterscheinung)
Systemische Infektion (ca 20%): Neuroborreliose (Radikuloneuritis, Meningoradikulitis, Hirnnerven- paresen, Meningitis, Meningoenzephalitis, Radikulomyelitis, Enzephalitis, Enzephalomyelitis), Arthritis (intermittierend), Myositis, Karditis, Ophthalmitis (selten), Hepatitis (sehr selten)
Chronische Erkrankung
chronische Arthritis, Acrodermatitis chronica atrophicans, chronische Neuroborreliose (sehr selten; Meningoenzephalitis, Radikulomyelitis, Enzephalitis, Enzephalomyelitis)

Kriterien für die Diagnose (Tabelle 3)

Behandlung (Tabelle 4)

Tabelle 3: Kriterien für die Diagnose

Kriterien für die Diagnose
Erkrankung
Serologie PCR, Kultur
(positiv=beweisend)
Erythema migrans (EM)

Nicht obligat
Null- Wert (Ergebnis ohne diagnostische Bedeutung),
2. Blutprobe 6-8 Wochen später
(Serokonversion oder Titerbewegung bedeutet bloß Bestätigung der klinischen Diagnose, keine weitere Konsequenz)

Hautbiopsie, PCR, Kultur
Borrelien-Lymphozytom

Obligat
2 Proben wie oben

Hautbiopsie, PCR, Kultur
und Histologie
Acrodermatitis chronica
atrophicans (ACA)
Obligat
spezifische IgG-Antikörper
(meist in hoher Konzentration)
Hautbiopsie, PCR, Kultur
und Histologie

Frühe Neuroborreliose
(Meningopolyradikuloneuritis,
Hirnnervenparesen u.a.)

Obligat
Liquor und Serum
zur Ermittlung intrathekal
gebildeter IgG-Antikörper

Liquor-PCR, -Kultur positiv
am Krankheitsbeginn, ohne
ausgeprägte Pleozytose
(Lymphozyten, Plasmazellen)

Chronische Neuroborreliose
(sehr selten)
Obligat
Liquor und Serum
zur Ermittlung intrathekal
gebildeter IgG-Antikörper
 
Lyme-Karditis Obligat
IgG-Antikörper
 
Lyme-Arthritis Obligat
spezifische IgG-Antikörper in
hoher Konzentration
PCR von Synoviabiopsie
oder Synovialpunktat
Ophthalmoborreliose Obligat
spezifische IgG-Antikörper

PCR, Kultur
je nach Klinik

 

Tabelle 4: Behandlung

Behandlung
Antibiotikum Gabe Dosierung
(Kinder)
Dauer Spezielle
Kontraindikation
ERYTHEMA MIGRANS & BORRELIEN-LYMPHOZYTOM

Penicillin V
Phenoxymethyl-
Penicillin

oral 3 x 1-1,5 Mio
(0,1-0,15 Mio/kg)
14 Tage
(10-21 Tage)
 
Azithromycin oral

2 x 500 mg
(20 mg/kg)
1 x 500 mg
(10 mg/kg)

1. Tag

nächste 4 Tage

 
Doxycyclin oral 2 x 100 mg 14 Tage
(10 -21 Tage)
NICHT für Kinder,
Schwangere, Stillende
Amoxicillin oral 3 x 500-1000 mg
(20-50 mg/kg)
14 Tage
(10-21 Tage)
 
NEUROBORRELIOSE
Certriaxon iv 2 g
(50-100 mg/kg)
14 Tage
(10-30 Tage)
 
Penicillin G iv 20 Mio
(0,25-0,5 Mio/kg)
14 Tage
(10-30 Tage)
 
Doxycyclin* oral 2 x 100 mg 21 Tage
(14-30 Tage)
NICHT für Kinder,
Schwangere, Stillende
Amoxicillin** oral 3 x 500-1000 mg
(20-50 mg/kg)
21 Tage
(14-30 Tage)
 
