Enterohämorrhagische Escherichia
coli und hämolytisch-urämisches Syndrom |
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H. Fischer 1, H.M. Verwyen
2, L.B. Zimmerhackl 2, P. König 3,
P.A. Kyrle 4, Katharina Grif 5, R. Allerberger 51 Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Innsbruck
2 Universitäts-Kinderklinik, Freiburg
3 Universitätsklinik für Innere Medizin, Innsbruck
4 Universitätsklinik für Innere Medizin I, Klin. Abt. für Hämatologie und
Hämostaseologie, Wien
5 Institut für Hygiene und Bundesstaatliche bakt.-serol. Untersuchungsanstalt,
Innsbruck |
Schlüsselwörter:
enterohämorrhagische E. coli, EHEC, hämolytisch-urämisches Syndrom, HUS,
Shiga-Toxin |
Zusammenfassung Enterohämorrhagische Escherichia coli (EBEC) sind in Österreich
die dritthäufigsten bakteriellen Durchfallerreger. Als postinfektiöse lebensbedrohliche
Komplikation kommt es bei 5-10% der Erkrankten zu dem Vollbild des
hämolytisch-urämischen Syndroms (BUS). Für Österreich errechnet sich aus den kulturell
oder serologisch verifizierten BUS-Fällen des Jahres 1998 eine Inzidenz von 0,65
EBEC-assoziierten BUS-Fällen per 100.000 Kindern im Alter von 0-14 Jahren (8x O157, 1 x
O26). Es dominieren die EBEC-Serotypen O157:H7 und O157:H-. Da außer der Produktion von
Shiga-Toxinen keine verläßlichen phänotypischen Marker für EBEC bekannt sind, die eine
Isolierung der verschiedenen EBEC-Serovare aus der Stuhlflora ermöglichen, sollte die
diagnostische Strategie auf den Nachweis der Shiga-Toxine oder der Shiga-Toxingene
ausgerichtet sein und unbedingt die Erregerisolierung anstreben. Serologisch kann der
Nachweis vonAntikörpern gegen Lipopolysaccharide von E. coli O157 diagnostisch
genutzt werden. Eine kausale Therapie steht für EHEC-Infektionen bislang nicht zur
Verfügung. Im Vordergrund stehen eine symptomatische Behandlung der Diarrhoe und
gegebenenfalls der akuten Niereninsuffizienz sowie prophylaktische Maßnahmen. |
Key-words:
enterohemorrhagic E. coli, EHEC, hemolytic uremic syndrome, HUS, Shiga toxin |
Summary Enterohemorrhagic Esherichia coli (EHEC) have been indentified as a
worldwide cause of serious human gastrointestinal disease and the life-threatening
hemolytic uremic syndrome (HUS). The most common serotype implicated is E. coli
O157:H7, but infections involving various non-O157 serotypes have been found with
increasing frequency in many countries. At the end of 1998 the cumulative number of
culture confirmed EHEC O157 infections totaled 69, including 9 (14%) cases with HUS. A
lethal course was observed in 1997 in Salzburg (10 year old boy). Kidney transplantation
was performed on a 3 year old girl suffering from an EHEC O26:H- infection in the Tyrol in
1998. The incidence of HUS (due to EHEC as confirmed by culture or serology) in 1998 was
0.65 HUS-cases per 100,000 children of age 0-14 years (8x O157, 1x O26) and 0.04 HUS-cases
per 100,000 in the age group 15-59 years (2x O157). Typing results show a wide
distribution of strains, which argues against any epidemic in the classical sense.
