Der kindliche Harnwegsinfekt |
M. Riccabona
Kinderurologisches Department, KH der Barmherzigen Schwestern, Linz
(Leiter: OA Dr. M. Riccabona)
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Der Harnwegsinfekt
ist der häufigste bakterielle Infekt im Kindesalter. Ca. 1%
aller Buben und 5% aller Mädchen erleiden bis zum Schulende
einen Harnwegsinfekt. Am höchsten ist die Inzidenz bei Buben
im ersten Lebensjahr, die Infektionsrate sinkt danach drastisch.
Häufigste Ursachen sind angeborene Fehlbildungen des Harntraktes.
Mädchen haben im ersten Lebensjahr ebenfalls ein hohes Risiko,
das bis zum Schulalter etwas absinkt. Begünstigt werden die
Harnwegsinfekte bei Mädchen durch die kurze Harnröhre.
Bei 30% der
Harnwegsinfekte im Kindesalter kommt es innerhalb eines Jahres zu
einem Rezidiv, die 5-Jahres-Rezidivrate liegt bei 50%. Mädchen
sind von Rezidiven doppelt so häufig betroffen wie Buben.
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Risikofaktoren
Zu den wichtigsten
Risikofaktoren für Harnwegsinfekte gehört der vesikorenale
Reflux, der bei 10-15% der afebrilen und 50% der hochfieberhaften
Harnwegsinfekte nachweisbar ist. Auch andere Harnwegsfehlbildungen,
die durch das heute übliche Untersuchungsregime bereits frühzeitig
diagnostiziert werden können, erhöhen das Infektionsrisiko.
Durch regelmäßige sonographische Kontrollen wird eine
asymptomatische Hydronephrose bereits während der Schwangerschaft
sichtbar. Die fünf häufigsten kongenitalen Ursachen einer
Hydronephrose, die das Infektionsrisiko erhöhen, sind
- die Ureterabgangsstenose
(65%),
- die Uretermündungsstenose
(15%),
- der dilatierende
Reflux (18%),
- die Ureterozele
(0,5%) und
- die Harnröhrenklappe
mit beidseitiger Hydronephrose (0,05%).
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Asymptomatische
Hydronephrose
Eine prä-
oder postnatal festgestellte asymptomatische Hydronephrose wird
in der 4.-6. Lebenswoche näher abgeklärt. Zu diesem Zeitpunkt
stellt sich die Frage nach der Notwendigkeit einer Antibiotikagabe.
Während in den USA unabhängig vom Hydronephrosegrad generell
Antibiotika verordnet werden, kommen an unserer Klinik Antibiotika
nur bei einer Hydronephrose Grad 4 (massiv dilatiertes Nierenbecken
und Nierenkelche, Parenchymrarefikation) zum Einsatz, weil bei diesem
Ausprägungsgrad das Risiko einer Infektion deutlich erhöht
ist.
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Megaureter
Das Management
des Megaureter erfolgt heute vorwiegend konservativ. Eine Operationsindikation
besteht nur bei rezidivierenden Durchbruchsinfekten unter Antibiotikaprophylaxe,
bzw. wenn die Obstruktion bestehen bleibt oder sich verschlimmert
und die Nierenfunktion beeinträchtigt wird.
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Harnröhrenklappe
Eine Harnröhrenklappe
führt zu einer massiven Erweiterung der Harnröhre, zur
Harnstauung und häufig zu einem Reflux, meist in beide Nierenanteile.
Das sehr hohe Infektionsrisiko macht eine Antibiotikaprophylaxe
sofort nach Diagnosestellung unbedingt nötig.
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Ureterozele
Die Ureterozele
ist eine zystische Dilatation des distalen, intramuralen Harnleiters,
die zu einer Anstauung des Harnes in den oberen Nierenanteil führt.
Durch Luxation des zweiten Ostiums kann eine Ureterozele in der
Folge einen Reflux in den unteren Nierenanteil bedingen. Bei der
Miktion kann die Ureterozele den Blasenausgang verlegen und zu einer
chronischen Restharnbildung und somit zu einem erhöhten Infektrisiko
führen.