Ausnahmefälle:
* Penicillinallergie (Doxycyclin),
*/** Isolierte Fazialisparese und negativer Liquorbefund (keine Pleozytose,
keine intrathekalen Antikörper)
ARTHRITIS (intermittierend, chronisch), selbes Schema bei KARDIOBORRELIOSE
Doxycyclin oral 2 x 100 mg 21 Tage
(14-30 Tage)
NICHT für Kinder,
Schwangere, Stillende
Amoxicillin oral 3 x 500-1000 mg
(20-50 mg/kg)
21 Tage
(14-30 Tage)
 
ACRODERMATITIS CHRONICA ATROPHICANS
Certriaxon iv 2 g (50-100 mg/kg) 21 Tage
(14-30 Tage)
 
Doxycyclin oral 2 x 100 mg 21 Tage
(14-30 Tage)
NICHT für Kinder,
Schwangere, Stillende
Amoxicillin oral 3 x 500-1000 mg
(20-50 mg/kg)
21 Tage
(14-0 Tage)
 

Bemerkungen zur Laboratoriums-Diagnostik der Lyme-Borreliose

SEROLOGIE

„Zwei-Test-Verfahren“ ist Standard
Zahlreiche kommerziell erhältliche Produkte stehen zur Verfügung. Damit erzielte Ergebnisse müssen nicht notwendigerweise übereinstimmen, weder quantitativ noch qualitativ! Das heißt, Ergebnisse aus verschiedenen Laboratorien dürfen nicht miteinander verglichen werden.
Regel: Korrekt kann eine Änderung der Antikörperkonzentration in Körperflüssigkeiten (Blut-, Liquorproben) nur erfasst werden, wenn die zu verschiedenen Zeitpunkten gewonnenen Proben mit demselben Testsystem gleichzeitig untersucht werden (selbe Methode und Fehlerbreite unter denselben Bedingungen).

Erster Test
ELISA IgG und IgM, mit Ganzzell- oder rekombinanten Antigenen oder Flagellin oder
Immunfluoreszenz-Test mit Ganzzellantigen(en)

Zweiter Test
Immunoblot (Westernblot) IgG und IgM mit Ganzzell- oder rekombinanten Antigenen
Dieser Test zeigt, mit welchen Antigenen von elektrophoretisch aufgetrennten Borrelienproteinen die im Serum (Plasma) oder Liquor enthaltenen Antikörper reagieren. Aufgrund des Reaktions- musters lässt sich entscheiden, ob der erste Test ein unspezifisch positives Ergebnis angezeigt hat.

KULTUR = Anzüchten von Borrelien
Anzüchten von Borrelien aus Hautbiopsie, Liquor cerebrospinalis, Blut, Muskel- und Herzmuskelbiopsie, Gelenkspunktat und Synovia-Biopsien
Material vor Beginn der Antibiotikabehandlung gewinnen!
Zuvor Rücksprache mit Referenz-Laboratorium
Anzüchtung und Identifizierung von Borrelien im Referenz-Laboratorium

NUKLEINSÄURE-AMPLIFIKATIONSTECHNIKEN (NAT)
Borrelien-Nukleinsäure kann auch nach Beginn der Behandlung mit Antibiotika aus Untersuchungs- material nachgewiesen werden. Geeignetes Untersuchungsmaterial: Hautbiopsie, Gelenkspunktat, Synovia-Biopsien. NATs mit Liquor und Blut sowie Muskel- und Herzbiopsien sind nur bei be- stimmten Fragestellungen angezeigt.
Durchführung von Borrelien-NATs nur im Referenz-Laboratorium