The elimination of EHEC O157 from cattle is considered impractical,
therefore preventive measures must be taken to reduce the risk of infection. Public health
authorities are focusing attention on decreasing faecal contamination of beef cattle
before and at slaugther. In addition, the risk of cross contamination from raw meats to
cooked foods must be minimised. Safety for the consumer (especially for preschool aged
children) lies in following well known rules of good hygiene:
- pasteurise all milk before drinking;
- cook minced beef thoroughly before eating;
- wash hands properly after using the toilet and before eating;
- avoid contact between healthy children with those with diarrhoea
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EinleitungEscherichia
coli-Stämme, die unter Bildung von Shiga-Toxinen eine hämorrhagische Kolitis
und/oder ein hämolytisch-urämisches Syndrom (HUS) verursachen können, werden auch als
enterohämorrhagische E. coli (EHEC) bezeichnet. Die Shiga-Toxine wurden auch als
Shiga-Iike Toxine (SLT) oder Verotoxine (VT) bezeichnet. Sie werden heute aufgrund ihrer
Verwandtschaft zum Shiga-Toxin von Shigella dysenteriae Typ 1 als Shiga-Toxin 1
und Shiga-Toxin 2 bezeichnet. Bei der Mehrzahl der klinischen Isolate sind außer den
Shiga-Toxinen noch andere Pathogenitätsfaktoren nachweisbar. Im Jahre 1982 wurde die
humanpathogene Bedeutung von enterohämorrhagischen E. coli O157 (O als
Abkürzung für "Ohne Hauch", da die Lipopolysaccarid-Oberflächenantigene
initial bei nicht-schwärmenden Stämmen von Proteus sp. beschrieben wurden) im
Rahmen des epidemischen Auftretens von hämorrhagischen Kolitiden nach Genuß ungenügend
erhitzter "Hamburger" erstmalig in den USA erkannt. Dieser Erreger wurde bei
Rindern vor 1982 nur in einem einzigen Fall dokumentiert [1]. Mittels immunomagnetischer
Anreicherungstechniken lassen sich heute EHEC O157 als Bestandteil der Fäkalflora bei
circa 8% der Rinder nachweisen [2]. Aus einem im Jahr 1955 erstmals beschriebenen Syndrom,
dem HUS, wurde mittlerweile ein relevantes Public Health Problem (Abb. 1,2,3).
Abbildung 1:
Originalmanuskript der Erstbeschreibung des hämolytisch urämischen Syndroms |
Abbildung 2:
Zeitungsbericht im Gefolge eines EHEC-Ausbruches 1991 in England |
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Abbildung 3: Zeitungsbericht im
Gefolge eines EHEC-Ausbruches 1995/96 in Bayern |
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Krankheitsbild Die meisten Darmerkrankungen durch EHEC bei Kindern unterscheiden sich in
ihrem Verlauf nicht von anderen bakteriellen oder viralen Ursachen. In einer prospektiven
Studie konnten wir zeigen, daß das durchschnittliche Alter der Kinder mit
EHEC-Infektionen mit 27,6 Monaten deutlich unter dem der Kinder mit Salmonelleninfektionen
(38,8 Monate) lag [3]. EHEC erwiesen sich nach Salmonella enteritidis und Campylobacter
jejuni als dritthäufigste bakterielle Enteritiserreger [3]. Nur bei etwa der Hälfte
der Fälle traten neben dem Durchfall auch Fieber und Erbrechen auf [3]. Der zunächst
wäßrige Durchfall geht bei 15-20% der Erkrankten in eine profuse hämorrhagische
Diarrhoe über. Blutige Durchfälle sind ein Hinweis für eine besonders schwere
Infektion, die einen Risikofaktor für das Auftreten eines HUS darstellt. So haben 70% der
HUS-Patienten vorher blutige Durchfälle.
Das klassische HUS ist die
häufigste Ursache des akuten Nierenversagens im Kindesalter und durch einen biphasischen
Verlauf gekennzeichnet. Auf eine enterale Symptomatik folgen nach kurzem Intervall die
charakteristischen hämatologischen und nephrologischen Veränderungen. Die
mikroangiopathische Hämolyse mit Fragmentation der Erythrozyten (Abb. 4) und akutem
Hämoglobinabfall, massiver Laktatdehydrogenase-Erhöhung, Haptoglobinverbrauch und dem
Thrombozytensturz im peripheren Blut als Folge der Bildung intravaskulärer Mikrothromben
wird pathogenetisch auf die Läsion kapillärer Endothelzellen zurückgeführt. |
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Abbildung 4:
Blutausstrich (Giemsa-Färbung) eines 4jährigen Mädchens mit HUS mit charakteristischen
Fragmentozyten (kleine, unregelmäßig geformte Erythrozyten und
Erythrozytenbruchstücke). |
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Die glomeruläre Nierenschädigung führt oft zur Einschränkung der
Nierenfunktion, mit oder ohne Anurie, sowie zu Elektrolytentgleisungen und
Überwässerung. Häufige extrarenare Komplikationen sind zerebrale Krampfanfälle, Koma
und Hirnödem. Auch eine Invagination mit mechanischem Ileus, akutes Lungenversagen, eine
Pankreatitis mit Bildung eines Insulin-abhängigen Diabetes mellitus, oder eine
