Ist die Resistenzepidemiologie
für den Kliniker relevant? |
W. Graninger
Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Klin. Abt. für Infektionen
und Chemotherapie, AKH Wien
(Leiter: Univ.-Prof. DDr. W. Graninger)
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Auch bei Kenntnis
der Epidemiologie und der Resistenzlage in Österreich bleibt
beim einzelnen Patienten die Frage nach dem ursächlichen Erreger
einer Infektion in der Praxis häufig offen und lässt sich
nur durch eine mikrobiologische Untersuchung beantworten.
Erschwert wird
die Situation, wenn es sich bei dem Patienten um ein Kind aus einem
Land mit anderen epidemiologischen Gegebenheiten handelt und damit
mit einer unterschiedlichen Resistenzlage gerechnet werden muss.
Bei therapieresistenten Fällen ist auch die Möglichkeit
in Betracht zu ziehen, dass sich das Kind bei einem ausländischen
Verwandten angesteckt haben könnte. Bedenkt man z. B., dass
in der Türkei die Beta-Laktamase-Bildung von Haemophilus
influenzae nicht wie in Österreich bei einigen wenigen
Prozent liegt, sondern ca. 70% beträgt, so ist es nicht verwunderlich,
dass mit Ampicillin hier kein therapeutischer Erfolg zu erzielen
ist.
Epidemiologie
und Resistenzlage z. B. bei Meningokokken C und Pneumokokken werden
unter anderem entscheidend durch die Verfügbarkeit von Impfstoffen
beeinflusst. In die Therapieplanung muss also die Herkunft und der
Impfstatus des Kindes unbedingt einbezogen werden.
Ähnliche
Überlegungen sind bei erwachsenen Patienten mit während
des Urlaubs im Ausland akquirierten Infektionen anzustellen.
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Welche
Keime bereiten Probleme?
Groß ist
das Problem bei bakteriellen Infektionen. Weltweit wächst das
Problem therapieresistenter Streptokokken der Gruppe A, wovon Österreich
derzeit nur in sehr geringem Ausmaß betroffen ist. Keime,
bei denen sich die Resistenzsituation ebenfalls verschlechtert,
sind Pneumokokken und Staphylococcus aureus. Galt der Methicillin-resistente
Staphylococcus aureus (MRSA) lange Zeit als Hospitalismus-Keim,
so ist dieser Erreger mittlerweile auch in Österreich bei ambulant
erworbenen Infektionen zu isolieren. Eine effektive Maßnahme
zur Lösung dieses Problems wäre die Einhaltung der Hygienemaßnahmen,
im Spital besonders die Verlegung von Infizierten auf Isolierstationen.
Schwere Infektionen
durch Haemophilus influenzae wurden durch die Impfung weitgehend
eliminiert. Die Pathogenität von Haemophilus influenzae
beim Erwachsenen wurde in der Vergangenheit zudem überschätzt.
Mykoplasmen und Chlamydien bereiten vorläufig keine therapeutischen
Probleme. Es wird aber in Zukunft durchaus mit Tetrazyklin- und
Makrolid-resistenten Mykoplasma-Stämmen zu rechnen sein.
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Kann
Penicillin heute noch zum Einsatz kommen?
Pencillin V
wird zunehmend von anderen Substanzgruppen attackiert,
nicht immer zu Recht. Bei der Streptokokken-Angina ist Penicillin
nach wie vor Standard. Und auch bei der Pneumonie spielt die Penicillin-Resistenz
keine Rolle, da selbst bei einer Pneumonie durch pseudoresistente
Pneumokokken bei der in Mitteleuropa gebräuchlichen parenteralen
Dosierung Penicillin eingesetzt werden kann. Probleme bereitet hier
nur eine eventuelle Unterdosierung. Lediglich bei einer Meningitis
durch Penicillin-resistente Pneumokokken (z. B. in Spanien) sollten
statt Penicillin Cephalosporine 3 zum Einsatz kommen.
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Welche
Faktoren führen zur Resistenzbildung?
Ein für
die Resistenzbildung wichtiger Faktor ist der Antibiotikaverbrauch.
Aber auch in Ländern mit adäquaten Verschreibungsgewohnheiten
können die Resistenzen bei bestimmten Keimen durch Import
resistenter Keime bzw. Klone plötzlich sprunghaft ansteigen.
Entscheidend
ist auch die Pharmakodynamik. So erreichen z. B. Makrolide wie Azithromycin
in hoher Konzentration die Zelle, liegen extrazellulär aber
möglicherweise in zu geringer Konzentration vor, was eine Resistenzbildung
begünstigen kann.
