Sicher therapieren
- Glykopeptide im Vergleich |
A. Georgopoulos
Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Abt. für Infektionen
und Chemotherapie, AKH Wien
(Vorstand: Univ.-Prof. DDr. W. Graninger) |
Zusammenfassung
Obwohl
moderne, hochgereinigte Vancomycin-Darreichungsformen deutlich
weniger Nebenwirkungen verursachen als die ersten, oft verunreinigten
Präparationen, bleiben doch eine Reihe signifikanter Probleme
bestehen. Aus diesem Grund ist in vielen Fällen ein Monitoring
der Vancomycin-Serumkonzentration notwendig. In einer Meta-Analyse
von vergleichenden Studien zwischen Teicoplanin und Vancomycin
zeigte sich bei Teicoplanin eine insgesamt geringere Nebenwirkungsrate,
dies auch bei Nephrotoxizität. Das „Red-Man“-Syndrom,
das wahrscheinlich durch Histamin-Freisetzung ausgelöst
wird, ereignet sich nach rascher intravenöser Gabe von
Vancomycin, jedoch nur äußerst selten nach Teicoplanin-Administration.
Die in amerikanischen Studien beobachtete erhöhte Rate
von Thrombozytopenie unter Teicoplanin-Therapie ereignete sich
nahezu ausschließlich bei Patienten, die wesentlich höhere
Dosen Teicoplanin erhielten als derzeit empfohlen. Die niedrigere
Nebenwirkungsrate ist ein wichtiges Kriterium bei der Auswahl
eines Glykopeptides bei Infektionen durch empfindliche Keime.
|
Key-words:
Teicoplanin, vancomycin, safety, adverse events |
Summary
Although
modern preparations of vancomycin are associated with a lower
incidence of adverse events than the earlier preparations, a
number of clinically significant problems remain. Consequently
monitoring of serum concentrations is required. In meta-analysis
of comparative trials adverse events were less likely to occur
with teicoplanin than with vancomycin. This was also true for
nephrotoxicity. Red-man-syndrome, which may be due to histamine
release, occurs after rapid infusion of vancomycin but is very
rare following teicoplanin administration. In US trials, thrombocytopenia
was more commonly seen with teicoplanin administration, but
this was almost exclusively in patients receiving much larger
doses than are now recommended. The lower rate of adverse events
supports the choice of teicoplanin over vancomycin in treating
infections where the two antibiotics have similar efficacy.
|
Einleitung
Die Häufigkeit von Infektionen durch Gram-positive Erreger
hat in den letzten Jahren weltweit stark zugenommen. Keime wie
Methicillin-resistente Staphylokokken, Penicillin-resistente
Pneumokokken oder Enterokokokken sind nun unter den häufigsten
Verursachern von nosokomialen Infektionen. Die Therapieoptionen
bei diesen Infektionen sind beschränkt - gerade hier stellen
die Glykopeptide wertvolle Substanzen dar.
Ältere Präparationen von Vancomycin verursachten,
auf Grund von Verunreinigungen, oft Nebenwirkungen. Die derzeit
im Handel befindlichen Formulierungen sind hochgereinigt, eine
gewisse Nebenwirkungsrate blieb jedoch bestehen. Nephrotoxizität
zeigt sich besonders bei gleichzeitigem Einsatz von Aminoglykosiden.
Eine weitere Nebenwirkung ist das „Red-Man“-Syndrom,
eine Kombination von Erythem, Juckreiz und gelegentlich Hypotension.
Teicoplanin zeigt trotz seiner strukturellen Ähnlichkeit
zu Vancomycin eine deutlich verminderte Inzidenz von „Red-Man“-Syndrom
und Nephrotoxizität. Die am häufigsten beobachteten
Nebenwirkungen sind Überempfindlichkeitsreaktionen, Steigen
der Leberenzyme und lokale Intoleranzreaktionen.
Eine Meta-Analyse von 12 Vergleichsstudien zwischen Vancomycin
und Teicoplanin zeigte eine signifikant höhere Nebenwirkungsrate
bei Vancomycin (21,9%) als bei Teicoplanin (13,9%) [1]. Ebenso
erbrachte der Datenpool aus sechs europäischen Untersuchungen
von schweren Infektionen durch Gram-positive Erreger eine höhere
Rate von Hautreaktionen und Juckreiz bei Vancomycin (14,0%)
als bei Teicoplanin (3,1%) [2]. In einem Review von rezenten
Vergleichsstudien von Wilson et al. wurde Vancomycin in keinem
der Fälle als die Substanz mit der besseren Verträglichkeit
beurteilt [3] (Tabelle 1).