Schädigung des Myokard wurden beschrieben [4]. Diese Komplikationen können in bis zu 10%
der Fälle zum Tode im akuten Stadium führen. Der bislang einzige amtlich gemeldete
Todesfall durch EHEC in Österreich betraf 1997 einen 10jährigen Salzburger (mögliche
Infektionsquelle: unbekannt). Auch nach Überstehen der akuten Symptomatik, oft unter
Intensivtherapie mit Hämodialyse, können schwere bleibende Schäden auftreten, wie eine
arterielle Hypertonie oder eine chronische Niereninsuffizienz, die eine ambulante
Hämodialyse/Peritonealdialyse bzw. eine Nierentransplantation notwendig machen kann
[5,6,7,8,9, 10, 11, 12, 13, 14]. Ein 3jähriges Tiroler Mädchen mit HUS nach E. coli
O26:H-Infektion im Juli 1998 erhielt nach 5monatigem stationären Krankenhausaufenthalt
die erste EHEC-assoziierte Nierentransplantation Österreichs (wahrscheinliche
Infektionsquelle: Konsum unpasteurisierter Kuhmilch). |
Epidemiologie Mit Jahresende 1998 wurden bislang 69 humane EHEC-O157-lnfektionen kulturell
nachgewiesen, davon 9 (14 %) mit HUS (Abb. 5).
Abbildung 5: Anzahl der am nationalen
Referenzlabor fur enterohämorrhagische Escherichia coli (Bundesst. bakt.-serol.
Untersuchungsanstalt in Innsbruck) verifizierten EHEC-Isolate der Serogruppe O157 |
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Der Anstieg der Diagnosen von EHEC-Infektionen spiegelt zum Teil nur
die gestiegenen labordiag nostischen Bemühungen wider. HUS-Surveillance eignet sich
wesentlich besser zur Beurteilung der Häufigkeit dieser neuen Infektionskrankheit. In
Österreich wurde 1994 ein auf freiwilliger Mitarbeit von Internisten und Pädiatern
basierendes Surveillancesystem etabliert [15]. Aus den kulturell oder serologisch
verifizierten EHEC-assoziierten HUS-Fällen des Jahres 1998 errechnet sich eine Inzidenz
von 0,65 HUS-Fällen per 100.000 Kindern im Alter von 0-14 Jahren (8x O157, 1x O26) und
von 0,04 HUS-Fällen per 100.000 Einwohnern im Alter von 15-59 Jahren (2x O157); in der
Altersgruppe > 60 Jahre fand sich in Österreich im Jahr 1998 kein
kulturell/serologisch verfizierter HUS-Fall (Tab. 1 ). Für das Nord/Süd-Gefälle der
Häufigkeit von HUS in Europa gibt es bislang keine Erklärung (Tab. 2).
Tabelle 1: Im Rahmen des
HUS-Surveillance-Projekts gemeldete Fälle von hämolytisch-urämischem Syndrom in
Österreich sowie Anzahl der am nationalen Referenzlabor für enterohämorrhagische Escherichia
coli kulturell oder serologisch verifizierten HUS-Fälle (m = Monate, a = Jahre). |
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HUS-Fälle |
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gemeldet: |
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Kinder
Erwachsene |
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kulturell bestätigt:
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10 |
6 |
7 |
11 |
13 |
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5 (5m-10a)
5 (40a-50a) |
5 (2a-3a)
1 (38a) |
6 (17m-8a)
1 (17a) |
7 (5m-12a)
4 (18a-65a) |
9 (12m-8a)
4 (20a-42a) |
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|
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|
0
|
4
(O157)
|
1
(O157)
|
3 (O157
2x,
O26 1x) |
3 (O157
2x,
O26 1x) |
|
Bestätigung
lediglich durch O157 Serologie:
0
1
8 |
Tabelle 2: Inzidenzen von
HUS in Österreich und anderen europäischen Staaten (per 100.000 Einwohner im Alter von 0
bis 15 Jahren) (Vergleichszahlen von A. Caprioli [Istituto Superiore di Sanità, Rom] und
H.R. Smith [Public Health Laboratory Service, London]). |
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Schottland
England
Bayern
Niederlande
Schweiz
Belgien
Deutschland (ohne Bayern)
Frankreich
Österreich
Italien
Malta |
1990-1996
1990-1996
1996-1997
1996
1996
1996
1986-1991
1996
1998
1988-1993
1995 |
5,2
1,5
1,9
1,5
1,5
1,4
1,0
0,7
0,65
0,2
0 |
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Diagnostik Verbindliche Untersuchungsverfahren für Laboruntersuchungen auf EHEC-
Infektionen liegen bisher nicht vor. Grundsätzlich wird der kulturelle Nachweis von EHEC
erschwert durch die biochemische Ähnlichkeit dieser Erreger mit den Kommensalen der
Darmflora und durch die relativ geringe Anzahl im Vergleich zur physiologischen Flora, die
auch bei EHEC-Patienten kaum unterdrückt ist. Nicht selten findet sich nur ein EHEC auf
200-300 E. coli der physiologischen Flora. Erschwerend kommt die große Anzahl an
E. coli-Serovaren, die zur Shiga-Toxin-Bildung befähigt sind (bisher 160 beim
Menschen), hinzu. Daher sollte die diagnostische Strategie auf den Nachweis der Toxine
und/oder der Toxingene ausgerichtet sein. Zudem sollte die Erregerisolierung und
Subdifferenzierung angestrebt werden, damit epidemiologische Zusammenhänge aufgedeckt
werden können.