Interpretation serologischer Ergebnisse durch den behandelnden Arzt

  • Grundsätze für die Interpretation von „Borrelien-Serum-Antikörpern“
    !! Nie ohne Kenntnis des Patienten und seiner Erkrankung !!
    !! Positive Borrelien-Serologie allein keine Indikation für antibiotische Behandlung !!
    Im Unterschied zur Virologie können serologische Ergebnisse der Bakteriologie nicht unmittelbar als Indikatoren gesicherter Infektion bezeichnet werden.
  • Beispiele für Serum-Antikörper-Konstellationen
    IgM und IgG positiv:
    Ohne Klinik keine Indikation für eine Behandlung ÆKontrolle in 1-2 Monaten.
    IgM und IgG negativ:
    Häufiges Ergebnis bei Patienten mit Erythema migrans; Behandlung notwendig, auch wenn keine humorale Immunreaktion auf die klinisch eindeutige Infektion angezeigt wird.
    Spätere Serumuntersuchungen können ebenfalls negativ ausfallen oder positiv werden. Letzteres Ergebnis zeigt jedoch keinen Therapieversager an (Klinik!).
    IgM positiv, IgG negativ:
    Ohne Klinik keine Behandlung; Kontrolle in 1-2 Monaten; gleich bleibendes Ergebnis zeigt Problem der
    IgM-Sensitivität des verwendeten Testsystems auf ÆReferenzlaboratorium.
    IgM negativ, IgG positiv:
    Ohne Klinik Anzeige einer früher durchgemachten Infektion, ev. Teil-Immunität. Kontrolle in 2-4 Monaten

Prophylaxe

Chemoprophylaxe = Gabe eines Antibiotikums nach Zeckenstich
wird NICHT empfohlen
Immunprophylaxe
Steht nicht zur Verfügung (in den USA wurde ein rekombinanter OspA-Serotyp 1-Impfstoff Anfang 2002
vom Markt zurückgezogen)

 

Ehrlichiose (Humane Granulozytäre Ehrlichiose = HGE)

Erreger

Anaplasma phagocytophila (neu klassifiziert aus den früheren Arten Ehrlichia phagocytophila, E. equi und dem HGE-Agens)

Endemiegebiete

Nordamerika, Europa, Asien?

Übertragung

Zeckenstich (Ixodes-Zecken), Durchseuchung noch nicht erfasst, Reservoire der humanpathogenen Arten ebenfalls noch nicht ermittelt

Inkubationszeit

4-14 Tage

Klinik

Fieber, Krankheitsgefühl, Muskelschmerzen, Kopfschmerzen. Blutbild: progressive Leukozytopenie, Thrombozytopenie und Anämie. Erhöhung der Serumtransaminasen (GOT, GPT) und LDH
Komplikationen in ca. 15%: Akutes Nierenversagen, disseminierte intravasale Gerinnung, Kardiomegalie, Krampfanfälle, Koma. Letalitat zwischen 2 und 5%

Prophylaxe

Spezifische Prophylaxe ist nicht zur Verfügung

Diagnostische Methoden

Serologie, Antikörpernachweis mittels Immunfluoreszenztest, Nukleinsäureamplifikationstests,
Nachweis von spezifischen Nukleinsäureabschnitten aus peripherem Blut (EDTA-Blut einsenden)

Therapie

Mittel der Wahl: Doxycyclin

 

Früh-Sommer-Meningo-Enzephalitis (FSME)

Erreger

Flavivirus (+RNA)

Endemiegebiete

Zentral- und Ost-Europa, südliches Skandinavien, Russland, China

Übertragung

a) Zeckenstich, zwischen 0,1-10% der Zecken sind in Endemiegebieten infiziert
b) Ziegenmilch (nicht pasteurisiert) - selten

Inkubationszeit

4-14 Tage

Klinik

Erkrankung: meist biphasischer Verlauf
Etwa 70% inapparent oder nur milde erste Phase

1. Phase: grippeartige fieberhafte Erkrankung, in den meisten Fällen gefolgt von einem
symptomfreien Intervall ( ca. 1 Woche )
2. Phase: etwa 30% (Meningitis 45%, Meningoenzephalitis 50%, Enzephalomyeloradikulitis 5%);
ca. 10% neurologische Dauerkomplikationen