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Dysfunktion
der Blase
(Dysfunctional voiding)
Ein weiterer
Risikofaktor für Harnwegsinfekte ist die Dysfunktion der Blase.
Sie betrifft meist Kinder im Alter von 5-6 Jahren. Zu ihnen zählen
einerseits die so genannten lazy voiders Kinder
mit einer großen Blasenkapazität, die nur selten die
Toilette aufsuchen und andererseits die Beckenbodenkneifer,
also Kinder, die während der Miktion den Beckenboden kneifen
und sich beim Harnlassen zu wenig Zeit lassen. Auch kombiniertes
Harn- und Stuhlverhalten als dysfunctional elimination
syndrome bezeichnet wird zunehmend häufiger.
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Rezidivierende
Infektion des Präputiums, Vulvitis
Während
ein Harnwegsinfekt beim Neugeborenen in aller Regel auf hämatogenem
Weg entsteht, kommt es bei älteren Säuglingen und Kleinkindern
durch Keimaszension zur Infektion, da Perineum und distale Harnröhre
sehr bald nach der Geburt von Bakterien kolonisiert werden. Das
Keimreservoir des Präputiums bzw. der Vulva hat damit einen
großen Einfluss auf die Entwicklung von Harnwegsinfekten.
Es konnte nachgewiesen werden, dass die Infekthäufigkeit bei
nicht-zirkumzidierten Buben zehnmal höher ist als bei zirkumzidierten.
Bei Knaben mit chronisch rezidivierenden Harnwegsinfekten sollte
dieser Eingriff besonders dann in Erwägung gezogen werden,
wenn begleitende Risikofaktoren wie Harnwegsanomalien vorliegen.
Einen besonderen protektiven Effekt hat das Stillen. Das in der
Muttermilch enthaltene Laktoferrin bedingt einen niedrigen intestinalen
pH-Wert und ist reich an sekretorischem IgA. Die Oligosaccharide
in der Muttermilch sind zudem in der Lage, Bakterien zu blockieren.
Der Stuhl gestillter Säuglinge enthält E. coli
mit nur wenigen Virulenzfaktoren (K-Fimbrien, P1-Antigen).
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Symptome
des Harnwegsinfekts
Die Klinik des
Harnwegsinfektes ist unspezifisch und vom Alter des Kindes abhängig
(Tab. 1). Die Abgrenzung zur Pyelonephritis bereitet meist keine
Schwierigkeiten (Tab. 2).
Tabelle
1: Kindlicher Harnwegsinfekt: Symptome
Säuglinge |
Kleinkinder |
Schulkinder |
Fieber
Erbrechen
Durchfall
Meningismus
Schock |
Fieber
Erbrechen
Inappetenz
Dysurie
sek. Enuresis |
Dysurie
Pollakisurie
sek. Enuresis
Flankenschmerz
Bauchschmerzen |
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Tabelle
2: Differenzierung Cystitis - Pyelonephritis
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Cystitis |
Pyelonephritis |
Fieber
> 38,5
Leukozytose
BSG
C-reaktives Protein
Leukozytenzylinder
Nierenszintigramm |
nein
nein
normal
normal
nein
normal |
ja
ja
> 20/h
erhöht
ja
Speicherdefekte |
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Harngewinnung,
Erregerspektrum
Besonderes Augenmerk
ist auf die korrekte Gewinnung des Harns zu legen, da die Analyse
von falsch gewonnenen Harnen oft falsch-positive Befunde bringt.
Bei Kindern mit wiederkehrenden Infekten sollte zur Untersuchung
ein Blasenpunktionsharn oder im Ausnahmefall ein Katheterharn, bei
Knaben eventuell der Mittelstrahlharn, herangezogen werden. Der
im normalen Harntrakt am häufigsten nachweisbare Keim ist E.
coli. Beim rezidivierenden Harnwegsinfekt steigt die Zahl der
pathogenen Keime (Tab. 3).