HUS-Patienten bilden regelmäßig Antikörper gegen das
Zellwandantigen Lipopolysaccharid (LPS), die im indirekten Hämagglutinationstest oder im
Immunoblot nachgewiesen werden können. Diese Tests stehen kommerziell noch nicht zur
Verfügung und sind deshalb Speziallaboratorien vorbehalten. |
Therapie Die bakterielle Ursache der EHEC-Enterokolitis als zugrundeliegender Faktor
eines EHEC-assoziierten HUS legt den frühzeitigen Einsatz von Antibiotika nahe. Jedoch
zeigten Untersuchungen an hospitalisierten Patienten eher einen ungünstigen Effekt, wenn
Antibiotika in der frühen Phase einer E. coli O157-assoziierten Enterokolitis
eingesetzt wurden (erhöhte Inzidenz und Letalität von HUS) [16]. Wenn auch in manchen
Studien kein negativer Einfluß einer antibiotischen Therapie auf die Progression der
EHEC-Enterokolitis zu HUS beobachtet wurde, sind positive Auswirkungen einer
antibiotischen Therapie selten beschrieben. Die Interpretation solcher Studienergebnisse
ist schwierig, da sie retrospektiv erhoben, die Patientenkollektive heterogen und die
eingesetzten antibiotischen Regimes vielfältig sind. Zudem ist denkbar, daß eher
Patienten mit schweren Krankheitsverläufen einer antibiotischen Therapie zugeführt
werden. Die einzige vorliegende prospektive Studie an 47 Kindern mit kulturell
nachgewiesener E. coli O157-Enteritis zeigte keinen positiven Effekt einer
Antibiotikatherapie auf den klinischen Verlauf [17]. Die ungünstige Antibiotikawirkung
kommt möglicherweise durch verstärkte Freisetzung von Shiga-Toxinen durch Bakterienlyse
zustande. Außerdem können subinhibitorische Konzentrationen diverser Antibiotika die
Produktion von Stx in vitra beeinflussen [18]. Generell sind Antibiotika in der
Therapie von EHEC-Erkrankungen oder EHEC-assoziiertem HUS nach dem jetzigen
wissenschaftlichen Stand nicht indiziert.
Mögliche zukünftige Therapiestrategien zielen auf die rasche
Inaktivierung freien Shiga-Toxins noch im Gastrointestinaltrakt, bevor die systemische
Toxizitätswirkung an den Endothelzellen eintreten kann. Ein Kanditat für eine solche
Therapie ist an Kieselerde gebundener synthetischer Shiga-Toxin Pk-Trisaccharid-Rezeptor
(Synsorb-PK), der spezifisch an Stx 1 und in geringerem Maße an Stx 2 bindet. In einer
kanadischen plazebokontrollierten Doppelblind-Phase-1-Studie an gesunden Probanden wurde
oral verabreichtes Synsorb-PK gut vertragen. Stuhlproben der Probanden am 3. bzw. 9. Tag
nach oraler Einnahme zeigten eine 99% Neutralisationskapazität gegen Stx1. Der Zusatz des
Präparates zum Stuhl von Kindern mit unkomplizierter EHEC-Enterokolitis bewirkte eine
30%-100%-Bindung von Stx [19]. Ob therapeutisch ausreichende Synsorb-Pk-Spiegel im Stuhl
auch bei Durchfall erreicht werden können und somit die Möglichkeit einer effektiven
Toxinabsorption bei enterohämorrhagischer Kolitis und HUS besteht, gilt es in weiteren
Studien zu untersuchen.
