Therapeutische und differentialdiagnostische Überlegungen bei Atemwegsinfekten im Kindesalter

Claudia Wojnarowski
Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde mit Infektionskrankheiten, Wilhelminenspital der Stadt Wien

(Vorstand: Prim. Univ.-Prof. Dr. M. Götz)

Schlüsselwörter
Zusammenfassung
Key-words
Summary
Hintergrund
Therapeutische Interventionen bei kindlichen Atemwegsinfekten
Differentialdiagnostische Überlegungen
          Angeborene Fehlbildungen
          Gastroösophagealer Reflux
          Fremdkörperaspiration
          Allergische Rhinitis
          Asthma
          Sinusitis
          Cystische Fibrose
          Ziliendyskinesie
          Tuberkulose
          Psychogener Husten

Literatur

Schlüsselwörter:
Atemwegsinfekte, virale Infektionen, Mißbildungen, reaktive Atemwege

 

Zusammenfassung

Die häufigste Ursache für Symptome eines Atemwegsinfektes im Kindesalter sind virale Erkrankungen, die meist keine weitere Abklärung oder therapeutische Intervention erforderlich machen. Meist kann durch die Anamnese und eine klinische Untersuchung die Diagnose gestellt werden. Bei perakutem Beginn, sehr schwerem und/oder protrahiertem Verlauf sowie bei fieberhaften Infekten in den ersten 2 Lebensmonaten oder bei bekannter Grunderkrankung (Vitien, Immundefekten, bronchopulmonaler Dysplasie, Laryngomalazien) sollte jedoch die weiterführende Diagnostik und Therapie über ein pädiatrisches Zentrum veranlaßt werden.

 

Key-words:
Respiratory tract infection, reactive airway disease, viral

 

Summary

Viral infections of the respiratory tract are the most common causes of symptoms seen in coughs or colds. With a typical history further investigations are usually not warranted. Serious or severe or prolonged cases require further investigations. Infantile recurrent respiratory tract infections or an underlying disease (cardiovascular, immuno-deficiency, bronchopulmonary dysplasia, larygomalacia etc.) require a more detailed approach. Treatment of uncomplicated upper respiratory tract infections generally is not required as the disease process runs a self limited course. Chronic conditions will need specific interventions and may run a long course. Paediatric pulmonary specialist centres may be needed in rarer or more complicated cases to ensure optimal outcome.



Hintergrund

Ein Großteil der Patienten, die im Kindesalter einem Arzt vorgestellt werden, präsentiert sich mit Symptomen eines Atemwegsinfektes. Wesentlich ist nun, möglichst rasch zu erkennen, ob es sich dabei um eine banale Infektion der Luftwege handelt oder ob möglicherweise eine lebensbedrohliche Erkrankung vorliegt, die eine Transferierung an ein Zentrum zur weiteren Abklärung und Betreuung sinnvoll macht.

Infekte des oberen und unteren Respirationstraktes sind zum überwiegenden Teil viral bedingt und selbstlimitierend. Wesentlich seltener findet man primär bakterielle Ursachen, die antibiotisch zu behandeln sind. Die folgende Aufstellung von erhöhtem Risiko bei Atemwegsinfekten stellt eine Arbeitshilfe dar, um möglichst rasch die Patienten herauszufiltern, bei denen mit einem komplizierten Verlauf eines respiratorischen Infektes zu rechnen ist und die in ein Spital eingewiesen werden sollten.

Tabelle 1: Erhöhtes Risiko bei einem Atemwegsinfekt besteht bei
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  • hochfiebernden Säuglingen (vor allem in den ersten 2 Monaten, hohes Risiko einer Sepsis)
  • Frühgeborenen bzw. bei Vorliegen einer bronchopulmonalen Dysplasie
  • Vitien, Laryngotracheomalazie, Immunmangelsyndromen, gestörter
    mukoziliärer Clearance
  • toxischem Erscheinungsbild (neurologische Symptomatik, Somnolenz oder Agitiertheit, auffälliges Verhalten)
  • Verdacht einer subglottischen Laryngitis oder Epiglottitis
  • Verdacht einer Bronchiolitis

Bei hochfiebernden Säuglingen, Frühgeborenen, Kindern mit bronchopulmonaler Dysplasie, Vitium, Laryngotracheomalazie, Immunmangelsyndrom oder Kindern mit toxischem Erscheinungsbild wird man sich großzügig zu einer breiten antibiotischen Abschirmung entschließen. Außerdem sollten serologische Entzündungsparameter wie auch ein Thoraxröntgen kontrolliert werden.