0,5-2% Letalität (in Ostländern bis 20%)
Behandlung: symptomatisch

Prophylaxe

Aktive Immunisierung
Impfung mit inaktiviertem FSME-Ganzvirus-Impfstoff (Baxter, Behring)
Kinder 0,25 ml FSME Vakzine i.m.
Erwachsene 0,5 ml FSME Vakzine i.m.
Vollimmunisierung 0-1-12 Monate, Auffrischungs-Impfung alle 3 Jahre
Serokonversionsrate 98- 99%
Schutzrate > 98%

Passive Immunisierung
Wird wegen der geringen oder fraglichen Schutzwirkung und der möglichen Kommplikationen bei
verspäteter Gabe heute äußerst zurückhaltend gehandhabt.
Wenn überhaupt, dann nur 48 Stunden nach Zeckenstich und nur für Personen über 14 Jahre.
Da etwa nur die Hälfte aller Zeckenstiche bemerkt wird, nimmt man von der passiven Immunisierung
in Endemiegebieten und bei dauernd exponierten Personen überhaupt Abstand.

Diagnostische Methoden

Serologie
IgG ELISA *, IgM ELISA (µl-capture ),
Hämagglutinationshemmtest* , Neutralisationstest
* Achtung: Kreuzreaktion mit Antikörpern durch andere Flavivirus-Infektionen
und/oder Impfungen (Gelbfieber, Japan B)

Virusnachweis
Virusnachweis nur vor Serokonversion und in Post-mortem-Material erfolgreich

Diagnose

Akute Infektion
Anamnese: Zeckenstich oder Aufenthalt in Endemiegebiet
Serologie: Spezifische IgM + IgG praktisch immer nach Beginn der 2. Phase nachzuweisen;
im Liquor sind IgG + IgM-Antikörper nicht immer nachzuweisen

Serum-Antikörper-Konstellationen

IgM und IgG positiv:
Gesicherte Infektion außer kurz nach einer 1. oder 2. FSME-Impfung
IgM und IgG negativ:
Kontrolle anfordern
IgM positiv, IgG negativ:
Verdacht auf FSME, Kontrolle
IgM negativ, IgG positiv:
Immunität außer bestehende Flavivirus-Antikörper (Durchbruch, kreuzreaktive
Antikörper, passive Immunisierung), IgM-Kontrolle in 10 Tagen

Immunität

IgG ELISA
ACHTUNG, kreuzreagierende Antikörper;
Neutralisationstest zur Ermittlung der spezifischen Immunität

Literatur

Holzmann Heidemarie: "Früh-Sommer-Meningo-Enzephalitis." In: Kollaritsch H., Wiedermann G.,
Leitfaden für Schutzimpfungen. Springer Verlag Wien New York (2001) 143-151.

 


Zeckenentfernung

Am einfachsten wird eine Zecke mit einer geeigneten Pinzette aus der Haut gezogen. Dabei soll die Zecke so nah an der Haut wie möglich gefasst und ohne zu reißen herausgezogen werden. Die Einstichstelle sollte idealerweise danach mit sterilem Alkohol betupft werden. An schwer zugänglichen oder sehr empfindlichen Hautbereichen haftende Zecken (zum Beispiel Genitalbereich, Gehörgang, Augenlider oder Bindehaut) sollen durch den Arzt/Facharzt, manchmal sogar unter mikroskopischer Hilfe, entfernt werden (siehe Abbildung 1).

Aufbringen von Öl, Cremen, azetonhältigen Substanzen wie Nagellack/Klebstoff auf anhaftende Zecken oder Quetschen und Herausdrehen der Zecken erhöht das Infektionsrisiko nicht [Kahl 1998], Allerdings ist das Abbrennen von Zecken streng abzulehnen; daraus können schwere Verletzungen resultieren.

 

Literatur:

Kahl O., Janetzki-Mittmann C., Gray J.S., Jonas R., Stein J., de Boer R.: "Risk of infection with Borrelia burgdorferi sensu lato for a host in relation to the duration of nymphal Ixodes ricinus feeding and the method of tick removal." Zentralbl. Bakteriol. 287 (1998) 41-52.

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