Tabelle
3: Kindlicher Harnwegsinfekt: Erregerspektrum
Keim |
normaler
Harntrakt
|
pathologischer
Harntrakt
|
E.
coli
Proteus
Pseudomonas
Klebsiella
Enterokokken
Staphylokokken |
77,9
%
11,2 %
2,1 %
5,5 %
3,0 %
1,2 %
|
59,6
%
10,9 %
15,0 %
6,4 %
2,5 %
2,3 %
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Diagnostik
(Tab. 4)
Die Indikation
zur Abklärung besteht bei jedem fieberhaften Harnwegsinfekt
und bei jedem afebrilen Rezidiv.
Neben der sorgfältigen Anamnese und der bakteriellen Untersuchung
des Harnes ist die Ultraschalluntersuchung von Niere (Größe,
Lage, Stauung?) und Blase mit Bestimmung der Wanddicke und der Restharnmenge
obligat.
Weiterführende Untersuchungen sind das Miktionszystourethrogramm
(MCU) und die Nierenszintigraphie (DMSA-Scan) zur Beurteilung der
Nierenfunktion bei rezidivierenden Infekten und dem Verdacht auf
Narbenbildung. Bei gleichzeitigem Auftreten von Harnabflussstörung,
Hydronephrose und Infekt erleichtert die Bestimmung der MAG-3-Clearance
die Diagnose. Die Blasenentleerung kann mit Hilfe der Bestimmung
von Uroflow/EMG und Urodynamik überprüft werden. Eine
neurogene Störung kann mit Hilfe der Blasendruckmessung abgeklärt
werden. In seltenen Fällen sind die Endoskopie und die MR-Urographie
indiziert.
Tabelle
4: Kindlicher Harnwegsinfekt: Diagnostik
obligat |
Ultraschall:
Nieren, Blase, Restharn
Miktionszystourethrogramm (MCU)
Nierenszintigraphie (DMSA-Scan)
MAG 3-Clearance (HWI und Hydronephrose) |
fakultativ |
Uroflow/EMG,
Urodynamik
Endoskopie
MR-Urographie (bes. Pathologie), (IVP) |
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Therapie
Therapeutische
Ziele beim febrilen Harnwegsinfekt sind die Beseitigung der klinischen
Symptomatik (Fieber und Schmerz) und die Verhinderung von Langzeitschäden,
wie Nierennarben, und Nierenfunktionsverlusten.
Beim hochfieberhaften Infekt ist die parenterale Gabe von Antibiotika
über 7-10 Tage mit einer Harnkultur-Kontrolle nach ca. 48 Stunden
indiziert. Zur Therapie eignen sich in erster Linie Beta-Laktamantibiotika.
Entscheidend ist ein rascher Therapiebeginn, da eine Verzögerung
die Gefahr einer Narbenbildung im Bereich der Niere erhöht.
Das Risiko einer Hypertonie liegt bei einer einseitigen Nierennarbe
bei ca. 10% und verdoppelt sich bei Beidseitigkeit.
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Reinfektionsprophylaxe
Zur Reinfektionsprophylaxe
eignen sich in erster Linie orale Cephalosporine der 1. Generation
(z.B. Cefalexin) oder bei älteren Kindern ab dem 2. Lebensmonat
Trimethoprim oder Cefaclor. Alternative zur Gabe der halben Dosis
täglich oder nur alle zwei Tage jeweils abends ist die Überwachung
des Harnes durch die Eltern mittels Harnstreifen. Bei Knaben kann,
wie bereits erwähnt, die Zirkumzision das Problem deutlich
verringern. Eine attraktive therapeutische Option zur antibiotischen
Rezidivprophylaxe beim Reflux mit einer Erfolgsrate von 70% ist
die endoskopische Ostiumunterspritzung.
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Anschrift
des Referenten:
OA Dr. Marcus Riccabona
KH der Barmherzigen Schwestern
A-4020 Linz, Seilerstätte 4
E-Mail: marcus.riccabona@bhs.at |
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