Tabelle
1: Unerwünschte Arzneimittelwirkungen von
Teicoplanin und Vancomycin im Vergleich (Wilson et al.,
1997)
Nebenwirkungen |
Anzahl
der Patienten (%) |
|
Teicoplanin
(n = 406) |
Vancomycin
(n = 417) |
Überempfindlichkeit |
49
(12,1) |
48
(11,5) |
Fieber |
17
(4,2) |
12
(2,9) |
Juckreiz |
9
(2,2) |
11
(2,6) |
Ausschlag |
36
(8,8) |
33
(7,9) |
Krämpfe |
5
(1,2) |
3
(0,7) |
Durchfall |
23
(5,7) |
29
(7,0) |
Übelkeit |
11
(2,7) |
15
(3,6) |
Gehör/Balance |
5
(1,2) |
6
(1,4) |
Leberfunktion |
5
(1,2) |
6
(1,4) |
Nephrotoxizität |
25
(6,2) |
27
(6,5) |
Hämatologie |
16
(3,9) |
5
(1,2) |
Thrombozytopenie |
14
(3,4) |
2
(0,5) |
Teicoplanin-Dosis
> 12 mg/kg täglich
|
|
|
Unerwünschte
Arzneimittelwirkungen von Glykopeptiden
Nephrotoxizität
Durchschnittlich 5% aller Patienten, die mit Vancomycin behandelt
werden, entwickeln Nierenfunktionsstörungen, vor allem
wenn der Plasma-Talspiegel 30 mg/l überschreitet. Von großer
klinischer Bedeutung ist die synergistische Nephrotoxizität
bei gleichzeitiger Anwendung von Vancomycin und einem Aminoglykosid.
Eine Daten-Aufarbeitung von acht großen Studien zeigte,
dass die Inzidenz von Nephrotoxizität bei Patienten mit
Vancomycin/Aminoglykosid deutlich höher war als bei Patienten,
die nur eine der beiden Substanzen erhielten [4].
Die Inzidenz von Nephrotoxizität bei der Kombination von
Teicoplanin mit einem Aminoglykosid ist geringer als bei der
Kombination von Vancomycin mit einem Aminoglykosid [5]. Auch
bei der Monotherapie ergaben sich für Teicoplanin im Allgemeinen
deutlich günstigere Werte als für Vancomycin [6].
Im Gegensatz dazu wurden ähnliche Raten von Nephrotoxizität
bei der Behandlung von neutropenischen Patienten mit entweder
Teicoplanin/Amikacin oder Vancomycin/Amikacin beobachtet.
Aus diesen Daten ist der Schluss zulässig, dass der wahrscheinlich
entscheidende Faktor bei der Entwicklung von Nierenfunktionsstörungen
bei beiden Glykopeptiden die gleichzeitige Gabe und die Dosierung
von Aminoglykosiden darstellt. Die Dosisabhängigkeit ist
in Bezug auf Inzidenz der Nephrotoxizität bei Vancomycin
allerdings stärker ausgeprägt als bei Teicoplanin
[6].
Ototoxizität
In Tierversuchen konnte weder nach Gabe von Teicoplanin oder
Vancomycin Ototoxizität festgestellt werden. Ototoxizität
nach Vancomycin-Gabe konnte beim Meerschweinchen nur bei gleichzeitiger
Gabe von Aminoglykosiden beobachtet werden [7].
Bei Menschen zeigte sich in seltenen Fällen Ototoxizität
bei Gabe von Vancomycin ab Talspiegelkonzentrationen von 13-32
mg/l und Spitzenspiegel von 25-50 mg/l. In den meisten vorliegenden
Studien kam es nur in Verbindung mit einem Aminoglykosid zum
Auftreten von zumeist asymptomatischer Ototoxizität [8].
Ebenso konnte auch nach der Gabe von Teicoplanin eine Ototoxizität
in individuellen Fällen, weitgehend unabhängig von
der verwendeten Dosis und der Therapiedauer, beobachtet werden.
Diese Inzidenz beschränkt sich zumeist auf einzelne Fallbeschreibungen,
in denen über einen, oft nur audiometrisch nachgewiesenen
und vom Patienten unbemerkten, diskreten Hochfrequenz-Hörverlust
berichtet wird [9].
Insgesamt kann das Risiko für Ototoxizität bei Vancomycin-Gabe
als gering eingestuft werden. Da ein direkter Zusammenhang mit
dem Serumspiegel nicht nachgewiesen werden konnte, wird die
Bestimmung des Vancomycin-Spiegels nur bei Patienten mit gestörter
Nierenfunktion, pseudomembranöser Kolitis oder bei gleichzeitiger
Gabe von Aminoglykosiden empfohlen. Ältere Patienten haben
ein höheres Risiko für die Akkumulation von Vancomycin
- auch hier sind Serumspiegel für die Dosisfindung wichtig.