Die subglottische Laryngitis tritt gehäuft im Herbst und Winter auf und beginnt meist abends. Im Rahmen eines charakteristischerweise nicht fieberhaften (meist < 38°C) Virusinfektes kommt es zu Heiserkeit, bellendem Husten, inspiratorischem Stridor und Atemnot. Leichte Formen bessern sich auf Beruhigung und kalte, feuchte Luft. Bei deutlicher Behinderung der Atmung ist ein Einsatz von Adrenalininhalationen (0,5 ml einer 1%igen Lsg. + 3,5 ml 0,9% NaCl; rascher Wirkungseintritt, aber nur kurz anhaltender Effekt) und Corticosteroiden (systemisch: 2 mg/kg Prednison p.o. oder rektal, evtl. topische Steroide) nützlich.

Unbedingt abzugrenzen ist bei hohem Fieber (meist > 38°C), Schluckstörung, Speichelfluß und kloßiger Sprache die perakut verlaufende Epiglottitis. Es handelt sich hierbei um eine bakterielle (Haemophilus influenzae Typ B), supraglottische Entzündung des Kehlkopfeinganges, vorzugsweise bei Kindern im Alter von 3-7 Jahren. Eine sofortige Spitalseinweisung, sitzender Transport unter Reanimationsbereitschaft und rascher Beginn einer antibiotischen Therapie (z.B. Ampicillin) sind unbedingt erforderlich. Seit der breiten Einführung der Haemophilusimpfung im Säuglings- und Kleinkindesalter konnte allerdings eine mehr als 90%ige Reduktion der Epiglottitisinzidenz beobachtet werden.

Die Bronchiolitis ist eine im Säuglingsalter auftretende, akut entzündliche Erkrankung der kleinsten Bronchien und Bronchiolen mit den klinischen Zeichen einer Bronchusobstruktion. Die häufigsten Erreger sind Respiratory-Syncytial-(RS)-Viren (80%), Parainfluenzaviren, Rhinoviren, Adenoviren, seltener Mykoplasmen. Die klinischen Symptome sind anfangs unspezifisch Schnupfen und Husten, dann jedoch kommt es innerhalb von 24-48 Stunden rasch zu zunehmender Tachypnoe, Dyspnoe und Überblähung. Therapeutische Maßnahmen sind Beruhigung, Kontrolle mit Monitor und Pulsoxymetrie, Sauerstoffgabe bei Bedarf, evtl. Nasentropfen und Flüssigkeitsersatz i.v.. Die Gabe von Ribavirin und topischen Steroiden wird kontroversiell beurteilt. Seit kurzer Zeit ist eine Prophylaxe zur Verhinderung einer schweren RS-Virusinfektion bei Frühgeborenen, Säuglingen und jungen Kleinkindern mit hohem Risiko möglich. Für die Expositionszeit (Wintermonate) stehen ein humanisierter monoklonaler IgGI Antikörper (Palivizumab: Synagis®; 15 mg/kg 1 x monatlich i.m. ) sowie ein RSV-IGIV (RespiGam®; 15 ml/kg 1x monatlich i. v. -cave rel. großes Infusionsvolumen!) zur Verfügung.

 

Therapeutische Interventionen bei kindlichen Atemwegsinfekten

Bei banalen Atemwegsinfekten wird in der Regel der Infektionserreger, vor allem bei ambulanter Behandlung, nicht nachgewiesen. Kleinkinder haben im Durchschnitt 3-8 Infektepisoden pro Jahr. Wie schon anfangs erwähnt, sind diese zum überwiegenden Teil viral bedingt. Sie sind meist selbstlimitierend, und die Therapie ist in erster Linie Zuwarten. Die Eltern sollten über Ursache und den zu erwartenden Verlauf informiert werden. Abschwellende Nasentropfen verbessern bei Rhinitis die Nasenatmung und gewährleisten so eine ausreichende Anfeuchtung und Anwärmung der Atemluft und erleichtern die mukoziliäre Clearance. Auch auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr ist zu achten. Für Antihistaminika und schleimhautabschwellende Kombinationspräparate konnte zwar eine sedierende Wirkung (Verbesserung der Nachtruhe), jedoch keine Reduktion der Symptome (rinnende/verstopfte Nase, Husten) oder der Krankheitsdauer gezeigt werden. Antitussiva (Codein- oder Pentoxyverinpräparate) sollten nur bei sehr quälendem, trockenen Reizhusten und kurzfristig gegeben werden. Die Wirkung von diversen Sekretomotorika und Sekretolytika ist in der Pädiatrie nicht ausreichend untersucht und wird sehr kontroversiell beurteilt.