Ein ähnlicher experimenteller Therapieansatz zur Toxinelimination
ist die Gabe von bovinem Kolostrum. Lactoglobin ist ein standardisiertes
Immunglobulinpräparat, das aus Kolostren nicht-immunisierter Kühe hergestellt wird. Es
enthielt in einer Untersuchung von Lissner et al. ausreichend hohe Titer von spezifischen
Antikörpern gegen EHEC-Bestandteile, um den zytotoxischen Effekt sowohl von Stx 1 als
auch von Stx 2 auf Verozellen sowie den zytolytischen Effekt von EHEC-Härnolysin auf
Erythrozyten zu hemmen [20]. Aufgrund dieser breiten Wirkung auf die wichtigsten
Virulenzfaktoren von EHEC O157 erhoffen die Autoren in der frühzeitigen klinischen
Anwendung eine günstige Beeinflussung des Verlaufs von EHEC-Infektionen sowie die
Verhinderung der Progression zum HUS.
Bei manifestem HUS haben verschiedenste Therapieversuche mit dem
Ziel der Wiederherstellung der Balance zwischen Endothelzelle und Gerinnungssystem sich
als nicht effizient erwiesen. Der in Einzelberichten dargestellte günstige Effekt von
Antikoagulantien (Heparin) und Thrombozytenaggregationshemmern (Dipyridamol) war in
kontrollierten Studien nicht nachzuvollziehen. Über Acetylsalicylsäure liegen nur
anekdotische Berichte vor. Fibrinolytika (Streptokinase, Urokinase) waren entweder
wirkungslos oder mit Blutungskomplikationen verbunden. Prostazyklininfusionen haben sich
ebenfalls als nicht-effektiv erwiesen [21].
Kontrovers beurteilt wird auch die Gabe von Frischplasmainfusionen.
Diese zeigten in mehreren kontrollierten Studien keinen günstigen Effekt. Günstige
Verläufe hingegen wurden von einer belgischen Arbeitsgruppe in einer nicht-kontrollierten
Studie nach Einsatz von Frischplasma bei 33 Kindern mit HUS berichtet [22].
Unterschiedlich eingesetzt wird heute die frühzeitige Plasmapherese. Sie wird bei
Erwachsenen im Akutstadium des komplizierten HUS und der thrombotisch thrombozytopenischen
Purpura verwendet. Rationell begründbar ist der Einsatz beim Fehlen von Von Willebrand
Factor-Cleaving Protease [23]. Bei einer pädiatrischen Patientenpopulation wies
Fitzpatrick eine Senkung der Letalität durch Plasmapherese beim atypischen HUS nach [24]
.Ergebnisse kontrollierter Studien wurden bislang jedoch nicht publiziert.
Wenig überzeugend waren Therapieversuche mit intravenösen
Immunglobulininfusionen. Auch die Hoffnungen auf einen therapeutischen Effekt von Vitamin
E beim HUS durch seine antioxidierende und thrombozytenaggregationshemmende Wirkung wurden
nicht erfüllt.
Wichtig ist die frühzeitige Erkennung eines beginnenden HUS. In der
ersten Woche nach Beginn einer dokumentierten EHEC-Infektion ist auf Zeichen wie Blässe
und Oligurie zu achten. Bei Kindern unter 5 Jahren und älteren Patienten besteht ein
erhöhtes Risiko, ein HUS zu entwickeln, weswegen Blutbild- und Harnanalysen zu empfehlen
sind. Die Supportivmaßnahmen eines HUS (Therapie von Störungen des Flüssigkeits- und
Elektrolythaushaltes, Ernährung etc.) hängen ab vom Ausmaß der
Nierenfunktionseinschränkung und vom Schweregrad der assoziierten Organmanifestationen.
Bei Versagen dieser Maßnahmen ist der Einsatz einer Nierenersatztherapie erforderlich.