Das Monitoring des Teicoplanin-Spiegels hingegen ist nur für
die Überwachung des Therapie-Erfolges notwendig, nicht
jedoch, um Toxizität zu vermeiden.
„Red-man“-Syndrom
Das „Red-Man“-Syndrom besteht aus einem Erythem,
das oft den ganzen Oberkörper betrifft, und Juckreiz, zumeist
assoziiert mit einer schnellen (< 1 Stunde) Verabreichung
der ersten Dosis Vancomycin. Gelegentlich können noch Hypotension
und Angioödem hinzukommen, seltener wurden Schmerzen und
Muskelspasmen beobachtet. Zu unterscheiden ist dieser Symptomkomplex
vom „Red-Man“-Syndrom, das auf der toxischen Wirkung
von Rifampicin beruht.
Bei den meisten Patienten treten die Symptome in milder Ausprägung
auf, zumeist mit geringem Pruritus gegen Ende der Infusion.
Dieses Syndrom tritt auch nach Gabe von hochgereinigtem Vancomycin
auf, und sogar bei oraler Verabreichung. Aus diesem Grund wird
vermutet, dass das Vancomycin-Molekül selbst, und nicht
verunreinigende Stoffe, den Auslöser darstellt [10].
Die Daten zur Inzidenz variieren stark, abhängig von Dosis,
Infusionsgeschwindigkeit und konkomitanter Medikation. Als wahrscheinlichste
Ursache für das „Red-Man“-Syndrom gilt eine
Histamin-Freisetzung. Antihistaminika zeigten sich hier als
potente Hemmer der Symptome. In Studien konnte durch Gabe von
Diphenhydramin oder Hydroxyzin das Auftreten der Symptome verhindert
oder deutlich reduziert werden [11]. Es konnte jedoch bislang
kein Zusammenhang zwischen Serum-Histamin-Konzentration und
Schwere der Symptomatik festgestellt werden [12].
Unangenehme Folgen kann das Auftreten von Blutdruckabfällen
insbesondere bei der Verwendung von Vancomycin in der chirurgischen
Prophylaxe haben und muss deshalb sorgfältig monitiert
werden. Hierbei hat es sich gezeigt, dass der Zeitpunkt der
Applikation (vor oder nach Beginn der Anästhesie) keinen
Einfluss auf das Auftreten und die Schwere dieser Nebenwirkung
hat [12].
Teicoplanin verursacht beim gesunden Freiwilligen kein „Red-Man“-Syndrom.
In klinischen Studien wurde eine äußerst geringe
Rate von 0,04% (3 von 6696 Patienten) für Teicoplanin ermittelt
[13].
Ausschlag und Fieber
Vancomycin und Teicoplanin verursachen in ähnlichem Ausmaß
Ausschlag und Fieber, allerdings bei unterschiedlichen Patienten.
Ein Wechsel von einem Glykopeptid auf das andere kann somit
die Verträglichkeit deutlich steigern.
Ausschläge wurden bei 2 bis 8% der Patienten unter Vancomycin-Therapie
beobachtet, wobei auch Fälle nach oraler Applikation beobachtet
wurden. Ebenso häufig scheinen lokale Unverträglichkeitsreaktionen
an der Einstichstelle zu sein [8].
Überempfindlichkeitsreaktionen wie Ausschlag oder Fieber
sind der häufigste Grund für das Absetzen einer Teicoplanin-Therapie.
Die Inzidenz scheint hier vergleichbar mit der des Vancomycin.
Bei febrilen, neutropenischen Patienten war jedoch ein Ausschlag
bei der Vancomycin-Gruppe mit 6% deutlich häufiger als
in der Teicoplanin-Gruppe mit 2% [6]. Bei klinischen Studien
ergab sich eine Gesamtinzidenz von Fieber und Ausschlag von
2 bis 3% für Teicoplanin [14]. Patienten, die über
einen längeren Zeitraum mit hohen Teicoplanin-Dosen behandelt
werden, haben ein deutlich höheres Risiko, Überempfindlichkeitsreaktionen
zu entwickeln. So ergaben sich erhöhte Raten von bis zu
13% bei Patienten mit Osteomyelitis oder septischer Arthritis,
die mit 6 bis 12 mg/kg KG Teicoplanin täglich behandelt
worden waren [15].
In einzelnen Fällen wurde in der Literatur eine Kreuzresistenz
zwischen Vancomycin und Teicoplanin beschrieben. Grek et al.
berichteten über Patienten, die, nachdem sie unter Vancomycin
Fieber und Ausschlag entwickelt hatten, auf Teicoplanin gewechselt
wurden und auch unter diesem veränderten Regime diese Nebenwirkungen
zeigten [16]. Im Gegensatz dazu konnten Smith et al. erfolgreich
Teicoplanin bei Patienten einsetzen, die unter Vancomycin-Gabe
Symptome des „Red-Man“-Syndroms zeigten [17]. Ähnliches
konnten Schlemmer et al. bei Patienten, die unter Vancomycin
Neutropenie und Ausschlag entwickelten, zeigen [18].