Inwieweit die Häufigkeit und Dauer von Atemwegsinfekten durch eine Immuntherapie mit Bakterienlyophilisaten reduziert werden kann, ist in der Pädiatrie durch kontrollierte Studien noch nicht ausreichend belegt. Bei erwachsenen Patienten mit chronisch obstruktiver Bronchitis gibt es Daten, die zeigen, daß nicht nur die Dauer, sondern auch die Frequenz von Infektexazerbationen verringert werden kann.

Die Symptome Husten und Fieber sollten allein nicht ausreichend für den Beginn einer antibiotischen Behandlung sein, sondern der primäre Einsatz sollte auf diejenigen Infekte beschränkt bleiben, die mit hoher Wahrscheinlichkeit eine bakterielle Ursache haben. Als solches gelten Pneumonien im Säuglingsalter, Pneumonien im Schulalter (meist Mycoplasmen) sowie Erkrankungen mit hoher Disposition zu bakteriellen Infekten (Immundefekte, congenitale Vitien, bronchopulmonale Dysplasien, Anomalien der Atemwege mit gestörter mukoziliärer Clearance.

Pneumonien im Kleinkindesalter hingegen sind meist viral bedingt. Eine primäre antibiotische Therapie ist oft nicht erforderlich, vor allem bei gutem Allgemeinzustand und der Möglichkeit einer engmaschigen Kontrolle.

 

Differentialdiagnostische Überlegungen

Hinter den Symptomen der klassischen Atemwegsinfekte können sich aber auch zahlreiche Erkrankungen verbergen, die eine weitere Abklärung und therapeutische Intervention erforderlich machen. Je nach Kindesalter stehen gewisse differentialdiagnostische Überlegungen im Vordergrund.

Angeborene Fehlbildungen
Vitien, aberrante Gefäße, ösophagotracheale Fisteln und Laryngotracheomalazien werden meist schon im frühen Kindesalter symptomatisch. Je nach Anomalie beobachtet man Trommelschlägelfinger, Zyanose oder Gedeihstörungen. Bei der weiteren Abklärung sind sowohl kardiologische Untersuchungen als auch eine bronchoskopische Inspektion der Atemwege hilfreich.

Gastroösophagealer Reflux
Ist zu einem geringen Prozentsatz (<= 4%) physiologisch. Kann bei bis zu 10% der Kinder als mögliche Ursache für chronischen Husten vermehrt gefunden werden. Bei der weiteren Abklärung hilfreich ist die pH-Metrie, ein Breischluck sowie in einigen Fällen auch eine gastroskopische Abklärung bzg. einer Refluxösophagitis.

Fremdkörperaspiration
Bei anamnestisch erhebbarem, plötzlich beginnendem Husten im Anschluß an Nahrungsaufnahme (z.B. Nüsse) ist immer an eine Aspiration zu denken (bevorzugt betroffene Altersgruppe: 1-3 Jahre). Zusätzliche Hinweise können eine deutliche Seitendifferenz im Thoraxröntgen oder im Auskultationsbefund (eine einseitige pulmonale Überblähung über einen Ventilmechanismus oder eine Atelektase / fehlendes Atemgeräusch) sein. Zum Ausschluß ist immer eine bronchoskopische Inspektion der Atemwege indiziert.

 

Tabelle 2: Ursachen für rezidivierende oder chronische Rhinitis/Husten in Abhängigkeit vom Alter
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ALTER URSACHE
Säuglingszeit
Angeborene Fehlbildungen
Vitien, aberrante Gefäße, ösophago-tracheale Fisteln, Atemwegsmißbildungen
Gastroösophagealer Reflux
Infektionen


Virusinfektionen: RSV; Parainfluenza, Adenovirus In den ersten 2 LM bakt. Pneumonien mit hoher Sepsisgefahr
Chlamydien, Pertussis
Cystische Fibrose
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Vorschulkinder Fremdkörperaspiration
Infektionen

Meist viral, seltener Mykoplasmen, bakt. Pneumonien,
selten Tbc
Reaktive Atemwege
Allergische Rhinitis, Asthma, "postnasal drip" bei Sinusitis
Cystische Fibrose, Ziliendyskinesie
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Schulalter Reaktive Atemwege Allergische Rhinitis, Asthma
Infektionen Vor allem Mykoplasmeninfektionen, selten Tbc
Psychogener Husten

Allergische Rhinitis
Es besteht nasaler Juckreiz. Das Sekret ist klar und reich an eosinophilen Granulozyten, oft läßt sich eine positive Familienanamnese und Allergenexposition erheben.