Die Wahl des Dialyseverfahrens, Hämo- oder Peritonealdialyse, hat dabei keinen Einfluß
auf den klinischen Verlauf. In der Pädiatrie wird die Peritonealdialyse aufgrund der
einfacheren und bei Kleinkindern schonenderen Anwendbarkeit bevorzugt. Klinische Kriterien
zum Dialysebeginn sind Anstieg des Harnstoffes über 150 mg/dl, Hyperkaliämie, Azidose
und Überwässerung. Unspezifische medikamentöse Interventionen umfassen die Senkung
erhöhter arterieller Blutdruckwerte und die Behandlung zerebraler Krampfanfälle.
Letztere sind meist generalisiert und treten gehäuft bei Hyponatriämie, Überwässerung
oder arterieller Hypertonie auf. Bei Patienten mit therapieresistenten Krampfanfällen
oder einer Bewußtseinsstörung mit einem Glasgow Coma Scale < 8 ist die Intubation und
maschinelle Beatmung indiziert.
Erythrozytentransfusionen sind bei ausgeprägter Hämolyse und
Abfall des Hämoglobins auf Werte von 50-70 g/l erforderlich. Die Behandlung einer
Thrombopenie durch Thrombozytenkonzentrate birgt die Gefahr der Bildung weiterer
intravasaler Mikrothromben; Thrombozytenkonzentrate sind daher nur bei klinisch manifester
Blutung oder bei geplanten invasiven Maßnahmen (z.B. Anlage von Venenkathetern,
Peritonealkathetern) indiziert. Der Einsatz von Darmmotilitätshemmern kann schwere
Verläufe an EHEC-Infektionen und die Entwicklung eines HUS begünstigen und ist daher
kontraindiziert.
Mangels einer verfügbaren etablierten Kausaltherapie steht heute
die rasche Diagnosestellung sowie der frühzeitige Einsatz unspezifischer supportiver
Maßnahmen im Mittelpunkt der medizinischen Versorgung eines HUS. Die Prognose des
EHEC-assoziierten HUS ist günstiger als die der atypischen HUS-Formen. Die
Spontanheilungsrate beträgt > 50%. In nur weniger als 5% der Fälle kommt es zur
Ausbildung eines chronischen, dialysepflichtigen Nierenversagens. Ziel der zur Verfügung
stehenden symptomatischen Maßnahmen ist daher, die Phase bis zur Spontanheilung zu
überbrücken sowie Komplikationen zu vermeiden oder zu vermindern. |
Prävention Eine Sanierung der Viehbestände wird von der WHO einstweilen als nicht
realisierbar angesehen [25, 26, 27]. Daher müssen derzeit Präventivmaßnahmen
ausreichen, um diesen schweren Infektionen vorzubeugen. Die Santiätsbehörden richten ihr
Hauptaugenmerk auf die Verringerung der fäkalen Kontamination von Rinderfleisch (Abb. 6).
Abbildung 6: Als Folge
eines EHEC-Ausbruches in Schottland mit 18 Todesfällen im November 1996 wurde vom MEAT
HYGIENE SERVICE im August 1997 für Großbritannien eine Clean Livestock Policy
eingeführt, die auf Schlachthöfen ein Zurückweisen von übermäßig kotverschmierten
Rindern (überlange Tiertransportdauer!) gestattet. |
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Für den Verbraucher (insbesondere für Kinder im Vorschulalter!)
gelten unverändert jahrzehntealte Hygieneregeln: rohe Milch vor Verzehr abkochen,
Rinderhackfleisch vor Verzehr gut durchbraten, und - wegen der Gefahr von
Schmierinfektionen - Händewaschen nach Toilettenbesuch und vor dem Essen sowie Kontakte
von Kindern mit Durchfall zu gesunden Kindern vermeiden.
Die Bedeutung der Etablierung und Betreibung eines
HUS-Surveillance-Systems liegt in der frühen Erkennung etwaiger Ausbrüche als
Voraussetzung für gezielte interventionsepidemiologische Maßnahmen zur Unterbrechung der
Infektketten. Der Beitrag des einzelnen Arztes bei der jährlichen HUS-Fragebögen-Aktion
ist der wesentliche Baustein für dieses präventivmedizinische Sicherheitsnetz. |
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Organ 76 (1998) 245-55. |
Anschrift des Verfassers:
Univ.-Prof. Dr. F. Allerberger
Institut für Hygiene und Bundesstaatliche bakt.-serol. Untersuchungsanstalt Innsbruck
A-6020 Innsbruck, Schöpfstraße 41 |
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