Hämatologische Störungen
Einige Untersuchungen berichten über reversible, Vancomycin-induzierte
Neutropenie und Thrombozytopenie [19]. Morris et al. beobachteten
eine hohe Inzidenz von Leukopenie unter Vancomycin-Therapie
mit einer Gesamtrate von 18% [20]. Ebenso konnten Vancomycin-abhängige
Antithrombozyten-Antikörper bei Patienten mit Leukämie
nachgewiesen werden [21]. In allen Fällen kam es nach Absetzen
der Vancomycin-Therapie zu einer kompletten Normalisierung des
Blutbildes.
Teicoplanin kann in extrem hohen Dosierungen, die in der Klinik
nicht erreicht werden (5000 bis 10000 mg/l), in die Plättchen-Aggregation
eingreifen. In einer amerikanischen Studie hatten Patienten,
die Teicoplanin >12 mg/kg täglich erhielten, eine höhere
Rate von Thrombozytopenie als Patienten, die Vancomycin 15 mg/kg
alle 12 Stunden erhielten [13]. Auch im Vergleich zu Ceftazidim
trat in der Teicoplanin-Gruppe häufiger Thrombozytopenie
auf [22]. Sehr selten kann es auch zu Neutropenie und Eosinophilie
kommen, wobei es erste Hinweise auf eine Dosisabhängigkeit
gibt: Livornese et al. berichteten, dass einer von zehn Patienten,
die 30 mg/kg Teicoplanin täglich erhielten, Neutropenie
entwickelte, während es in der Vergleichsgruppe (7 Patienten,
12 mg/kg Teicoplanin täglich) zu keiner Blutbildstörung
kam [23].
Leber und Gastrointestinaltrakt
Weder Vancomycin noch Teicoplanin verursachen schwere Leberfunktionsstörungen.
Erhobene Nebenwirkungsraten liegen hier zwischen 0 und 1% [2,
6]. Leberfunktionsstörungen sind hier eher als Folge der
schweren Infektionen zu sehen, die mittels Glykopeptid behandelt
werden. Weiters verursachen beide Substanzen nur in seltenen
Fällen gastrointestinale Störungen. |
Schlussfolgerungen
Bei
der Behandlung von Infektionen durch Erreger, die gleichermaßen
gegenüber Teicoplanin und Vancomycin empfindlich sind,
hat Teicoplanin einen therapeutischen Vorteil, da das „Red-Man“-Syndrom
vermieden werden kann und das Serum-Monitoring zur Vermeidung
von Toxizität nicht zwingend notwendig ist. Teicoplanin
kann reversible Thrombozytopenie hervorrufen, jedoch erst in
klinisch unüblich hohen Dosierungen.
Kliniker haben zumeist mehr Erfahrung mit dem Einsatz von Vancomycin,
wobei in Monotherapie das Auftreten von Nephrotoxizität
gering ist. Ein Serum-Monitoring ist jedoch notwendig bei der
gleichzeitigen Gabe von Aminoglykosiden oder bei Patienten mit
bereits bestehenden Nierenfunktionsstörungen. Weiters muss
auch Augenmerk auf das Auftreten des „Red-Man“-Syndroms
gelegt werden.
Teicoplanin kann auch bei Patienten, die auf Vancomycin mit
Fieber oder Ausschlag reagiert haben, eingesetzt werden; d.h.
es gibt keine komplette Kreuzresistenz. Nephrotoxizität
tritt insgesamt etwas niedriger bei Teicoplanin als bei Vancomycin
auf. Ein weiterer Vorteil des Teicoplanin besteht in der Pharmakokinetik,
die eine 1-mal tägliche Gabe und somit in vielen Fällen
eine kostengünstige ambulante Therapie ermöglicht.
Dieser Kostenfaktor und die niedrige Nebenwirkungsrate machen
Teicoplanin in vielen Fällen zu einer attraktiven Therapieoption.
Die letzte Entscheidung für die eine oder andere Substanz
muss jedoch immer in Abhängigkeit der erwarteten Resistenzlage
und des klinischen Bildes erfolgen. |
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Anschrift
des Verfassers:
Univ.-Prof. DDr. Apostolos Georgopoulos
Univ.-Klinik für Innere Medizin I, Klin. Abt. für
Infektionen und Chemotherapie
A-1090 Wien, Währinger Gürtel 18-20
E-Mail:
apostolos.georgopoulos@akh-wien.ac.at
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