Asthma
Beschwerden nehmen meist bei kalter Luft, nachts und/oder bei Belastung zu. Episoden können durch virale Infekte ausgelöst werden. Auch hier besteht oft eine positive Familienanamnese. Weiterführend sind unter anderem Lungenfunktions- und Provokationstests (Histamin-, Metacholin-, hypertone NaCI-, Laufprovokation) sowie die Verlaufsbeobachtung.

Sinusitis
Die Patienten klagen oft über Kopfschmerzen, behinderte Nasenatmung sowie Reizhusten (Reizung von Hustenrezeptoren durch ein "postnasal-drip"). Bei bis zu 30% liegt eine allergische Rhinosinusitis vor. Die weiterführende Diagnostik beinhaltet ein NNH-Röntgen, bei chronischem Verlauf meist ein NNH-CT (coronare Schichtung).

Cystische Fibrose
Es besteht evtl. eine positive Familienanamnese. Betroffene Kinder sollten größtenteils im Neugeborenenscreening (IRT-Test) erfaßt werden. Charakteristische Merkmale sind neben dem Mekoniumileus auch Malabsorption, Gedeihstörung sowie Trommelschlägelfinger. Die Diagnose wird mittels Schweißtest oder auch durch Nachweis der Mutation bestätigt.

Ziliendyskinesie
Die morphologische Ziliendiagnostik erfolgt mittels Elektronenmikroskop aus einer bronchialen Schleimhautbürstenbiopsie. Es werden häufig auch rezidivierende Otitiden, Sinusitiden und/oder ein Situs inversus gefunden.

Tuberkulose
Bei rezidivierendem/persistierendem Husten (oft mit Fieber), therapieresistentem Lungeninfiltrat / Hiluslymphknoten muß eine Tbc-Abklärung mittels Tuberculintestung, Magensaft und evtl. bronchoskopischer Inspektion durchgeführt werden.

Psychogener Husten
Dieser Husten ist meist laut, trompetend, "bizarr", monomorph, therapieresistent. Er stört charakteristischerweise die Umgebung, wird bei Zuwendung und Aufmerksamkeit lauter und verschwindet im Schlaf völlig.

 

Literatur:

1. Burton D.M., Pransky S.M., Kearns D.B., Katz R.M., Seid A.B. : "Pediatric airway manifestations gastroesophageal reflux." Ann. Otol. Rhinol. Laryngol. 101 (1992) 742-749.

2. Chretien I., Holland W., Macklem P., Murray I., Woolcock A.: "Acute respiratory infections in children." N. Engl. I. Med. 310 (1984) 982-984.

3. Clemens C.J., Taylor J.A., Almquist J.R., Quinn H.C., Metha A., Naylor G.S.: "Is an antihistamine-decongestant combination effective in temporarily relieving symptoms of the common cold in preschool children?" J. Pediatr. 130 (1997) 463-6.

4. Collet J.P., Ducruet T., Kramer M.S., Haggerty J., Floret D., Chomel J.J., Durr F.: "Stimulation of nonspecific immunity to reduce the risk of recurrent infections in children attending day-care centers." Pediatr. Infect. Dis. J. 12 (1993) 648-52.

5. Garpenholt Ö., Hugosson S., Fredlund H., Bodin L., Olcenp.: "Epiglottitis in Sweden before and after introduction of vaccination against Haemophilus influenzae type b." Pediatr. Inf. Dis. J. 18(1999)490-3.

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9. Kaulfersch W. : "RS-Virusinfektionen bei Hochrisikopatienten." Pädiatrie und Pädiologie 4 (1999) 22-27.

10. Seear M., Wensley D.: "Chronic cough and wheeze in children: do they all have asthma?" Eur. Respir. J. 10 (1997) 324-345.

11. Smith M.B., Feldman W.: "Over-the-counter cold medications." A critical review of clinical trials between 1950 and 1991. JAMA 269 (1993) 2258-63.

 

Anschrift des Verfassers:
Dr. Claudia Wojnarowski
Abteilung für Kinder- und Jugendheilkunde mit Infektionskrankheiten, Wilhelminenspital
A-1171 Wien, Montleartstraße 37

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