Einen nicht
zu unterschätzenden Einfluss hat die Compliance. Eine zu kurze
Therapiedauer, in seltenen Fällen auch die zu lange Therapiedauer
erhöht wie die zu geringe Dosierung aufgrund des entstehenden
Selektionsdrucks durch Therapieversager das Risiko für die
Entwicklung von Resistenzen.
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Österreich
eine Insel der Seligen?
Im Vergleich
zu z. B. Japan, wo gegen Makrolide Resistenzraten von bis zu 80%
erhoben wurden, ist die Situation in Österreich als sehr günstig
einzustufen. Trotzdem müssen alle Maßnahmen ergriffen
werden, um ein Ansteigen der Resistenzrate zu verhindern. Die Favorisierung
einer einzelnen Substanz kann, wie am Beispiel Finnland zu sehen
war, gravierende Auswirkungen haben. So führte in Finnland
die Favorisierung von Erythromycin bei Pharyngitis gegenüber
Penicillin V zu einem drastischen Anstieg der Erythromycin-resistenten
Keime. Daraufhin schlug das Pendel in die Gegenrichtung aus, Makrolide
wurden beinahe aus dem therapeutischen Repertoire verbannt
zu Unrecht.
Zu beachten
ist auch, dass die Resistenzlage nicht für alle Makrolide gleich
ist. So ist ein Teil der Keime, die gegen 14- und 15-gliedrige Makrolide
resistent sind, auf 16-gliedrige Makrolide wie Josamycin empfindlich.
Ein weiterer Vorteil von Josamycin für den Einsatz in der Pädiatrie
ist, dass diese Substanz in einer Kinderform vorliegt. Der süße
Saft macht eine Verabreichung über den nötigen Zeitraum
erst möglich.
Zu den neuesten
Hoffnungen am Horizont zählen die Ketolide, wie z. B. Telithromycin
chemisch Makrolide mit einer Ketogruppe an Stelle der L-Cladinose.
Sie wirken auch gegen Makrolid-resistente Pneumokokken und Streptokokken,
sind für Kinder allerdings noch nicht zugelassen.
Von den zahlreichen Vertretern der Chinolone haben sich nur wenige
Substanzen durchgesetzt. Eigentlich für Kinder nicht zugelassen,
wurde Ciprofloxacin mittlerweile bei vielen Kindern eingesetzt,
das Kinderverbot sollte daher fallen. Chinolone sind
Mittel der Wahl bei Haemophilus-influenzae-Infektionen und
wirken gegen Gram-positive Keime allerdings schwächer. Dies
gilt auch für die neueren Chinolone wie Moxifloxacin und Gatifloxacin.
Bei Makrolid- und Penicillin-Resistenz könnten sie im Zweifelsfall
auch bei Kindern eingesetzt werden. Problematisch ist, dass Chinolone
in der Massentierhaltung eingesetzt werden, was zur Entwicklung
Ciprofloxacin-resistenter Campylobacter-Stämme geführt
hat. Mögliche weitere Probleme könnten in Zukunft Chinolon-resistente
E. coli und Salmonellen bereiten.
MRSA-Infektionen
können in Zukunft mit Linezolid behandelt werden.
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Resistenzen
bei Mycobacterium tuberculosis und HIV (k)ein europäisches
Problem?
Gering erscheinen
derzeit die Resistenzprobleme bei Streptokokken und Pneumokokken
in Europa im Vergleich zum weltweit größten therapeutischen
Problem, der Tuberkulose. Durch Resistenzentwicklungen steht in
manchen Entwicklungsländern gegen Mycobacterium tuberculosis
keine finanzierbare Therapie mehr zur Verfügung.
In Österreich
könnte dieses Problem wieder aufflackern, wenn Zuwanderer aus
Osteuropa die Tuberkulose nach Österreich bringen.
Ein noch größeres
Problem stellt nach wie vor die HIV-Infektion dar. Eine Monotherapie
führt zur Resistenzentwicklung gegen Reverse-Transkriptase-Hemmer.
Das Problem könnte durch Einwanderer aus Afrika in Zukunft
auch Europa betreffen.
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Anschrift
des Referenten:
Univ.-Prof. DDr. Wolfgang Graninger
Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Klin. Abt. für Infektionen
und Chemotherapie
A-1090 Wien, Währinger Gürtel 18-20
E-Mail: wolfgang.graninger@akh-wien.ac.at
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